Balázs Nagy Navarro sitzt seit genau 1060 Tagen in Budapest vor dem Gebäude des Senderfonds MTVA, der die Oberaufsicht über die öffentlich-rechtlichen ungarischen Medien hat. Der Journalist wohnt dort in einem Zelt und protestiert: gegen Manipulation in Nachrichtensendungen des Staatsfernsehens, gegen seine Kündigung vor mehr als drei Jahren, gegen das rigide Mediengesetz. Und damit letztlich auch gegen Viktor Orbán.
Immer wieder mal verlässt er seinen privaten Streikposten – und natürlich war er in den vergangenen Tagen auf beiden Großdemonstrationen gegen die Internetsteuer dabei, die das Parlament in drei Wochen endgültig beschließen soll. Die Regierung hatte ursprünglich geplant, jedweden Datenverkehr mit umgerechnet 50 Euro-Cent pro Gigabyte zu belasten. Also die Internetnutzung teurer zu machen, anstatt, wie es der weltweite Trend ist, billiger.
Proteste in Budapest: es geht um mehr als Geld
Nach zwei Tagen mit spontanen Massendemos in mehreren Städten wurde die Idee rasch überarbeitet: Nun sollen die Kosten gedeckelt werden, sodass die privaten Nutzer mit maximal 2,30 Euro, Firmenkunden mit 16,60 Euro im Monat belastet werden. Das sei doch nun wirklich nicht viel, heißt es beruhigend. Kritiker sehen das anders: nach Telekommunikationsteuer und Banktransaktionsteuer sei das der nächste Versuch, armen Leuten in die Tasche zu fassen. Und außerdem gehe es hier ums Prinzip, um die Moderne, um internationale Konkurrenzfähigkeit, und auch um die Freiheit der Meinung.
Die Proteste werden weitergehen; spätestens zum 17. November, wenn die Besteuerung des Datenverkehrs im Netz beschlossen werden soll, wollen die Demonstranten auf Initiative der Facebook-Gruppe „Hunderttausend gegen die Internetsteuer“ wieder marschieren. Dass es so lange ruhig bleibt, glaubt allerdings kaum jemand. Denn die Bewegung hat Mut gefasst wegen der überraschend starken Resonanz. Und die Regierung zeigt sich – bislang – prinzipiell uneinsichtig.
Von einer „gerechten Lastenverteilung“ war am Dienstag im Wirtschaftsministerium die Rede. Und in einer Erklärung der Regierung heißt es ein wenig kläglich, hier gehe es doch nur um die Ausweitung der Telekommunikationsteuer, also gar nicht um eine neue Steuer. Außerdem würden die Mehreinnahmen in den Ausbau des Breitbandnetzes fließen, also den Internetnutzern sogar zugutekommen.
Mit solchen Erklärungen indes wird die Regierung Orbán die Geister nicht mehr los, die sie mit einer Idee rief, die in Europa einmalig ist. Natürlich geht es, so Nagy Navarro, einerseits um Geld. Internetnutzung sei in Ungarn vergleichsweise teuer. Die neue Steuer müsse zwar von den Internetdienstleistern bezahlt werden, doch jedermann gehe davon aus, dass die Mehrkosten auf die Kunden abgewälzt würden. Und nun solle die innovative, junge Facebook-Generation bluten? Studenten, die ihre Informationen aus dem Netz holten, Leser, die genug von den regierungstreuen Medien hätten, sollten für nonkonforme Meinungen nun extra zahlen?
Um Geld geht es auch den Telekommunikationsunternehmen. Magyar Telekom etwa hat sich gegenüber der Internet-Wirtschaftszeitung portfolio.hu „schockiert“ über eine weitere Belastung gezeigt; die Profite seien durch die Extra-Steuern, die sie in Ungarn zahlen müssten, ohnehin schon stark gesunken. Außerdem führe eine Internetsteuer dazu, dass „alle Marktteilnehmer ihren Datenverkehr einschränken, während die Welt sich genau in die andere Richtung“ entwickele.
