In der stuckverzierten Lobby der Cadogan Hall – die ehemalige Kirche am Sloane Square ist seit einigen Jahren Heimat des Royal Philharmonic Orchestra - erinnert heute wenig an das übliche Londoner Premierenpublikum. Die Sekt- und Weinflaschen an der Bar bleiben zu, die Kleiderordnung spiegelt vor allem die Vielfalt muslimischer Lebensweisen in England. Einige Frauen tragen bunt gemusterte Hijabs, andere zeigen Frisuren und Goldschmuck, aber selbst die paar hochhackig dahertrippelnden Schönheiten wahren eine gewisse Langärmeligkeit. Dazwischen bärtige Männer in dunklen Anzügen. Das „British Muslim TV“ und die Partnerbörse „Muslim & Single“ haben Werbestände aufgebaut. Das türkische Fernsehen berichtet live. Und nur ein paar Jungs in Trainingsanzug, Camouflage-Jacke und Hip-Hop-Kappen lassen den Schluss zu, auf einem Popkonzert gelandet zu sein.
Genauer gesagt: Der Albumpräsentation des größten Popstars der islamischen Welt. An der Kasse liegt seine neue CD: „The Centre“. Das Cover schmückt das Konterfei eines etwas unrasiert wirkenden, ernsten jungen Mannes. Hierzulande würde ihn wohl niemand erkennen. Doch die vielen Selfie-Knipser vor dem Konzertplakat lassen erahnen, was der Name Sami Yusuf bedeutet: 31 Millionen verkaufte CDs weltweit (plus ein Mehrfaches an illegalen Kopien). Menschenaufläufe, wenn er sich zwischen Karachi und Kairo auf der Straße zeigt. Und ausverkaufte Arenen, zuletzt ein Konzert vor 250 000 Fans auf dem Istanbuler Taksimplatz.
Der größte Popstar der islamischen Welt
Dass der in Teheran geborene und in London aufgewachsene Popstar in einer kleinen Halle wie dem Cadogan auftritt, ist also vor allem der Symbolwirkung geschuldet: Seht her, wir bekennen uns zu Großbritannien! Und wir sind – wie die Londoner Philharmoniker – Teil der britischen Kultur. Sobald der 34-jährige Musiker die Bühne betritt, leuchten Hunderte Smartphones auf. Stürmischer Applaus, doch niemand, der auf die stoffbezogenen Sitzbänke springt. Das wäre Yusuf auch nicht recht: Denn der Mann in Anzughose und bescheidenem Pulli vermeidet alles, womit Popstars sonst punkten. Keine übertriebenen Gesten, kein Bühnengezappel, null Show. Der Hocker am Flügel reicht ihm. Zwei Musiker begleiten ihn, einer spielt Gitarre, der andere hat eine Tar genannte persische Langhals-Laute auf dem Schoß. Das ganze Drama liegt in dem von einer riesigen Video-Leinwand übertragenen Gesicht Sami Yusufs, während er die „Mitte aller Dinge im Hier und Jetzt“ beschwört, sein „Allahu akbar“ in leidenschaftlichen Arabesken moduliert. Zu Melodien und Männerstimmen-Harmonien, deren Pop-Appeal an die besten Momente von Simon & Garfunkel erinnern: „Singt ruhig mit. Nehmt das Booklet aus euren CDs, da stehen die Texte drin.“ Freundliches Zwinkern aus großen Augen.
„Ich wollte nie ein Popstar sein“, wird Yusuf anderntags in einem Café in Chelsea erklären. „Meine Fans lieben mich doch gerade, weil ich sie wie Brüder und Schwestern behandle.“ Demonstrative Bescheidenheit. Ist das der Grund, warum der größte Musikexport Englands der vergangenen Jahre in westlichen Medien kaum wahrgenommen wird?
