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Lasst Gras wachsen

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Wäre da nicht dieser grüne Stern, diskret platziert im Eingangsbereich eines Wohnhauses an der Carrer de Miquel Angel von Barcelona, man würde nichts ahnen. Doch dieses saftige Grün passt schon ganz gut zur süßlichen Schwade, die einem gleich entgegenwehen wird. Eine Gegensprechanlage mit Videokamera filtert die Gäste. „Ja, was willst du?“ Dann öffnet sich die Tür zu einem hübschen Vorraum mit Pflanzen, wie man ihn von Wellness-Centern kennt, dann noch eine Tür zu einem Gang mit Buddha-Statuen und spärlich bestückten Bücherregalen, dann gleich noch eine Tür. Als wären es Schleusen zum Glück. Man kann nicht behaupten, La Maca sei ein extrovertierter Ort. Man muss den Laden kennen, muss da rein wollen, rein in den Rausch. Und das wollen viele, jeden Tag.




La Maca ist einer der ältesten Cannabis Clubs Barcelonas, 700 aktive Mitglieder. Und alt ist hier immer noch sehr jung: Gegründet wurde der Club 2007, zu einer Zeit, als es in Katalonien erst ein halbes Dutzend legale und private Vereine gab, die das Marihuana selber produzieren und ihren Mitgliedern zum Konsum in ihren Lokalen anbieten. Ganz so, wie es ein altes spanisches Gesetz erlaubt. Nun gibt es allein in der Gegend rund um Barcelona plötzlich 400 Clubs mit 165 000 Mitgliedern. Aus dem Boden geschossen, über Nacht gewissermaßen. Große Clubs mit ausgewachsenen Kulturprogrammen, solche mit Liveübertragungen von Fußballspielen, andere mit schönen Designer-Lounges, Restaurants und Chill-Räumen im Bali-Style, solche mit einer medizinisch therapeutischen Abteilung. Jede Nische ist bedient. High Barcelona! Es soll auch einen kleinen Cannabis-Club geben, der von fünf Frauen über 80 geführt wird.

„Das neue Amsterdam“ wird Barcelona inzwischen genannt oder „Amsterdam mit Sonne“ und „Amsterdam am Mittelmeer“. Der Vergleich mit den Coffeeshops hinkt zwar, zumal juristisch. Doch die Breite des Phänomens ist ähnlich massiv. Es schuf Tausende Jobs, linderte so manche Not in der großen spanischen Wirtschaftskrise.

Alles ist in Slow Motion

Es ist 18 Uhr, ein Montag. La Maca ist gut besucht, man ist mit sich und mit dem Gesetz im Reinen. Im Raucherraum, einem Lokal mit abgewetzten Ledersofas und einer Playstation auf Großbildschirm, hängen zwei Dutzend junge Männer aus allen Schichten. Sie lachen, dösen, drehen Joints, gamen. „Ken“ misst sich gerade mit „Riu“ in einem Kung-Fu-Spiel. Man kennt sich gut, wie in einer großen WG. „Hola, qué tal?“ Hallo, wie geht’s. Manche tragen Sonnenbrillen, obwohl hier kein Sonnenstrahl die Rauchwolke bricht, und sinken immer tiefer in die Sofas. Alles in Slowmotion, das Reden, der Lidschlag der Herrschaften ohne Sonnenbrille. Schon mit Passivrauchen ist man da schnell ein bisschen berauscht, obschon sich La Maca etwas einbildet auf diese großen Ventilationsrohre aus Aluminium an der Decke, die den Rauch ganz abführen sollen.

„Riechst du etwa was?“, fragt Andrés, ein mexikanischer Mitarbeiter des Clubs, „ist doch wie in einer Bar – familiär, gesellig, normal, nicht wahr? Es könnte etwas mehr Mädchen vertragen – pero bueno.“ Andrés sitzt an einer Theke im Bürobereich, dem Herz des Vereins. Maximal zwei Gramm pro Tag und Mitglied gibt er heraus. Von jedem weiß er, was er mag, wie viel er konsumiert. Er preist auch schon mal eine neue Varietät an, von der er glaubt, sie könnte gefallen. Auf einem Bildschirm bei der Theke steht das aktuelle Angebot: „Kali Mist“ soll besonders beliebt sein. Und „Green Poison – Relax, Noche“, das grüne Gift eignet sich offenbar für eine sanfte Nachtruhe. Auch „Big Foot“ hört sich irgendwie kurios bewusstseinsverändernd an. La Maca beschäftigt sechs Anbauer in Katalonien, denen der Verein ein fixes Salär auszahlt, damit sie ihre Arbeit nicht am Preis des Cannabis orientieren, am Business. Denn das dürfen sie nicht.

Rauchen im Freien ist untersagt

Andrés weist jetzt einen jungen Mann ab, der sich etwas kaufen will. Er kam zwar mit einem anderen jungen Mann, der schon Mitglied ist, wie das die Regeln vorschreiben. Er beteuerte auch, dass er schon geraucht habe, noch so eine Regel, um der Initiierung vorzubeugen. Doch einen Ausweis hat er nicht dabei. Wahrscheinlich ist er noch keine 18. Dann kommt ein Paar mit langen Rastalocken. Er zahlt, sie öffnet den obersten Knopf ihrer viel zu kurzen Hose, packt das kleine Bündel in die Unterwäsche, knöpft die Hose wieder zu, dann verlassen sie den Club. „Wenn sie draußen in eine Kontrolle geraten, geht uns das nichts mehr an“, sagt Andrés. Draußen, am Straßeneck. Eben noch standen da vier Polizisten. Vielleicht machten sie nur Verkehrskontrollen.

