Es ist kurz vor Sonnenaufgang, ein gelbes Taxi fährt durch die menschenleere Fifth Avenue. Audrey Hepburn entsteigt im schwarzen Abendkleid, mit vierreihigem Perlencollier und hochgestecktem Haar. Vor dem Schaufenster von Tiffany holt sie Croissant und Pappbecher aus einer Tüte und beginnt ihr Frühstück, allein vor leeren Auslagen.
Manhatten bei Nacht: Durch diesen Stadtteil geht die berühmte Fifth Avenue
So beginnt „Frühstück bei Tiffany“. Der Hollywood-Film von 1961 hat den Ruhm Hepburns begründet und die New-York-Träume von Millionen Menschen geprägt. Heute sieht Tiffany & Co. noch fast genauso aus wie damals: die Granitfassade, die Hausnummer 727, die drei Meter hohe Figur des Atlas mit Uhr. Und doch ist alles anders. Vor allem: Eine menschenleere Fifth Avenue gibt es nicht mehr, selbst kurz vor Sonnenaufgang nicht. Zwei Blocks nördlich von Tiffany, wo der Central Park beginnt, steht heute der Glaskubus des Apple Store. Apple hat rund um die Uhr geöffnet, 365 Tage im Jahr. Die Fifth Avenue ist nicht mehr nur die berühmteste und teuerste Einkaufsstraße der Welt, sie schläft wirklich nicht mehr.
Für die meisten der 54 Millionen Touristen, die jedes Jahr nach New York kommen, ist die Straße ein Muss. Sie gehen zu Tiffany – nicht um einen Diamanten zu kaufen, sondern um mal bei Tiffany gewesen zu sein. Sie warten in der Schlange vor dem Jeans- und T-Shirt-Laden Abercrombie & Fitch (Ecke 56. Straße). Vielleicht kaufen sie eine Schachtel Pralinen bei Lindt (53. Straße) oder ein iPad bei Apple (58. Straße). Zwar gibt es Abercrombie-, Lindt- und Apple-Läden auf der ganzen Welt, aber auf der Fifth Avenue gilt auch das Normale als etwas Besonderes.
Das war nicht immer so. Die Straße hat die Höhen der Stadt ebenso mitgemacht wie deren Tiefs. „Vor 25 Jahren sah es hier ganz anders aus“, sagt Rüdiger Albers. Der heute 51-Jährige war 1988 als junger Uhrmacher nach New York gekommen, weil ihn sein Arbeitgeber Hellmut Wempe zum Chef der dortigen Niederlassung machen wollte. „Damals gab es hier überall billige Elektronikläden, die Straße gehörte den Hütchenspielern, und man konnte den Taschendieben bei der Arbeit zusehen.“ Das war, ehe Bürgermeister Rudy Giuliani mit seinem umstrittenen, aber letztlich erfolgreichen Law-and-Order-Kurs die Stadt aufräumte.
Die Erwartungen waren nicht besonders hoch, als Albers anfing. Die Wempe-Filiale schrieb rote Zahlen, und der Chef gab Albers zwei Jahre Zeit, um den Kurs zu drehen. Heute ist Wempe New York (55. Straße) die mit großem Abstand umsatzstärkste Filiale in dem Familienunternehmen. Die Details sind ein Geheimnis. Jedes Jahr gehen 30 Millionen Menschen an dem Geschäft im Gebäude des edlen Peninsula Hotel vorbei. Die meisten schauen nur, viele haben aber auch kein Problem damit, spontan eine Schweizer Uhr für 55000 Dollar zu kaufen. Derzeit prägen vor allem chinesische Touristen die Fifth Avenue, sie können hier auf angenehme Weise die Luxussteuer in ihrer Heimat vermeiden. Wempes Niederlassung ist so international wie die Stadt. „Wir haben 32 Mitarbeiter aus 18 Ländern“, sagt Albers. Darunter, natürlich, auch Chinesen.
Die Fifth Avenue war schon immer ein Traum, aber dieser Traum war noch nie so begehrt wie heute. Begleiterscheinung sind verrückte Immobilienpreise. Kürzlich erwarb ein Konsortium 2700 Quadratmeter Einzelhandelsfläche neben dem St. Regis Hotel (55. Straße) für 700 Millionen Dollar. Die Flächen sind an De Beers (Diamanten) und Gucci (Mode) vermietet.
