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„Extrem kräftezehrend“

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Die Schutzanzüge, die Ärzte und Helfer bei der Behandlung hochinfektiöser Ebola-Patienten tragen, sind inzwischen fast täglich in den Medien zu sehen. Der Berliner Arzt Thomas Kratz, 38, weiß genau, wie es ist, in einem solchen Anzug Patienten zu behandeln. Sechs Wochen lang hat er im Sommer in Sierra Leone verbracht und versucht, die Kranken bestmöglich zu versorgen – so oft es ging, auch ohne den Anzug. Der SZ hat er von seinem schwierigen Verhältnis zu der Kunststoffhülle erzählt, die ihn zwar schützt, ihm aber zugleich ein empathisches ärztliches Handeln, wie er es sich wünschen würde, nahezu unmöglich macht.

„Insgesamt habe ich nun schon an 50 Tagen in so einem Ebola-Schutzanzug gearbeitet. Vor zwei Jahren im Kongo und in diesem Sommer in Sierra Leone. In dem Anzug zu arbeiten, ist eigentlich furchtbar. Ich weiß bis heute nicht, ob ich ihn hassen oder lieben soll. Vielleicht habe ich deshalb kein emotionales Verhältnis zu ihm entwickelt, sondern eher ein rationales. Ich weiß, dass es wichtig ist, ihn zu tragen. Dass es sonst gar nicht möglich wäre, die Patienten zu behandeln. Dass mich der Anzug davor bewahrt, selbst krank zu werden – unter der Bedingung, dass ich mich genau an die Regeln halte. Der Anzug schützt nur, wenn man ihn extrem korrekt benutzt.

Allein das richtige Anziehen dauert schon fünf Minuten. Mindestens. Wenn man ungeübt ist, auch schon mal 15 Minuten. Und das Ausziehen dauert noch viel länger. Das ist die eigentlich risikoreiche Prozedur. Dafür muss man sich Zeit nehmen. Man muss Anzug und Handschuhe wirklich sehr sorgfältig abstreifen, auch wenn man das oft virenverseuchte Zeug am liebsten ganz schnell loswürde. Dabei muss man höllisch aufpassen, dass man immer nur die Innenseite des Anzugs berührt. Besonders schwierig wird es, wenn Körperflüssigkeiten von Patienten auf der Außenhülle sind. Blut sieht man noch gut, aber Speichel und Schweiß eben nicht. Die Tropfen können herunterlaufen, davor kann man sich besonders schlecht schützen. Auch die Handschuhe sind sehr gefährlich, mit denen hat man ja die Patienten angefasst. Man darf sie deshalb auf keinen Fall ins Gesicht bekommen, weil die Schleimhäute von Augen, Nase und Mund anfällig für Viren sind.



Ausbildung für freiwillige Ebola-Helfer der Bundeswehr in Hamburg

Wenn ich meine Ausrüstung abgestreift habe, wird der Großteil weggeschmissen. Sobald Anzug, Schutzhaube und Handschuhe desinfiziert sind, werden sie entsorgt. Zusammen kosten die ungefähr 20 Euro, allein der Anzug kostet 15 Euro pro Stück. Mehrmals verwendet werden dagegen Gummistiefel, Gummischürze und Schutzbrille. Die sieht so aus wie eine Skibrille. Vielleicht ist es sogar eine. Vor der Wiederverwendung werden diese Sachen mit konzentrierter Chlorlösung desinfiziert, das überleben die Viren nicht.

Wir benutzen bei „Ärzte ohne Grenzen“ fast immer diesen gelben Anzug von der Firma Tychem. Der gehört auch zu den angenehmsten, die ich bisher angehabt habe. Er schließt besonders gut ab. Darunter trage ich noch grüne Baumwollkleidung, wie man sie aus OP-Sälen kennt. Die wird einfach gewaschen und in der Sonne aufgehängt, bevor man sie wieder anzieht. An ihr sollten ja eigentlich keine Viren sein. Außerdem tötet Sonnenlicht die Erreger ab. Und Ebola-Viren sind außerhalb des Körpers ohnehin nicht sehr überlebensfähig. Außerdem trage ich meine eigene Unterwäsche. Die lasse ich an und wasche sie auch selber. Ansonsten sollte man natürlich noch darauf achten, die ganz normale Körperhygiene einzuhalten. Aber nach dieser Arbeit ist man sowieso für jede Dusche dankbar.

Eine halbe Stunde, maximal eine: Länger hält man es in dem Anzug nicht aus, schon gar nicht in Sierra Leone. Dort ist es so heiß wie in Berlin nur im Hochsommer. Und in dem Anzug wird es mit der Zeit unglaublich warm. Ständig spürt man die eigene Atmung. Man hat ja diese Maske auf, die auch bei der Behandlung von Tuberkulose-Patienten verwendet wird. Dadurch wird es noch wärmer. Und der feuchte Atem schlägt ständig zurück. Unangenehm ist auch der PVC-mäßige Geruch. Es riecht so ein bisschen nach Regenmantel. Nach kurzer Zeit merkt man das allerdings nicht mehr.

Diese ganze Situation ist extrem kräftezehrend. Das Leid der Menschen, aber auch das Arbeiten in dem Anzug. Ich habe im Juni und Juli sechs Wochen unbezahlten Jahresurlaub genommen, um den Menschen in Westafrika zu helfen. Aber danach brauchte ich noch meinen ganz normalen Jahresurlaub, um mich zu Hause davon zu erholen.

