Der Bankräuber bewegte sich geschmeidig wie ein Tänzer und war ausgesprochen höflich. Mit einer Zorro-Maske über dem Gesicht und einer Pistole in der Hand huschte er in den Schalterraum, reichte eine Plastiktüte über den Tresen und sagte mit fester Stimme: „Das ist ein Überfall!“ Bevor er den Raum mit seiner Beute wieder verließ, nahm er stets ein Geldbündel und warf es den verdutzten Kassierern hin: Trinkgeld für die Angestellten, wie im Kasino. Wenn der mysteriöse Bankräuber wieder mal eine Filiale überfallen hatte, titelten Express und Bild: „Zorro hat wieder zugeschlagen.“
„Zorro“ beraubte von 1985 bis 1995 insgesamt 13 Banken in Deutschland, die meisten davon mehrmals. Er benutzte immer eine Schreckschusspistole, wendete nie körperliche Gewalt an, und er spendete nach seinen Taten einen Teil der Beute an wohltätige Organisationen. Der Mann wurde nie geschnappt, er ging nur ins Netz der Fahnder, weil ihn ein Mitwisser denunzierte, um sich wegen einer Frauengeschichte zu rächen. Im Dezember 1995, wenige Tage nach einem Überfall, wurde er in Portugal verhaftet und nach mehreren Indizienprozessen zu achteinhalb Jahren Haft verurteilt.
Der Mann, der Zorro war, sitzt nun in einem Café in Köln, ohne Maske. Laux hat ein Buch über seine Bankräuber-Zeit geschrieben („Hinter blauen Augen: Bekenntnisse eines aufrechten Bankräubers“, Heyne), seine Story ist eine Mischung aus Gesellschaftskritik, Spannung, Liebesgeschichte, und Slapstickszenen sind auch dabei. Ein freundlicher Verbrecher („Sorry, Banküberfall!“), der einem Opa während des Überfalls beim Ausfüllen eines Überweisungsformulars hilft; ein Bankräuber, dessen Bruder ein hoher Bankmanager ist; eine Verfolgungsjagd mit zwei Fahrrädern; ein Outlaw mit romantischer Ader, der aus gutem Hause stammt und Bertolt Brecht zitiert: „Was ist ein Bankraub gegen die Gründung einer Bank?“ Alles davon sei wahr, nur einige Namen und Orte habe er für das Buch geändert, sagt Laux. Er dämpft seine Stimme, als wolle er vermeiden, dass die beiden älteren Damen am Nachbartisch sich bei den Stichworten „Überfall“ und „Pistole“ unnötig erschrecken.
Laux ist ein höflicher, gebildeter Mensch, der Fernando Pessoa liest und im Knast seinen Mithäftlingen half, Liebesbriefe zu formulieren. Er ist jetzt knapp 60 Jahre alt, man könnte ihn von Weitem mit einem Ultralangzeit-Studenten verwechseln. Laux trägt einen Norwegerpulli und Jeans, seine gewellten, blonden Haare sind im Nacken zu einem Zopf gebunden. Die hellen blauen Augen leuchten, besonders, wenn er auf Frauen zu sprechen kommt. Und er hat viele Frauengeschichten zu erzählen.
Frauen zuliebe begann er seine kriminelle Karriere, und wegen einer Frau beendete er sie. Reiner Laux lebte Mitte der Achtziger in Gießen in einer Wohngemeinschaft mit fünf Mädchen. Es war keine Sex-Kommune, wie er betont, sondern einfach eine WG mit einer für ihn angenehmen Besetzung. Eines der Mädchen schleppte einen persischen Mann an, in den es sich verliebt hatte, und ließ ihn in die WG einziehen. Der Mann zahlte keinen Pfennig Miete und ignorierte erfolgreich, dass die Dauertelefonate in seine Heimat sehr teuer waren. Die WG-Bewohner wollten sich zunächst nicht ausländerfeindlich zeigen, fragten nach elf Monaten aber doch mal vorsichtig nach – woraufhin der Mann spurlos verschwand. Er hinterließ Telefon- und Mietschulden von knapp 7000 Mark. Keiner in der WG hatte so viel Geld. Jemand sagte im Spaß: „Lass uns doch eine Bank überfallen.“
Und das tat Reiner Laux dann. Der erste Überfall war schlecht bis gar nicht geplant. Dennoch funktionierte alles, Laux sagt: „Ich war überrascht, wie einfach das ging.“ Er fuhr mit dem Zug nach Frankfurt, stülpte einen schwarzen Motorradhelm über den Kopf, ging in eine Bankfiliale und forderte Geld. Die Waffe, die er dabei hatte, war nicht geladen. Finanziell war der Überfall eine Erlösung, die Schulden bezahlt, die WG konnte bleiben. Doch in dem Moment, als sich Laux maskierte, passierte etwas: „Es war ein Tabubruch, eine endgültige Entgrenzung von der bürgerlichen Existenz.“ Er raubte den Banken in den folgenden Jahren Hunderttausende Euro und interpretierte die Überfälle für sich als politische Taten. Laux nahm gerne die Rolle des antikapitalistischen Desperados ein: „Mein Grundgefühl war immer: Zorn und Hilflosigkeit.“ Doch natürlich bleibt ein Überfall ein Überfall, auch wenn man ihn als Protest gegen die Gesellschaft verklärt.
