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Abwasch der Vampire

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Was machen Vampire eigentlich, wenn sie nicht gerade mit all den bizarren Dingen beschäftigt sind, von denen sonst im Kino immer erzählt wird? Während die Flut der neuen Vampirfilme den Thrill des Genres sucht, haben es die Neuseeländer Taika Waititi und Jemaine Clement auf den eher banalen Blutsauger-Alltag abgesehen – als könne man dem Leben von Vampiren mit den Mitteln des Reality TV beikommen, im subversiven Mockumentary-Stil.

Schnell stellt sich dabei freilich heraus, dass in der VG, der Wohngemeinschaft der Vampire in einem alten, verfallenen Haus im neuseeländischen Wellington die Jagd aufs nächste Opfer und die Flucht vor Knoblauchzehen, Sonnenstrahlen und Silberkugeln nur den allerkleinsten Teil des Tagesablaufs ausmachen. Stattdessen geht es wie in jeder anderen WG um zermürbende Streitereien: Wer spült die Berge blutverklebten Geschirrs ab? Könnt ihr nicht Handtücher auf meinem guten Sofa ausbreiten, bevor Ihr euren Opfern die Halsschlagader durchbeißt? Und kann mir mal jemand sagen, wie mein Ausgeh-Dandy-Look aussieht, schließlich kann ich mich im Spiegel ja nicht sehen ...



Eine ganz normale Blutsauger-WG

Im ersten gemeinsam inszenierten Spielfilm wenden Taika Waititi und Jemaine Clement ihre eigenen normalsterblichen WG-Erfahrungen auf den mythischen Lebensstil der Vampire an: „Als wir die Idee hatten, lebten wir in dunklen, kalten Häusern, in denen niemand das Geschirr gespült hat“, erzählt Taika Waititi beim Gespräch im Berliner Soho House. Der Kniff, das Hochtrabende mit dem Banalen zu verschmelzen, etwas völlig Abgefahrenes mit stoischer Miene zu präsentieren, war bereits erfolgreich beim Comedy Duo „Flight of the Conchords“, mit dem Jemaine Clement und sein Partner Bret McKenzie von neuseeländischen Kleinkunstbühnen aus die Welt eroberten: „Ich denke, dass wir in den meisten unserer Unternehmungen etwas ziemlich Dusseliges auf eine sehr ernsthafte Weise angehen“, sagt Clement und trägt dabei diesen schläfrig pseudonaiven Conchord-Blick zur Schau.

„Flight of the Conchords“ ist Stand-up- Comedy im Singer-Songwriter-Modus, mit Gitarren auf dem Barhocker, in ausgebeulten T-Shirts und unförmigen Jeans, mit ungebändigtem Haarwildwuchs und gelangweilter Deppenmiene, als ginge es keinen Augenblick darum, Aufmerksamkeit zu erregen. Ein Spiel mit dem totalen Understatement, sozusagen aus dem eigenen Badezimmer heraus, in dem die Toilette der Firma Concorde den Nonsense-Namen des Duos inspiriert hat.

Doch der Nerd aus der Highschool, der auch zwanzig Jahre später noch nicht erwachsen ist, ist nur Tarnung für den ziemlich scharfen Verstand und die sehr genaue Beobachtungsgabe, mit der hier die Absurditäten der Wirklichkeit aufs Korn genommen werden, der alltägliche Rassismus oder der unermüdliche Clinch der Geschlechter. Zum Beispiel in dem Sketch „If you’re into it“, den man neben vielen anderen Conchord-Highlights auf Youtube sehen kann. Die überschwänglichen Versprechungen romantischer Liebeslyrik werden da auf ihren Realitätsgehalt geprüft: „Würdest du wirklich den höchsten Berg für sie erklimmen?“, fragt Jemaine seinen Freund Bret. – „Wahrscheinlich eher nicht“, räumt der ein. „Und würdest du wirklich ein Schwert für sie schlucken?“ – „Nein, alles nur Metapher!“ – „Na, dann geh das Ganze doch mal realistischer an!“ Also schmachtet Bret die Geliebte mit prosaischen Sätzen an: Gerne würde ich mit dir rumhängen. Und wenn es dir gefällt, ziehe ich auch alles für dich aus! „How about him in the nude? Him in the nude in front of you, is that what you wanted too?“, skandiert von der Seite Jemaine, und das Mädchen schwankt angesichts dieser entwaffnend direkten Anmache zwischen ungläubigem Staunen und echter Rührung, „If it’s cool with you Iwould let you get naked too ... “

