Wenn Victor um 17 Uhr nach Hause gebracht wird, klingelt er, ihm wird aufgemacht, und sofort verschwindet er in seinem Zimmer. Immer das gleiche Ritual, Hunderte Male geübt. Sitzt die Familie im Sommer allerdings auf der Terrasse und hört die Klingel nicht, kann Victor nicht um das Haus gehen, das ist für ihn unvorstellbar. Er steht dann unschlüssig vor der Tür, weiß nicht weiter und wird wütend. Die Veränderung überfordert ihn. „Jede Abweichung bringt ihn in ein Unvermögen“, sagt die Mutter. „Ist etwas anders als sonst, ist er irritiert und kommt durcheinander.“
Warten auf das Wunder - doch der Alkoholkonsum während der Schwangerschaft kann sehr gefährlich sein
Victor ist 14 Jahre alt und leidet am Fetalen Alkoholsyndrom (FAS). Seine leibliche Mutter hat während der Schwangerschaft getrunken, schon bald nach der Geburt kam er in ein Pflegeheim. Im Alter von zehn Monaten wurde er adoptiert. Obwohl er seit mehr als 13 Jahren in seiner neuen Familie lebt, ist er regelmäßig vom Alltag überfordert. Und die Familie ist häufig überfordert von Victor, der ja nichts dafür kann, aber eben so ist, wie er ist.
Manchmal sitzt Victor morgens nach dem Aufstehen auf dem Bett, hält eine Socke in der Hand, weiß aber nicht mehr, was er damit tun wollte. Bis er angezogen ist, kann es schon mal eine halbe Stunde dauern oder länger. Die Zeit reicht nicht immer, sodass Victor, trotz der eineinhalb Stunden, die sich die Familie täglich für Aufstehen, Frühstück, Morgenwäsche nimmt, manchmal nicht rechtzeitig in die Förderschule kommt. Zum Frühstück isst Victor ausschließlich Grießnockerlsuppe. „Bekommt er die nicht, flippt er aus“, sagt die Mutter.
Schätzungen zufolge werden in Deutschland jedes Jahr bis zu 4000 Kinder geboren, die durch Alkohol in der Schwangerschaft so schwer geschädigt werden, dass ein Fetales Alkoholsyndrom vorliegt. Die genauen Zahlen sind ungewiss, da die Krankheit häufig nicht erkannt wird. „So viele Kinder mit FAS werden überhaupt nicht diagnostiziert“, sagt Mirjam Landgraf, die im Sozialpädiatrischen Zentrum des Haunerschen Kinderspitals München eine Spezialambulanz für Kinder leitet, die in der Schwangerschaft Giftstoffen ausgesetzt waren. „Dabei trinken ungefähr 30 Prozent aller Frauen während der Schwangerschaft Alkohol – manche wenig oder wenn, dann nur ein bisschen, andere bis zum Vollrausch.“
Je nach Untersuchung kommen zwischen 1,1 und 8,2 von 1000 Kindern mit FAS auf die Welt. Damit ist das Leiden deutlich häufiger als beispielsweise das Downsyndrom oder die auch als Spastik bezeichnete Zerebralparese, wird aber weitaus weniger beachtet und spielt in Lehrbüchern und der Medizinerausbildung kaum eine Rolle. „In jeder Kinderklinik gibt es Stationen, in denen Kinder von Drogenabhängigen versorgt werden“, sagt Landgraf. „Für durch Alkohol geschädigte Kinder haben wir hingegen noch Nachholbedarf.“
Um diesem Missstand abzuhelfen, hat die Kinderärztin und Psychologin zusammen mit Florian Heinen, dem Leiter des Sozialpädiatrischen Zentrums und der Abteilung für Entwicklungsstörungen am Haunerschen Kinderspital, im vergangenen Jahr ein Taschenbuch zum FAS herausgebracht sowie einen Leitfaden für die Kitteltasche. Darin lässt sich schnell nachschlagen, woran die fetale Alkoholschädigung zu erkennen ist und welche Diagnostik und Betreuung zu empfehlen sind. In Schulen, Jugendämtern und Kinderkliniken wurde das Büchlein in einer Auflage von mehr als 10000 verteilt, damit die so häufig übersehene Krankheit besser erkannt und die Kinder besser versorgt werden.