Aber ursprünglich habe Laux nicht die übelsten Motive verfolgt, schreibt Günter Wallraff im Nachwort zum Buch. Wallraff erscheinen die Gründe für den Bankraub „nicht schamloser als die Gründe der gestrigen und heutigen Ackermänner dieser Welt, die Menschen wegen der Raffgier um Haus und Hof bringen“. Laux lernte Wallraff kennen, als dieser die JVA Köln besuchte, um mit Häftlingen Tischtennis zu spielen. Seitdem sind sie befreundet. Heute gibt Laux zu, dass er vieles romantisiert habe. Aber in der Logik seiner Geschichte klingt es nachvollziehbar, wenn er sagt: „Mein Ziel war, ein smarter Cavalheiro des Bankraubs zu werden.“ Um niemanden verletzen oder gar töten zu können, verwendete Reiner Laux immer eine Schreckschusspistole. Zeugen berichteten während der Prozesse gegen ihn, er sei immer höflich geblieben. Einmal führte er eine aufgeregte ältere Dame zu einer Sitzbank, ein anderes Mal bat er die Anwesenden freundlich, die Hände runterzunehmen, die diese unaufgefordert in die Höhe gestreckt hatten. Dass er Bankangestellte und Kunden mit seinen Auftritten möglicherweise trotzdem für immer traumatisierte, habe er lange Zeit ausgeblendet, sagt Laux.
Wenn er nicht gerade in Deutschland war, um einen Überfall vorzubereiten, lebte Laux in Lissabon, wo er bald zur Bohème gehörte. Die Zeiten zwischen den Taten verbrachte er wie einen Dauerurlaub, teilweise auch im Dauerrausch – ein großer Teil des Geldes ging für Sex, Drugs und Rock’n’Roll drauf. Seine Legende ging so: Er habe es als Antiquitätenhändler zu Geld gebracht und müsse ab und zu verreisen, um Geschäfte zu erledigen. Sein Bruder besuchte ihn in Portugal mal, merkte aber nichts von dessen Doppelleben. Später im Gefängnis kam der ältere Bruder ein einziges Mal zu Besuch, um ihm lediglich mitzuteilen, dass er keinerlei Unterstützung von seiner Familie erwarten solle. Sein Vater, ein Offizier beim Bundesgrenzschutz, sprach bis zu seinem Tod nie wieder mit ihm.
Seine Rückkehr in die Gesellschaft nach der Entlassung war nicht leicht, wie wohl bei fast jedem Straftäter, doch bei Laux war es doppelt schwierig, er hatte ja auch vor seiner Bankräuber-Laufbahn bereits alles dafür getan, außerhalb der Gesellschaft zu stehen. Er war nie versichert gewesen, zahlte keine Steuern, hatte kein Bankkonto. Während der Bankräuber-Jahre lebte er in einfachen Pensionen, besaß nie ein Auto oder eine Wohnung. Nach seiner Haft arbeitete er auf dem Bau, als Nachhilfelehrer oder bei Wohnungsrenovierungen.
Nun hat er einen Job beim Dachverband der kritischen Aktionäre in Aussicht, bei dieser Organisation will er sich ernsthaft mit seinem Lebensthema beschäftigen, der Bekämpfung der Bankenindustrie. Diesmal legal. Die Zeit der Banküberfälle sei seit 1995 vorbei, beteuert Reiner Laux. Während seiner Zeit im Gefängnis habe er Kontakt zu Mafia-Größen, Wirtschaftskriminellen und Cyber-Bankräubern gehabt, die ihn respektierten und eine geschäftliche Zusammenarbeit mit ihm anstrebten. Doch das kam für ihn nicht infrage. Die moderne Variante des Bankraubs per Computer interessiert ihn sowieso nicht.