Oder die Geschichte des historischen Cartier-Hauptgeschäftes zwischen 51. und 52. Straße. (Das Gebäude wird derzeit renoviert, Cartier hat vorübergehend eine Filiale an der 58. Straße bezogen.) Morton Freeman Plant, Sohn eines Eisenbahn-Tycoons, baute das einem Palazzo nachempfundene Gebäude 1905 als Wohnsitz. Mit dem Aufschwung der Fifth Avenue wurde ihm die Gegend aber zu unruhig, 1917 verkaufte er die Villa an Pierre Cartier; der Preis betrug 100 Dollar, zuzüglich einer doppelreihigen Perlenkette, die damals eine Million Dollar wert war. Angeblich hatte Plants junge Frau Mae ein Auge darauf geworfen. Es war kein gutes Geschäft: Mit dem Aufkommen von Zuchtperlen verfielen die Perlenpreise, Maes Kette wurde bei einer Auktion 1957 für 151000 Dollar versteigert. Cartier verkaufte das Gebäude 1950 für drei Millionen Dollar an eine Versicherung, blieb aber als Mieter. Im Jahr 2012, aus dem die letzten veröffentlichten Zahlen stammen, zahlte Cartier sieben Millionen Dollar Miete im Jahr. Seither dürfte der Betrag noch einmal gestiegen sein. Branchenexperten schätzen, dass die Quadratmetermiete in der Gegend heute bei 39000 Dollar im Jahr liegt.
Wie viel Wempe an seinem Standort zahlt, verrät Albers nicht. Nur so viel: „Eigentümer ist das Peninsula Hotel. Die wissen es zu schätzen, einen Mieter zu haben, der den Wert des ganzen Gebäudes hebt.“ Aber Albers räumt ein, dass die hohen Immobilienpreise problematisch für die Straße sind. „Sie machen alles mehr und mehr vorhersehbar.“ Will sagen: Das typisch Newyorkerische verschwindet.
Tatsächlich gibt es auf der Fifth Avenue nur noch wenig Originelles, an den meisten Adressen stehen die Namen globaler Edelmarken: Louis Vuitton, Bulgari, Armani, Tommy Hilfiger, Swarovski. Selbst eine New Yorker Institution wie Harry Winston, der traditionsreiche Uhrmacher und Juwelier (Ecke 56. Straße), gehört heute dem Schweizer Uhrenkonzern Swatch.
Wobei einige Markenartikler die Fifth Avenue nicht mehr so wichtig nehmen. Adidas und Prada sind vertreten, haben aber ihr Hauptgeschäft – heute nennt man das „Flagshipstore“ – in SoHo, dem unter jungen Leuten als besonders schick geltenden Viertel im Süden Manhattans. Dort wächst eine Konkurrenz für die Fifth Avenue.
Einige Ikonen gibt es noch: Neben Tiffany vor allem Bergdorf Goodman (57. Straße), das Luxuskaufhaus, in dem man nicht nur Handtaschen und teuren Fummel kaufen, sondern sich für viel Geld bei Starfriseur John Barnett die Haare schneiden lassen kann. Es gibt Saks, das Modekaufhaus gegenüber dem Rockefeller Center (zwischen 49. und 50. Straße). Saks‘ Schaufensterdekoration in der Weihnachtszeit zieht so viele Menschen an, dass oft die Polizei den Fußgängerverkehr davor regeln muss (stehen bleiben ist nicht erlaubt). Es gibt das Kaufhaus Lord and Taylor (zwischen 38. und 39. Straße), F.A.O. Schwarz, das älteste Spielegeschäft Amerikas (58.Straße) und den Hutladen J. J. Hat Center.
Aber die Fifth Avenue ist nicht nur Einkaufsstraße, sondern so etwas wie die Mitte Manhattans: Links von ihr tragen die Straßen den Zusatz „West“ vor der Hausnummer, rechts den Zusatz „East“. Die Achse beginnt unten am Washington Square Park und endet in der 142. Straße am Harlem River. Viele Sehenswürdigkeiten New Yorks liegen an der Fifth Avenue: das Empire State Building, die St.-Patrick’s-Kathedrale, die Public Library, das Metropolitan, das Guggenheim.