Vier Kriterien sind es, auf die bei der Diagnose besonders zu achten ist: Die Kinder bleiben deutlich im Wachstum zurück und gehören in Größe und Gewicht zu den unteren zehn Prozent ihres Jahrgangs. Am auffälligsten sind aber wohl die Merkmale im Gesicht: Das Philtrum, jene Einkerbung, die zwischen der Nase und der Mitte der Oberlippe verläuft, ist abgeflacht oder komplett verstrichen. Zudem ist die Lidspalte, also die Breite des Auges, vergleichsweise klein und die Oberlippe sehr schmal. Hinzu kommen Einschränkungen, die das Gehirn betreffen. Die Intelligenz der betroffenen Kinder ist erheblich gemindert, ihr Kopf kleiner und in Leistungstests schneiden sie schlechter ab, sei es in den Bereichen Sprache, Feinmotorik, Aufmerksamkeit, Lernen oder soziales Verhalten.
„Die Gesichtsmerkmale sind zu 100 Prozent spezifisch“, sagt Florian Heinen. „Der Entwicklungsrückstand und die Auffälligkeiten im zentralen Nervensystem kommen hinzu. Die Bestätigung, dass die Mutter während der Schwangerschaft Alkohol getrunken hat, ist dann als vierte Säule der Diagnostik nicht mehr ganz so wichtig.“ Den Kinderarzt ärgert es, dass in einer Gesellschaft, die Alkohol nicht nur toleriert, sondern als Mittel gegen den Stress über die Maßen schätzt, so wenig über die möglichen Folgen bekannt ist. Auch mit etlichen Vorurteilen müsse aufgeräumt werden.
„Das ist kein Problem der Unterschicht, sondern Alkohol während der Schwangerschaft findet sich in allen Gesellschaftsklassen“, sagt Heinen. „Die gebildete, wohlhabende 30-Jährige trinkt im Durchschnitt sogar mehr als die ungebildete, mittellose Gleichaltrige.“
Eine Mindestdosis, die als unschädlich gelten kann, gibt es für Alkohol – wie für so viele Giftstoffe – nicht. „Man muss nicht betrunken durch die Schwangerschaft torkeln, um sein Kind zu schädigen“, sagt Heinen. Die Kinderärzte in München betreuen ein Kind, dessen Mutter glaubhaft versichert, höchstens einmal in der Woche ein Glas Wein während der Schwangerschaft getrunken zu haben.
Natürlich steige mit zunehmender Dosis auch das Risiko, aber zusätzlich beeinflussen eben auch Genetik und Ernährung, ob und wie stark das Kind geschädigt wird. Heinen betont, dass es sich beim Alkoholkonsum während der Schwangerschaft ja um eine der „ganz wenigen Ursachen für Entwicklungsstörungen beim Kind handelt, die sich vollständig vermeiden lassen“. Die Mütter haben es selbst in der Hand, Schaden von ihrem Kind abzuwenden.
Die kranken Kinder wie auch ihre Eltern, von denen viele Adoptiveltern sind, haben besonders unter Vorurteilen und Beschimpfungen zu leiden. „Wenn Georg früher auf den Spielplatz ging, hieß es immer: Der Beißer kommt“, sagt die Adoptivmutter eines Neunjährigen mit FAS. Bis heute ist er manchmal unkontrolliert aggressiv. Den richtigen Namen ihrer Kinder und ihren eigenen wollen die Eltern nicht in der Zeitung lesen, sie haben dazu zu viel Diskriminierung erlebt. Georg fragt seine Mutter, warum er nicht wächst und mit 1,28 Meter so viel kleiner als andere Neunjährige ist. „Ich vergesse so viel“, sagt er manchmal und fragt dann: „Warum hat mich meine Mutter weggegeben?“ Dann spitzt er einen Bleistift an der falschen Seite an. „Er weiß nicht, dass seine leibliche Mutter getrunken hat“, sagt die Adoptivmutter.
