Superheld prügelt sich mit Superschurken. Explosionen, Zerstörung, Karambolagen, Geschrei und am Ende triumphiert das Gute. Auch „Iron Man2“ setzt zuverlässig auf dieses Instant-Rezept für Action-Filme. In einer Szene prügelt sich der Superheld vor der Kulisse eines Formel-1-Rennens in Monaco mit dem Superschurken Ivan Manko. Die Gegner rasen mit Rennwagen über den Stadtkurs, Starkstrompeitschen werden eingesetzt, Autos damit in zwei Hälften zerteilt – und gerade als der Superheld geschlagen zu sein scheint, naht (natürlich!) Rettung in letzter Sekunde. Und zwar in Gestalt seiner Assistentin und des Chauffeurs, die einen Rolls Royce frontal in den Wagen des Superschurken steuern. Das Action-Menu, das der amerikanische Regisseur Jon Favreau vor vier Jahren servierte, ist erwartbar – und doch versteckt sich in dem genreüblichen Geprügel eine Überraschung für Forscher.
Wie wirken Kinofilme auf unser Gehirn? Neurowissenschaftler versuchen das herauszufinden.
Den Kognitionswissenschaftler Tim Smith von der Universität von London kümmert der Ausgang der Prügelei wenig. Ihn interessiert, wie Zuschauer die Szene wahrnehmen. Dazu hat er per Spezialkamera die Augen der Zuschauer beim Betrachten der Szene verfolgt. Er wollte erfassen, auf welche Elemente sie sich konzentrieren. Fast alle fokussierten auf die Gesichter der Akteure und die durch die Luft fliegenden Wagen, aber nicht auf die Reichen und Schönen auf den Tribünen an der Rennstrecke. Auch das war zunächst erwartbar und wenig verblüffend.
Die Überraschung folgte erst, als der Regisseur Favreau kürzlich in Los Angeles bei einer Podiumsdiskussion zu Psychologie und Neurowissenschaft des Kinos mit den Ergebnissen konfrontiert wurde. „Alles, was die Zuschauer sehen“, erklärte er, „ist echt, alles andere nicht.“ Die Rennautos und die Helden filmte Favreau auf einem Parkplatz bei Los Angeles, inklusive zweier Rolls Royce, die für den Film demoliert wurden. Das müsse real sein, so Favreau, weil das Publikum Tricks rasch bemerken würde. Doch der Rest der Filmsequenz – Rennstrecke, Tribünen, Zuschauer – entstand im Computer, und das mit nur wenig Detailtiefe. Weil die Aufmerksamkeit der Zuschauer darauf nicht gerichtet ist, war eine besonders realistische Ausarbeitung nicht nötig. Der Regisseur Favreau wusste offenbar genau, was er tat – und nahm am Filmset das vorweg, was Kognitionsforscher erst in Laborversuchen ergründen mussten.
Das Interesse an einer wissenschaftlichen Aufschlüsselung der menschlichen Wahrnehmung und Kognition beim Erleben eines Films ist in Hollywood groß, schließlich erlebte die Branche jüngst einen technischen Sprung nach dem anderen: hochauflösende Kameras, 3D-Technik, erhöhte Bildraten und digital erzeugte, verblüffend realistische Welten.
Wie aber gelingt es, einen Saal voller Zuschauer in den Bann zu ziehen und deren Fokus wie bei einer Zaubervorführung kollektiv zu lenken? „Aufmerksamkeitssynchronie“ nennt Smith das Phänomen des geteilten Blicks. Das spiegelt sich womöglich auch in der Hirntätigkeit wider. Zumindest konnte der Neuropsychologe Uri Hasson von der Universität Princeton in einem Experiment demonstrieren, dass bei Versuchspersonen großteils die gleichen für Aufmerksamkeit und Wahrnehmung wichtigen Bereiche im Frontallappen des Gehirns aktiv waren, wenn sie eine Szene aus „Bang! You’re Dead“ von Alfred Hitchcock ansahen. Das Ergebnis ist nicht selbstverständlich – es verdankt sich wahrscheinlich der Kameraführung und den ausgeklügelten Schnitten. Als Hasson den Probanden eine Folge der formal deutlich lockerer komponierten US-Seifenoper „Lass es, Larry!“ vorspielte, stimmte die Tätigkeit in den Frontallappen der Testpersonen nur noch zu 18 Prozent überein. „Gekonnt strukturierte Filme steuern die Aufmerksamkeit der Zuschauer“, sagt Hasson.
