Okay, so läuft das jetzt. Keine Ankündigungen, keine wochenlangen Werbekampagnen, kein Häppchen-Teasing, kein klassisches Labeltrommeln, sondern: raus damit. Die neue U2, „Songs Of Innocence“. Ab sofort, für alle. Als Geschenk von Apple an die Nutzer von iTunes, mehr als 500 Millionen Menschen. Direkt nach der Präsentation des neuen iPhones am Dienstag in Cupertino kam der Auftritt der Band. Konsequenter, auch gigantomanischer hatte es die Musikindustrie noch nicht. Der größte Album-Release der Musikgeschichte.
Bislang hieß der Marketing-Schrittmacher der Branche eigentlich Jay-Z. Seine gemeinsame Platte mit Kanye West, „Watch The Throne“, stellte er im August 2011 mehr oder weniger plötzlich bei iTunes zum Verkauf ein. Zwei Vorab-Singles waren lanciert worden. Aber eben nicht mehr, es gab keine illegalen Leaks. Und Jay-Z blieb – so lange wie es im Zeitalter des File-Sharing bestenfalls noch möglich ist –, Herr der Lage. Noch cleverer war er im vergangenen Jahr. Sein letztes Solo-Album „Magna Carta... Holy Grail“ verkaufte er per Handy-App vorab fünf Millionen Mal an einen Mobiltelefon-Konzern. Der hatte damit ein schönes Geschenk für seine Kunden und prächtige Werbung – und Jay-Z schon eine Menge Geld auf dem Konto und den ersten Platz in den Charts sicher, bevor irgendjemand die Platte regulär kaufen konnte.
Ohne jede Vorankündigung haben U2 ihr neues Album vorgestellt.
Nun also U2 und „Songs Of Innocence“, das erste Studioalbum der Band seit fünf Jahren. Die größte Stadion-Rockband der Gegenwart, im Verein mit dem derzeit einflussreichsten und wertvollsten Unternehmen. Eine Liebesnacht der PR-Elefanten, Jay-Z werden womöglich ein bisschen die Ohren schlackern. Weil es ja immer höher, schneller, weiter gehen muss, weil alles raus muss und zwar schnell, seien es Smartphones oder 13. Studioalben.
Und weil wir hier auch nicht ewig Zeit haben, soll das die Vorrede gewesen sein. Denn was bleibt denn nun, wenn man den Marketing-Wahnsinn aus dem Kopf hat? Was taugt die Musik?
Den zügigen Eröffnungssong „The Miracle (Of Joey Ramone)“ spielte die Band bei der Apple-Konferenz – um den frenetischen Tech-Jüngern eine finale Dosis Euphorie zu verpassen. Weil man ja den ganzen Tag sagen kann, dass man die Welt verändern will, es sich aber doch erst wirklich anfühlt, wenn man dazu auch tanzen kann. Los geht er wie eine große Indiepop-Hymne von Arcade Fire, mit mächtigen Chor-Ohs und Drum-Stick-Klackern, sehr gut. Bonos brachiales Pathos-Organ holt einen dann umgehend zurück, tja, aber so beschleunigt überwiegt die zweifellos besondere Präsenz dieser Stimme. Die breitwandige, aber sehr warm verzerrte Gitarre von The Edge und die angenehm unzackig-rumpeligen Drums lassen das Ganze zudem zeitgemäß minimalistisch klingen. Unüberhörbar, dass hier der Chef-Produzent des Albums, Brian Burton alias Danger Mouse, seine Finger im Spiel hatte. Mit Beck und den Black Keys gelang Burton in den vergangenen Jahren ja so etwas wie die Erneuerung des Bluesrocks und Indiepops aus dem Geist des rollenden Rumpelbeats.
„Every Breaking Wave“ ist danach eine womöglich etwas zu glasig-gesichtslos geratene Synthiepop-Hymne. Das klingt im Grunde wie Coldplay, was etwas irritierend ist, weil Coldplay wiederum ja seit Jahren daran arbeiten, endlich wie U2 zu klingen. Es folgt „California (There Is No End To Love)“ ein zügiges Stück Radio-Rock, dem man auch die eine oder andere Unwucht mehr gewünscht hätte. Am Ende bleibt der Song eher eine Landebahn für eine großzügige Extraportion Bono-Jaulen. Mit „Song For Someone“ ist man danach wieder zurück bei Arcade Fire. Und Bonos Phrasierung zwischendurch fast kontrolliert-zart. Ausgiebig Oooooooh-oooh-oh-oooooohen darf er aber natürlich auch, keine Sorge. Die bonohafte Bonohaftigkeit dieses Bono ist schon verblüffend. Noch mehr Beweise? „Iris (Hold Me Cose)“. Oooooooh-oooh-oh-ooooooh-ooh! Uh.
