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Lieder des Guten

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Menschen, die gut mit Panzerfäusten umgehen können, machen selten gute Musik. Sie machen in der Regel gar keine Musik. Kampflieder für Guerilleros werden von Leuten geschrieben, die vermutlich weder mit Waffen umgehen können noch viel von Musik verstehen. Zumindest in Kurdistan scheint es so zu sein.

Es gibt ein Kampflied der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) mit dem Titel: „Vur gerilla, vur“, auf Deutsch: Schlag zu, Guerilla, schlag zu! Es geht so: „Du bist die Hoffnung des kurdischen Volkes, in den Bergen, in den Felsen, in den Städten, auf den Plätzen. Schlag zu, schlag zu, schlag zu!“ Vur vur vur. Vur-r-r.

Eine E-Gitarre begleitet das. Es klingt, als hätte der Blitz eine Regentonne getroffen, nein, viele Blitze viele Regentonnen. Dieses Kampflied ist auf Türkisch, aber natürlich gibt es viele davon auf Kurdisch.

Kampflieder sind nicht dazu da, um in Köpfen und Herzen Schönes und Tiefes anzuregen. Sie sind nicht für die Nachwelt da, sondern für diesen Augenblick, in dem man töten soll, ohne Reue zu empfinden, und sterben, ohne Angst zu haben. Das Vur-Vur-Lied war einst für den Kampf gegen türkische Soldaten bestimmt (in den Bergen) und deren soldatengebärende Mütter und Schwestern (in den Städten).

Nun aber kämpft die PKK gegen die Isis-Monster – während wir hier Tatort gucken und Zeitung lesen. Und in der Zeitung steht, dass die Bundesregierung die PKK als Terrororganisation einstuft. Egal, was man von der PKK hält, ihr Liedgut wäre nicht weiter interessant. Kurdische Musik hat so viel mehr zu bieten. Einer ihrer Besten, Şivan Perwer, lebte bis vor Kurzem in Deutschland, ein Meister der Saz, ein Dichter auch, ein politischer (deswegen lebte er auch im Exil). „Oh Herz“, sang er, „lass mich im Vaterland begraben werden, im Kurdenland, im Land der Tapferen.“

Nun lebt Perwer im Vaterland, im türkischen Kurdistan, denn es hat sich dort viel zum Besseren gewendet. Die Hymnen der PKK, diese Berge-Nebel-Falken-Romantik, die verschwitzten, zum Teil folkloristischen Wehrsportbeats, sind nur interessant, weil sie sich an einen anderen Musiker heranknarzen, an einen, den man außerhalb der Türkei nicht kennt, obwohl man genau den kennen sollte, wenn man das Ewige Kurdische Drama verstehen will.





Ahmet Kaya. Er war halb Türke, halb Kurde. Er starb vor vierzehn Jahren in Paris an einem Herzinfarkt. Seine dreizehnjährige Tochter und seine Frau, endlich mal wieder beide zu Besuch aus Istanbul (Herbstferien, Papa), fanden ihn am Morgen im Flur. Kaya starb im Exil. In einem Land, mit dessen Nasallauten er nichts anfangen konnte. Ein kleiner Mann mit einer Stimme wie Frühlingsdonner und einem Salzundpfefferbart. Er hatte zugenommen vor Einsamkeit. „Ich verstehe nicht die Namen der Weine, die ich hier trinke“, sagte er seiner Frau am Telefon.

Im Herbst des Jahres 2000, bis zu seinem Tod, hassten sie ihn in der Türkei. Und bevor sie ihn hinausgeekelt hatten, das war im Frühling 1999, da hatten sie ihn geliebt, abgöttisch, so wie man in der Türkei arm geborene Künstler liebt, nachdem sie es aus ihrer Gosse geschafft haben. Und heute lieben sie ihn wieder. Das ist so in Türkiye. Kurdisch: Tirkiya. Sie ekelten ihn hinaus, weil er, der Star, einen Song auf Kurdisch aufnehmen wollte, in der Sprache seines Vaters, die er nicht sprach, aber gerne gelernt hätte.