"Kein einziger deutscher Journalist wollte mich sprechen"
„Auf meiner Deutschlandtour“, sagt Yusuf „habe ich die Grugahalle in Essen, die Köln-Arena und die Max-Schmeling-Halle in Berlin ausverkauft. Aber kein einziger deutscher Journalist wollte mich sprechen.“ Und das, obwohl Yusuf – seine Frau ist Münchnerin – Deutschland als eine Art zweite Heimat betrachtet. Offensichtlich gebe es viele Mainstreams auf dieser Welt: Einen arabischen, ägyptischen, türkischen oder indischen, in denen er als Star gehandelt werde, und einen westlichen, für den er unsichtbar bleibe. Es ist unbestreitbar, dass Yusuf ein hervorragender Musiker, Songwriter und Arrangeur ist, mit einem sehr guten Händchen für Hooklines. Aber eben auch allzu brav. Ein Rock-’n’-Roll-Spielverderber. Eine Rolle spielt der britische Muslim vor allem als „Beispiel eines gut integrierten Migranten“. Oder als Verteidiger des Mainstream-Islam. So auch in einem BBC-Interview am Tag vor seinem Konzert, in dem es weniger um Musik ging als um die Enthauptung eines Briten durch britische IS-Kämpfer in Syrien: „Natürlich ist es dämonisch, was die IS-Jünger anrichten. Aber was haben diese sexuell frustrierten, politisch verwirrten Menschen mit dem traditionellen Islam gemein? Warum wird von uns Muslimen erwartet, dass wir uns für sie entschuldigen? Genauso gut könnte ich von Ihnen eine Entschuldigung für die Verbrechen fundamentalistischer Christen in Amerika erwarten!“
Die Islam-Unkenntnis des Westens bringt den sanften Musiker in Rage: „Drei Millionen Muslime leben in England, vier Millionen in Frankreich, fünf Millionen in Deutschland. Und sie wissen nichts über uns.“ Er hält die aktuelle Daily Mail, eine englische Boulevardzeitung, in die Höhe. „Taxifahrer von Dschihadisten bedroht“. Sei das wirklich eine fette Titelzeile wert? Und dann dieser Generalverdacht gegen Muslime! Gerade seine Musik setze die intellektuelle und spirituelle Tiefe islamischer Tradition gegen die „Wahnsinnigen“. Diejenigen also, die sich daran stören, dass Yusuf Zehntausende Kopftuchmädchen zujubeln oder dass er angeblich „unislamische“ Blas- und Saiteninstrumente spiele. „Alles Schwätzer“, schimpft der Musiker, „sie haben doch gar keine traditionelle Legitimation.“
Spitzen gegen islamische Kalifatsphantasien
Während des Konzerts weist er immer wieder auf die Quellen seiner Songtexte hin: Viele entstammen – egal ob er sie auf Englisch, Farsi, Türkisch, Arabisch oder gar Hindi singt – den mystischen Sufi-Überlieferungen Irans und Afghanistans. Einmal verweist er gar auf die Inspiration durch einen buddhistischen Chant.
Warum auch nicht? Der traditionelle Islam teile den Kern der Schönheit und Wahrheit mit allen Religionen: „Ich möchte diesen Teil des islamischen Erbes predigen“, verkündet er, „statt mich auf den Müll zu konzentrieren, den die Medien über uns verbreiten“. Es folgt sein Song „Corazon Send Me Home“: Wer die Schätze draußen in der Welt suche, müsse scheitern, denn sie seien nur inwendig zu finden. Spontaner Applaus. Das Publikum versteht Yusufs Spitze gegen islamische Kalifatsphantasien.
Unter dem Eindruck täglicher Dschihad-Schlagzeilen ähnelt auch das Bühneninterview nach dem Konzert einer PR-Maßnahme: Dafür, dass Muslime eben ganz normal seien. Gute Mitbürger, oft für das Wohl der Allgemeinheit engagiert. Kristiane Backer, eine zum Islam konvertierte ehemalige MTV-Moderatorin aus Hamburg, sitzt, das blonde Haar offen, der Tonfall freundschaftlich-vertraulich, dem Superstar auf einem Hocker gegenüber: „Sami, wie bist du zu einem Vorbild für junge Muslime geworden?“ – „Oh, ich bin viel kleiner, als du mich aussehen lässt.“ Verschämtes Lachen. „Immerhin hast du mehrere 100 Millionen Alben verkauft, ohne dich zu verbiegen oder deine Tradition zu verraten.“ – „Alles was ich kann, habe ich von meinem Vater und bei uns zu Hause spielenden Meistermusikern wie Ravi Shankar gelernt. Ich hatte Hunderte Ausreden parat, die Schule abzubrechen, aber dann habe ich, inschallah, dem Gruppendruck widerstanden. Ich musste nicht cool sein. Ich stand dazu, Bachs H-Moll-Messe lieber zu hören als aktuelle Popmusik. Mich hat es immer zu traditionellen Dingen gezogen – weil sie mich spirituell anzogen. Das ist es, was ich euch sagen will: Bewahrt euch eure Identität. Seid ihr selbst!“ Ja, es sei besser, als „weirdo“ zu gelten, als die Wahrheit zu verraten.
