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„Versteh’ mich nicht falsch“

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Die Musiker aus dem West Eastern Divan Orchestra des Dirigenten Daniel Barenboim stehen für Toleranz und Aussöhnung. Sie kommen aus den Palästinensergebieten, Libanon, Syrien, Iran, Jordanien, Ägypten und Israel. Kommende Woche will das Nahost-Ensemble auf Welttournee gehen, die in Buenos Aires beginnt und am 24. August auf Berlins Waldbühne endet. Doch in den vergangenen Wochen hat sich das Klima unter den jungen Musikern verändert. Der Gaza-Krieg lässt auch sie nicht kalt. Einige von ihnen hatten sich auf Facebook derart in Rage geschrieben, dass Barenboim sich gezwungen sah, einen Versöhnungsappell zu verschicken. In einer E-Mail bat er seine Musiker, sich einer Kunst zu besinnen: „der Kunst des Zuhörens und des Verstehens“. Gerade in Kriegszeiten müsse das Orchester bleiben, „was es ist: ein Leuchtturm der Hoffnung“. Der Israeli Asaf Levy, 31, und der Libanese Georges Yammine, 35, spielen beide unter Barenboim die zweite Geige. Kurz vor ihrem Abflug nach Argentinien hat die Süddeutsche Zeitung sie in Berlin zu einem friedlichen Streitgespräch gebeten.



Das West Eastern Divan Orchestra, junge Musiker aus dem Nahen Osten, schreibt sich bei Facebook in Rage.

SZ: Daniel Barenboim hat kürzlich gesagt: „Es vergeht kein Tag, an dem ich nicht traurig werde wegen dieses Konfliktes.“ Was empfinden Sie, wenn Sie die Bilder des Gaza-Kriegs verfolgen?
Georges Yammine: Dass dieser Konflikt nicht mal zum Ende kommt, macht mich sehr traurig. Wenn es still ist, ist es im Grunde immer nur ein Waffenstillstand. Es kann jederzeit immer wieder explodieren, das zeigt auch jetzt der Gaza-Krieg.

Wie geht es Ihnen, Asaf Levy?
Asaf Levy: Sehr schlecht. Ich bin sehr, sehr frustriert, das ist jedesmal eine Runde mit dem Kopf gegen die Wand. Es ist wie ein Auto, das im Matsch feststeckt: Man gibt immer mehr Gas, und das Auto versinkt noch tiefer im Schlamm. Alle haben Angst vor dem anderen. Man steht in Jerusalem in der Straßenbahn und denkt über den anderen: Bringt der mich jetzt um?

Wir wollten auch den israelisch-arabischen Autor Sayed Kashua interviewen. Er ist aus Israel weggezogen und lebt jetzt in Chicago. Aber er schrieb, er könne keine Interviews mehr geben, „ich bin ausgelaugt vom Konflikt“.
Levy: Genauso empfinde ich auch. Ich bin einfach nur noch unendlich müde. Dass Kashua Israel verlässt, ist deprimierend. Er ist ein Top-Produkt aus Israel, ein israelischer Araber, der es geschafft hat, Filme macht, Bücher schreibt. Er geht, weil er keine Hoffnung mehr hat. Wie furchtbar!

Wie halten Sie sich auf dem Laufenden?
Levy: Ich telefoniere mit meiner Familie, surfe im Internet, lese Nachrichten, Facebook-Einträge. Die sozialen Medien sind voll, voll, voll mit Meinungen.
Yammine: Ich lese, was die Palästinenser schreiben, die mitten im Krieg sind. Eine Palästinenserin schreibt in einem Blog aus dem Gazastreifen über Bomben, die gerade gefallen sind, und ein paar Minuten später schreibt sie, wie viele Tote die Bombe verursacht hat. Israel will seine Bevölkerung verteidigen, aber es will auch demonstrieren: Wir sind stark! Wir beschützen euch! Aber diese Stärke wird so extrem eingesetzt, dass es die Angst vergrößert bei Israelis. Die sitzen vor ihren Fernsehern, sehen die massiven Einsätze und müssen denken: Das lässt sich nur so lösen und nicht mit politischen Verhandlungen.

Soll Israel verhandeln, während Hamas Raketen auf Israel abfeuert?
Yammine: Verhandeln kann man natürlich erst, wenn die Waffen ruhen. Aber es gibt ein großes Missverhältnis. Hamas schießt 1000 Raketen auf Israel, und die israelische Armee findet, sie müsse das jetzt mit 100000 Bomben vergelten.