Wer in einen Film abtaucht, nimmt in aller Regel die wechselnden Kameraeinstellungen und sogar Zeitsprünge kaum mehr wahr. Die Leichtigkeit, mit der das geschieht, wirft eine Frage auf: Entspricht moderne Filmkomposition unserer natürlichen Art und Weise, die Welt wahrzunehmen? Oder handelt es sich um kulturell erlerntes Wissen? Muss man das Betrachten eines gelungenen Films erst trainieren? Der Kognitionspsychologe Stephan Schwan vom Tübinger Leibniz-Institut für Wissensmedien hat das mit der Filmwissenschaftlerin Sermin Ildirar von der Universität Istanbul in zwei Studien aus den Jahren 2010 und 2014 überprüft.
In Bergdörfern südlich der anatolischen Stadt Isparta fanden sie Dutzende Personen im Alter von 40 bis 81 Jahren, die keine Erfahrung mit Filmen hatten, weil es in den Orten lange keinen Strom gegeben hatte. Die Wissenschaftler führten eigens gedrehte Kurzfilme aus ihrem Alltagsleben vor, komponiert mithilfe klassischer Schnitttechniken, Kameraeinstellungen und elliptischer Erzählweise.
Waren vertraute Handlungen wie die Zubereitung von Tee zu sehen, störten sich die Zuschauer nicht an ungewöhnlichen Kameraeinstellungen, Ortswechseln oder zeitlichen Sprüngen. Fehlte eine solche Handlung, fiel das Verstehen deutlich schwerer – etwa, als ein nach rechts blickender Mann zu sehen war, gefolgt von einem Mann vor demselben Hintergrund, der nach links blickt. Das interpretierten die Dorfbewohner nicht als „Zwei Männer sehen sich an“, sondern als voneinander unabhängige Szenen. Sah man ein Haus zudem erst von außen, dann von innen, führte auch das meist zu Verwirrung. Das Verständnis der Schnitttechnik ist eine kulturell erworbene Fertigkeit, folgern Schwan und Ildirar, die keineswegs unserer natürlichen Wahrnehmung entspringt.
Wer hingegen mit Filmen aufgewachsen ist, kann Handlungen problemlos folgen – so sehr, dass man oftmals nicht bemerkt, wenn im Hintergrund einer Szene Gegenstände verschwinden, Darsteller plötzlich anders gekleidet sind oder gar, wie in einem klassischen Experiment, ein Gorilla durch die Szenerie spaziert.
Auch nehmen Zuschauer Filmschnitte oft nicht wahr. Eine Studie von Tim Smith und dem Psychologen John Henderson von der University of Edinburgh zeigte, dass Versuchspersonen in einem Hollywoodfilm rund 16 Prozent der Schnitte übersehen, bei Actionszenen gar ein Drittel – und zwar selbst dann, wenn sie aufgefordert werden, die Schnitte zu verfolgen. Das hindert die meisten Menschen in industrialisierten Ländern aber keineswegs daran, komplexe Kinofilme zu verstehen.
Eine weitere Manipulationstechnik ist die Bildfrequenz. Die beträgt heute in Kinofilmen meist 24 Bilder pro Sekunde. Das Gehirn interpretiert sie als kontinuierliche Handlung. Doch steigert man die Bildrate auf 48 Bilder, wie in Peter Jacksons aktueller „Hobbit“-Verfilmung, wirkt die Szenerie seltsam hyperrealistisch. Womöglich müssen Zuschauer sich in der Tat erst an einen neuen Standard gewöhnen, schließlich lag die Frequenz in der Stummfilmzeit noch bei heute befremdlichen 16 Bildern. Mehr visuelle Informationen, so hoffen die Regisseure, führen dazu, dass die Zuschauer noch tiefer in ihren Filmen versinken – einige Indizien aus der Forschung scheinen diese Hoffnung zu begründen.
Aber die beste Technik verfehlt ihre Wirkung, wenn der Film eine miese Geschichte erzählt. Und am tiefsten taucht das Publikum ein, wenn es sich mit einem Helden emotional verbindet und identifiziert. Das kann weit führen. So hat die Neuropsychologin Talma Hendler vom Sourasky Medical Center in Tel Aviv mithilfe eines Hirnscanners beobachtet, wie Menschen auf eine der letzten Szenen in Darren Aranofskys Ballettfilm „Black Swan“ reagieren. Der Protagonistin entgleitet schrittweise die Realität; einmal halluziniert sie, wie ihr Federn aus der Haut wachsen. Das erzeugte in den neuronalen Empathieschaltkreisen der Betrachter Aktivitätsmuster, die Hendler von schizophrenen Patienten kennt. Der Zuschauer, so argumentiert sie, gerät selbst in einen geistigen Ausnahmezustand.
