Kalif Ibrahim tut, was der Name seiner Terrorgruppe verspricht – er baut einen islamischen Staat. Das „Kalifat“ im Nordirak und im Nordosten Syriens nimmt feste Form an als ebenso archaisches wie modernes Staatswesen: Öffentliche Steinigungen und Enthauptungen gehören im Reich der Islamistenmiliz Islamischer Staat (IS) ebenso dazu wie Sozialfürsorge. Offenbar hat Abu Bakr al-Bagdadi, Kalif und IS-Führer, aber noch weit genauere Vorstellungen. Er scheint eine Elite beinharter Dschihadisten heranzüchten zu wollen für seinen Gottesstaat.
Da sind die Frauen: Der Islamische Staat fordert nicht nur Frauen in den arabischen Staaten und in Europa auf, ins Kalifat zu kommen und den Kämpfern als Bräute des Dschihad Kinder zu schenken. Bei den Attacken auf Dörfer von Schiiten oder religiösen Minderheiten wie den Jesiden wurden gefangene Männer meist getötet, die jüngeren Frauen und die Mädchen aber verschleppt.
Der IS und sein Anführer Abu Bakr al-Bagdadi wollten eine islamistische Elite aufbauen.
Die Prediger der Islamisten sprechen von „Beute“; sie rechtfertigen theologisch, dass die Frauen zu „Sexsklavinnen“ gemacht werden. Jeder Muslim dürfe neben vier Ehefrauen eine unbegrenzte Zahl an Dienerinnen haben. Bisher ist wenig über das Schicksal Hunderter gefangener Jesidinnen bekannt geworden. Angeblich aber wurden sie nach Syrien gebracht oder in irakischen Städten wie Tal Afar auf „Sklavenmärkten“ angeboten, wie Angehörige berichteten.
Hinter der Versklavung dürfte mehr stecken als billiger Sex für die Kämpfer. Die IS-Strategen wissen, dass sie die eroberten Gebiete nur halten können, wenn sie ihre aus aller Welt kommenden Gefolgsleute zum Bleiben animieren. Der Kalif will eine ultraislamistische gesellschaftliche Elite aufbauen. Wohl auch aus diesem Grund werden regelrechte Zeremonien veranstaltet, bei denen ausländische Kämpfer ihre Pässe öffentlich zerreißen und sich zum Kalifat ohne Grenzen bekennen. Ohne Papiere führt für Europäer, Amerikaner, Tschetschenen oder Bürger arabischer Staaten kaum ein Weg zurück in die Heimat. Und wenn doch, werden sie von den Behörden als das erkannt, was sie sind: Drop-outs und Militante.
Ein weiterer Anreiz zum Bleiben ist Familie. Wenn ein Muslim mit einer Sklavin Kinder zeugt, sind sowohl der Sohn als auch die Tochter freie Muslime. Schließlich war einer der Gefährten des Propheten ein Sklave. Zumindest die Söhne der Sklavinnen können in der vom IS zusammenphantasierten Vorbildgesellschaft eine vollwertige Rolle einnehmen.
Überhaupt sind Kinder eine wichtige Zielgruppe: Der ideale Mann wird als erbarmungsloser Kämpfer und von Zweifeln befreiter Fundamentalist geboren, nimmt die absurde Auslegung seiner Religion als gegeben an. Der IS verbreitet Videos, in denen kleine Jungen mit Handgranaten spielen, mit Sturmgewehren schießen, abgeschnittene Köpfe in den Händen halten. Die islamistische Kadererziehung funktioniert wie bei den Nazis die „Aktion Lebensborn“: Geschaffen werden soll der neue Mensch. Und der ist im Kalifat ein radikaler sunnitischer Muslim. „Der IS sieht sich nicht als Terrorgruppe, sondern als souveräner Staat, der seine Bürger erzieht“, so das Institute for the Study of War. „Das Ziel ist die Erziehung der kommenden IS-Generation.“
Der Islamische Staat setzt bei den Jüngsten an: Es gibt „Spaßtage“ mit Karussells, Hüpfburgen und Eiscreme. In den Schulen und Universitäten von Rakka und Mossul sollen Chemie, Philosophie, Musik, Kunst und Sozialwissenschaften gestrichen worden sein. Gelehrt wird ein plumper, militanter Salafisten-Islam: Die Jungen werden Gotteskrieger, die Mädchen folgsame Frauen. Der US-Sender CNN konnte in der Türkei einen 13-Jährigen interviewen. „Meine Freunde und ich wurden in der Moschee unterrichtet. Sie lehrten uns, dass wir uns dem Dschihad anschließen sollten.“ Auf dem Lehrplan stand nach Angaben des Jungen neben Koransuren das Training mit der Kalaschnikow. Die Jungen sahen Enthauptungen und andere Strafen: „Ein junger Mann hatte im Ramadan nicht gefastet. Sie haben ihn drei Tage ans Kreuz gefesselt. Eine Frau wurde wegen Unzucht gesteinigt.“ Der Vater schaffte es, seinen Sohn in die Türkei zu bringen: „Er ist ein Kind. Sie werden ihm einreden, Selbstmordbomber zu werden und ihm irgend etwas vom Paradies erzählen.“
Neben der Erziehung einer neuen Generation widmet sich die IS-Führung den Institutionen. Rund um das nordostsyrische Rakka, das die Militanten „die Braut der Revolution“ nennen, regieren die Radikalen seit weit mehr als einem Jahr. Sie sorgen dafür, dass Strom, Gas und Wasser fließen. Die „Beamten“ des Kalifen garantieren, dass Bäckereien Brot backen, Banken Bargeld haben, Tankstellen Sprit anbieten. Behörden, Gerichte und Schulen funktionieren nach Maßgabe der Kalifats-Ideologie. Ein „Haus der Finanzen“ kümmert sich ums Budget. Es sorgt dafür, dass die Ärmsten der Armen überleben, Witwen und Waise Hilfe bekommen. Die enteigneten Häuser der Christen bekommen verdiente Kämpfer. Selbst eine Kundenschutzbehörde soll es geben, sie geht gegen Preistreiber vor.
