Das Prasseln des Regens ist das Geräusch, das ihm neuerdings am meisten Sorgen bereitet. Begonnen hat es als ein feines Trommeln auf der Plane, unter der er jetzt mit seiner Familie schläft, mit seinen zwei Frauen und den fünf Kindern. Dann hat es sich rasch ausgebreitet, wie ein endloses Echo, jede Zeltplane ein eigenes Trommelfell. Und jetzt macht es den Krankenpfleger Jacob Nhial Tongyik, 42, aufgerollte Hemdsärmel, wehmütig. Er schaut hinaus über das Meer von schmutzig-grauen Zelten, die wieder ein Stück tiefer in den aufgeweichten Boden sinken werden.
Für Zugang zu sauberem Trinkwasser müssen die Frauen von ihrem Dorf aus zwei Stunden lang zum Nifasha Camp laufen.
Jedes Mal, wenn der Regen kommt, muss Jacob Tongyik an sein Feld denken, das seit Monaten brachliegt. Er hat es in Panik zurückgelassen, als die Soldaten nahten, damals war es noch staubtrocken. Damals war an Feldarbeit noch nicht zu denken. „Ich hätte längst mit dem Aussäen anfangen müssen“, sagt er jetzt, da die Erde endlich wieder Wasser bekommt, „die Regenzeit ist eigentlich die wichtigste Zeit des Jahres.“ Aber er kann nicht.
Malakal, Südsudan, ein Blauhelm-Camp der Vereinten Nationen, eines von vielen im Land. Zu Zehntausenden sind die Menschen hier hineingeströmt auf der Flucht vor den Rebellen und den Regierungstruppen, die abwechselnd zum Morden und Plündern kommen. „Wir hatten eigentlich ein gutes Leben“, sagt Jacob, neben seinem Job als Krankenpfleger verkaufte er das, was sein Feld abwarf. Das war nicht wenig: rund 350 Säcke Mais im Jahr und 400 Säcke Sorghum-Hirse. Aber die Hoffnung, dass er dieses Jahr noch die Saat ausbringen kann, muss er gerade aufgeben.
Was also wird im September sein, wenn wie in jedem Jahr die Regenzeit zu Ende geht im Südsudan? Wenn der Boden wieder trocknet und die Tümpel, die sich überall gebildet haben, verdunsten und die Schlammpisten sich in feste Straßen zurückverwandeln? Der Kreislauf des Lebens wird dann von vorne beginnen. Aber die Felder werden leer sein.
Im September wird in Ostafrika die nächste große Hungerkatastrophe ausbrechen, sagen Fachleute, möglicherweise so groß wie jene in Somalia im Jahr 2011 oder noch verheerender. Bis zu vier Millionen Menschen, hat eine Gruppe von 13 britischen Hilfsorganisationen in der vergangenen Woche geschätzt, seien akut von Hunger bedroht. Krepierende Kinder in der Tagesschau: Diesmal wird es Südsudan sein. Und das ist das Besondere an dieser Katastrophe, das Makabre, das sie von vielen früheren Hungersnöten in Afrika unterscheidet, und es ist auch der Grund, weshalb die UN und immer mehr Hilfsorganisationen den September dick im Kalender anstreichen und ihre Hilfseinsätze schon seit Monaten vorausplanen: Die Not, die sich hier zusammenbraut, ist zu 100 Prozent vorhersagbar. Das gibt es in dieser bedrückenden Klarheit selten. Man könnte die Sendetermine für TV-Spendengalas schon jetzt reservieren.
Die Landwirtschaft verläuft in Zyklen, im Südsudan wie überall auf der Welt. Zuverlässig wie Ebbe und Flut. Dieser Rhythmus pulsiert ungerührt weiter, während die Menschen im Land seit Mitte Dezember vor einem grausamen Machtkampf zweier Politbosse wegrennen. Der Südsudan ist, anders als manche Nachbarn, kein trockenes oder unwirtliches Land – man kann hier stundenlang durch Sumpfgebiete fahren, Siedlungen mit Schatten spendenden Bäumen reihen sich entlang von Flüssen wie dem Weißen Nil. Die Natur hat es eigentlich gut gemeint mit den Südsudanesen: Man kann die Grenze ihres Staates zum Nachbarland Sudan sogar vom Mond aus erkennen, denn dies ist das Gebiet, in dem das Hellbraun der nordafrikanischen Wüsten aufhört und das Grün Zentralafrikas beginnt.
