Der amerikanische Fernsehsender HBO kauft Romane auf, um sie in Serie zu verfilmen. Viele namhafte Autoren sind davon begeistert.
Über den Siegeszug der neuen Fernsehserien aus den USA ist schon viel geschrieben worden, aber ein Vergleich wird beim Lobhudeln besonders oft bemüht: Die Fernsehserie sei der große Roman des 21.Jahrhunderts. Kafka wird genannt, auch Balzac oder Tolstoi. D 'Wenn Charles Dickens heute leben würde, er würde The Wire schauen - es sei denn, er würde selber als Autor an der Serie mitarbeiten', schrieb die New York Times.
Dazu scheint zu passen, dass vor allem der amerikanische Pay-TV-Sender HBO derzeit eine Romanvorlage nach der anderen einkauft, um die Stoffe fürs Fernsehen zu adaptieren. Ein Auszug aus der Liste der Werke, die der Sender sich schon gesichert hat: Die Korrekturen von Jonathan Franzen; der Pulitzerpreisgewinner aus dem Jahr 2011 A Visit from the Goon Squad; Swamplandia von Karen Russell, das in einem Alligatoren-Freizeitpark in Florida spielt; Middlesex von Jeffrey Eugenides. HBO greift vor allem bei solchen Romanen zu, die bei Kritikern und Lesern gleichermaßen Erfolg haben, und zwar immer schneller nach der Veröffentlichung oder - wie bei dem Baseball-Roman Die Kunst des Feldspiels von Chad Harbach oder dem apokalyptischen The Leftovers von Tom Perrotta - sogar schon davor.
Jonathan Franzen schätzt Romanverfilmungen als Fernsehserie
Aus Sicht der Autoren, die oft selber an der Fernsehversion ihres Werks mitarbeiten, ist der Deal mit HBO attraktiv: Die Beteiligung an einer auf mehrere Staffeln ausgelegten Serie bringt viel Geld. Auch, weil das Fernsehen das Buch an neue Käufer empfiehlt. Manche Werke starten überhaupt erst mit dem Erfolg der Serie richtig durch, etwa die Fantasysaga Das Lied von Eis und Feuer von George R. R. Martin, auf der die Erfolgsserie Game of Thrones beruht.
Inhaltlich bietet eine Fernsehserie dem Autor vor allem: Zeit, seine Geschichte zu erzählen. Der Autor kann neue Figuren hinzuerfinden, vorhandene Nebenhandlungen ausbauen, und 'die Lücken füllen', wie Jonathan Franzen das einmal nannte - ganz anders als bei einer Kino-Version, die häufig Dinge weglassen muss, um unter 120Minuten zu bleiben. Salman Rushdie, der für den Sender Showtime gerade eine neue Science-Fiction-Serie mit dem Namen The Next People schreibt, nennt im Interview mit dem britischen Observer einen weiteren Vorteil: 'Bei einem Kinofilm ist der Drehbuchautor nur ein Angestellter, bei einer Fernsehserie ist er der wichtigste Kreative im Team.'
Auch für die Sender scheint die Romanverwertung eher Chance als Risiko zu sein, greifen sie doch auf Material zurück, das sich auf dem Markt schon bewährt hat: Warum mühsam eigene, möglichst epische Stoffe entwickeln, wenn es doch so viele unverfilmte Romane auf dieser Welt gibt? Man muss das Buch nicht gelesen haben, um die Serie zu sehen - aber im Idealfall schauen Fans des Romans auch die Fernsehversion, vor allem dann, wenn der verehrte Autor selbst an der Umsetzung beteiligt ist.
So hätte das auch bei Die Korrekturen laufen sollen. Jonathan Franzen schrieb das Drehbuch, große Namen waren für Regie und Hauptrollen vorgesehen - und dann machte HBO nach dem Pilotfilm einen Rückzieher. Es heißt, es sei zu schwierig gewesen, die Form des Romans mit seinen Zeitsprüngen und Perspektivwechseln in Fernsehform zu pressen.
A Visit from the Goon Squad von Jennifer Egan könnte es ebenso ergehen. In dem Buch - in Deutschland unter dem Titel Der größere Teil der Welt erschienen - geht es um Sex, Drogen und Rock"n"Roll, Themen, die immer ihr Publikum finden, auch im Fernsehen. Das Buch ist aber vor allem für seine Form bekannt geworden. Wie eine Collage setzt sich die Geschichte aus Vignetten zusammen: Erzählerwechsel, keinerlei erkennbare Chronologie, Fußnoten, ein Kapitel besteht aus einer 70-seitigen Power-Point-Präsentation. Das Fernsehergebnis wird mit seiner Vorlage nicht viel gemein haben, wenn das Projekt denn so weit gedeiht; die meisten Ideen werden schon vorher verworfen oder bleiben ewig im Produktions-Limbus.
