Wenn man sich Bücher anschaut, die gerade versuchen, unsere Gegenwart zeitdiagnostisch zu behandeln, stellt man fest: Zeitdiagnose ohne Technologiekritik gibt es nicht. Dass es bei der Selbstverortung (und -vergewisserung) von Gegenwarten auch um Technologie geht, ist nicht neu. Seit der Wende zum 20. Jahrhundert bis in die Sechzigerjahre hinein funktionierten die Zeitdiagnosen genauso.
Doch etwas ist nun anders. Denn die Gegenwart, die nun zur Untersuchung ansteht, wird betrachtet als eine, die schon ein Jahrhundert lang Erfahrung mit maschineller Aufrüstung und Digitalisierung gemacht hat. Und anders als früher versteht sich unsere Gegenwart nur noch selten als von Technologie unterstützt und Richtung Zukunft befördert. Die heutige Gegenwart fühlt sich allzu oft von der Technologie überfordert, geschreddert und in Einzelteilen zerstreut. Eines der besseren Bücher, das diesem dystopischen Denken beikommen will, ist Douglas Rushkoffs „Present Shock. Wenn alles jetzt passiert“ (Aus dem Amerikanischen von Gesine Schröder und Andy Hahnemann. Orange Press, 2014, 288 Seiten, 24 Euro).
Gehört die Zukunft technischen Neuerungen wie der Datenbrille?
Rushkoff argumentiert anders als Evgeny Morozov. Dieser hatte im letzten Jahr mit „To Save Everything, Click Here“ den irrigen Lösungswahn durch Technik angeprangert und festgestellt, dass „das Digitale Zeitalter glaubt, alles – von Verbrechen über Umweltverschmutzung bis zum Übergewicht – in den Griff kriegen zu können, indem man es quantifiziert oder gamifziert“, also glaubt, komplexen Problemen mit Highscores, Ranglisten, Fortschrittsbalken, Belohnung durch Erfahrungspunkte und willkürlichen Normwerten begegnen zu können. Morozovs Kritik attackiert diese fatale Vereinfachungs-Metaphorik, zu der das Digitale verleitet: die Idee der Berechenbarkeit und rückstandlosen Effizienz, die sich in Nullen und Einsen auflösen lässt.
Rushkoff, dessen Buchtitel sich von Alvin Tofflers spätmodernem „Future Shock“ aus dem Jahr 1970 ableitet, beobachtet – wie Toffler selbst – dagegen die Wirkungen von Technologie auf diejenigen, die sie benutzen, beziehungsweise: die von ihr benutzt werden. Das sieht zwar bei diesen beiden Autoren gar nicht gut aus für uns – analysiert werden aber zwei völlig unterschiedliche Befunde.
Toffler beschreibt die „persönliche Wahrnehmung, dass sich viel zu viel Wandel in viel zu kurzer Zeit ereignet“, dass also unsere Gegenwart schon so sehr von Zukunft durchtränkt ist, dass wir Gegenwärtigen davon völlig überfordert seien. Rushkoff argumentiert aus der Distanz von über vierzig Jahren viel lakonischer, dass die Zukunft keine Rolle mehr spiele, weil wir sie vor lauter Gegenwart gar nicht mehr bemerken könnten.
Zukunft war ja immer der nächste Schritt, der sich plausibel aus dem letzten ableitet. Für Rushkoff gibt es dagegen nur den rasenden Stillstand einer Gegenwart, in der wir zwar vielfältige Aufgaben abarbeiten, mit deren Erledigung wir jedoch wie Stepptänzer keinen Schritt vorwärts kommen. Eigentlich ist das eine Hysterie-Diagnose: Viel Aufwand, viel Delirium ohne, dass sich daraus eine gerichtete Bewegung ergäbe.
Während also Toffler warnte, dass wir für soviel Fortschritt noch gar nicht bereit seien, stellt Rushkoff klar, dass wir Überblick, Ordnung und Glauben längst verloren hätten und es keine Fortschrittsempfindung mehr gebe, die unsere Erfahrung bündelt und ausrichtet. Denn nichts überdauert den Augenblick, unsere Aufmerksamkeit rast weiter.