Die Popkarriere als göttliche Fügung
Er erzählt von seiner Popkarriere wie einer göttlichen Fügung: Nach einem Konservatoriumsstudium wollte er als 23-Jähriger eigentlich nur dieses eine Album mit religiösen Preisgesängen aufnehmen. Er spielte alle Instrumente selbst ein. Produzierte daheim. Stellte die CD ohne große Marketingkampagne ins Netz. Das war 2003. Am Ende beschäftigten sich selbst Kairoer Think-Tanks mit der Frage, warum sich Yusufs Album aus dem Stand millionenfach verkaufte, welches Versprechen er der muslimischen Pophörerschaft bot, das die Billigkopien westlicher Hits nicht leisten konnten.
Ob der Musiker etwas dagegen habe, etwa mit Robbie Williams – Yusuf hat längst viel mehr Facebook-Likes als Williams – die Bühne zu teilen? Mmmh. Irritiertes Lächeln. Es sind Fragen, die den belesenen, Nietzsche bis Rumi zitierenden Star ein wenig aus der Fassung bringen. Nun gut, eine MTV-Einladung würde er nicht ausschlagen. Schon weil es ihm eine Plattform böte, noch mehr Spenden als bisher für die Welthungerhilfe der UNO zu sammeln. Andererseits: laute Partys, Ausschweifungen, das öffentliche Zelebrieren von Sex? Nein, das sei, inschallah, noch nie seine Welt gewesen. „Mich interessiert die Zuneigung von Groupies nicht. Ihr Gekreische ist mir peinlich. Für mich ist jedes Liebeslied eine Reflexion der göttlichen Liebe.“
Westlicher Hedonismus und Islamisten bedienen beide Allmachtsphantasien
Der Mann hegt tiefes Misstrauen gegenüber Äußerlichkeiten. Von den Exzessen des westlichen Hedonismus sei es – so sieht es Yusuf – nur ein kurzer Weg zur Ideologie der Islamisten. Weil beide gleichermaßen Allmachtsphantasien bedienten. Primitive Belohnungen versprächen. Und eine Kultur predigten, der die spirituelle Dimension und damit jede menschliche Würde abhanden gekommen sei.
Yusuf glaubt, dass tief im Islam verwurzelte Menschen kaum Propaganda folgen: „Sie fangen Menschen, die sich nicht gesehen und nicht geachtet fühlen. Und die meisten Menschen in der arabischen Welt suchen verzweifelt nach einer Bedeutung in ihrem Leben.“
Yusufs Musik scheint da wie ein Schlüssel zu Toleranz und spiritueller Größe. Als einziger westlicher Popstar habe er ein Konzert in Saudi-Arabien geben dürfen. An der Kultur dieses Landes lässt er kein gutes Haar. Die prägen die Wahabiten, die Anhänger einer puritanisch-traditionalistischen Richtung des sunnitischen Islams.
Yusuf will niemanden missionieren
Die Freude an der Schönheit aber lasse sich nur künstlich unterdrücken. Bei Sami Yusufs Konzert in Saudi-Arabien jedenfalls sei das Publikum allen Vorschriften zum Trotz in Wallung geraten. Zuerst die Männer vor der Bühne. Dann auch die Frauen, die seinen Auftritt in einem gesonderten Saal per Video-Leinwand verfolgen mussten, sich ihrer Kopftücher und Schuhe entledigten und auf den Stühlen tanzten. Yusuf will niemanden missionieren. Seine Musik aber vermag wohl zumindest das Allahu akbar zu transzendieren – jenseits bloßer Gesetzeshüterei.
