Na klar. Die langen Haare. Die Frage musste ja kommen. Wie immer. Trotzdem müht sich Anton Hofreiter, ruhig zu bleiben. Er sitzt an einem runden Tisch in seinem Büro. Es gibt Bio-Apfelsaft und Mineralwasser. Ein ziemlich schmuckloser Ort, wenig Schnickschnack, wenig Bilder an der Wand. Nüchtern eben, wie Naturwissenschaftler halt sind. Das jedenfalls würde Hofreiter jetzt sagen, wenn er nicht gerade über die Sache mit den Haaren nachdenken müsste. Ja, diese Frage begleite ihn, aber rege ihn nicht mehr auf. „Ich erlebe das jedes Mal, wenn ich eine neue Rolle bekomme.“ Seine Haare sind schon ziemlich lange ziemlich lang. Er sagt: „Toleranz muss jedes Mal neu gelernt werden.“
Anton Hofreiter: Nicht nur die langen Haare unterscheiden ihn von seinem Vorgänger Jürgen Trittin.
Nicht schlecht eigentlich, diese Reaktion aus Trotz und Ich-bin-ich. Sollen sich die anderen dran stoßen. Ihm soll das egal sein. Zumal alle, die ihn jenseits von Berlin darauf ansprechen, ohnehin erklären, er solle sich nicht ändern. „Die sagen: Bloß nicht die Haare abschneiden. Bloß nicht klein beigeben.“ Bei den Worten muss Hofreiter leise lächeln. Zuspruch tut eben trotzdem gut.
Denn er weiß: Auch neun Monate nach seiner Wahl zum Fraktionschef der Grünen ist das ein Thema geblieben. Jedenfalls in der Hauptstadt. Würde man rumfragen in jenem Quadratkilometer rund um den Reichstag, in dem Politiker, Journalisten und PR-Berater aufeinanderhängen, würden ihm 95 Prozent raten, die Mähne aufzugeben. Das sagt etwas aus über Hofreiters Berliner Imageprobleme. Aber es erzählt auch viel über den Politbetrieb in der ach so weltläufigen Hauptstadt.
Mangelnde Toleranz? Vielleicht hat Hofreiter ja doch recht.
Seit vergangenem Herbst ist der 44-Jährige neben Katrin Göring-Eckardt an der Spitze der Fraktion. Die Grünen hatten die Bundestagswahl verloren, die alte Garde um Jürgen Trittin, Claudia Roth und Renate Künast musste gehen. Gefragt waren Neue, die den Laden wieder zum Laufen bringen sollten. Also fiel die Wahl auf den Mann aus Bayern, der bislang vor allem als Verkehrsexperte bekannt war. Aufgefallen durch sachlich-fachliche Äußerungen und gute Informationen. Groß, kräftig, ein bisschen unverwüstlich, irgendwie ein Typ halt, noch dazu einer aus Bayern. Wahrscheinlich gab es in der Fraktion manchen, der sich nach der Niederlage auch hinter seinem breiten Kreuz verstecken wollte.
Doch dann kam, was kommen musste: Plötzlich stand da einer in der ersten Reihe, der das nicht gewohnt war. Plötzlich überall Mikrofone, überall Scheinwerfer, die alles ausleuchten. Und überall Journalisten, die nach allem fragen, nicht nur nach Stuttgart 21. Wie schwer ihm das fiel, konnte man in der allerersten Stunde schon erleben. Als er nach seiner Nominierung gefragt wurde, was ihn eigentlich für diesen Job besonders prädestiniere, rang er so lange nach Worten, bis der Sprecher der Fraktion das Gespräch für beendet erklärte. Das war nicht schlimm. Es zeigte nur, wie von da an alles größer, öffentlicher und schwerer werden würde.
Er kann das nicht so leicht abschütteln, auch durch ein Medientraining nicht. Das ließ sich am Mittwoch wieder studieren. In der Debatte über den Kanzleretat antwortete Hofreiter auf Angela Merkel. Und er bekam zu spüren, wie eine große Koalition mit einer kleinen Opposition umgeht. Als Hofreiter ans Pult trat, standen viele Abgeordnete auf, plauderten mit diesem und jenem oder verließen gleich ganz den Saal. Es war nicht mehr still, es herrschte eine Geräuschkulisse wie in einer Schalterhalle am Flughafen.