Aber in diesem Jahr ist es fast schon egal, was die Natur macht. Ob der Regen weiter den lehmigen Boden aufweicht wie im Flüchtlingslager von Malakal, wo dürre Hunde schnüffelnd über den schlammigen Boden stromern, oder ob die Sonne das Gras versengt und die Erde zu harten, rissigen Kacheln bäckt, wie damals bei der Hungersnot in Somalia. Im Herbst wird es fast nichts zu ernten geben, so oder so: Diese Katastrophe kündigt sich mit naturwissenschaftlicher Unerbittlichkeit an.
„Die wenigsten Menschen im Südsudan“, so erklärt Florian Landorff, ein Deutscher, der für die Welthungerhilfe durchs Land reist, „befinden sich noch an dem Ort, an dem sie normalerweise leben.“ Sechs Monate Bürgerkrieg haben die Bevölkerung durcheinandergewirbelt, ein paar Hunderttausend sind in beengten Flüchtlingslagern untergekommen wie Jacob Nhial Tongyik, aber noch viele mehr sind irgendwie unterwegs. „Sie haben kein Saatgut dabei, keine Harken, sondern nur ihre Kleidung am Leib“, sagt Landorff. Und im September werden endgültig die letzten Vorräte vom Vorjahr verbraucht sein. Auch das ist in jedem Jahr so.
Landwirtschaft ist immer eine Frage der Zuversicht. Der Mensch muss wissen, dass er das, was er aussät, auch wird ernten können. Wenn im Südsudan derzeit niemand weiß, wann er wird weiterziehen müssen, dann ist die logische Reaktion des Menschen darauf: Eher isst man die letzte Handvoll Mais auf, die in einem Tonkrug lagert, als dass man sie irgendwo auf ein Feld streut.
Die Abhängigkeit vom Wetter ist total. Es gibt im ganzen Südsudan nur 120 Kilometer geteerte Straße, und sobald der Regen einsetzt, versinkt alles andere im Schlamm. Wege werden beschwerlich, teils unpassierbar, Märkte werden eingestellt, weil niemand mehr dorthin kommt. Wer jetzt noch kein Saatgut auf einem Markt gekauft hat, der wird nichts mehr anbauen können, deshalb beeilen sich in gewöhnlichen Jahren alle Bauern, noch schnell dem Regen zuvorzukommen.
Der 15. Mai war in diesem Jahr ein Dienstag. Im Kalender vieler Bauern war es auch eine Deadline: Bis dahin, das lehrt die Erfahrung, müssen Sorghum-Hirse, Erdnüsse und Sesam ausgesät sein, damit sie bis zum Ende der Regenzeit ausreichend wachsen können. In gewöhnlichen Jahren wachsen die Halme der Sorghum-Hirse dann schnell mannshoch, auch Bohnen, Zwiebeln und Auberginen gedeihen, dazu Okra-Schoten, Kürbisse und die purpur blühende Amarant-Pflanze, deren Samen man zur Not auch essen könnte. Nur mit dem Mais hat man etwas länger Zeit, da läuft die Deadline für die Aussaat erst am 30.Mai ab. Doch der ganze Monat Mai war in diesem Jahr von so heftigen Kämpfen geprägt, von regelrechten Terrorkampagnen der Regierungs- und Rebellentruppen, dass an solche Deadlines kaum zu denken war. Und nun hat der Regen eingesetzt. Die landwirtschaftliche Saison 2014 – erledigt.
Im besonders umkämpften Landesteil Unity State, so erzählt Florian Landorff von der Welthungerhilfe, hoffen also viele Frauen auf die Wasserlilie, eine rosa und weiß blühende Blume, die man zwischen Seerosen findet. In ihrer Not gehen viele in den Sumpf, pflücken die Blüten, trocknen die Samen, die ein bisschen an Sonnenblumenkerne erinnern, und ernähren damit ihre Kinder.
Und in der Zeltstadt der Vereinten Nationen in Malakal stellen Jacob Nhial Tongyik und seine Familie sich an, um sich ihre Ration Hirse abzuholen. Es ist die derzeit wohl teuerste Hirse der Welt, denn sie kommt per Luftpost: Das war sogar schon so, bevor das Wasser hier die Straßen aufweichte – seit Monaten müssen die Hilfsorganisationen alles mit dem Flugzeug herbeischaffen, sogar Zeltstangen und Holz, weil ihre Fahrzeuge auf den Überlandstraßen von den Kämpfern beider Seiten hemmungslos geplündert werden. Dabei hat man es in der Stadt Malakal noch vergleichsweise gut: Hier gibt es wenigstens einen Flugplatz mit Asphaltpiste. Andernorts gibt es nur die Natur. Dort müssen Helfer Lebensmittelpakete aus der Luft abwerfen, ins völlig Ungewisse: Wie viele Menschen sich dort unten vor den Milizen verstecken, kann man nur erahnen, und wie viele Pakete im Schlamm untergehen und nie von Bedürftigen gefunden werden, ebenso.