Auch in Großbritannien sei das nötig, besonders bei den Konvertiten. Der Musiker erzählt von seinen Begegnungen mit dem anderen großen britischen Islam-Barden, Yusuf Islam, der als Cat Stevens berühmt wurde. Stevens habe sich über das Koran-Studium dem Islam zugewandt. Leider aber hätten ihn, ahnungslos wie er war, anfangs Salafisten beraten. „Wir haben dann viel miteinander geredet: Warum sollte er als Engländer deren Kleider tragen? Warum sich seiner Musik genieren?“ Inschallah habe der Musikerkollege inzwischen zur wahren, normativen, orthodoxen Tradition des Islam gefunden. Die Jugendlichen aber, die mit einem „Islam for Dummies“-Handbuch im Gepäck ins IS-Kalifat reisen, könne er nicht umstimmen. Sie seien aus einem spirituellen Vakuum erwachsene Monster: „Ihr Deutschen müsstest es doch wissen: Warum so viele von euch einst allzu gern einem Mordregime dienten. Das Problem ist nicht die Religion, sondern deren Verlust.“
Genauer gesagt: Der Albumpräsentation des größten Popstars der islamischen Welt. An der Kasse liegt seine neue CD: „The Centre“. Das Cover schmückt das Konterfei eines etwas unrasiert wirkenden, ernsten jungen Mannes. Hierzulande würde ihn wohl niemand erkennen. Doch die vielen Selfie-Knipser vor dem Konzertplakat lassen erahnen, was der Name Sami Yusuf bedeutet: 31 Millionen verkaufte CDs weltweit (plus ein Mehrfaches an illegalen Kopien). Menschenaufläufe, wenn er sich zwischen Karachi und Kairo auf der Straße zeigt. Und ausverkaufte Arenen, zuletzt ein Konzert vor 250 000 Fans auf dem Istanbuler Taksimplatz.
Der größte Popstar der islamischen Welt
Dass der in Teheran geborene und in London aufgewachsene Popstar in einer kleinen Halle wie dem Cadogan auftritt, ist also vor allem der Symbolwirkung geschuldet: Seht her, wir bekennen uns zu Großbritannien! Und wir sind – wie die Londoner Philharmoniker – Teil der britischen Kultur. Sobald der 34-jährige Musiker die Bühne betritt, leuchten Hunderte Smartphones auf. Stürmischer Applaus, doch niemand, der auf die stoffbezogenen Sitzbänke springt. Das wäre Yusuf auch nicht recht: Denn der Mann in Anzughose und bescheidenem Pulli vermeidet alles, womit Popstars sonst punkten. Keine übertriebenen Gesten, kein Bühnengezappel, null Show. Der Hocker am Flügel reicht ihm. Zwei Musiker begleiten ihn, einer spielt Gitarre, der andere hat eine Tar genannte persische Langhals-Laute auf dem Schoß. Das ganze Drama liegt in dem von einer riesigen Video-Leinwand übertragenen Gesicht Sami Yusufs, während er die „Mitte aller Dinge im Hier und Jetzt“ beschwört, sein „Allahu akbar“ in leidenschaftlichen Arabesken moduliert. Zu Melodien und Männerstimmen-Harmonien, deren Pop-Appeal an die besten Momente von Simon & Garfunkel erinnern: „Singt ruhig mit. Nehmt das Booklet aus euren CDs, da stehen die Texte drin.“ Freundliches Zwinkern aus großen Augen.
„Ich wollte nie ein Popstar sein“, wird Yusuf anderntags in einem Café in Chelsea erklären. „Meine Fans lieben mich doch gerade, weil ich sie wie Brüder und Schwestern behandle.“ Demonstrative Bescheidenheit. Ist das der Grund, warum der größte Musikexport Englands der vergangenen Jahre in westlichen Medien kaum wahrgenommen wird?
