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Klüger als damals

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Der 24. Oktober 1929 begann an der New York Stock Exchange schlecht, aber nicht außergewöhnlich schlecht. Schon in den Tagen zuvor waren die Kurse gebröckelt, jetzt ging es im gleichen Tempo weiter nach unten. Dann, gegen elf Uhr, brach plötzlich eine Panik aus. Alle Kurse stürzten in den Keller, binnen kurzer Zeit lösten sich elf MilliardenDollar in Luft auf, was damals 1,5 Prozent des amerikanischen Bruttoinlandsprodukts entsprach. An diesem Punkt beschlossen die Mächtigen der Wall Street zu handeln. Führende Banker beauftragten den Vizechef der Börse, Richard Whitney, in den Markt einzugreifen. Unter anderem kaufte er demonstrativ große Mengen der Aktie von U.S. Steel. So gelang es, die Panik zu beenden. Der Dow ging mit einem Minus von 2,1 Prozent aus dem Handel – ein Kursrutsch, aber sicher kein katastrophaler.

Das war der Tag, der als Schwarzer Donnerstag in die Geschichte eingehen sollte (in Europa wegen der Zeitverschiebung meist Schwarzer Freitag genannt). Für Wirtschaftshistoriker ist es der Katastrophentag schlechthin, der Beginn der Weltwirtschaftskrise. Die Ereignisse haben sich tief ins kollektive Gedächtnis der beteiligten Nationen eingegraben. Während der heißen Phase der Finanzkrise 2008 und 2009 wurden die Handelnden – vor allem US-Notenbankchef Ben Bernanke und Präsident Barack Obama – und deren Berater immer wieder von der Furcht getrieben: Würde sich 1929 wiederholen? Einiges schien dafür zu sprechen: Die kreditfinanzierte Euphorie vor der Krise – im einen Falle auf den Aktien-, im anderen auf den Immobilienmärkten, dazu die Ansteckungsgefahr auf den international verflochtenen Finanzmärkten. Durch diese Parallelen wurde die Geschichte höchst lebendig – und nur zu gern wurden die gleichen Bilder bedient: Banker, die um Job und Wohlstand fürchten, Menschen, die anstehen müssen, um eine warme Mahlzeit pro Tag zu bekommen.

Doch vieles, was später über den Schwarzen Donnerstag berichtet worden ist, gehört ins Reich der Märchen. Es war eben nicht der schlimmste Börsenkrach der Geschichte. Es stimmt auch nicht, dass am 24. Oktober und danach Börsianer reihenweise aus dem Fenster sprangen. Bei vielen Opfern der Krise war hier eher der Wunsch der Vater des Gerüchts.



US-Notenbank: aus der Geschichte gelernt?

Denn tatsächlich kam das Schlimme erst später. Es wurde durch vermeidbare Fehler der Politik auf beiden Seiten des Atlantiks verursacht. Zunächst einmal zeigte sich mit einer gewissen Verzögerung, dass die Börsenkurse auch nach dem Krach immer noch viel zu hoch waren. Am 28. und 29. Oktober brach der Dow erneut ein, diesmal um 12,82 und 11,73 Prozent. Viele Investoren, die Aktien auf Kredit gekauft hatten, waren nun zahlungsunfähig. Der Kursverfall ging mit großen Sprüngen weiter bis zum 8. Juli 1932. An dem Tag erreichte der Dow 41,22 Punkte, was fast 90 Prozent unter seinem Höchststand von 1929 lag.

Das Land, das neben den Vereinigten Staaten am schwersten von der Krise be-troffen wurde, war Deutschland. Nach 1924 hatte die Weimarer Republik ein paar gute Jahre erlebt, der Aufschwung war jedoch vor allem mit amerikanischem Kapital finanziert worden. Nach dem Börsenkrach drehten sich die Kapitalströme um, die Geldgeber brauchten Reserven in New York, Deutschland stürzte in die Rezession. Der Reichsregierung unter dem SPD-Kanzler Hermann Müller ging das Geld aus: Die Steuereinnahmen sanken, Sozialausgaben stiegen. Politische Grundsatzfragen wurden immer öfter über Arbeitsmarktdebatten ausgehandelt. Weil sich seine eigene Partei einem Kompromiss zur Finanzierung der Arbeitslosenversicherung mit der nationalliberalen Deutschen Volkspartei verweigerte, reichte Müller am 27.März 1930 seinen Rücktritt ein. Damit war die letzte demokratisch gewählte Regierung der Weimarer Republik am Ende – wegen einer Lappalie.