Leben in Staub und Schlamm. Vier Millionen Menschen sind im Südsudan wegen der ausbleibenden Ernte von Hunger bedroht.
Für Zugang zu sauberem Trinkwasser müssen die Frauen von ihrem Dorf aus zwei Stunden lang zum Nifasha Camp laufen.
Jedes Mal, wenn der Regen kommt, muss Jacob Tongyik an sein Feld denken, das seit Monaten brachliegt. Er hat es in Panik zurückgelassen, als die Soldaten nahten, damals war es noch staubtrocken. Damals war an Feldarbeit noch nicht zu denken. „Ich hätte längst mit dem Aussäen anfangen müssen“, sagt er jetzt, da die Erde endlich wieder Wasser bekommt, „die Regenzeit ist eigentlich die wichtigste Zeit des Jahres.“ Aber er kann nicht.
Malakal, Südsudan, ein Blauhelm-Camp der Vereinten Nationen, eines von vielen im Land. Zu Zehntausenden sind die Menschen hier hineingeströmt auf der Flucht vor den Rebellen und den Regierungstruppen, die abwechselnd zum Morden und Plündern kommen. „Wir hatten eigentlich ein gutes Leben“, sagt Jacob, neben seinem Job als Krankenpfleger verkaufte er das, was sein Feld abwarf. Das war nicht wenig: rund 350 Säcke Mais im Jahr und 400 Säcke Sorghum-Hirse. Aber die Hoffnung, dass er dieses Jahr noch die Saat ausbringen kann, muss er gerade aufgeben.
Was also wird im September sein, wenn wie in jedem Jahr die Regenzeit zu Ende geht im Südsudan? Wenn der Boden wieder trocknet und die Tümpel, die sich überall gebildet haben, verdunsten und die Schlammpisten sich in feste Straßen zurückverwandeln? Der Kreislauf des Lebens wird dann von vorne beginnen. Aber die Felder werden leer sein.
Im September wird in Ostafrika die nächste große Hungerkatastrophe ausbrechen, sagen Fachleute, möglicherweise so groß wie jene in Somalia im Jahr 2011 oder noch verheerender. Bis zu vier Millionen Menschen, hat eine Gruppe von 13 britischen Hilfsorganisationen in der vergangenen Woche geschätzt, seien akut von Hunger bedroht. Krepierende Kinder in der Tagesschau: Diesmal wird es Südsudan sein. Und das ist das Besondere an dieser Katastrophe, das Makabre, das sie von vielen früheren Hungersnöten in Afrika unterscheidet, und es ist auch der Grund, weshalb die UN und immer mehr Hilfsorganisationen den September dick im Kalender anstreichen und ihre Hilfseinsätze schon seit Monaten vorausplanen: Die Not, die sich hier zusammenbraut, ist zu 100 Prozent vorhersagbar. Das gibt es in dieser bedrückenden Klarheit selten. Man könnte die Sendetermine für TV-Spendengalas schon jetzt reservieren.
Die Landwirtschaft verläuft in Zyklen, im Südsudan wie überall auf der Welt. Zuverlässig wie Ebbe und Flut. Dieser Rhythmus pulsiert ungerührt weiter, während die Menschen im Land seit Mitte Dezember vor einem grausamen Machtkampf zweier Politbosse wegrennen. Der Südsudan ist, anders als manche Nachbarn, kein trockenes oder unwirtliches Land – man kann hier stundenlang durch Sumpfgebiete fahren, Siedlungen mit Schatten spendenden Bäumen reihen sich entlang von Flüssen wie dem Weißen Nil. Die Natur hat es eigentlich gut gemeint mit den Südsudanesen: Man kann die Grenze ihres Staates zum Nachbarland Sudan sogar vom Mond aus erkennen, denn dies ist das Gebiet, in dem das Hellbraun der nordafrikanischen Wüsten aufhört und das Grün Zentralafrikas beginnt.
Aber in diesem Jahr ist es fast schon egal, was die Natur macht. Ob der Regen weiter den lehmigen Boden aufweicht wie im Flüchtlingslager von Malakal, wo dürre Hunde schnüffelnd über den schlammigen Boden stromern, oder ob die Sonne das Gras versengt und die Erde zu harten, rissigen Kacheln bäckt, wie damals bei der Hungersnot in Somalia. Im Herbst wird es fast nichts zu ernten geben, so oder so: Diese Katastrophe kündigt sich mit naturwissenschaftlicher Unerbittlichkeit an.