"Kein einziger deutscher Journalist wollte mich sprechen"
„Auf meiner Deutschlandtour“, sagt Yusuf „habe ich die Grugahalle in Essen, die Köln-Arena und die Max-Schmeling-Halle in Berlin ausverkauft. Aber kein einziger deutscher Journalist wollte mich sprechen.“ Und das, obwohl Yusuf – seine Frau ist Münchnerin – Deutschland als eine Art zweite Heimat betrachtet. Offensichtlich gebe es viele Mainstreams auf dieser Welt: Einen arabischen, ägyptischen, türkischen oder indischen, in denen er als Star gehandelt werde, und einen westlichen, für den er unsichtbar bleibe. Es ist unbestreitbar, dass Yusuf ein hervorragender Musiker, Songwriter und Arrangeur ist, mit einem sehr guten Händchen für Hooklines. Aber eben auch allzu brav. Ein Rock-’n’-Roll-Spielverderber. Eine Rolle spielt der britische Muslim vor allem als „Beispiel eines gut integrierten Migranten“. Oder als Verteidiger des Mainstream-Islam. So auch in einem BBC-Interview am Tag vor seinem Konzert, in dem es weniger um Musik ging als um die Enthauptung eines Briten durch britische IS-Kämpfer in Syrien: „Natürlich ist es dämonisch, was die IS-Jünger anrichten. Aber was haben diese sexuell frustrierten, politisch verwirrten Menschen mit dem traditionellen Islam gemein? Warum wird von uns Muslimen erwartet, dass wir uns für sie entschuldigen? Genauso gut könnte ich von Ihnen eine Entschuldigung für die Verbrechen fundamentalistischer Christen in Amerika erwarten!“
Die Islam-Unkenntnis des Westens bringt den sanften Musiker in Rage: „Drei Millionen Muslime leben in England, vier Millionen in Frankreich, fünf Millionen in Deutschland. Und sie wissen nichts über uns.“ Er hält die aktuelle Daily Mail, eine englische Boulevardzeitung, in die Höhe. „Taxifahrer von Dschihadisten bedroht“. Sei das wirklich eine fette Titelzeile wert? Und dann dieser Generalverdacht gegen Muslime! Gerade seine Musik setze die intellektuelle und spirituelle Tiefe islamischer Tradition gegen die „Wahnsinnigen“. Diejenigen also, die sich daran stören, dass Yusuf Zehntausende Kopftuchmädchen zujubeln oder dass er angeblich „unislamische“ Blas- und Saiteninstrumente spiele. „Alles Schwätzer“, schimpft der Musiker, „sie haben doch gar keine traditionelle Legitimation.“
Spitzen gegen islamische Kalifatsphantasien
Während des Konzerts weist er immer wieder auf die Quellen seiner Songtexte hin: Viele entstammen – egal ob er sie auf Englisch, Farsi, Türkisch, Arabisch oder gar Hindi singt – den mystischen Sufi-Überlieferungen Irans und Afghanistans. Einmal verweist er gar auf die Inspiration durch einen buddhistischen Chant.
Warum auch nicht? Der traditionelle Islam teile den Kern der Schönheit und Wahrheit mit allen Religionen: „Ich möchte diesen Teil des islamischen Erbes predigen“, verkündet er, „statt mich auf den Müll zu konzentrieren, den die Medien über uns verbreiten“. Es folgt sein Song „Corazon Send Me Home“: Wer die Schätze draußen in der Welt suche, müsse scheitern, denn sie seien nur inwendig zu finden. Spontaner Applaus. Das Publikum versteht Yusufs Spitze gegen islamische Kalifatsphantasien.
Unter dem Eindruck täglicher Dschihad-Schlagzeilen ähnelt auch das Bühneninterview nach dem Konzert einer PR-Maßnahme: Dafür, dass Muslime eben ganz normal seien. Gute Mitbürger, oft für das Wohl der Allgemeinheit engagiert. Kristiane Backer, eine zum Islam konvertierte ehemalige MTV-Moderatorin aus Hamburg, sitzt, das blonde Haar offen, der Tonfall freundschaftlich-vertraulich, dem Superstar auf einem Hocker gegenüber: „Sami, wie bist du zu einem Vorbild für junge Muslime geworden?“ – „Oh, ich bin viel kleiner, als du mich aussehen lässt.“ Verschämtes Lachen. „Immerhin hast du mehrere 100 Millionen Alben verkauft, ohne dich zu verbiegen oder deine Tradition zu verraten.“ – „Alles was ich kann, habe ich von meinem Vater und bei uns zu Hause spielenden Meistermusikern wie Ravi Shankar gelernt. Ich hatte Hunderte Ausreden parat, die Schule abzubrechen, aber dann habe ich, inschallah, dem Gruppendruck widerstanden. Ich musste nicht cool sein. Ich stand dazu, Bachs H-Moll-Messe lieber zu hören als aktuelle Popmusik. Mich hat es immer zu traditionellen Dingen gezogen – weil sie mich spirituell anzogen. Das ist es, was ich euch sagen will: Bewahrt euch eure Identität. Seid ihr selbst!“ Ja, es sei besser, als „weirdo“ zu gelten, als die Wahrheit zu verraten.
