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Ein Mörder will nicht mehr

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Es gibt Entscheidungen der Justiz, die Unwohlsein hervorrufen. Dass der belgische Sexualstraftäter Frank Van den Bleeken nun Sterbehilfe erhalten soll, weil er es nicht mehr aushält im Gefängnis, das ist so eine Entscheidung.

In Deutschland, wo ein Gesetz vorbereitet wird, das Sterbehilfe einschränken soll, sehen manche darin einen weiteren Beweis für die Probleme einer allzu liberalen Regelung. In Belgien hingegen stehen nun die Zustände in den Gefängnissen und damit die Politiker in der Kritik.



Was tun wenn ein Sexualstraftäter sterben will?

Van den Bleeken, 50, hat mehrere Frauen vergewaltigt, eine von ihnen 1989 gar ermordet, es war die jüngste Tochter einer Familie, die diesen Verlust nie verkraftet hat. Der Täter sitzt seit mehr als 20 Jahren im Gefängnis, aber nicht als normaler Häftling. Er wurde für unzurechnungsfähig erklärt und auf unbestimmte Zeit „interniert“, was ungefähr der deutschen Sicherungsverwahrung entspricht. Sinn der Maßnahme ist es, die Gesellschaft vor dem Mann zu schützen, ihn aber auch zu therapieren. Das ist, mit einer kurzen Ausnahme, in all den Jahren nicht geschehen.

In einer TV-Dokumentation sagte Van den Bleeken, dass er sich von seinen sexuellen Wahnvorstellungen nicht lösen könne, dass er noch immer eine „Gefahr für die Gesellschaft“ darstelle. Aber ohne Behandlung halte er sein Leben nicht mehr aus. 2010 hatte er den Antrag gestellt, aktive Sterbehilfe in Anspruch nehmen zu dürfen. Er wurde abgewiesen, es seien nicht alle Möglichkeiten ausgeschöpft. Nun hat ein Gericht seinem Wunsch stattgegeben, und sein Anwalt hat mit der Justiz ausgehandelt, dass ihn ein Arzt bald in einem Krankenhaus in den Tod schicken darf.

Drei Psychiater hatten bescheinigt, dass Van den Bleeken „unerträglich leidet“, wie es das Gesetz zur Bedingung für Sterbehilfe macht. Dieses „Euthanasie“-Gesetz ist sehr liberal. Wie in den Niederlanden erlaubt es seit 2002 das Töten auf Verlangen, wenn Patienten unerträglich an einer tödlich verlaufenden Krankheit leiden. Voraussetzung sind mehrere Gutachten, hinterher wird jeder Fall von einer Ethik-Kommission beurteilt. Inzwischen sind auch psychische Gründe zulässig (etwa 50 von 1430 Fällen im Jahr 2012), und im Februar stimmte das Parlament zudem einer Ausweitung auf Minderjährige ohne Altersbegrenzung zu.

Es ging also alles nach Recht und Gesetz zu. Ingrid Van Daele, Sprecherin von Justizministerin Maggie De Block, sagt, sie verstehe die Aufregung nicht: „Es ist nicht so, dass die Ministerin über Leben und Tod entscheidet. Das sind die Ärzte.“ Die Ministerin habe nur beurteilen müssen, ob der Häftling gefahrlos in das Krankenhaus gebracht werden kann. In eine niederländische Einrichtung, die auf Fälle wie Van den Bleeken spezialisiert ist, dürfe man ihn nicht bringen, weil es keinen entsprechenden Vertrag zwischen beiden Ländern gebe, und in das neue Forensisch-Psychiatrische Zentrum, das demnächst in Gent eröffnet werden solle, habe der Internierte nicht gehen wollen.

Bleibt der letzte Ausweg Sterbehilfe? In den belgischen Medien ist von einer Todesstrafe durch die Hintertür die Rede. Sie könne gut verstehen, sagt die Juristin Evelien Delbeke von der Universität Antwerpen, dass im Ausland nun wieder von der „schiefen Ebene“ gesprochen werde, auf der man lande, wenn man so großzügige Euthanasie-Regelungen habe wie in Belgien. Eigentlich findet sie die Regelungen gut, wie im Übrigen laut Umfragen mehr als drei Viertel der Bevölkerung. Aber man müsse klar unterscheiden: „Leidet Van den Bleeken wirklich unerträglich an seiner unheilbaren Krankheit, oder ist er Opfer der Tatsache, dass es im Gefängnis keine Behandlung für ihn gibt? Wohl Letzteres, und dann ist Euthanasie das Falsche. Dann ist es kein medizinisches, sondern ein gesellschaftliches Problem, und die Regierung muss etwas tun.“
Selbst Wim Distelmans, Palliativmediziner und eine der treibenden Kräfte hinter der Liberalisierung der Sterbehilfe, sagt, er wolle „das Versagen der Gesellschaft nicht mit Euthanasie heilen“ – wohl auch, weil er weiß, dass Fälle wie dieser die Praxis in seinem Land in Verruf bringen. Er selbst hatte es abgelehnt, Van den Bleeken Sterbehilfe zu gewähren.

Belgien hat offensichtlich ein Problem mit der Betreuung psychisch kranker Straftäter. Mehr als 1100 von ihnen sitzen in Haftanstalten, viele werden nicht therapiert. Es herrschten „Zustände wie im Mittelalter“, sagt der Genter Richter Henri Heimans. Manche lägen wochenlang in Verliesen, andere hätten Wunden, weil sie festgebunden würden, wieder andere würden schwer bestraft wegen eines Verhaltens, das Folge ihrer Krankheit sei. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat das Land in jüngster Zeit zweimal wegen einschlägiger Beschwerden verurteilt. In den Fällen Claes gegen Belgien (2013) und Lancaster gegen Belgien (2014) ging es jeweils um psychisch kranke Langzeit-Häftlinge, die sich über fehlende Therapien beklagten. Das Gericht stellte eine Verletzung von Artikel 3 der Europäischen Menschenrechtskonvention fest, der unmenschliche Strafe oder Behandlung verbietet, und erkannte ein „strukturelles Problem“: Weil es insgesamt zu wenig psychiatrische Therapieplätze gebe, könnten psychisch Kranke in Gefängnissen nicht angemessen betreut werden. Zwei ähnliche Klagen sind noch nicht entschieden.

Belgiens Politik weiß um die Missstände. Der Sozialist Bert Anciaux, der auch die Ausweitung der Sterbehilfe auf Minderjährige vorantrieb, legte im Frühjahr einen Gesetzentwurf vor, demzufolge psychisch kranke Inhaftierte künftig angemessen betreut werden sollen. Er wurde einstimmig angenommen und soll 2016 in Kraft treten. Der Bau weiterer forensisch-psychiatrischer Zentren ist in Planung. Richter Heimans warnt jedoch: Man werde jetzt Gebäude haben, aber kein Geld für die Betreuung der Insassen. Es drohe ein „Ghetto für Gestörte“.


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