Aber dieser ist zum Glück nicht von Dauer. „Wir können unsere Erfahrungen im Kino schließlich einordnen“, sagt der Medienpsychologe Matthias Hofer von der Universität Zürich. „Das erlaubt uns, empfundene Trauer oder auch Verwirrung als positiv zu empfinden.“ Deshalb haben die Zuschauer Spaß, wenn ihnen das Kino den Kopf verdreht – egal in welche Richtung.
Wie wirken Kinofilme auf unser Gehirn? Neurowissenschaftler versuchen das herauszufinden.
Den Kognitionswissenschaftler Tim Smith von der Universität von London kümmert der Ausgang der Prügelei wenig. Ihn interessiert, wie Zuschauer die Szene wahrnehmen. Dazu hat er per Spezialkamera die Augen der Zuschauer beim Betrachten der Szene verfolgt. Er wollte erfassen, auf welche Elemente sie sich konzentrieren. Fast alle fokussierten auf die Gesichter der Akteure und die durch die Luft fliegenden Wagen, aber nicht auf die Reichen und Schönen auf den Tribünen an der Rennstrecke. Auch das war zunächst erwartbar und wenig verblüffend.
Die Überraschung folgte erst, als der Regisseur Favreau kürzlich in Los Angeles bei einer Podiumsdiskussion zu Psychologie und Neurowissenschaft des Kinos mit den Ergebnissen konfrontiert wurde. „Alles, was die Zuschauer sehen“, erklärte er, „ist echt, alles andere nicht.“ Die Rennautos und die Helden filmte Favreau auf einem Parkplatz bei Los Angeles, inklusive zweier Rolls Royce, die für den Film demoliert wurden. Das müsse real sein, so Favreau, weil das Publikum Tricks rasch bemerken würde. Doch der Rest der Filmsequenz – Rennstrecke, Tribünen, Zuschauer – entstand im Computer, und das mit nur wenig Detailtiefe. Weil die Aufmerksamkeit der Zuschauer darauf nicht gerichtet ist, war eine besonders realistische Ausarbeitung nicht nötig. Der Regisseur Favreau wusste offenbar genau, was er tat – und nahm am Filmset das vorweg, was Kognitionsforscher erst in Laborversuchen ergründen mussten.
Das Interesse an einer wissenschaftlichen Aufschlüsselung der menschlichen Wahrnehmung und Kognition beim Erleben eines Films ist in Hollywood groß, schließlich erlebte die Branche jüngst einen technischen Sprung nach dem anderen: hochauflösende Kameras, 3D-Technik, erhöhte Bildraten und digital erzeugte, verblüffend realistische Welten.
Wie aber gelingt es, einen Saal voller Zuschauer in den Bann zu ziehen und deren Fokus wie bei einer Zaubervorführung kollektiv zu lenken? „Aufmerksamkeitssynchronie“ nennt Smith das Phänomen des geteilten Blicks. Das spiegelt sich womöglich auch in der Hirntätigkeit wider. Zumindest konnte der Neuropsychologe Uri Hasson von der Universität Princeton in einem Experiment demonstrieren, dass bei Versuchspersonen großteils die gleichen für Aufmerksamkeit und Wahrnehmung wichtigen Bereiche im Frontallappen des Gehirns aktiv waren, wenn sie eine Szene aus „Bang! You’re Dead“ von Alfred Hitchcock ansahen. Das Ergebnis ist nicht selbstverständlich – es verdankt sich wahrscheinlich der Kameraführung und den ausgeklügelten Schnitten. Als Hasson den Probanden eine Folge der formal deutlich lockerer komponierten US-Seifenoper „Lass es, Larry!“ vorspielte, stimmte die Tätigkeit in den Frontallappen der Testpersonen nur noch zu 18 Prozent überein. „Gekonnt strukturierte Filme steuern die Aufmerksamkeit der Zuschauer“, sagt Hasson.
Wer in einen Film abtaucht, nimmt in aller Regel die wechselnden Kameraeinstellungen und sogar Zeitsprünge kaum mehr wahr. Die Leichtigkeit, mit der das geschieht, wirft eine Frage auf: Entspricht moderne Filmkomposition unserer natürlichen Art und Weise, die Welt wahrzunehmen? Oder handelt es sich um kulturell erlerntes Wissen? Muss man das Betrachten eines gelungenen Films erst trainieren? Der Kognitionspsychologe Stephan Schwan vom Tübinger Leibniz-Institut für Wissensmedien hat das mit der Filmwissenschaftlerin Sermin Ildirar von der Universität Istanbul in zwei Studien aus den Jahren 2010 und 2014 überprüft.