Bei „Vulcano“ konnte sich Danger Mouse dann wieder hörbar besser durchsetzen. Es beginnt fast zackig-drahtig wie ein Franz-Ferdinand-Song. Handclaps, mal nicht nur flächige, sondern auch perkussive Gitarren-Riffs, Disco-Rock. Und Bono dazu mal nicht theatral-pathetisch, sondern fast theatral-blasiert. Fabelhaft. „Raised By Wolves“ hängt als Neo-Hard-Rock/NuMetal/Stoner-Rock-Power-Ballade danach jedoch ganz seltsam in der Luft. Bonos Stimme ist kaum wiederzuerkennen. Ist er das wirklich? Was ist das hier überhaupt für eine seltsame Pastiche-Testfahrt? Seht her, U2 kann auch eine Hard-Rock/NuMetal/Stoner-Rock-Power-Ballade? Der 8. Song „Cedarwood Road“ ist nach der Straße benannt, in der Bono aufgewachsen ist. Ansonsten bleibt es vorerst bei poliertem Hard-Rock, mäandernde schwere Gitarren, Bono leidend.
„Sleep Like A Baby Tonight“ beginnt danach mit wabernden Synthies und zittrigem Geigenleim als lupenreiner Achtziger-Electro-Pop, worüber sich eine schwer und dumpf immer wieder eine verzerrte Gitarre schiebt. Bono säuselt: „Sleep Like A Baby Tonight“. Unterwältigend.
Mit „This Is Where You Can Reach Me Now“ ist man dann glücklicherweise zurück beim schlanken Post-Punk-Disco-Indie Franz Ferdinands oder der Foals. Es wirkt nicht besonders inspiriert, aber immerhin ungeduldig-federnd. Und damit wie eine gute Vorlage für den Schluss mit „The Troubles“ und der schwedischen Popsängerin Lykke Li, einer ziemlich klassischen dezent-poltrig-elegischen Danger-Mouse-Ballade. Gelungen, aber auch eher unauffällig.
Was also bleibt? Vielleicht vorerst der Eindruck, dass die Band offenbar bereit war, ein bisschen herumzuruckeln an ihrem Sound, am Ende aber wohl doch nicht mutig genug, sich mit Danger Mouse auf ein echtes, organisches Re-modeling einzulassen (wie es ihm etwa auf „Modern Guilt“ mit Beck gelang). Weshalb es dort, wo Ungewohntes probiert wird, eher skizzenhaft bleibt und dort, wo Gewohntes passiert, doch etwas zu gewöhnlich.
Nun ja, aber es scheint am Ende ja ohnehin um noch viel mehr als Pop-Musik zu gehen bei dieser Sache. Im Gespräch mit dem Apple-Chef Tim Cook in Cupertino sagte Bono schließlich diesen Satz: „The question is now, how do we get it to as many people as possible, because that’s what our band is all about. – Alles, worum es in unserer Band geht, ist, dass unsere Musik so viele Menschen wie nur möglich mitbekommen.“ Das dürfte klappen.
Bislang hieß der Marketing-Schrittmacher der Branche eigentlich Jay-Z. Seine gemeinsame Platte mit Kanye West, „Watch The Throne“, stellte er im August 2011 mehr oder weniger plötzlich bei iTunes zum Verkauf ein. Zwei Vorab-Singles waren lanciert worden. Aber eben nicht mehr, es gab keine illegalen Leaks. Und Jay-Z blieb – so lange wie es im Zeitalter des File-Sharing bestenfalls noch möglich ist –, Herr der Lage. Noch cleverer war er im vergangenen Jahr. Sein letztes Solo-Album „Magna Carta... Holy Grail“ verkaufte er per Handy-App vorab fünf Millionen Mal an einen Mobiltelefon-Konzern. Der hatte damit ein schönes Geschenk für seine Kunden und prächtige Werbung – und Jay-Z schon eine Menge Geld auf dem Konto und den ersten Platz in den Charts sicher, bevor irgendjemand die Platte regulär kaufen konnte.
Ohne jede Vorankündigung haben U2 ihr neues Album vorgestellt.
Nun also U2 und „Songs Of Innocence“, das erste Studioalbum der Band seit fünf Jahren. Die größte Stadion-Rockband der Gegenwart, im Verein mit dem derzeit einflussreichsten und wertvollsten Unternehmen. Eine Liebesnacht der PR-Elefanten, Jay-Z werden womöglich ein bisschen die Ohren schlackern. Weil es ja immer höher, schneller, weiter gehen muss, weil alles raus muss und zwar schnell, seien es Smartphones oder 13. Studioalben.
Und weil wir hier auch nicht ewig Zeit haben, soll das die Vorrede gewesen sein. Denn was bleibt denn nun, wenn man den Marketing-Wahnsinn aus dem Kopf hat? Was taugt die Musik?