Andererseits geht es natürlich um Politik. Nicht nur wer Material herunterlädt, soll zahlen, sondern auch, wer es hochlädt. Dagegen geht nun mit einem Widerhall der Dokumentarfilmer Ádám Csillag vor, der eigene Berichte aus dem politischen Alltag in Ungarn nur noch über Youtube verbreitet, weil sie im ungarischen Staatsfernsehen zensiert oder ignoriert würden, während sich die privaten Medien der Selbstzensur unterwürfen. Er hält die Idee einer Internetsteuer für einen Skandal, denn „Orbán kann die Freiheit des Internets nicht offen einschränken“. Darum wolle er den Zugang zu Informationen qua Portemonnaie erschweren.
Zu sagen, dass die Regierung von den Protesten auf dem falschen Fuß erwischt wurde, wäre untertrieben. Vor einem halben Jahr war Orbán mit großer Mehrheit wiedergewählt worden, gerade erst hat Fidesz auch die Kommunalwahlen haushoch gewonnen, von Widerstand gegen Regierungspolitik keine Spur. Und nun nicht nur Rufe wie: „Wir lassen uns das nicht gefallen“, sondern auch „Viktator“, „Wir wollen keine Steuern an eine korrupte Bande zahlen“ und „Orbán muss weg“? Tamás Bodoky von der Nichtregierungsorganisation Atlaszo.hu sagt, die Demonstrationen trügen einen „klar proeuropäischen Charakter – im Gegensatz zum euroskeptischen und prorussischen Kurs von Viktor Orbán“.
So große regierungskritische Aufmärsche hat es lange nicht mehr gegeben – zum letzten Mal wohl am 23. Oktober 2011, als die Facebook-Initiative „Eine Million für die Pressefreiheit“ (Milla) an den Start ging. Die Grassroots-Bewegung ging später in einer Oppositionspartei auf und verlor zuletzt stark an Bedeutung. Milla-Gründer Petér Juhász sagt jetzt euphorisch, „hier geht es um Freiheit. Und ich denke, der Protest wird wieder wachsen“.
Gibt es also eine Neuauflage? Balázs Nagy Navarro warnt davor, gleich einen ungarischen Maidan in den Protesten zu sehen, auch wenn das politische Moment zunehme. Den meisten Demonstranten gehe es tatsächlich um eine Steuer, die sie nicht zahlen wollten. Auch Fidesz-Anhänger und Anhänger der rechtsradikalen Jobbik seien mitmarschiert, für viele sei es sogar der erste Protestmarsch ihres Lebens gewesen.
Aber der Journalist sieht darin eine Gefahr für Orbán: „Es hat ihnen gefallen.“
Immer wieder mal verlässt er seinen privaten Streikposten – und natürlich war er in den vergangenen Tagen auf beiden Großdemonstrationen gegen die Internetsteuer dabei, die das Parlament in drei Wochen endgültig beschließen soll. Die Regierung hatte ursprünglich geplant, jedweden Datenverkehr mit umgerechnet 50 Euro-Cent pro Gigabyte zu belasten. Also die Internetnutzung teurer zu machen, anstatt, wie es der weltweite Trend ist, billiger.
Proteste in Budapest: es geht um mehr als Geld
Nach zwei Tagen mit spontanen Massendemos in mehreren Städten wurde die Idee rasch überarbeitet: Nun sollen die Kosten gedeckelt werden, sodass die privaten Nutzer mit maximal 2,30 Euro, Firmenkunden mit 16,60 Euro im Monat belastet werden. Das sei doch nun wirklich nicht viel, heißt es beruhigend. Kritiker sehen das anders: nach Telekommunikationsteuer und Banktransaktionsteuer sei das der nächste Versuch, armen Leuten in die Tasche zu fassen. Und außerdem gehe es hier ums Prinzip, um die Moderne, um internationale Konkurrenzfähigkeit, und auch um die Freiheit der Meinung.
Die Proteste werden weitergehen; spätestens zum 17. November, wenn die Besteuerung des Datenverkehrs im Netz beschlossen werden soll, wollen die Demonstranten auf Initiative der Facebook-Gruppe „Hunderttausend gegen die Internetsteuer“ wieder marschieren. Dass es so lange ruhig bleibt, glaubt allerdings kaum jemand. Denn die Bewegung hat Mut gefasst wegen der überraschend starken Resonanz. Und die Regierung zeigt sich – bislang – prinzipiell uneinsichtig.
