Nairobi – Die ersten Tränengasgranaten flogen am Morgen, ein paar Demonstranten warfen Steine auf Polizisten, dann wurde es wieder ruhig in Kenias Hauptstadt. Angespannt ruhig. Unter scharfen Kontrollen sind Tausende Menschen am Montag in den zentralen Park von Nairobi geströmt, um ihren Unmut über die Politik von Präsident Uhuru Kenyatta zu äußern.
Auf einer Kundgebung zeigen die Anhänger der Opposition ihren Unmut über die Regierung - und werfen mit Steinen.
Oppositionsführer Raila Odinga hatte nicht nur zu Massenprotesten gegen die Regierung aufgerufen, sondern den Tag gleich zu einem „nationalen Feiertag“ erklärt. Etliche Kenianer blieben indes zu Hause, auch aus Angst: Kenias tief wurzelndes nationales Problem, die Spannungen zwischen den Ethnien, hatte sich in jüngster Zeit so zugespitzt wie seit Jahren nicht – und damit die Furcht erhöht, die Demonstration könnte zum Zündfunken werden für Ausschreitungen, Übergriffe, Massaker. Und so legte sich über die Hauptstadt tatsächlich eine bedrückte Feiertagsstimmung: geschlossene Läden, verrammelte Türen, freie Straßen.
Es ist ein tief sitzendes nationales Trauma, das nie aufgearbeitet worden ist und nun wieder hervorkommt: Um die Jahreswende 2007/2008 war das Land, bis dato in Europa eher als politisch unauffälliges Safariparadies wahrgenommen, in eine bürgerkriegsähnliche Krise gestürzt. Tote und Vertreibungen hatte es auch zuvor rund um Wahltermine immer wieder gegeben, aber dieses Ausmaß war neu: Die Opposition um Odinga sah sich um den Wahlsieg betrogen, wenig später gingen Milizen in vielen Teilen des Landes auf Menschen der jeweils gegnerischen Volksgruppe los, brandschatzten, mordeten, vergewaltigten; mehr als tausend Menschen starben, Hunderttausende wurden vertrieben. Vielen klingen noch die Worte Odingas im Ohr, der kurz vor dem Ausbruch der Kämpfe zur „Massenaktion“ aufgerufen hatte.
Im Kern ist es der sprichwörtliche Kampf zweier Elefanten, der nun in eine neue Runde geht. Raila Odinga, Sohn des ersten Vizepräsidenten (und späteren Oppositionsführers) im unabhängigen Kenia, gegen Uhuru Kenyatta, Sohn des damaligen Präsidenten. Zwei Dynastien, die seit fünf Jahrzehnten um die Macht im Vielvölkerstaat Kenia ringen und sich mal in Koalitionen arrangieren, mal einander aufs Blut bekämpfen. Und es sind zugleich die Anführer der zwei großen ethnischen Blöcke in diesem Land; Odinga ist Luo, Kenyatta ist Kikuyu. Nach den Unruhen von 2007/2008 gab es eine Einheitsregierung und Kommissionen für Wahrheitsfindung und Versöhnung, und es war verpönt, Mitbürger zu fragen, welcher Ethnie sie angehören. Doch dieser Zustand war offenbar nur ein kurzes Intermezzo in der Geschichte Kenias.
Dabei können sich den Vorwürfen, die Odinga in seiner jetzigen Protestkampagne erhebt, viele Kenianer anschließen, unabhängig von ihrer Muttersprache: Die innere Sicherheit, seit jeher brüchig, ist auf einem historischen Tiefpunkt, Gewaltkriminalität und Terror wüten so ungehemmt wie nie zuvor. Trotz Wirtschaftswachstums ächzt die Mehrheit der kenianischen Bevölkerung unter rasant steigenden Preisen, die Korruption frisst sich weiter durch alle Ebenen des Staates, und bei der Vergabe von Beamtenstellen werden wie eh und je bestimmte Volksgruppen bevorzugt. Doch die Art und Weise, wie Odinga die Proteste anstiftet, mit hitzköpfigen Aufrufen, bereitet vielen Menschen im Land Sorge, auch denen, die ihm inhaltlich zustimmen.
15000 Polizisten hatte die Regierung vorab angekündigt, mit denen am Montag die Innenstadt vor Krawallen gesichert werden sollte. Damit provozierte sie Kritik und Spott: Wo waren all die Polizisten, als in den vergangenen Wochen immer wieder Dörfer nahe der Küste und an der Grenze zu Somalia von Bewaffneten überfallen, in Brand gesteckt wurden, deren Bewohner erschossen, massakriert wurden? Und wer könnte nun womöglich einen Vorteil daraus ziehen, wenn die vielen Beamten anderswo für diesen Tag abgezogen werden?