Gibt es noch Geheimtipps? Vielleicht diesen: Dem Glaskasten von Armani an der 56. Straße sieht man nicht an, dass sich im dritten Stockwerk ein Restaurant befindet. Gemessen an der Lage ist das „Ristorante Armani“ erstaunlich preiswert.
Manhatten bei Nacht: Durch diesen Stadtteil geht die berühmte Fifth Avenue
So beginnt „Frühstück bei Tiffany“. Der Hollywood-Film von 1961 hat den Ruhm Hepburns begründet und die New-York-Träume von Millionen Menschen geprägt. Heute sieht Tiffany & Co. noch fast genauso aus wie damals: die Granitfassade, die Hausnummer 727, die drei Meter hohe Figur des Atlas mit Uhr. Und doch ist alles anders. Vor allem: Eine menschenleere Fifth Avenue gibt es nicht mehr, selbst kurz vor Sonnenaufgang nicht. Zwei Blocks nördlich von Tiffany, wo der Central Park beginnt, steht heute der Glaskubus des Apple Store. Apple hat rund um die Uhr geöffnet, 365 Tage im Jahr. Die Fifth Avenue ist nicht mehr nur die berühmteste und teuerste Einkaufsstraße der Welt, sie schläft wirklich nicht mehr.
Für die meisten der 54 Millionen Touristen, die jedes Jahr nach New York kommen, ist die Straße ein Muss. Sie gehen zu Tiffany – nicht um einen Diamanten zu kaufen, sondern um mal bei Tiffany gewesen zu sein. Sie warten in der Schlange vor dem Jeans- und T-Shirt-Laden Abercrombie & Fitch (Ecke 56. Straße). Vielleicht kaufen sie eine Schachtel Pralinen bei Lindt (53. Straße) oder ein iPad bei Apple (58. Straße). Zwar gibt es Abercrombie-, Lindt- und Apple-Läden auf der ganzen Welt, aber auf der Fifth Avenue gilt auch das Normale als etwas Besonderes.
Das war nicht immer so. Die Straße hat die Höhen der Stadt ebenso mitgemacht wie deren Tiefs. „Vor 25 Jahren sah es hier ganz anders aus“, sagt Rüdiger Albers. Der heute 51-Jährige war 1988 als junger Uhrmacher nach New York gekommen, weil ihn sein Arbeitgeber Hellmut Wempe zum Chef der dortigen Niederlassung machen wollte. „Damals gab es hier überall billige Elektronikläden, die Straße gehörte den Hütchenspielern, und man konnte den Taschendieben bei der Arbeit zusehen.“ Das war, ehe Bürgermeister Rudy Giuliani mit seinem umstrittenen, aber letztlich erfolgreichen Law-and-Order-Kurs die Stadt aufräumte.
Die Erwartungen waren nicht besonders hoch, als Albers anfing. Die Wempe-Filiale schrieb rote Zahlen, und der Chef gab Albers zwei Jahre Zeit, um den Kurs zu drehen. Heute ist Wempe New York (55. Straße) die mit großem Abstand umsatzstärkste Filiale in dem Familienunternehmen. Die Details sind ein Geheimnis. Jedes Jahr gehen 30 Millionen Menschen an dem Geschäft im Gebäude des edlen Peninsula Hotel vorbei. Die meisten schauen nur, viele haben aber auch kein Problem damit, spontan eine Schweizer Uhr für 55000 Dollar zu kaufen. Derzeit prägen vor allem chinesische Touristen die Fifth Avenue, sie können hier auf angenehme Weise die Luxussteuer in ihrer Heimat vermeiden. Wempes Niederlassung ist so international wie die Stadt. „Wir haben 32 Mitarbeiter aus 18 Ländern“, sagt Albers. Darunter, natürlich, auch Chinesen.
Die Fifth Avenue war schon immer ein Traum, aber dieser Traum war noch nie so begehrt wie heute. Begleiterscheinung sind verrückte Immobilienpreise. Kürzlich erwarb ein Konsortium 2700 Quadratmeter Einzelhandelsfläche neben dem St. Regis Hotel (55. Straße) für 700 Millionen Dollar. Die Flächen sind an De Beers (Diamanten) und Gucci (Mode) vermietet.