Mirjam Landgraf hat beobachtet, dass Kinder mit Alkoholschädigung nicht in erster Linie Schwierigkeiten bekommen, weil sie weniger intelligent sind, sondern weil das soziale Miteinander nicht funktioniert und sie an der Lösung einfacher Probleme scheitern. Georg hat beispielsweise kein Gespür für Gefahren. Mit vier Jahren ist er mit dem Laufrad einen steilen Rodelhang hinabgefahren. Vor dem Aquarium darf man ihn nach Angaben seiner Mutter nicht allein lassen, „sonst würde er die Fische fangen“. Bis er sich die Schuhe binden konnte, hat es ewig gedauert. „Gleichaltrige ziehen sich zurück, weil sie spüren, dass diese Kinder anders sind – und das Zusammensein mit ihnen schnell wehtun könnte“, sagt die Mutter.
Landgraf und Heinen ist es wichtig, die Förder- und Betreuungsmöglichkeiten in spezialisierten Teams zu betonen, in denen Psychologen, Ärzte, Ergotherapeuten und Pädagogen zusammenarbeiten. „Die Hirnschädigung durch den Alkohol ist zwar irreversibel, aber die Einschränkungen im Alltag der betroffenen Kinder lassen sich durch individuelle und frühe Förderung deutlich beeinflussen“, sagt Heinen. „Aber selbst ein guter Kinderarzt kann das nicht alleine schaffen.“
Immerhin gibt es Lichtblicke. Im alten Mutterpass wurde allgemein nach „Genussmitteln“ gefragt, aber was heißt das schon? In der neuen Version wird konkret der Konsum von Nikotin und Alkohol erhoben, um die Wahrnehmung für drohende Schäden zu schärfen. Selbsthilfegruppen klären auf und bieten Freizeiten für Kinder mit FAS an, die ja häufig isoliert sind, weil sie „wegen ihrer Impulsivität, der langsamen Informationsverarbeitung und ihrer eingeschränkten Sozialkompetenz schnell von Gleichaltrigen ausgeschlossen werden“. Und Heinen und Landgraf haben ihre evidenzbasierten Empfehlungen mit wesentlichen Experten und Fachgesellschaften abgestimmt, damit Ärzte, Psychologen und Therapeuten bundesweit darauf achten, FAS nicht zu übersehen.
Lohnend sind diese Formen der Prävention allemal, denn etliche Kinder mit FAS werden später straffällig, als depressiv abgestempelt oder Opfer von Missbrauch, weil sie häufig distanzlos gegenüber Fremden sind. Ließe sich nur ein kleiner Teil dieser Taten und Zwischenfälle verhindern, würden nicht nur die Kranken profitieren.
Warten auf das Wunder - doch der Alkoholkonsum während der Schwangerschaft kann sehr gefährlich sein
Victor ist 14 Jahre alt und leidet am Fetalen Alkoholsyndrom (FAS). Seine leibliche Mutter hat während der Schwangerschaft getrunken, schon bald nach der Geburt kam er in ein Pflegeheim. Im Alter von zehn Monaten wurde er adoptiert. Obwohl er seit mehr als 13 Jahren in seiner neuen Familie lebt, ist er regelmäßig vom Alltag überfordert. Und die Familie ist häufig überfordert von Victor, der ja nichts dafür kann, aber eben so ist, wie er ist.
Manchmal sitzt Victor morgens nach dem Aufstehen auf dem Bett, hält eine Socke in der Hand, weiß aber nicht mehr, was er damit tun wollte. Bis er angezogen ist, kann es schon mal eine halbe Stunde dauern oder länger. Die Zeit reicht nicht immer, sodass Victor, trotz der eineinhalb Stunden, die sich die Familie täglich für Aufstehen, Frühstück, Morgenwäsche nimmt, manchmal nicht rechtzeitig in die Förderschule kommt. Zum Frühstück isst Victor ausschließlich Grießnockerlsuppe. „Bekommt er die nicht, flippt er aus“, sagt die Mutter.