Erst in der Nacht zum Sonntag hatten Bewaffnete erneut mehrere Dörfer in der Provinz Lamu überfallen und mehr als 20 Menschen hingerichtet. Anschließend bekannte sich dazu die islamistische Al-Shabaab-Miliz aus dem Nachbarland Somalia, die in den vergangenen Monaten eine Vielzahl von Anschlägen in Kenia verübt hat, jeweils verbunden mit der Forderung, die kenianischen Truppen sollten aus Somalia abziehen.
Präsident Kenyatta hatte nach ähnlichen Attacken Mitte Juni die Öffentlichkeit überrascht, indem er erklärte, nicht etwa al-Shabaab sei für die Taten verantwortlich, sondern „lokale politische Netzwerke“. Parlamentarier seiner Fraktion legten nach und brachten diese Netzwerke in Verbindung mit der Opposition, woraufhin sich etwa unter jungen Kikuyu in Nairobi die Lesart verbreitete, Odinga sei schuld an den Massakern.
In derart aufgeheizter Stimmung also trat der Oppositionsführer am Montagnachmittag vor seine Anhänger im Uhuru-Park und wetterte, Präsident Kenyatta habe seine Aufforderung zu einem „nationalen Dialog“ ignoriert, und nun sei die Zeit für einen Dialog vorbei. Man habe „keine Angst vor Schusswaffen“ und sei bereit, „die Menschen zu verteidigen“.
Dass es bis zum frühen Montagabend in Nairobi weitgehend ruhig geblieben ist, deutet zunächst weniger auf eine Entspannung zwischen den politischen und ethnischen Lagern hin als darauf, dass viele Menschen aus Angst vor Unruhen und vor dem gewaltigen Polizeiaufgebot die Innenstadt an diesem Tag komplett mieden. Doch auch wenn die Fronten nach diesem Tag eher noch verhärteter sein dürften als zuvor und die Chancen für einen konstruktiven Dialog noch weiter sinken: Manche Bewohner der Hauptstadt sahen in Odingas Protestveranstaltung dennoch einen Erfolg. Zumindest für diesen Tag seien schließlich zwei der Hauptprobleme von Nairobi behoben worden, schrieb ein junger Mann auf Twitter: Es gab zur Abwechslung maximale Sicherheit – und keine Staus auf den Straßen.
Auf einer Kundgebung zeigen die Anhänger der Opposition ihren Unmut über die Regierung - und werfen mit Steinen.
Oppositionsführer Raila Odinga hatte nicht nur zu Massenprotesten gegen die Regierung aufgerufen, sondern den Tag gleich zu einem „nationalen Feiertag“ erklärt. Etliche Kenianer blieben indes zu Hause, auch aus Angst: Kenias tief wurzelndes nationales Problem, die Spannungen zwischen den Ethnien, hatte sich in jüngster Zeit so zugespitzt wie seit Jahren nicht – und damit die Furcht erhöht, die Demonstration könnte zum Zündfunken werden für Ausschreitungen, Übergriffe, Massaker. Und so legte sich über die Hauptstadt tatsächlich eine bedrückte Feiertagsstimmung: geschlossene Läden, verrammelte Türen, freie Straßen.
Es ist ein tief sitzendes nationales Trauma, das nie aufgearbeitet worden ist und nun wieder hervorkommt: Um die Jahreswende 2007/2008 war das Land, bis dato in Europa eher als politisch unauffälliges Safariparadies wahrgenommen, in eine bürgerkriegsähnliche Krise gestürzt. Tote und Vertreibungen hatte es auch zuvor rund um Wahltermine immer wieder gegeben, aber dieses Ausmaß war neu: Die Opposition um Odinga sah sich um den Wahlsieg betrogen, wenig später gingen Milizen in vielen Teilen des Landes auf Menschen der jeweils gegnerischen Volksgruppe los, brandschatzten, mordeten, vergewaltigten; mehr als tausend Menschen starben, Hunderttausende wurden vertrieben. Vielen klingen noch die Worte Odingas im Ohr, der kurz vor dem Ausbruch der Kämpfe zur „Massenaktion“ aufgerufen hatte.
