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Ein Standbild für die Ewigkeit

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Mit nichts als einem Glitzerbody und hochhackigen Stiefeln stand sie da auf der Bühne, die Beine breit in den Boden gestemmt. Vor ihr, unter der Bühne und hinter Bildschirmen ein Millionenpublikum. Hinter ihr, weiße Schrift auf schwarzem Hintergrund, ein Wort in Großbuchstaben: „FEMINIST“ – Feministin. Beyoncé Knowles ist nach allen modernen Maßstäben – Albenverläufe, Instagram-Follower, Reichtum, Forbes-Magazin und so weiter – einer der drei, vier größten Popstars unserer Zeit. Und seit den letzten MTV Video Music Awards vergangene Woche in Inglewood, Kalifornien, wohl auch die bekannteste Feministin unserer Tage.



Sieht das nach Feministin aus? Beyoncé bei den MTV Video Music Awards

Es war eigentlich nur ein kurzer Moment zur Halbzeit ihres 16-minütigen Auftritts, aber aus dem Moment ist womöglich ein Standbild für die Ewigkeit geworden. Die MTV Awards sorgen ja seit 30 Jahren zuverlässig für so spektakuläre wie – eigentlich – blitzschnell vergessene Popmomente: Eminem beschimpft Moby (und umgekehrt). Madonna küsst Britney Spears. Miley Cyrus streckt die Zunge raus und singt mit Robin Thicke einen Song namens „Blurred Lines“, der von der scheinbar unklaren Situation handelt, wenn der Mann weiß, dass eine Frau es will, die Frau aber das Gegenteil behauptet.

Auf dieser Weltbühne verharrte Beyoncé also kurz völlig still und ließ die Stimme der nigerianisch-amerikanischen Schriftstellerin Chimamanda Ngozi Adichie sprechen: „Feminist (in): Die Person, die an die politische, soziale und wirtschaftliche Gleichheit der Geschlechter glaubt.“ Man könnte den Moment natürlich auch einfach für eine weitere Eskalation der Show halten – und manche Kritikerinnen haben das auch gleich getan. Umgehend stellte etwa die Twitter-Beauftragte der EMMA die kritische Frage, ob Beyoncé überhaupt Feministin sein könne.

Tatsächlich hat die Feministin Beyoncé wenig gemeinsam mit jenen wiedergeborenen Prominenten, die in schöner Regelmäßigkeit mit einer vermeintlich frischen Botschaft zum Thema an die Öffentlichkeit drängen wie zum Beispiel die Facebook-Managerin Sheryl Sandberg. In Interviews spricht die Sängerin schon seit Jahren über Sexismus und Gleichberechtigung, über die große Bedeutung von Frauenfreundschaften und die besondere wirtschaftliche und sexuelle Ausbeutung schwarzer Frauen in den USA. Weil sie sich für begleitendes Bildmaterial aber gerne freizügig fotografieren lässt – und mit dem Alter (knapp 33) tatsächlich immer freizügiger und sexueller in ihrer Selbstdarstellung wird –, handelt sie sich Kritik ein. „Beyoncé, dich für GQ halbnackt fotografieren zu lassen, hilft der Sache der Frau nicht“, mahnte eine Kritikerin im Guardian im vergangenen Jahr. Ihr Hit „***Flawless“ hieß ursprünglich „Girls (Who Run The World)“ und beinhaltet nicht nur ein Sample des zitierten Adichie-Vortrags, sondern auch die nicht übermäßig frauenfreundliche Wut-Zeile „Bow down, Bitches!“ –„ Verbeugt euch, Bitches“, wofür sie sich ebenfalls Kritik einhandelte.

Tatsächlich ist es genau diese scheinbare Widersprüchlichkeit zwischen zur Schau gestellter Sexualität, überdimensionalem Ego und politischem Bewusstsein, die Beyoncé als Botschafterin der Gleichberechtigung so wichtig und attraktiv macht. Denn die Meisterleistung dieser großen Unterhaltungskünstlerin ist weder ihr perfekt kontrolliertes, bestens vermarktbares Image, noch sind es ihre musikalischen Fähigkeiten. Was Beyoncé derzeit besser als allen anderen gelingt, ist ihre Selbstinszenierung als vollständige Frau. Das ist in einer Industrie, in der für jede Frau eine ganz bestimmte Rolle vorgesehen ist – Sexgöttin oder Party-Girl, Heilige oder Teufelette – an sich schon bemerkenswert.

Ihr aktuelles Album „Beyoncé“ machte vor allem Wind, weil es musikalisch das Interessanteste war, was ihr je geglückt ist, und weil es sehr zeitgemäß lanciert wurde: Es gab keine Vorankündigung und keine Single-Auskopplung, es war plötzlich einfach da. Ungleich wichtiger ist jedoch, dass es das erste Mal seit langer, langer Zeit mitten im Mainstream Popmusik gibt, in der eine Frau ihre Sexualität so besingt, dass man es ihr abnimmt. Hier geht es nicht um Sadomaso-Phantasien oder Abstürze im Club mit Koks und Champagner, hier geht es um die sexuelle Beziehung zwischen einer Frau und einem Mann, die sich schon lange kennen, und deren Beziehung sich durch eine große Veränderung – die Geburt einer Tochter – verändert. Um besoffene Erregtheit („Drunk in Love“), autoerotische Phantasien („Partition“), Eifersucht („Jealous“). Also um all das, was auch normale Menschen kennen.

Hätte Beyoncé es dabei belassen, sich nach der Geburt ihres ersten Kindes ein Sexy-Mama-Image zuzulegen, wäre das nicht der Rede wert. Doch diese Beyoncé zeigt sich als noch viel mehr: als eine Frau, die unter dem Druck zur Schönheit leidet und sich trotzdem „flawless“, makellos, findet. Als Frau, die ihren Mann liebt und ihre finanzielle Unabhängigkeit. Als Frau, die einen ziemlich begehrenswerten Hintern vor Publikum schwenkt, der ihr in der Mutterschaft aufgeht.

Anders gesagt: Feminismus besteht nicht nur darin, ständig auf Vereinbarkeitsprobleme und sexuelle Gewalt hinzuweisen. Auch die Bilder und die Worte, die für das Weibliche gefunden werden, die Erweiterung der politischen und erotischen Artikulation von Weiblichkeit gehören zum Kampf um die Gleichberechtigung. Genauso wie es dazu gehört, neue Generationen für das Projekt zu gewinnen. Und die Öffentlichkeit dazu zwingen, sich zu fragen, wie das eigentlich ist mit den Frauen und den Männern, dem Sex und der Macht. Wenn jemand dazu in der Lage ist, dann eine der größten Popkünstlerinnen der Gegenwart. Wie gut, dass sie es tut.

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