Gegen eine solche Wand des Desinteresses ist schwer etwas auszurichten. Und Hofreiter hielt bald keine ruhige Rede mehr, sondern kämpfte. Er rief und brüllte gegen diese Mehrheit an und gegen das Desinteresse. Er ließ mal seinen linken, mal seinen rechten Arm wie ein Hackebeil nach unten sausen. Er mühte sich um Gesten, die Stärke ausdrücken sollten. Er mühte sich auch um einen Wechsel von laut zu leise. Doch weil er dabei den Faden nicht verlieren wollte, musste er selbst dann aufs Manuskript schauen, als er „Kein Drive! Keine Visionen! Kein Mut!!“ rief. Das Ergebnis: Selbst Merkel fragte auf der Regierungsbank rum, was denn mit dem los sei. Dabei war die Rede selbst gar nicht schlecht. Wer sie nachliest, findet dort viel Kluges. Doch wer sie hörte, litt mit und konnte ihm nicht mehr immer folgen. „Es ist verdammt schwer bei einer solchen Kulisse“, erklärten hinterher schützend mehrere aus der Grünen-Fraktionsspitze.
Nun ist Hofreiter nicht der Typ, um den man sich gleich Sorgen machen müsste. Der promovierte Biologe, Experte für seltene Pflanzen, der sein Herz und seine Leidenschaftlange Zeit der Naturwissenschaft geschenkt hat, ist so leicht nicht aus der Bahn zu werfen. Er ist nicht nur groß und breit, er hat auch Forschungsreisen in Südamerika gemacht und schon Verletzungen und Bedrohungen überlebt, die weit existenzieller waren als viele Hauptstadt-Debatten. Mal ein gebrochener Knöchel alleine in der Pampa, mal ein Überfall – das relativiert manches. Aber er weiß jetzt, wie schwer es ist, aus dem Schatten seines Vorgängers zu treten.
Hofreiter folgte auf Jürgen Trittin. Und Trittin zählt heute zu den perfekt gestylten Politikern, durch und durch eine Mischung aus feinen Anzügen, scharfzüngigen Sätzen und feinstem Hochdeutsch. Hofreiter ist dazu die Antithese. Er ist in der Fraktion kein Zuchtmeister. Er pflegt ein recht derbes Bairisch. Und wenn er einen Anzug trägt, dann trägt er ihn so wie andere ihren Blaumann. Das lässt ihn authentisch wirken. Aber es macht ihn auch sehr authentisch zu einem Raubein, das wenig Charme versprüht und manchmal sehr trotzig daherkommt.
Bedroht ist Hofreiter trotzdem nicht. Seit Trittin wieder häufiger auftaucht, schließen sich um Hofreiter die Reihen. Eine Rückkehr Trittins wollen in der Fraktion selbst jene nicht, die derzeit Bauchschmerzen haben. Sie wollten im Herbst mit Hofreiter ein bisschen zurück zu ihren Wurzeln: zum Klimaschutz und zur Rettung der Umwelt. Und das verkörpert der Mann, der einst in Wackersdorf sozialisiert wurde. Die entscheidende Frage kann derzeit sowieso niemand beantworten. Die Frage nämlich, ob er irgendwann zu einer grünen Marke wird, also kräftig punktet. Gerade eben weil er so ein Typ ist.
Oder ob er durch seine Art doch viele Vielleicht-Grün-Wähler abstoßen könnte. Gerade eben weil er so einen Typ ist.
Anton Hofreiter: Nicht nur die langen Haare unterscheiden ihn von seinem Vorgänger Jürgen Trittin.
Nicht schlecht eigentlich, diese Reaktion aus Trotz und Ich-bin-ich. Sollen sich die anderen dran stoßen. Ihm soll das egal sein. Zumal alle, die ihn jenseits von Berlin darauf ansprechen, ohnehin erklären, er solle sich nicht ändern. „Die sagen: Bloß nicht die Haare abschneiden. Bloß nicht klein beigeben.“ Bei den Worten muss Hofreiter leise lächeln. Zuspruch tut eben trotzdem gut.
Denn er weiß: Auch neun Monate nach seiner Wahl zum Fraktionschef der Grünen ist das ein Thema geblieben. Jedenfalls in der Hauptstadt. Würde man rumfragen in jenem Quadratkilometer rund um den Reichstag, in dem Politiker, Journalisten und PR-Berater aufeinanderhängen, würden ihm 95 Prozent raten, die Mähne aufzugeben. Das sagt etwas aus über Hofreiters Berliner Imageprobleme. Aber es erzählt auch viel über den Politbetrieb in der ach so weltläufigen Hauptstadt.
Mangelnde Toleranz? Vielleicht hat Hofreiter ja doch recht.
Seit vergangenem Herbst ist der 44-Jährige neben Katrin Göring-Eckardt an der Spitze der Fraktion. Die Grünen hatten die Bundestagswahl verloren, die alte Garde um Jürgen Trittin, Claudia Roth und Renate Künast musste gehen. Gefragt waren Neue, die den Laden wieder zum Laufen bringen sollten. Also fiel die Wahl auf den Mann aus Bayern, der bislang vor allem als Verkehrsexperte bekannt war. Aufgefallen durch sachlich-fachliche Äußerungen und gute Informationen. Groß, kräftig, ein bisschen unverwüstlich, irgendwie ein Typ halt, noch dazu einer aus Bayern. Wahrscheinlich gab es in der Fraktion manchen, der sich nach der Niederlage auch hinter seinem breiten Kreuz verstecken wollte.