Im Kern ist es der sprichwörtliche Kampf zweier Elefanten, der nun in eine neue Runde geht. Raila Odinga, Sohn des ersten Vizepräsidenten (und späteren Oppositionsführers) im unabhängigen Kenia, gegen Uhuru Kenyatta, Sohn des damaligen Präsidenten. Zwei Dynastien, die seit fünf Jahrzehnten um die Macht im Vielvölkerstaat Kenia ringen und sich mal in Koalitionen arrangieren, mal einander aufs Blut bekämpfen. Und es sind zugleich die Anführer der zwei großen ethnischen Blöcke in diesem Land; Odinga ist Luo, Kenyatta ist Kikuyu. Nach den Unruhen von 2007/2008 gab es eine Einheitsregierung und Kommissionen für Wahrheitsfindung und Versöhnung, und es war verpönt, Mitbürger zu fragen, welcher Ethnie sie angehören. Doch dieser Zustand war offenbar nur ein kurzes Intermezzo in der Geschichte Kenias.
Dabei können sich den Vorwürfen, die Odinga in seiner jetzigen Protestkampagne erhebt, viele Kenianer anschließen, unabhängig von ihrer Muttersprache: Die innere Sicherheit, seit jeher brüchig, ist auf einem historischen Tiefpunkt, Gewaltkriminalität und Terror wüten so ungehemmt wie nie zuvor. Trotz Wirtschaftswachstums ächzt die Mehrheit der kenianischen Bevölkerung unter rasant steigenden Preisen, die Korruption frisst sich weiter durch alle Ebenen des Staates, und bei der Vergabe von Beamtenstellen werden wie eh und je bestimmte Volksgruppen bevorzugt. Doch die Art und Weise, wie Odinga die Proteste anstiftet, mit hitzköpfigen Aufrufen, bereitet vielen Menschen im Land Sorge, auch denen, die ihm inhaltlich zustimmen.
15000 Polizisten hatte die Regierung vorab angekündigt, mit denen am Montag die Innenstadt vor Krawallen gesichert werden sollte. Damit provozierte sie Kritik und Spott: Wo waren all die Polizisten, als in den vergangenen Wochen immer wieder Dörfer nahe der Küste und an der Grenze zu Somalia von Bewaffneten überfallen, in Brand gesteckt wurden, deren Bewohner erschossen, massakriert wurden? Und wer könnte nun womöglich einen Vorteil daraus ziehen, wenn die vielen Beamten anderswo für diesen Tag abgezogen werden?
Erst in der Nacht zum Sonntag hatten Bewaffnete erneut mehrere Dörfer in der Provinz Lamu überfallen und mehr als 20 Menschen hingerichtet. Anschließend bekannte sich dazu die islamistische Al-Shabaab-Miliz aus dem Nachbarland Somalia, die in den vergangenen Monaten eine Vielzahl von Anschlägen in Kenia verübt hat, jeweils verbunden mit der Forderung, die kenianischen Truppen sollten aus Somalia abziehen.
Präsident Kenyatta hatte nach ähnlichen Attacken Mitte Juni die Öffentlichkeit überrascht, indem er erklärte, nicht etwa al-Shabaab sei für die Taten verantwortlich, sondern „lokale politische Netzwerke“. Parlamentarier seiner Fraktion legten nach und brachten diese Netzwerke in Verbindung mit der Opposition, woraufhin sich etwa unter jungen Kikuyu in Nairobi die Lesart verbreitete, Odinga sei schuld an den Massakern.
In derart aufgeheizter Stimmung also trat der Oppositionsführer am Montagnachmittag vor seine Anhänger im Uhuru-Park und wetterte, Präsident Kenyatta habe seine Aufforderung zu einem „nationalen Dialog“ ignoriert, und nun sei die Zeit für einen Dialog vorbei. Man habe „keine Angst vor Schusswaffen“ und sei bereit, „die Menschen zu verteidigen“.
Dass es bis zum frühen Montagabend in Nairobi weitgehend ruhig geblieben ist, deutet zunächst weniger auf eine Entspannung zwischen den politischen und ethnischen Lagern hin als darauf, dass viele Menschen aus Angst vor Unruhen und vor dem gewaltigen Polizeiaufgebot die Innenstadt an diesem Tag komplett mieden. Doch auch wenn die Fronten nach diesem Tag eher noch verhärteter sein dürften als zuvor und die Chancen für einen konstruktiven Dialog noch weiter sinken: Manche Bewohner der Hauptstadt sahen in Odingas Protestveranstaltung dennoch einen Erfolg. Zumindest für diesen Tag seien schließlich zwei der Hauptprobleme von Nairobi behoben worden, schrieb ein junger Mann auf Twitter: Es gab zur Abwechslung maximale Sicherheit – und keine Staus auf den Straßen.