Tamam ist 15 Jahre alt, in drei Jahren will die junge Berlinerin ihr Abitur machen, und dann studieren. „Hier sind so viele Menschen unterschiedlicher Herkunft, das gefällt mir“, sagt das muslimische Mädchen über ihre Schule in Neukölln. Es gibt Kinder, deren Eltern aus Afrika kommen, Kurden, Türken und Araber. „Hier begegnen sich so viele interessante Kulturen.“ Das ist für sie das Besondere ihrer Schule. Und dann all die Angebote, gerade hat sie in einer Arbeitsgemeinschaft gelernt, wie sie Menschen in Not erste Hilfe leisten kann. Sie hat einen Kurs in Arabisch bestanden, ihrer Muttersprache, sie wird ihn als zweite Fremdsprache für ihr Abiturzeugnis einbringen können.
Ein Bild von 2006: Damals stand die Schule unter Poizeischutz, dann kamm der Bankrott. Nun haben die ersten Schüler ihr Abi bestanden.
Ihr fällt zusammen mit ihrer Klassenkameradin Rim noch einiges ein, was besonders ist an der Schule. Nur der Name und die jüngere Geschichte, die spielen dabei keine Rolle. Sie haben mal gehört, dass da was war, das schon. Es hat vielleicht auch mal jemand gefragt, wie es denn so zugeht auf der Rütli-Schule in Neukölln. Aber selbst das kommt kaum vor. „Nein, das spielt keine Rolle.“ Die beiden wissen höchstens vom Hörensagen, dass hier mal was los war, gewaltig Schlagzeilen produzierte. „Manchmal erzählen wir Lehrer ihnen von früher“, scherzt die Pädagogin Hilde Holtmanns. So richtig vorstellen können die Schüler sich das dann nicht.
So schnell kann das gehen, so schnell kann sich etwas ändern, obwohl manche damals meinten, dass es niemals besser werden könne, weil Neukölln nun einmal ein Problemquartier ist.
Gerade acht Jahre liegt es zurück, dass die Lehrer der Rütli-Schule, damals eine reine Hauptschule, eine Art Hilferuf aufsetzten, der bundesweit eine Debatte über die Zustände, die Hoffnungslosigkeit an Hauptschulen in sozialen Brennpunkten auslöste. Das Schreiben wird hier noch heute „der Brandbrief“ genannt. Als der Brief öffentlich wurde, änderte sich alles. „Als ich an diesem Morgen zur Schule kam, fragte ich erst mal, ob hier der Oscar verliehen werden sollte“, erinnert sich Hilde Holtmanns, die seit 30 Jahren an der Schule unterrichtet. Die Fernsehteams wollten die Welt der Lehrer filmen, die einen unzumutbaren Alltag beschrieben , wo „Gegenstände zielgerichtet gegen Lehrkräfte durch die Klassen“ flogen, einige Lehrkräfte sich nur noch mit dem Handy in bestimmte Klassen wagten, damit sie Hilfe anfordern konnten. Die Schule hatte zu wenig Lehrer und faktisch keine Leitung. Den Lehrern fehlten Zeit, Kraft und Mittel, um mit Schülern aus aller Herren Länder umzugehen. Die Rütli-Schule wurde zum Symbol für das Versagen im Umgang mit Migration und Armut, nun könnte sie zum Symbol für das Gelingen werden. Sie muss aber auch mit dem Vorwurf leben, zu privilegiert zu sein, um als Modell zu dienen.
Genaugenommen gibt es die Rütli-Schule nicht mehr, nur der Name ist noch da, aber mit anderem Sound versehen. „Campus Rütli“ heißt der Verbund jetzt, drei Schulen vereinten sich zur Gemeinschaftsschule. Alle Schulabschlüsse sind möglich, seit 2011 gibt es eine gymnasiale Oberstufe. Gerade haben die ersten 23 Abiturienten ihr Zeugnis erhalten. Das war 2008 unvorstellbar. Darunter sind vier, denen einst der Besuch der Hauptschule empfohlen worden war. Elf kommen aus einem arabischen Elternhaus, andere haben einen türkischen oder albanischen Hintergrund. Nicht nur in der Spitze zeichnet sich die Schule aus. Es verlassen, sagt Schulleiterin Cordula Heckmann, unterdurchschnittlich wenig Schüler den Campus ohne einen Abschluss.