„Die wenigsten Menschen im Südsudan“, so erklärt Florian Landorff, ein Deutscher, der für die Welthungerhilfe durchs Land reist, „befinden sich noch an dem Ort, an dem sie normalerweise leben.“ Sechs Monate Bürgerkrieg haben die Bevölkerung durcheinandergewirbelt, ein paar Hunderttausend sind in beengten Flüchtlingslagern untergekommen wie Jacob Nhial Tongyik, aber noch viele mehr sind irgendwie unterwegs. „Sie haben kein Saatgut dabei, keine Harken, sondern nur ihre Kleidung am Leib“, sagt Landorff. Und im September werden endgültig die letzten Vorräte vom Vorjahr verbraucht sein. Auch das ist in jedem Jahr so.
Landwirtschaft ist immer eine Frage der Zuversicht. Der Mensch muss wissen, dass er das, was er aussät, auch wird ernten können. Wenn im Südsudan derzeit niemand weiß, wann er wird weiterziehen müssen, dann ist die logische Reaktion des Menschen darauf: Eher isst man die letzte Handvoll Mais auf, die in einem Tonkrug lagert, als dass man sie irgendwo auf ein Feld streut.
Die Abhängigkeit vom Wetter ist total. Es gibt im ganzen Südsudan nur 120 Kilometer geteerte Straße, und sobald der Regen einsetzt, versinkt alles andere im Schlamm. Wege werden beschwerlich, teils unpassierbar, Märkte werden eingestellt, weil niemand mehr dorthin kommt. Wer jetzt noch kein Saatgut auf einem Markt gekauft hat, der wird nichts mehr anbauen können, deshalb beeilen sich in gewöhnlichen Jahren alle Bauern, noch schnell dem Regen zuvorzukommen.
Der 15. Mai war in diesem Jahr ein Dienstag. Im Kalender vieler Bauern war es auch eine Deadline: Bis dahin, das lehrt die Erfahrung, müssen Sorghum-Hirse, Erdnüsse und Sesam ausgesät sein, damit sie bis zum Ende der Regenzeit ausreichend wachsen können. In gewöhnlichen Jahren wachsen die Halme der Sorghum-Hirse dann schnell mannshoch, auch Bohnen, Zwiebeln und Auberginen gedeihen, dazu Okra-Schoten, Kürbisse und die purpur blühende Amarant-Pflanze, deren Samen man zur Not auch essen könnte. Nur mit dem Mais hat man etwas länger Zeit, da läuft die Deadline für die Aussaat erst am 30.Mai ab. Doch der ganze Monat Mai war in diesem Jahr von so heftigen Kämpfen geprägt, von regelrechten Terrorkampagnen der Regierungs- und Rebellentruppen, dass an solche Deadlines kaum zu denken war. Und nun hat der Regen eingesetzt. Die landwirtschaftliche Saison 2014 – erledigt.
Im besonders umkämpften Landesteil Unity State, so erzählt Florian Landorff von der Welthungerhilfe, hoffen also viele Frauen auf die Wasserlilie, eine rosa und weiß blühende Blume, die man zwischen Seerosen findet. In ihrer Not gehen viele in den Sumpf, pflücken die Blüten, trocknen die Samen, die ein bisschen an Sonnenblumenkerne erinnern, und ernähren damit ihre Kinder.
Und in der Zeltstadt der Vereinten Nationen in Malakal stellen Jacob Nhial Tongyik und seine Familie sich an, um sich ihre Ration Hirse abzuholen. Es ist die derzeit wohl teuerste Hirse der Welt, denn sie kommt per Luftpost: Das war sogar schon so, bevor das Wasser hier die Straßen aufweichte – seit Monaten müssen die Hilfsorganisationen alles mit dem Flugzeug herbeischaffen, sogar Zeltstangen und Holz, weil ihre Fahrzeuge auf den Überlandstraßen von den Kämpfern beider Seiten hemmungslos geplündert werden. Dabei hat man es in der Stadt Malakal noch vergleichsweise gut: Hier gibt es wenigstens einen Flugplatz mit Asphaltpiste. Andernorts gibt es nur die Natur. Dort müssen Helfer Lebensmittelpakete aus der Luft abwerfen, ins völlig Ungewisse: Wie viele Menschen sich dort unten vor den Milizen verstecken, kann man nur erahnen, und wie viele Pakete im Schlamm untergehen und nie von Bedürftigen gefunden werden, ebenso.
Leben in Staub und Schlamm. Vier Millionen Menschen sind im Südsudan wegen der ausbleibenden Ernte von Hunger bedroht.