Schätzungen zufolge werden in Deutschland jedes Jahr bis zu 4000 Kinder geboren, die durch Alkohol in der Schwangerschaft so schwer geschädigt werden, dass ein Fetales Alkoholsyndrom vorliegt. Die genauen Zahlen sind ungewiss, da die Krankheit häufig nicht erkannt wird. „So viele Kinder mit FAS werden überhaupt nicht diagnostiziert“, sagt Mirjam Landgraf, die im Sozialpädiatrischen Zentrum des Haunerschen Kinderspitals München eine Spezialambulanz für Kinder leitet, die in der Schwangerschaft Giftstoffen ausgesetzt waren. „Dabei trinken ungefähr 30 Prozent aller Frauen während der Schwangerschaft Alkohol – manche wenig oder wenn, dann nur ein bisschen, andere bis zum Vollrausch.“
Je nach Untersuchung kommen zwischen 1,1 und 8,2 von 1000 Kindern mit FAS auf die Welt. Damit ist das Leiden deutlich häufiger als beispielsweise das Downsyndrom oder die auch als Spastik bezeichnete Zerebralparese, wird aber weitaus weniger beachtet und spielt in Lehrbüchern und der Medizinerausbildung kaum eine Rolle. „In jeder Kinderklinik gibt es Stationen, in denen Kinder von Drogenabhängigen versorgt werden“, sagt Landgraf. „Für durch Alkohol geschädigte Kinder haben wir hingegen noch Nachholbedarf.“
Um diesem Missstand abzuhelfen, hat die Kinderärztin und Psychologin zusammen mit Florian Heinen, dem Leiter des Sozialpädiatrischen Zentrums und der Abteilung für Entwicklungsstörungen am Haunerschen Kinderspital, im vergangenen Jahr ein Taschenbuch zum FAS herausgebracht sowie einen Leitfaden für die Kitteltasche. Darin lässt sich schnell nachschlagen, woran die fetale Alkoholschädigung zu erkennen ist und welche Diagnostik und Betreuung zu empfehlen sind. In Schulen, Jugendämtern und Kinderkliniken wurde das Büchlein in einer Auflage von mehr als 10000 verteilt, damit die so häufig übersehene Krankheit besser erkannt und die Kinder besser versorgt werden.
Vier Kriterien sind es, auf die bei der Diagnose besonders zu achten ist: Die Kinder bleiben deutlich im Wachstum zurück und gehören in Größe und Gewicht zu den unteren zehn Prozent ihres Jahrgangs. Am auffälligsten sind aber wohl die Merkmale im Gesicht: Das Philtrum, jene Einkerbung, die zwischen der Nase und der Mitte der Oberlippe verläuft, ist abgeflacht oder komplett verstrichen. Zudem ist die Lidspalte, also die Breite des Auges, vergleichsweise klein und die Oberlippe sehr schmal. Hinzu kommen Einschränkungen, die das Gehirn betreffen. Die Intelligenz der betroffenen Kinder ist erheblich gemindert, ihr Kopf kleiner und in Leistungstests schneiden sie schlechter ab, sei es in den Bereichen Sprache, Feinmotorik, Aufmerksamkeit, Lernen oder soziales Verhalten.
„Die Gesichtsmerkmale sind zu 100 Prozent spezifisch“, sagt Florian Heinen. „Der Entwicklungsrückstand und die Auffälligkeiten im zentralen Nervensystem kommen hinzu. Die Bestätigung, dass die Mutter während der Schwangerschaft Alkohol getrunken hat, ist dann als vierte Säule der Diagnostik nicht mehr ganz so wichtig.“ Den Kinderarzt ärgert es, dass in einer Gesellschaft, die Alkohol nicht nur toleriert, sondern als Mittel gegen den Stress über die Maßen schätzt, so wenig über die möglichen Folgen bekannt ist. Auch mit etlichen Vorurteilen müsse aufgeräumt werden.
„Das ist kein Problem der Unterschicht, sondern Alkohol während der Schwangerschaft findet sich in allen Gesellschaftsklassen“, sagt Heinen. „Die gebildete, wohlhabende 30-Jährige trinkt im Durchschnitt sogar mehr als die ungebildete, mittellose Gleichaltrige.“
Eine Mindestdosis, die als unschädlich gelten kann, gibt es für Alkohol – wie für so viele Giftstoffe – nicht. „Man muss nicht betrunken durch die Schwangerschaft torkeln, um sein Kind zu schädigen“, sagt Heinen. Die Kinderärzte in München betreuen ein Kind, dessen Mutter glaubhaft versichert, höchstens einmal in der Woche ein Glas Wein während der Schwangerschaft getrunken zu haben.