Davon nimmt er nicht einmal die Wahrnehmung seines eigenen Buches aus. „Die meisten potenziellen Leser werden in der Lektüre nicht besonders weit kommen, soviel ist sicher. Sie werden einen Auszug auf boingboing.net lesen, ein Interview auf shareable.net, die Rezension in der Times. Sie werden die Hauptaussage des Textes zur Kenntnis nehmen und weiterziehen. Wieso nur schreibt man eine Oper, wenn die Leute nur Dreieinhalb-Minuten-Songs hören wollen?“
Denn, so seine Befürchtung, die Digitalisierung habe mit ihrer Diktatur des schweifenden „Jetzt“ einen Gegenwartsschock bewirkt: den Kollaps aller Kontinuen. Da wir die Technologien mit ihrer falschen Echtzeit nicht verstanden haben, ist Rushkoff nicht nur davon beunruhigt, was sie mit (und aus) uns machen, sondern auch davon, was Menschen damit einander anzutun bereit sind, wie sie also diese Technologien gegeneinander benutzen.
Rushkoffs radikale Technologiekritik wirkt wie ein negativer Reflex auf die über 100 Jahre alte Maschinen-Ideologie des amerikanischen Liberalismus, die ab dem Beginn des 20. Jahrhunderts Einfluss hatte auf die US-Politik und ihre Präsidenten.
Wenn man Technologie begreift als die systematische Anwendung von Naturgesetzen auf die Natur mithilfe von Geräten und Maschinen, fällt natürlich die Nähe von Wissenschaft und Technik auf: Technologie ist angewandte Wissenschaft zur Weltveränderung. In dem Sinn hat schon Francis Bacon im Jahr 1627 seinen utopischen Roman „Nova Atlantis“ verfasst, der von einer imaginären Insel handelt, auf der Erfindergeist und Technologie gefördert werden.
Mit dem 19. Jahrhundert und der Industrialisierung geschieht das, was Reinhart Koselleck die „Verzeitlichung“ der Technik genannt hat: Geschichtsdenken und utopisches Denken vereinen sich. Utopia ist seitdem kein ferner (also räumlich entfernter) Ort mehr, sondern eine zukünftige (also in der Zeit vor uns liegende) Epoche. Dieses Verständnis von Technologie schafft erst die Vorstellung von Fortschritt.
Es ist die zwanzig Jahre alte Arbeit von John M. Jordan, die den massiven Einfluss dieser „Maschinen-Zeitalter Ideologie“, so der Titel seines einflussreichen Buches aus dem Jahr 1994, auf die amerikanische Politik und Gesellschaft ab dem 20. Jahrhundert untersucht hat. Tatsächlich ist darin ab etwa 1910 der Anspruch formuliert, Gesellschaften wie Industrien rational steuern zu können. Es entsteht dafür der Begriff „Social Engineering“, der das Maschinelle wörtlich auf das Soziale anwendet.
Charles P. Steinmetz, ein Ingenieur von General Electric, behauptete 1916 in seinem Buch „America and the New Epoch“: „Alles, was getan werden muss, ist, die Methoden der ökonomischen Effizienz von der industriellen Fabrik auf den ganzen nationalen Organismus zu übertragen.“ Louis Brandeis, Richter am Obersten Gerichtshof der USA und ein Beförderer von Reformgesetzen, sprach vom „wissenschaftlichen Management“, dessen die Gesellschaft bedürfe und glaubte, dass „Effizienz die Hoffnung für die Demokratie“ sei.
In einem 1913 erschienen Artikel im Magazin System nannte man Teddy Roosevelt wegen seiner technologisch orientierten Politik „the most efficient human machine of our time“. Denn nur die technische Intelligenz, so der Soziologe Thorstein Veblen im Jahr 1921, denke in Kategorien maximaler Effizienz – anders als die am Profit orientierten Manager und die von Wahlen abhängigen Politiker.
Der Ingenieur Frederick W. Taylor, der Namensgeber für den Taylorismus, eine Methode zur industriellen Produktivitätssteigerung, bei der jeder Fertigungsschritt exakt vermessen wird, war der Überzeugung, dass es diesen „one best way“, diesen einen besten Weg, für jede menschliche Handlung gebe. Wie Jordan nachgewiesen hat, etablierte sich während der Weltwirtschaftskrise in der amerikanischen Politik ein einflussreiches „Technocracy Movement“, eine Gruppe von Reformern, deren Impulse von den Sozialingenieuren des New Deal übernommen wurden.