Nach dem Brandbrief ging es wie im Zeitraffer. Schnell engagierten sich Stiftungen und Künstler, Sozialarbeiter und Schulpsychologen wurden eingestellt. Entscheidend aber war die grundsätzliche Neuausrichtung. Aus einer Hauptschule, als Restschule für Chancenlose abgeschrieben, wurde eine Ganztagsschule, die alle Schulformen flexibel vereint. Mit einem großen Angebot von der Musikschule bis hin zur Berufsförderung für Schüler mit Schwächen. Ein inzwischen stark verjüngtes Lehrerkollegium zeigt sich offen für Lernformen, die auf individuelle Förderung setzen, wie den Jül, den jahrgangsübergreifenden Unterricht bis zur 6. Klasse. „Hier werden nicht Klassen unterrichtet. Im Mittelpunkt steht der einzelne Schüler“, sagt Schulleiterin Heckmann. Was so einfach klingt, „war kein Sonntagsspaziergang“, sagt Christina Rau, die Witwe des früheren Bundespräsidenten, die sich hier als Schirmherrin des Campus Rütli engagiert. Lehrer, Eltern, Kinder und Politiker aus dem Bezirk entwickelten das Konzept für den Campus, der mit enormen Mitteln ausgebaut wird. Zum Campus gehören schon jetzt eine große „Quartierssporthalle“, neue Spielplätze, ein Freizeittreff.
Während einst Lehrer vom Rütli weg wollten, bewerben sich nun junge Pädagogen gezielt, um bei diesem spannenden Modell mitzumachen, in dem neue Ideen oft aus dem Kollegium heraus entwickelt werden. Die Schule profitiert auch davon, dass das Quartier rundum hip geworden ist. Gleich neben der Schule wirbt ein Restaurant mit einem Plakat für „japanische Maultaschen“. Neue Cafés und eher schicke Läden machen auf. Junge deutsche Familien ziehen her, in den jüngeren Klassen merkt man das schon.
Dass es so viel Aufmerksamkeit gab, manche Zuwendungen, hat schon Neid ausgelöst - wohl auch an anderen Schulen, wo die Verhältnisse schwierig sind. Der Bezirk Neukölln und das Land Berlin erhoffen sich aber, dass das Projekt mit seinem „erheblichen finanziellen und personellen Aufwand eine positive Strahlwirkung auf die anderen Bildungseinrichtungen im Neuköllner Norden und Vorbildcharakter für ähnliche Projekte über Neukölln hinaus haben kann“, erklärt Neuköllns Bildungsstadträtin Franziska Giffey.
„Es tut manchmal ein bisschen weh, wenn uns gesagt wird, es gehe uns so gut, weil wir so viel Geld hätten“, sagt Schulleiterin Heckmann. Das Geld sei nicht entscheidend für den Wandel. „Hier passiert viel ehrenamtlich.“ Von einer Luxusausstattung kann man ohnehin nicht sprechen, der Rütli-Campus ist einfach eine Berliner Schule. Und der Stadtteil noch immer kein Idyll. Die Mehrheit der Schüler kommt weiterhin aus ärmeren, manchmal schwierigen Verhältnissen. Fast alle haben einen Migrationshintergrund. „Meine Kinder könnten ihnen Geschichten erzählen, da wären sie sehr gerührt“, sagt Heckmann. „Aber wir wissen: Auch in einem sozialen Brennpunkt gibt es große Potenziale.“
Was macht den Unterschied aus? „Es sind die gleichen Kinder, aber sie haben jetzt eine Perspektive“, sagt die Lehrerin Holtmanns, die den Wandel über die Jahre mitgeprägt hat und die Schüler beim Einstieg in den Beruf berät. Die Schule kooperiert mit Unternehmen wie der Bahn, die Praktikanten aufnehmen, Auszubildende hier finden. Es gibt jetzt ein Leben nach der Schule. „Früher“, so sagt die Lehrerin, „mussten sie manche von der Schule gehen lassen, ohne zu wissen, was aus ihnen wird. Das gibt es jetzt nicht mehr.“ So, wie es jetzt auch keine Lehrer mehr gebe, die Angst hätten, in eine Klasse zu gehen.