Die Popkarriere als göttliche Fügung
Er erzählt von seiner Popkarriere wie einer göttlichen Fügung: Nach einem Konservatoriumsstudium wollte er als 23-Jähriger eigentlich nur dieses eine Album mit religiösen Preisgesängen aufnehmen. Er spielte alle Instrumente selbst ein. Produzierte daheim. Stellte die CD ohne große Marketingkampagne ins Netz. Das war 2003. Am Ende beschäftigten sich selbst Kairoer Think-Tanks mit der Frage, warum sich Yusufs Album aus dem Stand millionenfach verkaufte, welches Versprechen er der muslimischen Pophörerschaft bot, das die Billigkopien westlicher Hits nicht leisten konnten.
Ob der Musiker etwas dagegen habe, etwa mit Robbie Williams – Yusuf hat längst viel mehr Facebook-Likes als Williams – die Bühne zu teilen? Mmmh. Irritiertes Lächeln. Es sind Fragen, die den belesenen, Nietzsche bis Rumi zitierenden Star ein wenig aus der Fassung bringen. Nun gut, eine MTV-Einladung würde er nicht ausschlagen. Schon weil es ihm eine Plattform böte, noch mehr Spenden als bisher für die Welthungerhilfe der UNO zu sammeln. Andererseits: laute Partys, Ausschweifungen, das öffentliche Zelebrieren von Sex? Nein, das sei, inschallah, noch nie seine Welt gewesen. „Mich interessiert die Zuneigung von Groupies nicht. Ihr Gekreische ist mir peinlich. Für mich ist jedes Liebeslied eine Reflexion der göttlichen Liebe.“
Westlicher Hedonismus und Islamisten bedienen beide Allmachtsphantasien
Der Mann hegt tiefes Misstrauen gegenüber Äußerlichkeiten. Von den Exzessen des westlichen Hedonismus sei es – so sieht es Yusuf – nur ein kurzer Weg zur Ideologie der Islamisten. Weil beide gleichermaßen Allmachtsphantasien bedienten. Primitive Belohnungen versprächen. Und eine Kultur predigten, der die spirituelle Dimension und damit jede menschliche Würde abhanden gekommen sei.
Yusuf glaubt, dass tief im Islam verwurzelte Menschen kaum Propaganda folgen: „Sie fangen Menschen, die sich nicht gesehen und nicht geachtet fühlen. Und die meisten Menschen in der arabischen Welt suchen verzweifelt nach einer Bedeutung in ihrem Leben.“
Yusufs Musik scheint da wie ein Schlüssel zu Toleranz und spiritueller Größe. Als einziger westlicher Popstar habe er ein Konzert in Saudi-Arabien geben dürfen. An der Kultur dieses Landes lässt er kein gutes Haar. Die prägen die Wahabiten, die Anhänger einer puritanisch-traditionalistischen Richtung des sunnitischen Islams.
Yusuf will niemanden missionieren
Die Freude an der Schönheit aber lasse sich nur künstlich unterdrücken. Bei Sami Yusufs Konzert in Saudi-Arabien jedenfalls sei das Publikum allen Vorschriften zum Trotz in Wallung geraten. Zuerst die Männer vor der Bühne. Dann auch die Frauen, die seinen Auftritt in einem gesonderten Saal per Video-Leinwand verfolgen mussten, sich ihrer Kopftücher und Schuhe entledigten und auf den Stühlen tanzten. Yusuf will niemanden missionieren. Seine Musik aber vermag wohl zumindest das Allahu akbar zu transzendieren – jenseits bloßer Gesetzeshüterei.
Auch in Großbritannien sei das nötig, besonders bei den Konvertiten. Der Musiker erzählt von seinen Begegnungen mit dem anderen großen britischen Islam-Barden, Yusuf Islam, der als Cat Stevens berühmt wurde. Stevens habe sich über das Koran-Studium dem Islam zugewandt. Leider aber hätten ihn, ahnungslos wie er war, anfangs Salafisten beraten. „Wir haben dann viel miteinander geredet: Warum sollte er als Engländer deren Kleider tragen? Warum sich seiner Musik genieren?“ Inschallah habe der Musikerkollege inzwischen zur wahren, normativen, orthodoxen Tradition des Islam gefunden. Die Jugendlichen aber, die mit einem „Islam for Dummies“-Handbuch im Gepäck ins IS-Kalifat reisen, könne er nicht umstimmen. Sie seien aus einem spirituellen Vakuum erwachsene Monster: „Ihr Deutschen müsstest es doch wissen: Warum so viele von euch einst allzu gern einem Mordregime dienten. Das Problem ist nicht die Religion, sondern deren Verlust.“