„Völlig öde. Da könnte ich ja gleich Banker werden, da geht es ja nur darum, am Schreibtisch zu sitzen und virtuelle Geldströme umzulenken.“ Zorro würde ja auch nicht mit einem Laserschwert auftreten.
„Zorro“ beraubte von 1985 bis 1995 insgesamt 13 Banken in Deutschland, die meisten davon mehrmals. Er benutzte immer eine Schreckschusspistole, wendete nie körperliche Gewalt an, und er spendete nach seinen Taten einen Teil der Beute an wohltätige Organisationen. Der Mann wurde nie geschnappt, er ging nur ins Netz der Fahnder, weil ihn ein Mitwisser denunzierte, um sich wegen einer Frauengeschichte zu rächen. Im Dezember 1995, wenige Tage nach einem Überfall, wurde er in Portugal verhaftet und nach mehreren Indizienprozessen zu achteinhalb Jahren Haft verurteilt.
Der Mann, der Zorro war, sitzt nun in einem Café in Köln, ohne Maske. Laux hat ein Buch über seine Bankräuber-Zeit geschrieben („Hinter blauen Augen: Bekenntnisse eines aufrechten Bankräubers“, Heyne), seine Story ist eine Mischung aus Gesellschaftskritik, Spannung, Liebesgeschichte, und Slapstickszenen sind auch dabei. Ein freundlicher Verbrecher („Sorry, Banküberfall!“), der einem Opa während des Überfalls beim Ausfüllen eines Überweisungsformulars hilft; ein Bankräuber, dessen Bruder ein hoher Bankmanager ist; eine Verfolgungsjagd mit zwei Fahrrädern; ein Outlaw mit romantischer Ader, der aus gutem Hause stammt und Bertolt Brecht zitiert: „Was ist ein Bankraub gegen die Gründung einer Bank?“ Alles davon sei wahr, nur einige Namen und Orte habe er für das Buch geändert, sagt Laux. Er dämpft seine Stimme, als wolle er vermeiden, dass die beiden älteren Damen am Nachbartisch sich bei den Stichworten „Überfall“ und „Pistole“ unnötig erschrecken.
Laux ist ein höflicher, gebildeter Mensch, der Fernando Pessoa liest und im Knast seinen Mithäftlingen half, Liebesbriefe zu formulieren. Er ist jetzt knapp 60 Jahre alt, man könnte ihn von Weitem mit einem Ultralangzeit-Studenten verwechseln. Laux trägt einen Norwegerpulli und Jeans, seine gewellten, blonden Haare sind im Nacken zu einem Zopf gebunden. Die hellen blauen Augen leuchten, besonders, wenn er auf Frauen zu sprechen kommt. Und er hat viele Frauengeschichten zu erzählen.
Frauen zuliebe begann er seine kriminelle Karriere, und wegen einer Frau beendete er sie. Reiner Laux lebte Mitte der Achtziger in Gießen in einer Wohngemeinschaft mit fünf Mädchen. Es war keine Sex-Kommune, wie er betont, sondern einfach eine WG mit einer für ihn angenehmen Besetzung. Eines der Mädchen schleppte einen persischen Mann an, in den es sich verliebt hatte, und ließ ihn in die WG einziehen. Der Mann zahlte keinen Pfennig Miete und ignorierte erfolgreich, dass die Dauertelefonate in seine Heimat sehr teuer waren. Die WG-Bewohner wollten sich zunächst nicht ausländerfeindlich zeigen, fragten nach elf Monaten aber doch mal vorsichtig nach – woraufhin der Mann spurlos verschwand. Er hinterließ Telefon- und Mietschulden von knapp 7000 Mark. Keiner in der WG hatte so viel Geld. Jemand sagte im Spaß: „Lass uns doch eine Bank überfallen.“
Und das tat Reiner Laux dann. Der erste Überfall war schlecht bis gar nicht geplant. Dennoch funktionierte alles, Laux sagt: „Ich war überrascht, wie einfach das ging.“ Er fuhr mit dem Zug nach Frankfurt, stülpte einen schwarzen Motorradhelm über den Kopf, ging in eine Bankfiliale und forderte Geld. Die Waffe, die er dabei hatte, war nicht geladen. Finanziell war der Überfall eine Erlösung, die Schulden bezahlt, die WG konnte bleiben. Doch in dem Moment, als sich Laux maskierte, passierte etwas: „Es war ein Tabubruch, eine endgültige Entgrenzung von der bürgerlichen Existenz.“ Er raubte den Banken in den folgenden Jahren Hunderttausende Euro und interpretierte die Überfälle für sich als politische Taten. Laux nahm gerne die Rolle des antikapitalistischen Desperados ein: „Mein Grundgefühl war immer: Zorn und Hilflosigkeit.“ Doch natürlich bleibt ein Überfall ein Überfall, auch wenn man ihn als Protest gegen die Gesellschaft verklärt.