Ein Bild von 2006: Damals stand die Schule unter Poizeischutz, dann kamm der Bankrott. Nun haben die ersten Schüler ihr Abi bestanden.
Ihr fällt zusammen mit ihrer Klassenkameradin Rim noch einiges ein, was besonders ist an der Schule. Nur der Name und die jüngere Geschichte, die spielen dabei keine Rolle. Sie haben mal gehört, dass da was war, das schon. Es hat vielleicht auch mal jemand gefragt, wie es denn so zugeht auf der Rütli-Schule in Neukölln. Aber selbst das kommt kaum vor. „Nein, das spielt keine Rolle.“ Die beiden wissen höchstens vom Hörensagen, dass hier mal was los war, gewaltig Schlagzeilen produzierte. „Manchmal erzählen wir Lehrer ihnen von früher“, scherzt die Pädagogin Hilde Holtmanns. So richtig vorstellen können die Schüler sich das dann nicht.
So schnell kann das gehen, so schnell kann sich etwas ändern, obwohl manche damals meinten, dass es niemals besser werden könne, weil Neukölln nun einmal ein Problemquartier ist.
Gerade acht Jahre liegt es zurück, dass die Lehrer der Rütli-Schule, damals eine reine Hauptschule, eine Art Hilferuf aufsetzten, der bundesweit eine Debatte über die Zustände, die Hoffnungslosigkeit an Hauptschulen in sozialen Brennpunkten auslöste. Das Schreiben wird hier noch heute „der Brandbrief“ genannt. Als der Brief öffentlich wurde, änderte sich alles. „Als ich an diesem Morgen zur Schule kam, fragte ich erst mal, ob hier der Oscar verliehen werden sollte“, erinnert sich Hilde Holtmanns, die seit 30 Jahren an der Schule unterrichtet. Die Fernsehteams wollten die Welt der Lehrer filmen, die einen unzumutbaren Alltag beschrieben , wo „Gegenstände zielgerichtet gegen Lehrkräfte durch die Klassen“ flogen, einige Lehrkräfte sich nur noch mit dem Handy in bestimmte Klassen wagten, damit sie Hilfe anfordern konnten. Die Schule hatte zu wenig Lehrer und faktisch keine Leitung. Den Lehrern fehlten Zeit, Kraft und Mittel, um mit Schülern aus aller Herren Länder umzugehen. Die Rütli-Schule wurde zum Symbol für das Versagen im Umgang mit Migration und Armut, nun könnte sie zum Symbol für das Gelingen werden. Sie muss aber auch mit dem Vorwurf leben, zu privilegiert zu sein, um als Modell zu dienen.
Genaugenommen gibt es die Rütli-Schule nicht mehr, nur der Name ist noch da, aber mit anderem Sound versehen. „Campus Rütli“ heißt der Verbund jetzt, drei Schulen vereinten sich zur Gemeinschaftsschule. Alle Schulabschlüsse sind möglich, seit 2011 gibt es eine gymnasiale Oberstufe. Gerade haben die ersten 23 Abiturienten ihr Zeugnis erhalten. Das war 2008 unvorstellbar. Darunter sind vier, denen einst der Besuch der Hauptschule empfohlen worden war. Elf kommen aus einem arabischen Elternhaus, andere haben einen türkischen oder albanischen Hintergrund. Nicht nur in der Spitze zeichnet sich die Schule aus. Es verlassen, sagt Schulleiterin Cordula Heckmann, unterdurchschnittlich wenig Schüler den Campus ohne einen Abschluss.