Tatsächlich muss man feststellen, dass dieses Maschinenzeitalter tatsächlich gewaltige Fortschritte mit sich brachte – und das in einer Ära, die von zwei Weltkriegen geprägt war. Was also ist es, das uns heute die Informations-Technologie so ganz anders erleben lässt?
Zum einen: Gewöhnung. Es ist etwas anderes eine maschinelle Revolution im Aufbruch zu erleben, als sie seit mehr als hundert Jahren in ungezählten Entwicklungsstadien zu kennen. Technologie heute ist Alltag. Sie ist nichts Besonderes mehr. Vor hundert Jahren war sie Innovation. Zum anderen: Erfahrung. Nach mehr als hundert Jahren technologischer Entwicklung weiß man auch, was alles schief lief. Atomkraftwerke explodierten, Raumschiffe fielen vom Himmel, Umwelten wurden zerstört, Tiere ausgerottet. Und unsere Gesellschaften sind durch Technik auch nicht zu wesentlich besseren geworden.
Der gewaltigste Unterschied zwischen Maschinen- und Informationszeitalter aber ist: Geräte kann man benutzen, Information sind wir selber. Das macht Maschinen, die mit und an Information arbeiten unbehaglich. Sie sind „näher“ an uns dran als Schaufelbagger. Da sie aber noch viel schneller, viel tiefer, viel gründlicher mit Informationen umgehen können als wir, fühlen wir uns ihnen zu Recht unterlegen. Gegen Wissensmaschinen helfen keine Schutzhelme.
Und so fürchtet Rushkoff den „unfriendly takeover“ durch die digitale Apparatur: „Da Technik und Infosphäre immer komplexer werden und unsere Prozessoren immer schneller und vernetzter, entsteht irgendwann ein unabhängiges System, das einer höheren Ordnung angehört als wir selbst. Ob dieses System die Menschheit als virtuelles Programm mitlaufen lässt, ist ungewiss; aber die Codes, die dafür nötig sind, werden ihm zur Verfügung stehen.“ Wer weiß, vielleicht entpuppt sich diese höhere Digital-Ordnung ja auch als der „one best way“, von dem Taylor schwärmte. Aber das kann uns als dann überholtem Modell ja auch wieder völlig gleichgültig sein.
Doch etwas ist nun anders. Denn die Gegenwart, die nun zur Untersuchung ansteht, wird betrachtet als eine, die schon ein Jahrhundert lang Erfahrung mit maschineller Aufrüstung und Digitalisierung gemacht hat. Und anders als früher versteht sich unsere Gegenwart nur noch selten als von Technologie unterstützt und Richtung Zukunft befördert. Die heutige Gegenwart fühlt sich allzu oft von der Technologie überfordert, geschreddert und in Einzelteilen zerstreut. Eines der besseren Bücher, das diesem dystopischen Denken beikommen will, ist Douglas Rushkoffs „Present Shock. Wenn alles jetzt passiert“ (Aus dem Amerikanischen von Gesine Schröder und Andy Hahnemann. Orange Press, 2014, 288 Seiten, 24 Euro).
Gehört die Zukunft technischen Neuerungen wie der Datenbrille?
Rushkoff argumentiert anders als Evgeny Morozov. Dieser hatte im letzten Jahr mit „To Save Everything, Click Here“ den irrigen Lösungswahn durch Technik angeprangert und festgestellt, dass „das Digitale Zeitalter glaubt, alles – von Verbrechen über Umweltverschmutzung bis zum Übergewicht – in den Griff kriegen zu können, indem man es quantifiziert oder gamifziert“, also glaubt, komplexen Problemen mit Highscores, Ranglisten, Fortschrittsbalken, Belohnung durch Erfahrungspunkte und willkürlichen Normwerten begegnen zu können. Morozovs Kritik attackiert diese fatale Vereinfachungs-Metaphorik, zu der das Digitale verleitet: die Idee der Berechenbarkeit und rückstandlosen Effizienz, die sich in Nullen und Einsen auflösen lässt.