In Bergdörfern südlich der anatolischen Stadt Isparta fanden sie Dutzende Personen im Alter von 40 bis 81 Jahren, die keine Erfahrung mit Filmen hatten, weil es in den Orten lange keinen Strom gegeben hatte. Die Wissenschaftler führten eigens gedrehte Kurzfilme aus ihrem Alltagsleben vor, komponiert mithilfe klassischer Schnitttechniken, Kameraeinstellungen und elliptischer Erzählweise.
Waren vertraute Handlungen wie die Zubereitung von Tee zu sehen, störten sich die Zuschauer nicht an ungewöhnlichen Kameraeinstellungen, Ortswechseln oder zeitlichen Sprüngen. Fehlte eine solche Handlung, fiel das Verstehen deutlich schwerer – etwa, als ein nach rechts blickender Mann zu sehen war, gefolgt von einem Mann vor demselben Hintergrund, der nach links blickt. Das interpretierten die Dorfbewohner nicht als „Zwei Männer sehen sich an“, sondern als voneinander unabhängige Szenen. Sah man ein Haus zudem erst von außen, dann von innen, führte auch das meist zu Verwirrung. Das Verständnis der Schnitttechnik ist eine kulturell erworbene Fertigkeit, folgern Schwan und Ildirar, die keineswegs unserer natürlichen Wahrnehmung entspringt.
Wer hingegen mit Filmen aufgewachsen ist, kann Handlungen problemlos folgen – so sehr, dass man oftmals nicht bemerkt, wenn im Hintergrund einer Szene Gegenstände verschwinden, Darsteller plötzlich anders gekleidet sind oder gar, wie in einem klassischen Experiment, ein Gorilla durch die Szenerie spaziert.
Auch nehmen Zuschauer Filmschnitte oft nicht wahr. Eine Studie von Tim Smith und dem Psychologen John Henderson von der University of Edinburgh zeigte, dass Versuchspersonen in einem Hollywoodfilm rund 16 Prozent der Schnitte übersehen, bei Actionszenen gar ein Drittel – und zwar selbst dann, wenn sie aufgefordert werden, die Schnitte zu verfolgen. Das hindert die meisten Menschen in industrialisierten Ländern aber keineswegs daran, komplexe Kinofilme zu verstehen.
Eine weitere Manipulationstechnik ist die Bildfrequenz. Die beträgt heute in Kinofilmen meist 24 Bilder pro Sekunde. Das Gehirn interpretiert sie als kontinuierliche Handlung. Doch steigert man die Bildrate auf 48 Bilder, wie in Peter Jacksons aktueller „Hobbit“-Verfilmung, wirkt die Szenerie seltsam hyperrealistisch. Womöglich müssen Zuschauer sich in der Tat erst an einen neuen Standard gewöhnen, schließlich lag die Frequenz in der Stummfilmzeit noch bei heute befremdlichen 16 Bildern. Mehr visuelle Informationen, so hoffen die Regisseure, führen dazu, dass die Zuschauer noch tiefer in ihren Filmen versinken – einige Indizien aus der Forschung scheinen diese Hoffnung zu begründen.
Aber die beste Technik verfehlt ihre Wirkung, wenn der Film eine miese Geschichte erzählt. Und am tiefsten taucht das Publikum ein, wenn es sich mit einem Helden emotional verbindet und identifiziert. Das kann weit führen. So hat die Neuropsychologin Talma Hendler vom Sourasky Medical Center in Tel Aviv mithilfe eines Hirnscanners beobachtet, wie Menschen auf eine der letzten Szenen in Darren Aranofskys Ballettfilm „Black Swan“ reagieren. Der Protagonistin entgleitet schrittweise die Realität; einmal halluziniert sie, wie ihr Federn aus der Haut wachsen. Das erzeugte in den neuronalen Empathieschaltkreisen der Betrachter Aktivitätsmuster, die Hendler von schizophrenen Patienten kennt. Der Zuschauer, so argumentiert sie, gerät selbst in einen geistigen Ausnahmezustand.
Aber dieser ist zum Glück nicht von Dauer. „Wir können unsere Erfahrungen im Kino schließlich einordnen“, sagt der Medienpsychologe Matthias Hofer von der Universität Zürich. „Das erlaubt uns, empfundene Trauer oder auch Verwirrung als positiv zu empfinden.“ Deshalb haben die Zuschauer Spaß, wenn ihnen das Kino den Kopf verdreht – egal in welche Richtung.