„Seien wir ehrlich, sie betreiben eine enorme Aufbauarbeit in den Institutionen“, sagte ein syrischer Aktivist aus Rakka der Nachrichtenagentur Reuters. „Das ist beeindruckend.“ Der Aktivist lebt inzwischen in der Türkei: Für kritische Stimmen ist kein Platz im Kalifat. Zahlreiche Journalisten und Aktivisten wurden ermordet oder verjagt. Ebenso ergeht es Rebellen und Assad-Gegnern, die das radikale Islamverständnis nicht teilen: Wer widerspricht, muss um sein Leben fürchten. Schon das Rauchen einer Zigarette kann zu harten Strafen führen, ebenso das Auslassen eines der fünf täglichen Gebete. Und wer überlaufen will, muss Zeugnis ablegen: Das „Bereuen“ findet beim Freitagsgebet statt.
Der IS ist blutrünstig, aber auch pragmatisch. Früh hat die Miliz Fachleute aufgefordert überzusiedeln. Ein Muslim, der nicht kämpfen könne, solle als Ingenieur oder Arzt am Gottesstaat mitbauen. Ein Tunesier mit Doktortitel ist nun für die Telekommunikation in Rakka verantwortlich. Auch der alten Garde des Assad-Regimes gegenüber zeigt sich das Kalifat offen: Ein Ex-Assad-Mann verwaltet die Mühlen in der Stadt, verantwortet die Mehlproduktion. Die Mannschaft des Mossul-Damms arbeitet ebenfalls weiter: Wer im Assad-Staat die Turbinen und Schleusen bedienen konnte, steuert die Hydroanlagen nun eben fürs Kalifat.
Da sind die Frauen: Der Islamische Staat fordert nicht nur Frauen in den arabischen Staaten und in Europa auf, ins Kalifat zu kommen und den Kämpfern als Bräute des Dschihad Kinder zu schenken. Bei den Attacken auf Dörfer von Schiiten oder religiösen Minderheiten wie den Jesiden wurden gefangene Männer meist getötet, die jüngeren Frauen und die Mädchen aber verschleppt.
Der IS und sein Anführer Abu Bakr al-Bagdadi wollten eine islamistische Elite aufbauen.
Die Prediger der Islamisten sprechen von „Beute“; sie rechtfertigen theologisch, dass die Frauen zu „Sexsklavinnen“ gemacht werden. Jeder Muslim dürfe neben vier Ehefrauen eine unbegrenzte Zahl an Dienerinnen haben. Bisher ist wenig über das Schicksal Hunderter gefangener Jesidinnen bekannt geworden. Angeblich aber wurden sie nach Syrien gebracht oder in irakischen Städten wie Tal Afar auf „Sklavenmärkten“ angeboten, wie Angehörige berichteten.
Hinter der Versklavung dürfte mehr stecken als billiger Sex für die Kämpfer. Die IS-Strategen wissen, dass sie die eroberten Gebiete nur halten können, wenn sie ihre aus aller Welt kommenden Gefolgsleute zum Bleiben animieren. Der Kalif will eine ultraislamistische gesellschaftliche Elite aufbauen. Wohl auch aus diesem Grund werden regelrechte Zeremonien veranstaltet, bei denen ausländische Kämpfer ihre Pässe öffentlich zerreißen und sich zum Kalifat ohne Grenzen bekennen. Ohne Papiere führt für Europäer, Amerikaner, Tschetschenen oder Bürger arabischer Staaten kaum ein Weg zurück in die Heimat. Und wenn doch, werden sie von den Behörden als das erkannt, was sie sind: Drop-outs und Militante.