Tatsächlich gibt es ein großes Ungleichgewicht bei den Opferzahlen. Über 1000 Palästinenser sind bislang getötet worden und auf israelischer Seite 43 Soldaten und zwei Zivilisten.
Yammine: Das meine ich ja mit der heftigen Reaktion. Es ist egal, ob einer getötet worden ist oder 1000, jedes Leben zählt. Es gibt kein militärisches Gleichgewicht. Man kann die Ungenauigkeit der palästinensischen Raketen nicht mit der hochtechnifizierten militärischen Ausrüstung der israelischen Armee vergleichen.
Levy: Ungenauigkeit? Es sind israelische Zivilisten durch die Raketen der Hamas verletzt und getötet und Häuser zerstört worden. Die Raketen haben sogar den Flugbetrieb in Israel fast zum Erliegen gebracht.
Yammine: Ich meine ja nur, wenn ein Israeli getötet wird, dann glaubt die israelische Armee, sie müsse 100 Palästinenser töten, das steht doch in keinem Verhältnis.
Levy: Auch wenn du das vielleicht nicht glauben willst: Israel führt keinen Krieg gegen die Palästinenser, Israel möchte keine zivilen Opfer. Die Hamas soll getroffen werden, aber man sieht die Hamas-Opfer nicht, weil die Hamas nur Bilder von zivilen Opfern erlaubt. Ich glaube auch nicht, dass sich Israel entschuldigen muss, weil bis jetzt nicht genug Israelis getötet wurden. Israel kann doch nicht sagen: Okay, heute machen wir keinen Raketenalarm und lassen alle Kinder im Kindergarten spielen, dann kriegen wir 20 tote Kinder. Das wäre vielleicht gut für die Statistik, aber es wäre auch verrückt, so zu denken. Israel hat eine Raketenabwehr, Schutzräume und Sirenen, die vor Raketen warnen. Die Hamas dagegen versteckt sich in Wohnhäusern, Blindenschulen, in UN-Einrichtungen und lagert ihre Raketen unter Krankenhäusern.
Yammine: Ich verlange doch gar nicht, dass Israel seine Kinder nicht in Schutzräume schicken soll. Aber Israel bombardiert Gaza mit einer Hemmungslosigkeit, dass an einem Tag Dutzende Menschen ums Leben kommen. Ach! Genug geredet.

Aber wir sind doch hier, um zu reden. 2005 wurde Gaza von den jüdischen Siedlern geräumt, Herr Yammine. Dennoch wird Israel von dort aus beschossen, und Zementlieferungen werden zur Verstärkung der Tunnel verwendet.
Yammine: Ein Palästinenser, der im Gaza-streifen lebt, kann darauf besser antworten als ich. Aber sie sind einfach nicht in der Lage, etwas aufzubauen, denn sie haben keine wirtschaftlichen Strukturen.

Den Zement könnte Hamas für den Bau von Schulen verwenden und nicht zur Verstärkung von Waffentunnelwänden.
Yammine: Selbst wenn einer einverstanden ist, mit Israel zu kooperieren, gibt es zehn, die dagegen sind. Sie sind sich nicht einig, jeder möchte etwas anderes. Palästinenserpräsident Machmud Abbas etwa sagt, Israel könne durch Raketen nicht besiegt werden, schon bezeichnet ihn Hamas als Verräter. Hamas wiederum müsste begreifen: So einen Konflikt zu starten mit Tausenden Raketen, das hat viele Opfer zur Folge. Die haben sich vielleicht gesagt: Israel wird nicht heftig zurückschlagen. Israel nennt das ja Verteidigung, aber Verteidigung ist ein bisschen untertrieben. Das ist Angriff, was Israel da macht.

Wie müsste sich Israel bei über 1500 Hamas-Raketen verteidigen, dass Sie nicht von einem Angriff Israels sprechen?
Yammine: Nicht mit über 1000 palästinensischen Toten in drei Wochen. Verteidigung findet an der Frontlinie statt.
Levy: Und wo verläuft die hier?
Yammine: Versteh’ mich nicht falsch, ich will jetzt nicht die Raketen der Hamas verteidigen, aber...
Levy: ... aber die Hamas sagt den Frauen und Kindern, sie sollen auf die Dächer ihrer Häuser gehen, um ihre Häuser zu schützen. Hamas missbraucht die Bevölkerung als menschliche Schutzschilde.
Yammine: Ich verstehe ja auch nicht, warum Hamas das macht, die wissen doch, dass Israel zurückschlagen wird mit voller Kraft. Aber Israel könnte ein wenig weniger zurückschlagen.
Levy: Genau das hat Israel ja versucht. Am Wochenende hat Israel aufgehört zu bombardieren. Und was war? Hamas hat Israel mit Raketen bombardiert. Dann frage ich mich: Was will Hamas? Ihre Bevölkerung beschützen oder verrückt-religiös bis zum letzten Kampf als Märtyrer sterben? Es tut mir weh, es ist schrecklich, es deprimiert mich, dass es auf palästinensischer Seite über 1000 Tote gibt, aber die Palästinenser sind Geiseln der Hamas.

Was bringt Ihr Orchester eigentlich?
Yammine: Das ist ein Bild, mehr ist es nicht. Wir können die Welt mit unseren Noten nicht retten, egal wie gut wir spielen. Wir wollen ein Bild sein, für Frieden und Verständigung. Früher hatten wir eine Mission, heute sind wir die Mission. Im Orchester müssen wir manchmal rhythmisch gegeneinander spielen, aber trotzdem hören wir uns immer gegenseitig zu.
Levy: Politiker sollten Völker nicht gegeneinander aufhetzen, aber genau das tun sie, beide Seiten. Mit unserem Orchester zeigen wir, dass es anders geht. Wir Juden, Muslime, Christen aus Libanon, Syrien, Ägypten, Jordanien und Israel werden jetzt einen Monat zusammen sein und zeigen: Wir können zusammen sein.

Und über den Gaza-Krieg streiten?
Yammine: Na klar, das ist ja auch eine gute Gelegenheit. Als Libanese hat man ja eigentlich keinen Kontakt zu jüdischen Israelis. Wir streiten, aber wir sind alle gegen eine gewalttätige Lösung.
Levy: Barenboim sagt ja immer: Wir stimmen darin überein, dass wir nicht übereinstimmen.

Welchen Schluss ziehen Sie aus dem Gaza-Krieg?
Levy: Auch wenn Hamas morgen aufhört zu schießen, was haben die gewonnen? Nichts.
Yammine: Israel wird aber auch niemals der Gewinner sein.
Levy: Da gebe ich dir recht. Sind wir durch den Gaza-Krieg einem Frieden näher gekommen? Nein. Können Israel und die Palästinenser jetzt besser kommunizieren? Nein.

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