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Das Klischee vom Zahlvater

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Jede dritte Ehe geht in die Brüche, 95 Prozent der Eltern teilen sich nach einer Scheidung das Sorgerecht für ihre Kinder. Beim Unterhalt aber machen die getrennten Partner im seltensten Fall halbe-halbe. Selbst Väter, die sich nicht nur als Wochenendpapa sehen und ihr Kind fast die Hälfte des Monats betreuen, müssen nämlich den gesamten Unterhalt zahlen. Die Familienpolitik setzt auf die Elternzeitmänner und die Teilzeitmänner. Die Familienmänner, die eine enge Bindung zu Haushalt und Kindern genießen, sind in der Gesellschaft auch längst angekommen. Doch in der Rechtsprechung ist dieser neue Mann noch nicht vorgesehen. Das neue Rollenmodell läuft nicht wirklich überall rund.



Wenn es im Spannungsfeld Familie doch kracht, kann die rechtliche Frage um den Unterhalt zu tiefen Spaltungen führen

Den Ingenieur Erik Schneider (Name von der Redaktion geändert) ärgert das. Denn er denkt, dass er fast alles richtig gemacht hat – bis auf kluges Krisenmanagement in seiner Ehe vielleicht. Seit eineinhalb Jahren sind seine Frau und er geschiedene Leute. Vorher hatte Erik Schneider, 48, vier Monate Elternzeit genommen. Das ist mehr, als es die meisten Väter tun: Der Großteil, nämlich 93 Prozent, bleibt höchstens zwei Monate zu Hause beim Baby. Später, als Tochter Lena 15 Monate alt war und seine Frau Annett halbtags ins Büro ging, reduzierte er seine Arbeitszeit auf 80 Prozent. Der Freitag gehörte Papa. Trotzdem ging die Familienidylle in die Brüche.

Inzwischen haben beide neue Partner, kommen miteinander „halbwegs versöhnlich“ aus, so formuliert es Erik Schneider. Das Sorgerecht ist geteilt, die vier Jahre alte Lena lebt hauptsächlich bei der Mutter, weil – so die Absprache – Annett Schneider öfter zu Hause ist. Erik Schneider ist mit seiner neuen Lebensgefährtin in deren Nähe gezogen. Die Wohnung hat ein Zimmer mehr, als ein Paar alleine benötigen würde. Schließlich braucht Lena ein eigenes Kinderzimmer. Sie ist jedes zweite Wochenende von Freitagmittag bis Montagmorgen beim Vater. Unter der Woche wechseln er und seine Freundin sich mit der Mutter ab. Die erste Woche holen sie Lena dreimal vom Kindergarten ab, die zweite Woche zweimal, und so weiter. Die anderen Tage übernimmt die Mutter. Wo die Kleine übernachtet, handhaben Erik und Annett Schneider flexibel, je nach eigenen Plänen. Aber immer sprechen sie das so rechtzeitig ab, dass Lena sich nicht überrumpelt fühlt. Wenn die Mutter am Wochenende wegfährt, springt der Vater ein – er tut es gern.

Erik Schneider hat ausgerechnet, dass er seine Tochter mindestens 50 Prozent der Zeit betreut, manchmal ist es mehr, manchmal weniger. „Ich habe regelmäßige Kosten wegen meiner Tochter: die erhöhte Miete wegen des zusätzlichen Zimmers, Essen, Kleidung und Spielzeug, Geld für Unternehmungen. Trotzdem muss ich vollen Unterhalt zahlen“, sagt er. Schneider verdient etwa 3800 Euro netto.

Gemäß der Düsseldorfer Tabelle (Grafik) überweist er 432 Euro pro Monat an seine Ex-Frau. Trotz aller Harmonie – Annett Schneider lässt da nicht mit sich handeln. Sie sagt, dass sie dieses Geld voll benötigt.
Auf die Frage, wer sich nach der Scheidung um die Kinder kümmert, kennt die Wirklichkeit zahllose Antworten. Die alleinerziehende Mutter, die vom Zahlvater widerwillig den Unterhalt überwiesen bekommt, markiert das eine Ende eines Spektrums. Am anderen Ende stehen die getrennten, immer noch partnerschaftlich kooperierenden Eltern. Dazwischen gibt es fast alles. Manchmal ist es nur der Zoobesuch einmal monatlich. Andere haben minutiös Übernachtungspläne ausgetüftelt.