Ein weiterer Anreiz zum Bleiben ist Familie. Wenn ein Muslim mit einer Sklavin Kinder zeugt, sind sowohl der Sohn als auch die Tochter freie Muslime. Schließlich war einer der Gefährten des Propheten ein Sklave. Zumindest die Söhne der Sklavinnen können in der vom IS zusammenphantasierten Vorbildgesellschaft eine vollwertige Rolle einnehmen.
Überhaupt sind Kinder eine wichtige Zielgruppe: Der ideale Mann wird als erbarmungsloser Kämpfer und von Zweifeln befreiter Fundamentalist geboren, nimmt die absurde Auslegung seiner Religion als gegeben an. Der IS verbreitet Videos, in denen kleine Jungen mit Handgranaten spielen, mit Sturmgewehren schießen, abgeschnittene Köpfe in den Händen halten. Die islamistische Kadererziehung funktioniert wie bei den Nazis die „Aktion Lebensborn“: Geschaffen werden soll der neue Mensch. Und der ist im Kalifat ein radikaler sunnitischer Muslim. „Der IS sieht sich nicht als Terrorgruppe, sondern als souveräner Staat, der seine Bürger erzieht“, so das Institute for the Study of War. „Das Ziel ist die Erziehung der kommenden IS-Generation.“
Der Islamische Staat setzt bei den Jüngsten an: Es gibt „Spaßtage“ mit Karussells, Hüpfburgen und Eiscreme. In den Schulen und Universitäten von Rakka und Mossul sollen Chemie, Philosophie, Musik, Kunst und Sozialwissenschaften gestrichen worden sein. Gelehrt wird ein plumper, militanter Salafisten-Islam: Die Jungen werden Gotteskrieger, die Mädchen folgsame Frauen. Der US-Sender CNN konnte in der Türkei einen 13-Jährigen interviewen. „Meine Freunde und ich wurden in der Moschee unterrichtet. Sie lehrten uns, dass wir uns dem Dschihad anschließen sollten.“ Auf dem Lehrplan stand nach Angaben des Jungen neben Koransuren das Training mit der Kalaschnikow. Die Jungen sahen Enthauptungen und andere Strafen: „Ein junger Mann hatte im Ramadan nicht gefastet. Sie haben ihn drei Tage ans Kreuz gefesselt. Eine Frau wurde wegen Unzucht gesteinigt.“ Der Vater schaffte es, seinen Sohn in die Türkei zu bringen: „Er ist ein Kind. Sie werden ihm einreden, Selbstmordbomber zu werden und ihm irgend etwas vom Paradies erzählen.“
Neben der Erziehung einer neuen Generation widmet sich die IS-Führung den Institutionen. Rund um das nordostsyrische Rakka, das die Militanten „die Braut der Revolution“ nennen, regieren die Radikalen seit weit mehr als einem Jahr. Sie sorgen dafür, dass Strom, Gas und Wasser fließen. Die „Beamten“ des Kalifen garantieren, dass Bäckereien Brot backen, Banken Bargeld haben, Tankstellen Sprit anbieten. Behörden, Gerichte und Schulen funktionieren nach Maßgabe der Kalifats-Ideologie. Ein „Haus der Finanzen“ kümmert sich ums Budget. Es sorgt dafür, dass die Ärmsten der Armen überleben, Witwen und Waise Hilfe bekommen. Die enteigneten Häuser der Christen bekommen verdiente Kämpfer. Selbst eine Kundenschutzbehörde soll es geben, sie geht gegen Preistreiber vor.
„Seien wir ehrlich, sie betreiben eine enorme Aufbauarbeit in den Institutionen“, sagte ein syrischer Aktivist aus Rakka der Nachrichtenagentur Reuters. „Das ist beeindruckend.“ Der Aktivist lebt inzwischen in der Türkei: Für kritische Stimmen ist kein Platz im Kalifat. Zahlreiche Journalisten und Aktivisten wurden ermordet oder verjagt. Ebenso ergeht es Rebellen und Assad-Gegnern, die das radikale Islamverständnis nicht teilen: Wer widerspricht, muss um sein Leben fürchten. Schon das Rauchen einer Zigarette kann zu harten Strafen führen, ebenso das Auslassen eines der fünf täglichen Gebete. Und wer überlaufen will, muss Zeugnis ablegen: Das „Bereuen“ findet beim Freitagsgebet statt.
Der IS ist blutrünstig, aber auch pragmatisch. Früh hat die Miliz Fachleute aufgefordert überzusiedeln. Ein Muslim, der nicht kämpfen könne, solle als Ingenieur oder Arzt am Gottesstaat mitbauen. Ein Tunesier mit Doktortitel ist nun für die Telekommunikation in Rakka verantwortlich. Auch der alten Garde des Assad-Regimes gegenüber zeigt sich das Kalifat offen: Ein Ex-Assad-Mann verwaltet die Mühlen in der Stadt, verantwortet die Mehlproduktion. Die Mannschaft des Mossul-Damms arbeitet ebenfalls weiter: Wer im Assad-Staat die Turbinen und Schleusen bedienen konnte, steuert die Hydroanlagen nun eben fürs Kalifat.