Grandios albern ist auch der Gangster-Rap-Battle zwischen Hiphopopotamus-Jemaine und Rhymenoceros-Bret. Die Gesten stammen aus der Hood, doch die Reime sind in ihrem reinen Irrsinn ein Angriff auf die inhaltslose Großspurigkeit und den Sexismus der Rapstars: „My rhymes are so potent Imake all the ladies in the first row pregnant“, gibt Jemaine an. Damit haben es „Flight of the Conchords“ immerhin zu einer BBC Radio Show und einer HBO-Fernsehserie gebracht, bei der Taika Waititi einige Folgen inszeniert hat. Nun kreuzen Waititi und Clement die Kulturgeschichte der Vampire mit ihren Wellington-WG-Erfahrungen: „Da geht es wirklich nur um uns! Die Vampire gehen in dieselben Bars, in die wir damals gingen, und dann treffen sie diesen jungen, interessanten Typen, den wir damals getroffen haben ...“

Im Film ist das der Neu-Vampir Nick, der die etwas altmodischen Kollegen mit moderner Unterhaltungselektronik vertraut macht, die ihnen auf Youtube das gefahrlose Bestaunen eines Sonnenaufgangs ermöglicht. Neben dem 183-jährigen Dandy Deacon, dem Jüngsten in der Runde, und dem mit 8000 Jahren Ältesten, Petyr, der offensichtlich mit Murnaus Nosferatu verwandt ist, spielt Waititi den 379-jährigen Viago, der pedantisch auf der Einhaltung der WG-Hausordnung beharrt, und Clement den genüsslich abgründigen Vladislav, der mit seinen 862 Jahren eine Vorliebe für mittelalterliche Foltermethoden pflegt.

Den Film hätten sie gut auch in Hollywood produzieren können, doch auf die Kompromisse dort hatten sie keine Lust: „Ich glaube, dass mein amerikanischer Agent mich inzwischen aufgegeben hat, weil ich nie tue, was sie dort wollen“, sagt Waititi mit subversivem Grinsen: „Eine Weile dachte ich, Amerika ist ganz schön cool und aufregend. Inzwischen ist es mir egal, ob ich dort akzeptiert werde oder nicht. Ich tue lieber, was mir gefällt – und fühle mich für den Rest meines Lebens gut damit!“

Clement hingegen flirtet auf seine Weise mit Hollywood, er spielte in „Men in Black 3“ den finsteren Alien „Boris the Animal“, mit wilder Mähne unter Rocker-Bandana, mit Lennon-Sonnenbrille und einem Monsterinsekt, das ihm aus der Handfläche kriecht. Oder auch dem bösen Kakadu seine Stimme leiht, der gegen die Helden der Dschungelanimation „Rio“ intrigiert. Der erste gemeinsame Film war die skurril melancholische Liebesgeschichte „Eagle versus Shark“, die in der Berlinale Sektion Generation 14plus vor einigen Jahren ein kleiner Hit war. Damals spielte Clement nur, jetzt fungieren sie nach dem Stand-up-Prinzip gemeinsam als Stars, Autoren und Regisseure, wobei Clement nach eigenem Bekunden für mehr Albernheit sorgt: „Taika hat sehr viel über traurige Familienverhältnisse reingeschrieben. Eine Weile hatte ich schon befürchtet, dass ich meinen Freund ans Drama verliere. . .“

Wie ihre Vampire sind auch Waititi und Clement als Halb-Maoris Außenseiter der Gesellschaft: „Für den Anfang unserer Freundschaft war es wichtig, dass wir zugleich Maoris und Weiße sind“, sagt Clement: „Wir passen in keine der Welten, und dass wir so gut befreundet sind, hat auch damit zu tun, dass wir unter unseren Freunden eine ganz eigene Spezies bilden, eine Rasse, der nur wenige angehören.“
Clements besondere Faszination für Vampire rührt von einem Kindheitstrauma, als er eines Nachts aufwachte und ins Wohnzimmer ging, wo seine Mutter einen dieser richtig üblen Siebziger Vampirfilme anschaute: „Danach hatte ich den Rest meiner Kindheit Albträume. Wenn man dann aber mal etwas genauer über Vampire nachdenkt, wird die Logik der Mythologie zum Teil recht fragwürdig: Was zum Beispiel passiert mit den Kleidern, wenn sie sich in Fledermäuse verwandeln? Verschwinden die einfach und tauchen dann wundersamerweise wieder auf?“

Auch wenn „5 Zimmer Küche Sarg“ heute wie ein Gegenmittel zu den goldbestäubten Vampiren des Mainstream-Kinos anmutet, stammt die ursprüngliche, bereits in einem Kurzfilm durchprobierte Idee aus einer Zeit lange vor dem „Twilight“-Boom: „Als wir anfingen, den Film vorzubereiten, hat uns das sehr geholfen“, sagt Clement „weil Vampire so ein heißes Ding waren. Als wir dann fertig waren, rollten die Leute nur noch mit den Augen. Und jetzt freuen sie sich, dass sich mal jemand darüber lustig macht!“ Eine Inspiration verdanken sie „Twilight“ dann allerdings doch: Durch die Serie kamen die Werwölfe ins Spiel, die im Wellington der Gegenwart zur rivalisierenden Proll-Gang mutiert sind.

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