Natürlich steige mit zunehmender Dosis auch das Risiko, aber zusätzlich beeinflussen eben auch Genetik und Ernährung, ob und wie stark das Kind geschädigt wird. Heinen betont, dass es sich beim Alkoholkonsum während der Schwangerschaft ja um eine der „ganz wenigen Ursachen für Entwicklungsstörungen beim Kind handelt, die sich vollständig vermeiden lassen“. Die Mütter haben es selbst in der Hand, Schaden von ihrem Kind abzuwenden.
Die kranken Kinder wie auch ihre Eltern, von denen viele Adoptiveltern sind, haben besonders unter Vorurteilen und Beschimpfungen zu leiden. „Wenn Georg früher auf den Spielplatz ging, hieß es immer: Der Beißer kommt“, sagt die Adoptivmutter eines Neunjährigen mit FAS. Bis heute ist er manchmal unkontrolliert aggressiv. Den richtigen Namen ihrer Kinder und ihren eigenen wollen die Eltern nicht in der Zeitung lesen, sie haben dazu zu viel Diskriminierung erlebt. Georg fragt seine Mutter, warum er nicht wächst und mit 1,28 Meter so viel kleiner als andere Neunjährige ist. „Ich vergesse so viel“, sagt er manchmal und fragt dann: „Warum hat mich meine Mutter weggegeben?“ Dann spitzt er einen Bleistift an der falschen Seite an. „Er weiß nicht, dass seine leibliche Mutter getrunken hat“, sagt die Adoptivmutter.
Mirjam Landgraf hat beobachtet, dass Kinder mit Alkoholschädigung nicht in erster Linie Schwierigkeiten bekommen, weil sie weniger intelligent sind, sondern weil das soziale Miteinander nicht funktioniert und sie an der Lösung einfacher Probleme scheitern. Georg hat beispielsweise kein Gespür für Gefahren. Mit vier Jahren ist er mit dem Laufrad einen steilen Rodelhang hinabgefahren. Vor dem Aquarium darf man ihn nach Angaben seiner Mutter nicht allein lassen, „sonst würde er die Fische fangen“. Bis er sich die Schuhe binden konnte, hat es ewig gedauert. „Gleichaltrige ziehen sich zurück, weil sie spüren, dass diese Kinder anders sind – und das Zusammensein mit ihnen schnell wehtun könnte“, sagt die Mutter.
Landgraf und Heinen ist es wichtig, die Förder- und Betreuungsmöglichkeiten in spezialisierten Teams zu betonen, in denen Psychologen, Ärzte, Ergotherapeuten und Pädagogen zusammenarbeiten. „Die Hirnschädigung durch den Alkohol ist zwar irreversibel, aber die Einschränkungen im Alltag der betroffenen Kinder lassen sich durch individuelle und frühe Förderung deutlich beeinflussen“, sagt Heinen. „Aber selbst ein guter Kinderarzt kann das nicht alleine schaffen.“
Immerhin gibt es Lichtblicke. Im alten Mutterpass wurde allgemein nach „Genussmitteln“ gefragt, aber was heißt das schon? In der neuen Version wird konkret der Konsum von Nikotin und Alkohol erhoben, um die Wahrnehmung für drohende Schäden zu schärfen. Selbsthilfegruppen klären auf und bieten Freizeiten für Kinder mit FAS an, die ja häufig isoliert sind, weil sie „wegen ihrer Impulsivität, der langsamen Informationsverarbeitung und ihrer eingeschränkten Sozialkompetenz schnell von Gleichaltrigen ausgeschlossen werden“. Und Heinen und Landgraf haben ihre evidenzbasierten Empfehlungen mit wesentlichen Experten und Fachgesellschaften abgestimmt, damit Ärzte, Psychologen und Therapeuten bundesweit darauf achten, FAS nicht zu übersehen.
Lohnend sind diese Formen der Prävention allemal, denn etliche Kinder mit FAS werden später straffällig, als depressiv abgestempelt oder Opfer von Missbrauch, weil sie häufig distanzlos gegenüber Fremden sind. Ließe sich nur ein kleiner Teil dieser Taten und Zwischenfälle verhindern, würden nicht nur die Kranken profitieren.