Rushkoff, dessen Buchtitel sich von Alvin Tofflers spätmodernem „Future Shock“ aus dem Jahr 1970 ableitet, beobachtet – wie Toffler selbst – dagegen die Wirkungen von Technologie auf diejenigen, die sie benutzen, beziehungsweise: die von ihr benutzt werden. Das sieht zwar bei diesen beiden Autoren gar nicht gut aus für uns – analysiert werden aber zwei völlig unterschiedliche Befunde.
Toffler beschreibt die „persönliche Wahrnehmung, dass sich viel zu viel Wandel in viel zu kurzer Zeit ereignet“, dass also unsere Gegenwart schon so sehr von Zukunft durchtränkt ist, dass wir Gegenwärtigen davon völlig überfordert seien. Rushkoff argumentiert aus der Distanz von über vierzig Jahren viel lakonischer, dass die Zukunft keine Rolle mehr spiele, weil wir sie vor lauter Gegenwart gar nicht mehr bemerken könnten.
Zukunft war ja immer der nächste Schritt, der sich plausibel aus dem letzten ableitet. Für Rushkoff gibt es dagegen nur den rasenden Stillstand einer Gegenwart, in der wir zwar vielfältige Aufgaben abarbeiten, mit deren Erledigung wir jedoch wie Stepptänzer keinen Schritt vorwärts kommen. Eigentlich ist das eine Hysterie-Diagnose: Viel Aufwand, viel Delirium ohne, dass sich daraus eine gerichtete Bewegung ergäbe.
Während also Toffler warnte, dass wir für soviel Fortschritt noch gar nicht bereit seien, stellt Rushkoff klar, dass wir Überblick, Ordnung und Glauben längst verloren hätten und es keine Fortschrittsempfindung mehr gebe, die unsere Erfahrung bündelt und ausrichtet. Denn nichts überdauert den Augenblick, unsere Aufmerksamkeit rast weiter.
Davon nimmt er nicht einmal die Wahrnehmung seines eigenen Buches aus. „Die meisten potenziellen Leser werden in der Lektüre nicht besonders weit kommen, soviel ist sicher. Sie werden einen Auszug auf boingboing.net lesen, ein Interview auf shareable.net, die Rezension in der Times. Sie werden die Hauptaussage des Textes zur Kenntnis nehmen und weiterziehen. Wieso nur schreibt man eine Oper, wenn die Leute nur Dreieinhalb-Minuten-Songs hören wollen?“
Denn, so seine Befürchtung, die Digitalisierung habe mit ihrer Diktatur des schweifenden „Jetzt“ einen Gegenwartsschock bewirkt: den Kollaps aller Kontinuen. Da wir die Technologien mit ihrer falschen Echtzeit nicht verstanden haben, ist Rushkoff nicht nur davon beunruhigt, was sie mit (und aus) uns machen, sondern auch davon, was Menschen damit einander anzutun bereit sind, wie sie also diese Technologien gegeneinander benutzen.
Rushkoffs radikale Technologiekritik wirkt wie ein negativer Reflex auf die über 100 Jahre alte Maschinen-Ideologie des amerikanischen Liberalismus, die ab dem Beginn des 20. Jahrhunderts Einfluss hatte auf die US-Politik und ihre Präsidenten.
Wenn man Technologie begreift als die systematische Anwendung von Naturgesetzen auf die Natur mithilfe von Geräten und Maschinen, fällt natürlich die Nähe von Wissenschaft und Technik auf: Technologie ist angewandte Wissenschaft zur Weltveränderung. In dem Sinn hat schon Francis Bacon im Jahr 1627 seinen utopischen Roman „Nova Atlantis“ verfasst, der von einer imaginären Insel handelt, auf der Erfindergeist und Technologie gefördert werden.
Mit dem 19. Jahrhundert und der Industrialisierung geschieht das, was Reinhart Koselleck die „Verzeitlichung“ der Technik genannt hat: Geschichtsdenken und utopisches Denken vereinen sich. Utopia ist seitdem kein ferner (also räumlich entfernter) Ort mehr, sondern eine zukünftige (also in der Zeit vor uns liegende) Epoche. Dieses Verständnis von Technologie schafft erst die Vorstellung von Fortschritt.