Müllers Nachfolger Heinrich Brüning setzte mit Notverordnungen eine radikale Sparpolitik durch, welche die Krise verschärfte. Eine lockere Geldpolitik kam nicht in Frage, die Erinnerungen der Inflation von 1923 waren noch zu frisch. Zudem wollte Brüning vermutlich beweisen, dass Deutschland selbst unter härtesten Sparanstrengungen seinen Reparationen aus dem Ersten Weltkrieg nicht nachkommen konnte. Er hoffte, sie so loszuwerden. Löhne und Sozialleistungen wurden deshalb kontinuierlich gekürzt – was nicht nur die Kaufkraft schwächte, sondern Brüning den Titel „Hungerkanzler“ anheftete.

Die nächste Dummheit wurde in Washington begangen. Gegen den Protest von 1028 namhaften Ökonomen beschloss der Kongress den berüchtigten Smoot Hawley Tariff Act. Das Gesetz erhöhte die Zölle für über 900 Produkte zum Teil auf Rekordniveau. Es war nicht die einzige Ursache für den Zusammenbruch des Welthandels in der Großen Depression, trug aber wesentlich dazu bei. Aus diesem Beispiel hat die Welt gelernt: 80 Jahre später trat niemand in die Falle des Protektionismus.

Am schlimmsten war nach 1929 das Versagen der Notenbanken. Die Federal Reserve in Washington war damals noch eine sehr junge Institution. 1913 gegründet, hatte sie kaum Zeit, ein institutionelles Selbstverständnis zu entwickeln. Sie hätte eigentlich noch üben müssen, hatte dafür aber keine Zeit. Als es 1930 zu einer Welle von Bankpleiten kam, weigerten sie und andere Notenbanken sich, gegenzusteuern. In Europa besonders folgenreich war der Zusammenbruch der Wiener Creditanstalt am 11. Mai 1931 und der zweitgrößten deutschen Bank, der Darmstädter und Nationalbank, am 13. Juli. Fortan konnte man von einer „Weltwirtschaftskrise“ sprechen.

Die zeitigte schreckliche Folgen. Zwischen 1929 und 1932 schrumpfte die deutsche Wirtschaft um 16 Prozent. Anfang 1932 waren in Deutschland erstmals mehr als sechs Millionen Menschen erwerbslos, nur ein Drittel erhielt staatliche Unterstützung – das trieb den Kommunisten und Nationalsozialisten die Wähler zu. Mit Deutschland stürzten große Teile Europas und Amerika in eine verheerende Deflation. Von 1930 bis 1933 gingen die Verbraucherpreise in den USA um 27,9 Prozent zurück. Dass die Fed gleichzeitig versuchte, durch Zinserhöhungen den Abfluss von Geld aus den USA zu verhindern, machte alles nur schlimmer.

Der Nobelpreisträger Milton Friedman (1912-2006) gab aus diesem Grund der Fed die Hauptschuld an der Krise. Friedmans Kritik ist ein Schlüssel zum Verständnis der Politik der Fed während der jüngsten Finanzkrise. Deren damaliger Chef Ben Bernanke ist ein ausgewiesener Experte für die Geschichte der Weltwirtschaftskrise. Und er setzte alles daran, die Fehler der Dreißigerjahre vermeiden. Er erhöhte die Geldmenge nach 2007 um fast jeden Preis, unter seiner Regie senkte die Fed die Zinsen bis auf fast null Prozent und weitete ihre Bilanz von unter 900 Milliarden auf 4,4Billionen Dollar aus.

Die Politik bleibt umstritten: Damals wie heute wurden an vielen Stellen Symptome anstatt grundlegender Strukturmängel bekämpft. Damals wie heute gibt es Länder, die extreme Sparkurse fahren, und gerade dort gewinnen Extremisten der politischen Landschaft Publikum. Dennoch erreichte die moderne Notenbankpolitik wenigstens ein Ziel: eine zweite Weltwirtschaftskrise hat es nicht gegeben.

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