Nach dem Brandbrief ging es wie im Zeitraffer. Schnell engagierten sich Stiftungen und Künstler, Sozialarbeiter und Schulpsychologen wurden eingestellt. Entscheidend aber war die grundsätzliche Neuausrichtung. Aus einer Hauptschule, als Restschule für Chancenlose abgeschrieben, wurde eine Ganztagsschule, die alle Schulformen flexibel vereint. Mit einem großen Angebot von der Musikschule bis hin zur Berufsförderung für Schüler mit Schwächen. Ein inzwischen stark verjüngtes Lehrerkollegium zeigt sich offen für Lernformen, die auf individuelle Förderung setzen, wie den Jül, den jahrgangsübergreifenden Unterricht bis zur 6. Klasse. „Hier werden nicht Klassen unterrichtet. Im Mittelpunkt steht der einzelne Schüler“, sagt Schulleiterin Heckmann. Was so einfach klingt, „war kein Sonntagsspaziergang“, sagt Christina Rau, die Witwe des früheren Bundespräsidenten, die sich hier als Schirmherrin des Campus Rütli engagiert. Lehrer, Eltern, Kinder und Politiker aus dem Bezirk entwickelten das Konzept für den Campus, der mit enormen Mitteln ausgebaut wird. Zum Campus gehören schon jetzt eine große „Quartierssporthalle“, neue Spielplätze, ein Freizeittreff.
Während einst Lehrer vom Rütli weg wollten, bewerben sich nun junge Pädagogen gezielt, um bei diesem spannenden Modell mitzumachen, in dem neue Ideen oft aus dem Kollegium heraus entwickelt werden. Die Schule profitiert auch davon, dass das Quartier rundum hip geworden ist. Gleich neben der Schule wirbt ein Restaurant mit einem Plakat für „japanische Maultaschen“. Neue Cafés und eher schicke Läden machen auf. Junge deutsche Familien ziehen her, in den jüngeren Klassen merkt man das schon.
Dass es so viel Aufmerksamkeit gab, manche Zuwendungen, hat schon Neid ausgelöst - wohl auch an anderen Schulen, wo die Verhältnisse schwierig sind. Der Bezirk Neukölln und das Land Berlin erhoffen sich aber, dass das Projekt mit seinem „erheblichen finanziellen und personellen Aufwand eine positive Strahlwirkung auf die anderen Bildungseinrichtungen im Neuköllner Norden und Vorbildcharakter für ähnliche Projekte über Neukölln hinaus haben kann“, erklärt Neuköllns Bildungsstadträtin Franziska Giffey.
„Es tut manchmal ein bisschen weh, wenn uns gesagt wird, es gehe uns so gut, weil wir so viel Geld hätten“, sagt Schulleiterin Heckmann. Das Geld sei nicht entscheidend für den Wandel. „Hier passiert viel ehrenamtlich.“ Von einer Luxusausstattung kann man ohnehin nicht sprechen, der Rütli-Campus ist einfach eine Berliner Schule. Und der Stadtteil noch immer kein Idyll. Die Mehrheit der Schüler kommt weiterhin aus ärmeren, manchmal schwierigen Verhältnissen. Fast alle haben einen Migrationshintergrund. „Meine Kinder könnten ihnen Geschichten erzählen, da wären sie sehr gerührt“, sagt Heckmann. „Aber wir wissen: Auch in einem sozialen Brennpunkt gibt es große Potenziale.“
Was macht den Unterschied aus? „Es sind die gleichen Kinder, aber sie haben jetzt eine Perspektive“, sagt die Lehrerin Holtmanns, die den Wandel über die Jahre mitgeprägt hat und die Schüler beim Einstieg in den Beruf berät. Die Schule kooperiert mit Unternehmen wie der Bahn, die Praktikanten aufnehmen, Auszubildende hier finden. Es gibt jetzt ein Leben nach der Schule. „Früher“, so sagt die Lehrerin, „mussten sie manche von der Schule gehen lassen, ohne zu wissen, was aus ihnen wird. Das gibt es jetzt nicht mehr.“ So, wie es jetzt auch keine Lehrer mehr gebe, die Angst hätten, in eine Klasse zu gehen.