Fernsehen und Literatur sind eben zwei völlig verschiedene Dinge, eine Fernsehserie ist keine Prosa. Ein Roman kann das Innenleben einer Figur mit wenigen Sätzen schildern, wo das Fernsehen nur zeigen was man auch sehen kann - von dramaturgischen Kniffen wie einem laut vorgelesenen Tagebuch oder der Stimme aus dem Off mal abgesehen.
Darum ist eine andere, jüngere Entwicklung auf dem amerikanischen Serienmarkt viel nachvollziehbarer: Früher wurden die erfolgreichsten und beliebtesten Serien mit einem Kinofilm geadelt - etwa Sex and the City, demnächst die Sitcom Arrested Development. Heute funktioniert das Spiel andersherum: Fernsehserien werden immer häufiger aus Kinofilmen entwickelt.
Die Komödie Bad Teacher mit Cameron Diaz und Justin Timberlake in den Hauptrollen wird bald als Sitcom auf dem Sender CBS laufen, NBC arbeitet an einer Serie zu About a Boy und dreht gerade die Pilotfolge zu Hannibal - über Hannibal Lecter, den Serienmörder aus dem Kinofilm Das Schweigen der Lämmer. ABC, der Heimatsender der Erfolgsserien Lost und Desperate Housewives arbeitet gar an einer Fernsehfassung der Teenie-Historien-Komödie Ritter aus Leidenschaft - was in einem Blog schon als Mischung aus Glee und Game of Thrones belächelt wird. Und der Kabelsender FX will Fargo aus dem Jahr 1996 zur Serie machen - mit den Coen-Brüdern, die damals das Buch schrieben und Regie führten, als Produzenten.
Nach dem großen Erfolg der HBO-Mädchen-Serie Girls im vergangnen Jahr wollen die Konkurrenten schnell nachziehen, wie Mitte Oktober bekannt wurde - mit Serien, die nicht auf Büchern oder Filmen, sondern auf Tumblr-Blogs (nämlich auf F*ck! I"m in My Twenties und auf Hollywood Assistants) beruhen. Bemerkenswert: Beide sind keine Text-Blogs. Der eine sammelt kleine Zeichnungen und gekritzelte Notizen à la 'Manchmal kann ich mein Herz und mein Hirn nicht auseinanderhalten', der andere besteht aus sarkastischen GIF-Animationen über den Arbeitsalltag der Autorin. Es scheint so, als könnte heutzutage aus nahezu jeder Vorlage eine Fernsehserie werden. Wer weiß, vielleicht nutzen Autoren bald sogar wieder die ursprünglichste aller Quellen: die eigene Idee.
Über den Siegeszug der neuen Fernsehserien aus den USA ist schon viel geschrieben worden, aber ein Vergleich wird beim Lobhudeln besonders oft bemüht: Die Fernsehserie sei der große Roman des 21.Jahrhunderts. Kafka wird genannt, auch Balzac oder Tolstoi. D 'Wenn Charles Dickens heute leben würde, er würde The Wire schauen - es sei denn, er würde selber als Autor an der Serie mitarbeiten', schrieb die New York Times.
Dazu scheint zu passen, dass vor allem der amerikanische Pay-TV-Sender HBO derzeit eine Romanvorlage nach der anderen einkauft, um die Stoffe fürs Fernsehen zu adaptieren. Ein Auszug aus der Liste der Werke, die der Sender sich schon gesichert hat: Die Korrekturen von Jonathan Franzen; der Pulitzerpreisgewinner aus dem Jahr 2011 A Visit from the Goon Squad; Swamplandia von Karen Russell, das in einem Alligatoren-Freizeitpark in Florida spielt; Middlesex von Jeffrey Eugenides. HBO greift vor allem bei solchen Romanen zu, die bei Kritikern und Lesern gleichermaßen Erfolg haben, und zwar immer schneller nach der Veröffentlichung oder - wie bei dem Baseball-Roman Die Kunst des Feldspiels von Chad Harbach oder dem apokalyptischen The Leftovers von Tom Perrotta - sogar schon davor.
Jonathan Franzen schätzt Romanverfilmungen als Fernsehserie
Aus Sicht der Autoren, die oft selber an der Fernsehversion ihres Werks mitarbeiten, ist der Deal mit HBO attraktiv: Die Beteiligung an einer auf mehrere Staffeln ausgelegten Serie bringt viel Geld. Auch, weil das Fernsehen das Buch an neue Käufer empfiehlt. Manche Werke starten überhaupt erst mit dem Erfolg der Serie richtig durch, etwa die Fantasysaga Das Lied von Eis und Feuer von George R. R. Martin, auf der die Erfolgsserie Game of Thrones beruht.