Das Recht dagegen bildet diese Wirklichkeit nur holzschnittartig ab. Wenn es um den Unterhalt für das Kind der getrennt lebenden Eltern geht, dann hängen die Ge-richte immer noch am Klischee des Zahlvaters (seltener ist es eine Zahlmutter): Ein Elternteil betreut das Kind und erfüllt damit seine Pflicht, für das Kind zu sorgen, der andere Elternteil überweist den monatlichen Regelsatz, der beispielsweise – unterste Einkommensstufe, Kinder zwischen sechs und elf Jahren – 364 Euro beträgt. Es gilt also: Einer betreut, der andere zahlt – ihn trifft die „Barunterhaltspflicht“, wie Juristen das ausdrücken. Für die Zwischentöne der sozialen Realität, für die vielen Abstufungen der Elternkooperation: Dafür haben die Gerichte noch kein wirklich taugliches Modell entwickelt.

Erst im März dieses Jahres hat sich der Bundesgerichtshof (BGH) mit dem Problem beschäftigt. Ein Polizist und eine Lehrerin hatten nach der Scheidung notariell vereinbart, die 2001 geborene Tochter „nach dem sogenannten Wechselmodell“ zu betreuen: Wöchentlich an zwei Tagen und alle zwei Wochen von Freitag bis Sonntag sollte die Tochter beim Vater sein. Die größere Last hatte freilich die Mutter zu tragen, auch, weil der Vater wegen seines Schichtdienstes nicht immer verlässliche Zusagen machen konnte. Dennoch, sein Anteil an der Betreuung war beträchtlich – weshalb er nicht der alleinige Zahler bleiben wollte.

Am Ende entschied der BGH zugunsten der Frau: Solange das „Schwergewicht der Betreuung“ bei einem Elternteil liegt, muss der andere allein den „Barunterhalt“ bestreiten. Nur bei einem echten Fünfzig-zu-fünfzig-Modell sieht der BGH Raum für eine Aufteilung der Zahlungen. Immerhin: Der BGH-Familiensenat unternahm einen Versuch, die Schieflage ein wenig zu korrigieren. „Nimmt der barunterhaltspflichtige Elternteil ein weit über das übliche Maß hinausgehendes Umgangsrecht wahr, dessen Ausgestaltung sich bereits einer Mitbetreuung annähert“, dann sei eine Verringerung seiner Zahlungspflicht möglich. Und zwar, indem er eine oder mehrere Rangstufen in der Düsseldorfer Tabelle herabgestuft wird, das ist die Rechentafel des Unterhalts. Wirklich viel ist damit nicht gewonnen: Eine Stufe abwärts bringt 20, vielleicht 30 Euro. Die echten Kosten der Mitbetreuung – vom Kinderzimmer über Fahrtkosten bis hin zu den Mahlzeiten – bleiben an demjenigen hängen, der sich trotz Zahlungspflicht bei der Betreuung engagiert. So wie dies bei Familie Schneider der Fall ist.

Nach Einschätzung von Heinrich Schür-mann, Vorsitzender Richter am Oberlandesgericht Oldenburg, ist das Karlsruher Gericht zu sehr an einem Familienmodell alter Prägung orientiert: „Der BGH hat die Chance verpasst, das System zu öffnen.“ Die Botschaft müsse doch lauten: „Ihr seid Eltern, ihr bleibt Eltern.“ Genau dies müsse auch über das Unterhaltsrecht transportiert werden. Das jetzige Modell signalisiere dem zahlenden Elternteil eher, dass er mit der Geldüberweisung seine Verantwortung bereits erledigt habe. „Wir brauchen ein Unterhaltssystem, das die Kosten des Umgangs mit den Kindern abbildet.“

Eine wirkliche Reform – da müsste wohl der Gesetzgeber ran – muss allerdings praktikabel bleiben. Darauf weist der Deutsche Familiengerichtstag hin: Ein Ansatz, der nach realen Betreuungszeiten differenziere, stieße an „Erkenntnisgrenzen“ und bürdete den Familiengerichten große Lasten auf. Realistisch sei daher nur ein Modell, in dem nicht jede Änderung der Kinderbetreuungszeiten zu einer Anpassung des Unterhalts führe.

Erik Schneider verfolgt die BGH-Urteile aufmerksam. Noch ist es ihm unangenehm, die Besuchszeiten akkurat zu notieren und eine Klage mit einem Anwalt vorzubereiten. „Wenn ich dann nur um 18 Euro heruntergestuft werde, ist mir das den Ärger nicht wert“, sagt er. Auch im Interesse von Tochter Lena will er den Frieden in der Patchworkfamilie aufrechterhalten. Diese wird bald größer: Seine Lebensgefährtin bekommt ein Baby. Sie möchte zwei Jahre Elternzeit nehmen. Erik Schneider plant, ein Jahr zu pausieren. „Dann reduziert sich der Unterhalt von alleine, weil ich eh nicht mehr so viel Geld habe“, meint er. Aber mehr Zeit wird der Vater haben – für Lena und das neue Kind.


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