Ahmet Kaya war von klein auf Massenpsychosen gewohnt. Er kam 1957 im ostanatolischen Malatya auf die Welt, das fünfte Kind eines Textilarbeiters, und bekam beim Aufwachsen drei Militärputsche mit und den Beginn des PKK-Krieges. Aber seine ganz persönliche, ihm alleine gewidmete Massenpsychose begann am Abend des 10. Februar 1999. Er nahm in Istanbul mal wieder einen Preis entgegen.

Nach neunzehn Alben wollte ihn nun auch der Verein der Magazinjournalisten ehren. Kaya umklammerte diesen Preis, einen goldigen Klumpen, sagte, er nehme ihn auch im Namen der Samstagsmütter entgegen, einer Frauenbewegung, der er einen Song gewidmet hatte, Frauen, die nach ihren im Krieg verschwundenen Söhnen suchten, und dann sagte er, lächelnd, und seine Stimme wurde laut: „Weil ich kurdischstämmig bin, werde ich auf meinem nächsten Album einen Song auf Kurdisch singen und einen Clip dazu drehen.“

Als er zu seinem Tisch ging – Youtube vergisst nichts – riefen die auserwählten Gäste, Damen in Abendtoilette: Buuuh. „Geh zur Hölle!“ – „So was wie Kurden gibt’s nicht!“ – Es flogen Gabeln, Messer, Gläser. Die Gäste stimmten ein Marschlied von 1933 an: „Türken nach vorne . . .“ Ahmet Kaya und seine Frau Gülten flohen aus dem Bankettsaal. „Schäm dich, Süßer“ titelte Hürriyet, das Blatt der Massen. Will heißen: Süßer, schlitz dir gern mal die Adern auf. Einige Jahre davor hatte das Blatt der Massen Ahmet Kaya noch zum Künstler des Jahres erkoren. Die Staatsanwaltschaft forderte nun wegen Hochverrats dreizehneinhalb Jahre Haft. Ahmet Kaya war berühmt geworden, weil er nach dem Putsch von 1980, als das Land in eine Schockstarre versank, eine neue Sprache fand für das, worum es immer geht, wenn einer wirklich singt: Angst, Hoffnung, Liebe.

Es gab damals einen sehr berühmten Sänger, Orhan Gencebay, dessen Motto war: „Diese Welt soll untergehen“. Die hochbegabte Diva Sezen Aksu sang ihrerseits über „verlorene Jahre“ und einen Ex, der nun bitte schweigen soll. Ahmet Kaya, der Mann mit dem ostanatolischen Akzent und der unerhört rauen, seltsam angenehmen Art, Saz zu spielen, sang über den Alltag im Bürgerkrieg. Die Möwen weinten auf Müllbergen Wir lächelten uns zu Bomben fielen auf Städte, jede Nacht Wir liebten uns, unentwegt Der Herbst tröpfelte auf unsere Dächer Wir verblassten, du und ich Damit sich diese dreckigen Gesichter erhellten Kämpften wir, unentwegt Ahmet Kaya liegt am Père Lachaise.

Vor einem Jahr verlieh ihm Staatspräsident Gül posthum den Großen Kultur- und Kunstpreis. Und Erdoğan sagte (da war er verunsichert wegen der Gezi-Proteste): „Leute, die uns heute angreifen, haben seinerzeit Ahmet Kaya angegriffen.“ Was für ein Quatsch. Ahmet Kaya, eine Ikone des Widerstands – für Erdoğan, für die PKK, für Gezi-Studenten, für links, für rechts. Aber eine Projektionsfläche für neue Massenpsychosen? Ahmet Kayas Ehefrau Gülten schrieb für ihn 1994 einen Song, bei dem bis heute sehr viele einfach dankbar die Klappe halten in der Türkei und in Kurdistan. Es heißt „Ağladıkça“. Während wir weinen, werden unsere Berge grün. Während wir weinen.

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