Von einer „gerechten Lastenverteilung“ war am Dienstag im Wirtschaftsministerium die Rede. Und in einer Erklärung der Regierung heißt es ein wenig kläglich, hier gehe es doch nur um die Ausweitung der Telekommunikationsteuer, also gar nicht um eine neue Steuer. Außerdem würden die Mehreinnahmen in den Ausbau des Breitbandnetzes fließen, also den Internetnutzern sogar zugutekommen.
Mit solchen Erklärungen indes wird die Regierung Orbán die Geister nicht mehr los, die sie mit einer Idee rief, die in Europa einmalig ist. Natürlich geht es, so Nagy Navarro, einerseits um Geld. Internetnutzung sei in Ungarn vergleichsweise teuer. Die neue Steuer müsse zwar von den Internetdienstleistern bezahlt werden, doch jedermann gehe davon aus, dass die Mehrkosten auf die Kunden abgewälzt würden. Und nun solle die innovative, junge Facebook-Generation bluten? Studenten, die ihre Informationen aus dem Netz holten, Leser, die genug von den regierungstreuen Medien hätten, sollten für nonkonforme Meinungen nun extra zahlen?
Um Geld geht es auch den Telekommunikationsunternehmen. Magyar Telekom etwa hat sich gegenüber der Internet-Wirtschaftszeitung portfolio.hu „schockiert“ über eine weitere Belastung gezeigt; die Profite seien durch die Extra-Steuern, die sie in Ungarn zahlen müssten, ohnehin schon stark gesunken. Außerdem führe eine Internetsteuer dazu, dass „alle Marktteilnehmer ihren Datenverkehr einschränken, während die Welt sich genau in die andere Richtung“ entwickele.
Andererseits geht es natürlich um Politik. Nicht nur wer Material herunterlädt, soll zahlen, sondern auch, wer es hochlädt. Dagegen geht nun mit einem Widerhall der Dokumentarfilmer Ádám Csillag vor, der eigene Berichte aus dem politischen Alltag in Ungarn nur noch über Youtube verbreitet, weil sie im ungarischen Staatsfernsehen zensiert oder ignoriert würden, während sich die privaten Medien der Selbstzensur unterwürfen. Er hält die Idee einer Internetsteuer für einen Skandal, denn „Orbán kann die Freiheit des Internets nicht offen einschränken“. Darum wolle er den Zugang zu Informationen qua Portemonnaie erschweren.
Zu sagen, dass die Regierung von den Protesten auf dem falschen Fuß erwischt wurde, wäre untertrieben. Vor einem halben Jahr war Orbán mit großer Mehrheit wiedergewählt worden, gerade erst hat Fidesz auch die Kommunalwahlen haushoch gewonnen, von Widerstand gegen Regierungspolitik keine Spur. Und nun nicht nur Rufe wie: „Wir lassen uns das nicht gefallen“, sondern auch „Viktator“, „Wir wollen keine Steuern an eine korrupte Bande zahlen“ und „Orbán muss weg“? Tamás Bodoky von der Nichtregierungsorganisation Atlaszo.hu sagt, die Demonstrationen trügen einen „klar proeuropäischen Charakter – im Gegensatz zum euroskeptischen und prorussischen Kurs von Viktor Orbán“.
So große regierungskritische Aufmärsche hat es lange nicht mehr gegeben – zum letzten Mal wohl am 23. Oktober 2011, als die Facebook-Initiative „Eine Million für die Pressefreiheit“ (Milla) an den Start ging. Die Grassroots-Bewegung ging später in einer Oppositionspartei auf und verlor zuletzt stark an Bedeutung. Milla-Gründer Petér Juhász sagt jetzt euphorisch, „hier geht es um Freiheit. Und ich denke, der Protest wird wieder wachsen“.
Gibt es also eine Neuauflage? Balázs Nagy Navarro warnt davor, gleich einen ungarischen Maidan in den Protesten zu sehen, auch wenn das politische Moment zunehme. Den meisten Demonstranten gehe es tatsächlich um eine Steuer, die sie nicht zahlen wollten. Auch Fidesz-Anhänger und Anhänger der rechtsradikalen Jobbik seien mitmarschiert, für viele sei es sogar der erste Protestmarsch ihres Lebens gewesen.
Aber der Journalist sieht darin eine Gefahr für Orbán: „Es hat ihnen gefallen.“