Es ist die zwanzig Jahre alte Arbeit von John M. Jordan, die den massiven Einfluss dieser „Maschinen-Zeitalter Ideologie“, so der Titel seines einflussreichen Buches aus dem Jahr 1994, auf die amerikanische Politik und Gesellschaft ab dem 20. Jahrhundert untersucht hat. Tatsächlich ist darin ab etwa 1910 der Anspruch formuliert, Gesellschaften wie Industrien rational steuern zu können. Es entsteht dafür der Begriff „Social Engineering“, der das Maschinelle wörtlich auf das Soziale anwendet.
Charles P. Steinmetz, ein Ingenieur von General Electric, behauptete 1916 in seinem Buch „America and the New Epoch“: „Alles, was getan werden muss, ist, die Methoden der ökonomischen Effizienz von der industriellen Fabrik auf den ganzen nationalen Organismus zu übertragen.“ Louis Brandeis, Richter am Obersten Gerichtshof der USA und ein Beförderer von Reformgesetzen, sprach vom „wissenschaftlichen Management“, dessen die Gesellschaft bedürfe und glaubte, dass „Effizienz die Hoffnung für die Demokratie“ sei.
In einem 1913 erschienen Artikel im Magazin System nannte man Teddy Roosevelt wegen seiner technologisch orientierten Politik „the most efficient human machine of our time“. Denn nur die technische Intelligenz, so der Soziologe Thorstein Veblen im Jahr 1921, denke in Kategorien maximaler Effizienz – anders als die am Profit orientierten Manager und die von Wahlen abhängigen Politiker.
Der Ingenieur Frederick W. Taylor, der Namensgeber für den Taylorismus, eine Methode zur industriellen Produktivitätssteigerung, bei der jeder Fertigungsschritt exakt vermessen wird, war der Überzeugung, dass es diesen „one best way“, diesen einen besten Weg, für jede menschliche Handlung gebe. Wie Jordan nachgewiesen hat, etablierte sich während der Weltwirtschaftskrise in der amerikanischen Politik ein einflussreiches „Technocracy Movement“, eine Gruppe von Reformern, deren Impulse von den Sozialingenieuren des New Deal übernommen wurden.
Tatsächlich muss man feststellen, dass dieses Maschinenzeitalter tatsächlich gewaltige Fortschritte mit sich brachte – und das in einer Ära, die von zwei Weltkriegen geprägt war. Was also ist es, das uns heute die Informations-Technologie so ganz anders erleben lässt?
Zum einen: Gewöhnung. Es ist etwas anderes eine maschinelle Revolution im Aufbruch zu erleben, als sie seit mehr als hundert Jahren in ungezählten Entwicklungsstadien zu kennen. Technologie heute ist Alltag. Sie ist nichts Besonderes mehr. Vor hundert Jahren war sie Innovation. Zum anderen: Erfahrung. Nach mehr als hundert Jahren technologischer Entwicklung weiß man auch, was alles schief lief. Atomkraftwerke explodierten, Raumschiffe fielen vom Himmel, Umwelten wurden zerstört, Tiere ausgerottet. Und unsere Gesellschaften sind durch Technik auch nicht zu wesentlich besseren geworden.
Der gewaltigste Unterschied zwischen Maschinen- und Informationszeitalter aber ist: Geräte kann man benutzen, Information sind wir selber. Das macht Maschinen, die mit und an Information arbeiten unbehaglich. Sie sind „näher“ an uns dran als Schaufelbagger. Da sie aber noch viel schneller, viel tiefer, viel gründlicher mit Informationen umgehen können als wir, fühlen wir uns ihnen zu Recht unterlegen. Gegen Wissensmaschinen helfen keine Schutzhelme.
Und so fürchtet Rushkoff den „unfriendly takeover“ durch die digitale Apparatur: „Da Technik und Infosphäre immer komplexer werden und unsere Prozessoren immer schneller und vernetzter, entsteht irgendwann ein unabhängiges System, das einer höheren Ordnung angehört als wir selbst. Ob dieses System die Menschheit als virtuelles Programm mitlaufen lässt, ist ungewiss; aber die Codes, die dafür nötig sind, werden ihm zur Verfügung stehen.“ Wer weiß, vielleicht entpuppt sich diese höhere Digital-Ordnung ja auch als der „one best way“, von dem Taylor schwärmte. Aber das kann uns als dann überholtem Modell ja auch wieder völlig gleichgültig sein.