Aber ursprünglich habe Laux nicht die übelsten Motive verfolgt, schreibt Günter Wallraff im Nachwort zum Buch. Wallraff erscheinen die Gründe für den Bankraub „nicht schamloser als die Gründe der gestrigen und heutigen Ackermänner dieser Welt, die Menschen wegen der Raffgier um Haus und Hof bringen“. Laux lernte Wallraff kennen, als dieser die JVA Köln besuchte, um mit Häftlingen Tischtennis zu spielen. Seitdem sind sie befreundet. Heute gibt Laux zu, dass er vieles romantisiert habe. Aber in der Logik seiner Geschichte klingt es nachvollziehbar, wenn er sagt: „Mein Ziel war, ein smarter Cavalheiro des Bankraubs zu werden.“ Um niemanden verletzen oder gar töten zu können, verwendete Reiner Laux immer eine Schreckschusspistole. Zeugen berichteten während der Prozesse gegen ihn, er sei immer höflich geblieben. Einmal führte er eine aufgeregte ältere Dame zu einer Sitzbank, ein anderes Mal bat er die Anwesenden freundlich, die Hände runterzunehmen, die diese unaufgefordert in die Höhe gestreckt hatten. Dass er Bankangestellte und Kunden mit seinen Auftritten möglicherweise trotzdem für immer traumatisierte, habe er lange Zeit ausgeblendet, sagt Laux.
Wenn er nicht gerade in Deutschland war, um einen Überfall vorzubereiten, lebte Laux in Lissabon, wo er bald zur Bohème gehörte. Die Zeiten zwischen den Taten verbrachte er wie einen Dauerurlaub, teilweise auch im Dauerrausch – ein großer Teil des Geldes ging für Sex, Drugs und Rock’n’Roll drauf. Seine Legende ging so: Er habe es als Antiquitätenhändler zu Geld gebracht und müsse ab und zu verreisen, um Geschäfte zu erledigen. Sein Bruder besuchte ihn in Portugal mal, merkte aber nichts von dessen Doppelleben. Später im Gefängnis kam der ältere Bruder ein einziges Mal zu Besuch, um ihm lediglich mitzuteilen, dass er keinerlei Unterstützung von seiner Familie erwarten solle. Sein Vater, ein Offizier beim Bundesgrenzschutz, sprach bis zu seinem Tod nie wieder mit ihm.
Seine Rückkehr in die Gesellschaft nach der Entlassung war nicht leicht, wie wohl bei fast jedem Straftäter, doch bei Laux war es doppelt schwierig, er hatte ja auch vor seiner Bankräuber-Laufbahn bereits alles dafür getan, außerhalb der Gesellschaft zu stehen. Er war nie versichert gewesen, zahlte keine Steuern, hatte kein Bankkonto. Während der Bankräuber-Jahre lebte er in einfachen Pensionen, besaß nie ein Auto oder eine Wohnung. Nach seiner Haft arbeitete er auf dem Bau, als Nachhilfelehrer oder bei Wohnungsrenovierungen.
Nun hat er einen Job beim Dachverband der kritischen Aktionäre in Aussicht, bei dieser Organisation will er sich ernsthaft mit seinem Lebensthema beschäftigen, der Bekämpfung der Bankenindustrie. Diesmal legal. Die Zeit der Banküberfälle sei seit 1995 vorbei, beteuert Reiner Laux. Während seiner Zeit im Gefängnis habe er Kontakt zu Mafia-Größen, Wirtschaftskriminellen und Cyber-Bankräubern gehabt, die ihn respektierten und eine geschäftliche Zusammenarbeit mit ihm anstrebten. Doch das kam für ihn nicht infrage. Die moderne Variante des Bankraubs per Computer interessiert ihn sowieso nicht.
„Völlig öde. Da könnte ich ja gleich Banker werden, da geht es ja nur darum, am Schreibtisch zu sitzen und virtuelle Geldströme umzulenken.“ Zorro würde ja auch nicht mit einem Laserschwert auftreten.