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Dicke Hose, zarte Seele

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Coole Jungs, eine Hochhaus-Gang, die ihre Männlichkeitsrituale mit Fickwetten und Besäufnissen zelebriert. Der Ich-Erzähler Luis, engster Vertrauter des Chefs der Truppe, spielt den Aufreißer und muss in kürzester Zeit das Objekt seiner Begierde flachlegen. „Beim Ficken fühle ich mich immer ganz nah an Gott.“ Wenn er es schafft und den Erfolg glaubhaft nachweisen kann, die Gang-Mitglieder heißmacht, bekommt er die Wettgelder und ist wieder so flüssig, dass er sich eine echte Wurst beim Schlachter kaufen kann, nicht dieses eingeschweißte Lidl-Zeugs. Szenen dieser Art in einer prolligen Jugendsprache, ohne wirklichen Austausch oder Verständigung, weil alle in ihren Rollen gefangen sind, bestimmen große Teile des Romans „Es bringen“ von Verena Güntner.



Ausflippen: Bestandteil einer jeden Jugend?

Was verbirgt sich hinter dem Machogehabe der Kumpel, die auf dicke Hose machen? Ein ängstlicher Junge, der schon als Kind verunsichert wurde durch eine sehr unreife Mutter und ihren Macker und nur überleben kann mit zwanghafter Selbstkontrolle. Seine weiche Seite, seine Hilflosigkeit lebt er aus in der Fürsorge für einen alten Mann, der als Außenseiter auf einer großen Wiese am Rande der Siedlung lebt und sich gegen Immobilienhaie zu Wehr setzt. Wie sehr der Junge dessen Pony „Nutella“ liebt, darf keiner wissen. In den verstörenden Kindheitserfahrungen, ganz lapidar eingeschoben, findet die Autorin ihre Sprache, gelingen ihr berührende und überzeugende Szenen, eine davon trug sie in Klagenfurt 2013, beim Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb, vor.

Eine Wendung zu pädagogisch bekannten, oft beschriebenen Pfaden nimmt die Geschichte, als die Welt dieser Rituale, als die Ordnung, an die der Junge sich klammert, zusammenbricht, weil die Mutter –ein Tabubruch – Sex mit Milan, seinem Anführer hat. Dessen Vorbildrolle und das Männlichkeitsgetue, auf dem die sexuellen Erfolge des Jungen basieren, brechen damit zusammen. Denn die nun wild mäandernde Handlung, die zum Teil an einen Psychokrimi erinnert und in der eine weitere positiv besetzte männliche Hauptperson, ein Lehrer, eine wichtige Rolle spielt, verläuft nach dem klassischen Muster einer Coming-of-Age-Geschichte. Als Happy End vorgegeben ist die Selbstfindung, darüber können auch die derbe Sprache, die eingestreuten Sexszenen und die sich bis zum Überdruss wiederholenden Muschi-und-Titten-Gespräche nicht hinwegtäuschen. „Sex sells“, oder wie sollte man es sich sonst erklären, dass die Romane für junge Erwachsene zunehmend damit angereichert werden.

Alles endet in Gefühlskitsch mit einem erstarkten Helden, und am Horizont winkt auch schon ein wirkliches Mädchen, kein Sexobjekt.

Verena Güntner: Es bringen. Roman. Verlag Kiepenheuer & Witsch, Köln 2014. 256 Seiten, 18,99 Euro. E-Book 16,99 Euro.

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