Den zügigen Eröffnungssong „The Miracle (Of Joey Ramone)“ spielte die Band bei der Apple-Konferenz – um den frenetischen Tech-Jüngern eine finale Dosis Euphorie zu verpassen. Weil man ja den ganzen Tag sagen kann, dass man die Welt verändern will, es sich aber doch erst wirklich anfühlt, wenn man dazu auch tanzen kann. Los geht er wie eine große Indiepop-Hymne von Arcade Fire, mit mächtigen Chor-Ohs und Drum-Stick-Klackern, sehr gut. Bonos brachiales Pathos-Organ holt einen dann umgehend zurück, tja, aber so beschleunigt überwiegt die zweifellos besondere Präsenz dieser Stimme. Die breitwandige, aber sehr warm verzerrte Gitarre von The Edge und die angenehm unzackig-rumpeligen Drums lassen das Ganze zudem zeitgemäß minimalistisch klingen. Unüberhörbar, dass hier der Chef-Produzent des Albums, Brian Burton alias Danger Mouse, seine Finger im Spiel hatte. Mit Beck und den Black Keys gelang Burton in den vergangenen Jahren ja so etwas wie die Erneuerung des Bluesrocks und Indiepops aus dem Geist des rollenden Rumpelbeats.
„Every Breaking Wave“ ist danach eine womöglich etwas zu glasig-gesichtslos geratene Synthiepop-Hymne. Das klingt im Grunde wie Coldplay, was etwas irritierend ist, weil Coldplay wiederum ja seit Jahren daran arbeiten, endlich wie U2 zu klingen. Es folgt „California (There Is No End To Love)“ ein zügiges Stück Radio-Rock, dem man auch die eine oder andere Unwucht mehr gewünscht hätte. Am Ende bleibt der Song eher eine Landebahn für eine großzügige Extraportion Bono-Jaulen. Mit „Song For Someone“ ist man danach wieder zurück bei Arcade Fire. Und Bonos Phrasierung zwischendurch fast kontrolliert-zart. Ausgiebig Oooooooh-oooh-oh-oooooohen darf er aber natürlich auch, keine Sorge. Die bonohafte Bonohaftigkeit dieses Bono ist schon verblüffend. Noch mehr Beweise? „Iris (Hold Me Cose)“. Oooooooh-oooh-oh-ooooooh-ooh! Uh.
Bei „Vulcano“ konnte sich Danger Mouse dann wieder hörbar besser durchsetzen. Es beginnt fast zackig-drahtig wie ein Franz-Ferdinand-Song. Handclaps, mal nicht nur flächige, sondern auch perkussive Gitarren-Riffs, Disco-Rock. Und Bono dazu mal nicht theatral-pathetisch, sondern fast theatral-blasiert. Fabelhaft. „Raised By Wolves“ hängt als Neo-Hard-Rock/NuMetal/Stoner-Rock-Power-Ballade danach jedoch ganz seltsam in der Luft. Bonos Stimme ist kaum wiederzuerkennen. Ist er das wirklich? Was ist das hier überhaupt für eine seltsame Pastiche-Testfahrt? Seht her, U2 kann auch eine Hard-Rock/NuMetal/Stoner-Rock-Power-Ballade? Der 8. Song „Cedarwood Road“ ist nach der Straße benannt, in der Bono aufgewachsen ist. Ansonsten bleibt es vorerst bei poliertem Hard-Rock, mäandernde schwere Gitarren, Bono leidend.
„Sleep Like A Baby Tonight“ beginnt danach mit wabernden Synthies und zittrigem Geigenleim als lupenreiner Achtziger-Electro-Pop, worüber sich eine schwer und dumpf immer wieder eine verzerrte Gitarre schiebt. Bono säuselt: „Sleep Like A Baby Tonight“. Unterwältigend.
Mit „This Is Where You Can Reach Me Now“ ist man dann glücklicherweise zurück beim schlanken Post-Punk-Disco-Indie Franz Ferdinands oder der Foals. Es wirkt nicht besonders inspiriert, aber immerhin ungeduldig-federnd. Und damit wie eine gute Vorlage für den Schluss mit „The Troubles“ und der schwedischen Popsängerin Lykke Li, einer ziemlich klassischen dezent-poltrig-elegischen Danger-Mouse-Ballade. Gelungen, aber auch eher unauffällig.
Was also bleibt? Vielleicht vorerst der Eindruck, dass die Band offenbar bereit war, ein bisschen herumzuruckeln an ihrem Sound, am Ende aber wohl doch nicht mutig genug, sich mit Danger Mouse auf ein echtes, organisches Re-modeling einzulassen (wie es ihm etwa auf „Modern Guilt“ mit Beck gelang). Weshalb es dort, wo Ungewohntes probiert wird, eher skizzenhaft bleibt und dort, wo Gewohntes passiert, doch etwas zu gewöhnlich.
Nun ja, aber es scheint am Ende ja ohnehin um noch viel mehr als Pop-Musik zu gehen bei dieser Sache. Im Gespräch mit dem Apple-Chef Tim Cook in Cupertino sagte Bono schließlich diesen Satz: „The question is now, how do we get it to as many people as possible, because that’s what our band is all about. – Alles, worum es in unserer Band geht, ist, dass unsere Musik so viele Menschen wie nur möglich mitbekommen.“ Das dürfte klappen.