Inhaltlich bietet eine Fernsehserie dem Autor vor allem: Zeit, seine Geschichte zu erzählen. Der Autor kann neue Figuren hinzuerfinden, vorhandene Nebenhandlungen ausbauen, und 'die Lücken füllen', wie Jonathan Franzen das einmal nannte - ganz anders als bei einer Kino-Version, die häufig Dinge weglassen muss, um unter 120Minuten zu bleiben. Salman Rushdie, der für den Sender Showtime gerade eine neue Science-Fiction-Serie mit dem Namen The Next People schreibt, nennt im Interview mit dem britischen Observer einen weiteren Vorteil: 'Bei einem Kinofilm ist der Drehbuchautor nur ein Angestellter, bei einer Fernsehserie ist er der wichtigste Kreative im Team.'
Auch für die Sender scheint die Romanverwertung eher Chance als Risiko zu sein, greifen sie doch auf Material zurück, das sich auf dem Markt schon bewährt hat: Warum mühsam eigene, möglichst epische Stoffe entwickeln, wenn es doch so viele unverfilmte Romane auf dieser Welt gibt? Man muss das Buch nicht gelesen haben, um die Serie zu sehen - aber im Idealfall schauen Fans des Romans auch die Fernsehversion, vor allem dann, wenn der verehrte Autor selbst an der Umsetzung beteiligt ist.
So hätte das auch bei Die Korrekturen laufen sollen. Jonathan Franzen schrieb das Drehbuch, große Namen waren für Regie und Hauptrollen vorgesehen - und dann machte HBO nach dem Pilotfilm einen Rückzieher. Es heißt, es sei zu schwierig gewesen, die Form des Romans mit seinen Zeitsprüngen und Perspektivwechseln in Fernsehform zu pressen.
A Visit from the Goon Squad von Jennifer Egan könnte es ebenso ergehen. In dem Buch - in Deutschland unter dem Titel Der größere Teil der Welt erschienen - geht es um Sex, Drogen und Rock"n"Roll, Themen, die immer ihr Publikum finden, auch im Fernsehen. Das Buch ist aber vor allem für seine Form bekannt geworden. Wie eine Collage setzt sich die Geschichte aus Vignetten zusammen: Erzählerwechsel, keinerlei erkennbare Chronologie, Fußnoten, ein Kapitel besteht aus einer 70-seitigen Power-Point-Präsentation. Das Fernsehergebnis wird mit seiner Vorlage nicht viel gemein haben, wenn das Projekt denn so weit gedeiht; die meisten Ideen werden schon vorher verworfen oder bleiben ewig im Produktions-Limbus.
Fernsehen und Literatur sind eben zwei völlig verschiedene Dinge, eine Fernsehserie ist keine Prosa. Ein Roman kann das Innenleben einer Figur mit wenigen Sätzen schildern, wo das Fernsehen nur zeigen was man auch sehen kann - von dramaturgischen Kniffen wie einem laut vorgelesenen Tagebuch oder der Stimme aus dem Off mal abgesehen.
Darum ist eine andere, jüngere Entwicklung auf dem amerikanischen Serienmarkt viel nachvollziehbarer: Früher wurden die erfolgreichsten und beliebtesten Serien mit einem Kinofilm geadelt - etwa Sex and the City, demnächst die Sitcom Arrested Development. Heute funktioniert das Spiel andersherum: Fernsehserien werden immer häufiger aus Kinofilmen entwickelt.
Die Komödie Bad Teacher mit Cameron Diaz und Justin Timberlake in den Hauptrollen wird bald als Sitcom auf dem Sender CBS laufen, NBC arbeitet an einer Serie zu About a Boy und dreht gerade die Pilotfolge zu Hannibal - über Hannibal Lecter, den Serienmörder aus dem Kinofilm Das Schweigen der Lämmer. ABC, der Heimatsender der Erfolgsserien Lost und Desperate Housewives arbeitet gar an einer Fernsehfassung der Teenie-Historien-Komödie Ritter aus Leidenschaft - was in einem Blog schon als Mischung aus Glee und Game of Thrones belächelt wird. Und der Kabelsender FX will Fargo aus dem Jahr 1996 zur Serie machen - mit den Coen-Brüdern, die damals das Buch schrieben und Regie führten, als Produzenten.
Nach dem großen Erfolg der HBO-Mädchen-Serie Girls im vergangnen Jahr wollen die Konkurrenten schnell nachziehen, wie Mitte Oktober bekannt wurde - mit Serien, die nicht auf Büchern oder Filmen, sondern auf Tumblr-Blogs (nämlich auf F*ck! I"m in My Twenties und auf Hollywood Assistants) beruhen. Bemerkenswert: Beide sind keine Text-Blogs. Der eine sammelt kleine Zeichnungen und gekritzelte Notizen à la 'Manchmal kann ich mein Herz und mein Hirn nicht auseinanderhalten', der andere besteht aus sarkastischen GIF-Animationen über den Arbeitsalltag der Autorin. Es scheint so, als könnte heutzutage aus nahezu jeder Vorlage eine Fernsehserie werden. Wer weiß, vielleicht nutzen Autoren bald sogar wieder die ursprünglichste aller Quellen: die eigene Idee.