Doch dann kam, was kommen musste: Plötzlich stand da einer in der ersten Reihe, der das nicht gewohnt war. Plötzlich überall Mikrofone, überall Scheinwerfer, die alles ausleuchten. Und überall Journalisten, die nach allem fragen, nicht nur nach Stuttgart 21. Wie schwer ihm das fiel, konnte man in der allerersten Stunde schon erleben. Als er nach seiner Nominierung gefragt wurde, was ihn eigentlich für diesen Job besonders prädestiniere, rang er so lange nach Worten, bis der Sprecher der Fraktion das Gespräch für beendet erklärte. Das war nicht schlimm. Es zeigte nur, wie von da an alles größer, öffentlicher und schwerer werden würde.
Er kann das nicht so leicht abschütteln, auch durch ein Medientraining nicht. Das ließ sich am Mittwoch wieder studieren. In der Debatte über den Kanzleretat antwortete Hofreiter auf Angela Merkel. Und er bekam zu spüren, wie eine große Koalition mit einer kleinen Opposition umgeht. Als Hofreiter ans Pult trat, standen viele Abgeordnete auf, plauderten mit diesem und jenem oder verließen gleich ganz den Saal. Es war nicht mehr still, es herrschte eine Geräuschkulisse wie in einer Schalterhalle am Flughafen.
Gegen eine solche Wand des Desinteresses ist schwer etwas auszurichten. Und Hofreiter hielt bald keine ruhige Rede mehr, sondern kämpfte. Er rief und brüllte gegen diese Mehrheit an und gegen das Desinteresse. Er ließ mal seinen linken, mal seinen rechten Arm wie ein Hackebeil nach unten sausen. Er mühte sich um Gesten, die Stärke ausdrücken sollten. Er mühte sich auch um einen Wechsel von laut zu leise. Doch weil er dabei den Faden nicht verlieren wollte, musste er selbst dann aufs Manuskript schauen, als er „Kein Drive! Keine Visionen! Kein Mut!!“ rief. Das Ergebnis: Selbst Merkel fragte auf der Regierungsbank rum, was denn mit dem los sei. Dabei war die Rede selbst gar nicht schlecht. Wer sie nachliest, findet dort viel Kluges. Doch wer sie hörte, litt mit und konnte ihm nicht mehr immer folgen. „Es ist verdammt schwer bei einer solchen Kulisse“, erklärten hinterher schützend mehrere aus der Grünen-Fraktionsspitze.
Nun ist Hofreiter nicht der Typ, um den man sich gleich Sorgen machen müsste. Der promovierte Biologe, Experte für seltene Pflanzen, der sein Herz und seine Leidenschaftlange Zeit der Naturwissenschaft geschenkt hat, ist so leicht nicht aus der Bahn zu werfen. Er ist nicht nur groß und breit, er hat auch Forschungsreisen in Südamerika gemacht und schon Verletzungen und Bedrohungen überlebt, die weit existenzieller waren als viele Hauptstadt-Debatten. Mal ein gebrochener Knöchel alleine in der Pampa, mal ein Überfall – das relativiert manches. Aber er weiß jetzt, wie schwer es ist, aus dem Schatten seines Vorgängers zu treten.
Hofreiter folgte auf Jürgen Trittin. Und Trittin zählt heute zu den perfekt gestylten Politikern, durch und durch eine Mischung aus feinen Anzügen, scharfzüngigen Sätzen und feinstem Hochdeutsch. Hofreiter ist dazu die Antithese. Er ist in der Fraktion kein Zuchtmeister. Er pflegt ein recht derbes Bairisch. Und wenn er einen Anzug trägt, dann trägt er ihn so wie andere ihren Blaumann. Das lässt ihn authentisch wirken. Aber es macht ihn auch sehr authentisch zu einem Raubein, das wenig Charme versprüht und manchmal sehr trotzig daherkommt.
Bedroht ist Hofreiter trotzdem nicht. Seit Trittin wieder häufiger auftaucht, schließen sich um Hofreiter die Reihen. Eine Rückkehr Trittins wollen in der Fraktion selbst jene nicht, die derzeit Bauchschmerzen haben. Sie wollten im Herbst mit Hofreiter ein bisschen zurück zu ihren Wurzeln: zum Klimaschutz und zur Rettung der Umwelt. Und das verkörpert der Mann, der einst in Wackersdorf sozialisiert wurde. Die entscheidende Frage kann derzeit sowieso niemand beantworten. Die Frage nämlich, ob er irgendwann zu einer grünen Marke wird, also kräftig punktet. Gerade eben weil er so ein Typ ist.
Oder ob er durch seine Art doch viele Vielleicht-Grün-Wähler abstoßen könnte. Gerade eben weil er so einen Typ ist.