Oder die Geschichte des historischen Cartier-Hauptgeschäftes zwischen 51. und 52. Straße. (Das Gebäude wird derzeit renoviert, Cartier hat vorübergehend eine Filiale an der 58. Straße bezogen.) Morton Freeman Plant, Sohn eines Eisenbahn-Tycoons, baute das einem Palazzo nachempfundene Gebäude 1905 als Wohnsitz. Mit dem Aufschwung der Fifth Avenue wurde ihm die Gegend aber zu unruhig, 1917 verkaufte er die Villa an Pierre Cartier; der Preis betrug 100 Dollar, zuzüglich einer doppelreihigen Perlenkette, die damals eine Million Dollar wert war. Angeblich hatte Plants junge Frau Mae ein Auge darauf geworfen. Es war kein gutes Geschäft: Mit dem Aufkommen von Zuchtperlen verfielen die Perlenpreise, Maes Kette wurde bei einer Auktion 1957 für 151000 Dollar versteigert. Cartier verkaufte das Gebäude 1950 für drei Millionen Dollar an eine Versicherung, blieb aber als Mieter. Im Jahr 2012, aus dem die letzten veröffentlichten Zahlen stammen, zahlte Cartier sieben Millionen Dollar Miete im Jahr. Seither dürfte der Betrag noch einmal gestiegen sein. Branchenexperten schätzen, dass die Quadratmetermiete in der Gegend heute bei 39000 Dollar im Jahr liegt.
Wie viel Wempe an seinem Standort zahlt, verrät Albers nicht. Nur so viel: „Eigentümer ist das Peninsula Hotel. Die wissen es zu schätzen, einen Mieter zu haben, der den Wert des ganzen Gebäudes hebt.“ Aber Albers räumt ein, dass die hohen Immobilienpreise problematisch für die Straße sind. „Sie machen alles mehr und mehr vorhersehbar.“ Will sagen: Das typisch Newyorkerische verschwindet.
Tatsächlich gibt es auf der Fifth Avenue nur noch wenig Originelles, an den meisten Adressen stehen die Namen globaler Edelmarken: Louis Vuitton, Bulgari, Armani, Tommy Hilfiger, Swarovski. Selbst eine New Yorker Institution wie Harry Winston, der traditionsreiche Uhrmacher und Juwelier (Ecke 56. Straße), gehört heute dem Schweizer Uhrenkonzern Swatch.
Wobei einige Markenartikler die Fifth Avenue nicht mehr so wichtig nehmen. Adidas und Prada sind vertreten, haben aber ihr Hauptgeschäft – heute nennt man das „Flagshipstore“ – in SoHo, dem unter jungen Leuten als besonders schick geltenden Viertel im Süden Manhattans. Dort wächst eine Konkurrenz für die Fifth Avenue.
Einige Ikonen gibt es noch: Neben Tiffany vor allem Bergdorf Goodman (57. Straße), das Luxuskaufhaus, in dem man nicht nur Handtaschen und teuren Fummel kaufen, sondern sich für viel Geld bei Starfriseur John Barnett die Haare schneiden lassen kann. Es gibt Saks, das Modekaufhaus gegenüber dem Rockefeller Center (zwischen 49. und 50. Straße). Saks‘ Schaufensterdekoration in der Weihnachtszeit zieht so viele Menschen an, dass oft die Polizei den Fußgängerverkehr davor regeln muss (stehen bleiben ist nicht erlaubt). Es gibt das Kaufhaus Lord and Taylor (zwischen 38. und 39. Straße), F.A.O. Schwarz, das älteste Spielegeschäft Amerikas (58.Straße) und den Hutladen J. J. Hat Center.
Aber die Fifth Avenue ist nicht nur Einkaufsstraße, sondern so etwas wie die Mitte Manhattans: Links von ihr tragen die Straßen den Zusatz „West“ vor der Hausnummer, rechts den Zusatz „East“. Die Achse beginnt unten am Washington Square Park und endet in der 142. Straße am Harlem River. Viele Sehenswürdigkeiten New Yorks liegen an der Fifth Avenue: das Empire State Building, die St.-Patrick’s-Kathedrale, die Public Library, das Metropolitan, das Guggenheim.
Gibt es noch Geheimtipps? Vielleicht diesen: Dem Glaskasten von Armani an der 56. Straße sieht man nicht an, dass sich im dritten Stockwerk ein Restaurant befindet. Gemessen an der Lage ist das „Ristorante Armani“ erstaunlich preiswert.