Wer mit mehr als 30 Gramm erwischt wird, dem droht eine Buße – 300, 500, 700 Euro. Auch das ist das Gesetz: Die Spanier dürfen zwar für den Eigenbedarf Hanf anbauen, zu Hause im Garten oder in Minitreibhäusern, dürfen ihn von Vereinen für sich produzieren lassen und in Clubs konsumieren. Doch Gras bei sich zu tragen, das geht nicht, damit handeln sowieso nicht. Auch Rauchen im Freien ist untersagt, obschon das natürlich alle tun – unten am Meer, im Stadion, in den Pärken.

In der rechtlichen Grauzone vermischt sich alles

Da vermischt sich Legales, Geduldetes und Illegales in einem großen Durcheinander, in einer gesetzlichen Grauzone. Während der spanischen Rezession war jede Aktivität mit etwas Erfolgschancen willkommen. Da wuchs die Branche so schnell und unkontrolliert, dass sich die katalanischen Politiker nun vor ihrer eigenen, sprichwörtlichen Toleranz fürchten. Die Grauzone hat eben auch schwarze Schafe angezogen. Clubs, die dealen, die Touristen anlocken. Im Sommer wurden 45 Vereine geschlossen, auch einer der größten: Airam, 16000 Mitglieder. „Die Schuld trägt die Politik“, sagt Jaume Xaus, der Vorsitzende des Verbands der katalanischen Cannabisvereine, dem 40 Clubs angehören, „sie hat es versäumt, die Branche rechtzeitig zu regulieren.“ Nun gebe es einfach alles, auch Unschönes. Xaus sorgt sich ums Image: „Diese Vergleiche mit Amsterdam schaden uns. Wir haben unser eigenes Modell, unsere Kultur, sie ist über viele Jahre gereift.“

Barcelona war oft schon gesellschaftspolitische Avantgarde im Land. Die Katalanen distanzieren sich nun mal gerne von Madrid, von der Strenge der katholischen Kirche, von der konservativen Politik des Partido Popular, vom lähmenden Zentralismus. Jede progressive Geste nährt die gewünschte Antithese. Im jungen, weltoffenen Barcelona ist selbst die bürgerliche Rechte aufgeschlossener und moderner als die Linke in Madrid. Auch wenn es ums Kiffen geht. Seit 17 Jahren liegt hier an den Zeitungsständen eine Monatszeitschrift auf, die sich allen Aspekten der Cannabis-Kultur widmet: Cañamo, so heißt das Heft, verkaufte Auflage: 20000 Exemplare. In Barcelona gibt es auch ein „Hash, Marihuana & Hemp Museum“, ein Ort der stolzen Selbstspiegelung mitten in der Altstadt, das bei jeder Gelegenheit Konferenzen zum Thema organisiert.

Die Social Clubs leben von den Touristen

Und es gibt nun eben einige Hundert Clubs. Viele von ihnen leben von den Touristen, obwohl das nicht dem Geist der Geschichte entspricht. Manche ködern Gäste beim Flanieren auf der Rambla, weisen ihnen den Weg zu ihren Lokalen ohne Neonschilder, zum Dragon Cannabis Club oder zum Barcelona Coffee Shop, stellen ihnen schnell und für wenig Geld einen Mitgliederpass aus, damit die rechtlichen Kriterien erfüllt sind. Natürlich ist bereits das Anwerben Geschäft. Manche Clubs ignorieren alle Regeln, verkaufen auch Ware, die sie nicht selber anbauen. „Das drängt die Politik dazu, repressiver zu denken, als sie das eigentlich vorhatte, regressiver auch“, sagt Xaus, der zuweilen als Mittler in den politischen Kommissionen mitarbeitet, „Colorado rückt in die Ferne.“ Colorado ist das Ziel. In dem US-Bundesstaat sind der Anbau, Besitz und Konsum von Cannabis inzwischen weitgehend freigegeben.

Barcelonas Stadtverwaltung hat nun ein Moratorium erlassen: Für ein Jahr dürfen keine neuen Clubs eröffnet werden. Bislang hatte dafür eine einfache Anmeldung gereicht. Ein umfassendes Regelwerk soll bald alle Missbräuche unterbinden. Kein Club wird mehr in der Nähe einer Schule stehen dürfen, jeder muss Abluftröhren montieren, wie sie La Maca hat, damit die Nachbarschaft nicht vernebelt wird. Die Konten sollen sauber geführt, der Transport des Stoffs von den Plantagen zu den Clubs nach genauen Vorgaben verrichtet werden, immer von denselben Fahrern. Vor allem aber soll es künftig so sein, dass nur noch Mitglied eines Cannabis-Clubs werden darf, wer fest in Katalonien lebt. Theoretisch wenigstens.

Amsterdam light? Auf spezialisierten Websites im Internet gibt es Foren und Führer durch Barcelonas Szene, die besten Adressen, die wichtigsten Informationen zum Gesetz und ständig aktualisierte Tricks zur Düpierung der Polizei: „Wenn du Bullen vor den Clubs patrouillieren siehst“, schreibt einer dieser Führer auf Englisch im Netz, „geh einfach weiter und kehr später zurück.“ Ein gewisser „b.stoner103“ hilft via Mail gerne dabei, auf die Schnelle einen Einheimischen zu finden, der schon Mitglied eines Vereins ist und einen mitnimmt. Er grüßt so: „Welcome to Barcelona, the new Smoking Capital of the World.“ Welthauptstadt also, über Nacht.

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