Bevor ich den Anzug anziehe, kontrolliere ich immer, dass keine Löcher, Risse oder irgendwelche Fehler drin sind. Drei Größen gibt es, ich nehme M oder L – was gerade da ist. Gut sitzen muss so ein Ding ja wirklich nicht. Bisher war jeder Anzug bei mir komplett in Ordnung. Aber man kann immer noch beim Anziehen Fehler machen. Deshalb kontrollieren wir Ärzte uns gegenseitig – im Buddy-System, ähnlich wie beim Sporttauchen. Dabei achten wir genau drauf, dass alles richtig anliegt. Dass beim Übergang zwischen Anzug und Handschuhen kein Spalt frei bleibt. Wir gehen auch immer zu zweit auf die Krankenstation.

Unter den großen Gummihandschuhen tragen wir noch dünne Vinylhandschuhe, wie in Deutschland in der Notaufnahme. Die zieht man sehr vorsichtig an, damit ja kein Loch reinkommt. Es ist natürlich nicht so angenehm, mit zwei Paar Handschuhen Blut abzunehmen und den Kranken den Puls zu fühlen. Aber mit ein bisschen Übung geht es.

Wenn man die Handschuhe einmal anhat, wechselt man sie innerhalb der Hochrisikozone nicht mehr. Dort muss der ganze Körper immer bedeckt sein. Bevor ich zum nächsten Patienten gehe, wasche ich mir die behandschuhten Hände aber mit Chlorlösung, um sie zu desinfizieren.

Auf der Station kommt der Eigenschutz absolut an erster Stelle. So hart das jetzt klingt, aber wenn ich als Arzt wegen der Hitze nicht mehr klarkomme, verlasse ich sofort die Station. Selbstverständlich kontrolliert und diskret. Die Sicherheit muss gewahrt bleiben, und die Patienten sollen bloß nicht denken, man renne vor ihnen weg. Und natürlich muss der Kollege informiert werden, er muss dann ja ebenfalls gehen.

Bei allem Sicherheitsbedürfnis: Der Anzug verschafft natürlich eine enorme Distanz zu den Patienten. Deshalb versuche ich, wann immer es möglich ist, ihn nicht zu tragen. Dann bin ich wenigstens noch ein Mensch und nicht irgendein Marsmensch. Wenn ein Patient sich noch in einem so guten Zustand befindet, dass er draußen vor der Station sitzen kann, führe ich das Gespräch dort ohne Anzug. Dabei halte ich einen Sicherheitsabstand von zwei Metern ein. Aber so habe ich wenigstens Blickkontakt zu meinem Patienten, und er kann mich auch besser verstehen. Mit der Maske redet man schon sehr undeutlich, als hätte man ständig eine Hand vor dem Mund.

Jemanden in dem Anzug als Mensch wahrzunehmen, fällt wirklich schwer. Auch als Kollegen erkennen wir uns oft gegenseitig nicht, wenn wir den Anzug tragen. Das kann sich sehr unangenehm anfühlen, in einer Gruppe von nicht identifizierbaren, unförmigen Wesen herumzustapfen. Deshalb bilden wir immer nur kleine Teams. Wir schreiben auch manchmal unsere Namen mit einem Edding auf die Gummischürzen, um diese gruselige Anonymität aufzuheben.

Ich erinnere mich noch genau, wie ich das erste Mal so einen Anzug trug. 2012 im Kongo. Im ersten Moment war ich neugierig, aber dann stieg schnell ein mulmiges Gefühl in mir auf. Als ich die anderen in der Schutzkleidung sah, war das beängstigend, ich wollte gleich wieder weg. Mein erstes Gefühl im Anzug war dann: Oh, es wird warm. Ich gehe ein bisschen ungelenk. Und ständig die Sorge: Sitzt das jetzt alles noch richtig?

Dabei ist die Gefahr durch verrutschende Handschuhe, Ärmel oder Masken gar nicht so groß. Wenn mal eine Hautstelle zu sehen ist, ist das nicht gleich lebensgefährlich. Ebola-Viren sind ja nicht ansteckend, wenn sie durch die Luft schwirren, wie das bei Grippeviren der Fall ist, sondern erst wenn sie mit Körperflüssigkeiten auf die Haut gelangen. Die zweitgrößte Gefahr nach dem Ausziehen ist es deshalb, wenn man sich mit einer Spritzennadel sticht oder den Anzug mit einem Metall verletzt.

Die Gummistiefel sind übrigens einigermaßen rutschfest. Ich bin damit jedenfalls nie ausgeglitscht. Bei uns lag zwischen den Zelten allerdings auch Schotter, kein Schlamm. In der Regenzeit muss man sicher aufpassen. Hinfallen und dabei womöglich den Anzug kaputt machen, das will man ja auf keinen Fall.

Die Angst vor den Viren ist ohnehin ständig da. Sie sorgt dafür, dass man nicht nachlässig wird. Aber manchmal wird sie plötzlich stärker. Dann kann sie gefährlich werden, dann muss man die Arbeit unterbrechen. Mir ist das mal bei einer Blutentnahme morgens passiert. Ich war sowieso schon erschöpft, meine Brille war beschlagen. Und dann kam noch die Angst dazu. Da bin ich rausgegangen, und mein Kollege zwangsläufig auch. Er hat mir das nicht übel genommen. Wir alle wissen, dass die Angst jederzeit beherrschend werden kann.“

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