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Operation Mare Monstrum

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„Nach Lampedusa“, so begrüßte Florian Höllerer vom Literarischen Colloquium Berlin die Gäste der sechsten Konferenz der Reihe „Das Weiße Meer“ am Wannsee – „nach Lampedusa sollte doch alles anders werden“, sollte der „ungeheure Graben um die Festung Europa“ durchlässiger werden. Und in der Tat, seitdem Italien im vorigen Herbst nach dem Tod mehrerer Hundert Flüchtlinge vor Lampedusa die Mission „Mare Nostrum“ startete und seine Marine, unterstützt aus der Luft, weit über die eigene Küste hinaus in Bewegung setzte, konnten mehr als 150.000 in Seenot geratene Flüchtlinge aus dem Mittelmeer gerettet werden. Dennoch ertranken im gleichen Zeitraum mehr als 3.000 Menschen.



Ein Flüchtlingsboot kommt in Lampedusa an. Im Herbst 2013 starben hier hunderte Flüchtlinge bei dem Versuch, Europa zu erreichen.
Obgleich Italien beizeiten ankündigte, dass es die Operation weder organisatorisch noch finanziell alleine weiter tragen könne, gibt sich das übrige Europa, allen voran Deutschlands Innenminister de Maizière, dem italienischen Ansinnen gegenüber ungerührt. „Lasst sie ertrinken!“, „lasst sie fern von Europas Küsten ertrinken!“, wo keine Kameras und keine Statistiken hinreichen. Dies ist die zynische gesamteuropäische Staatsräson hinter der Operation Triton, die jetzt an die Stelle von Mare Nostrum tritt: Das neue Unternehmen hat weder die Aufgabe noch verfügt es über die nötigen nautischen, organisatorischen und finanziellen Voraussetzungen, um Flüchtlinge aus Seenot zu retten. Es dient allein der Grenzsicherung, der paramilitärischen Abwehr von Migration und operiert in einem eng gefassten Ring von knapp 30 Seemeilen vor Europas Mittelmeerküsten, den kaum ein Schiffbrüchigen lebend wird erreichen können.

Die Operation Triton bedeutet Europas historische Absage an das Mittelmeer und den Mittelmeerraum als dem jahrtausendealten Ort des Austauschs und der Durchmischung von Menschen, Dingen, und Ideen, von Sprachen, Kulturen und Religionen. Es ist das Todesurteil für Abertausende von Flüchtlingen, die Europas vermeintlich rettende Ufern weiterhin ansteuern werden. Das von frommen Wünschen und Versprechungen erfüllte Grußwort, das der Bundesaußenminister den im LCB um vier syrische Exilautoren versammelten Zuhörern übermitteln ließ, ging mit keinem Wort auf diese drängende Problematik ein. Die Millionen von Flüchtlinge aus jenem zerschossenen und entvölkerten Land wird sie hart und unter Umständen tödlich treffen: Von nach der letzten Zählung 22 Millionen Syrern, abzüglich der vom Regime oder von Islamisten abgeschlachteten oder in Kämpfen gefallenen Landsleute, sind heute 10 Millionen, also die Hälfte aller Syrer auf der Flucht.

Die unter Lebensgefahr aus Damaskus geflohene Autorin und Journalistin Rasha Abbas fand den Mut, dies auszusprechen: „Ein blaues Leichentuch in der Mitte der Welt“. So betitelte sie ihren nEssay, mit dem sie – wie sie einräumte – die eingefleischte Meeresferne der arabischen Mentalität zu einem schicksalhaften Zeitpunkt hinter sich gelassen hat. Im Gespräch mit der SZ fasst sie den kritischen Punkt, an dem Europa heute und künftig bemessen wird, so: „Wenn Europa sich in den Krieg um Syrien aufgrund einer verwirrenden politischen Komplexität nicht einmischen und keine Partei ergreifen will, so ist dies verständlich. Davor aber liegt dieses Meer, ein Raum, in dem Europa wenigstens so viele Menschen wie möglich vor dem Ertrinken retten könnte – wenn es das italienische Modell übernehmen würde, statt es abzuschaffen. Mare Nostrum unterstrich durch seinen Namen, dass das Mittelmeer allen gehört und in ihre gemeinsame Verantwortung fällt. Hic Rhodus, hic salta!

Wie Rasha Abbas, die mit Hilfe des für Schriftsteller in Not eingerichteten Jean-Jacques Rousseau-Stipendienprogramms der Akademie Schloss Solitude nach Deutschland geholt werden konnte, sind auch Rosa Yassin Hassan, Amer Matar und Nihad Siris als Bürgerrechtler unter Lebensgefahr nach Deutschland gelangt, teilweise mit Hilfe des Writers-in-Exile-Programms des deutschen Pen-Zentrums. Dessen Präsident Joseph Haslinger gab dem Wunsch Ausdruck, das Exil möge den Autoren zur „Befreiung der Zunge“ verhelfen und – wie Christina Weiss als Schirmherrin der Veranstaltung beipflichtete – die Überlegenheit der literarischen gegenüber allen historiographischen Überlieferungen unter Beweis stellen.

Daran geknüpft, waren von der Moderatorin Larissa Bender formulierte Fragen danach, was das Exil für das Schreiben bedeute, für die Formen der literarischen Verarbeitung von Erfahrungen mit extremer Gewalt und der Last damit verbundener Erinnerungen. Die Antworten waren unterschiedlich: Mit auf dem Podium saß der nach langen, in Syrien und im Libanon verbrachten Studienjahren derzeit in Berlin lebende Franzose Mathias Énard, Verfasser mehrerer im Mittelmeerraum angesiedelter Romane. In „Zone“ (Berlin Verlag 2010) schildert er das Mittelmeer als epochenübergreifende Kampfzone politischer, religiöser und privater Konflikte. Seit der Rückkehr der Gewalt nach Syrien aber habe er keine Sprache mehr gefunden, um über dieses Land zu schreiben, von dem er selbst abgeschnitten sei.

Ähnlich ergeht es dem in seiner syrischen Heimat stark beachteten Schriftsteller Nihad Siris. Nach Kairo geflohen, musste er in Deutschland bleiben, als ihm nach der Verleihung des Friedrich-Rückert-Preises 2013 für den Roman „Ali Hassans Intrige“ (deutsch 2008 bei Lenos) die ägyptischen Behörden die Wiedereinreise verweigerten. Alles, was er schrieb, sagt er, handelt von seiner Heimatstadt Aleppo, einer der ältesten Wiegen der Menschheit. Nach der Zerstörung seiner Altstadt durch Assads Truppen ist es „ein Ort, der vielleicht nicht mehr existiert und den es künftig nicht mehr geben wird“. Das enge Band zwischen dem Schriftsteller und der Stadt, die er geliebt hat, sei damit zerrissen; noch immer falle es ihm schwer, an den Schreibtisch zurückzukehren. Es bleibe ihm nur das politisch motivierte Schreiben.

„Meine Erinnerung ist immer noch Damaskus“, sagt auch Rasha Abbas, die den Stoff ihrer Kurzgeschichten nicht unmittelbar den Ereignissen der vergangenen Jahre entnimmt. Einen anderen Weg geht der junge Filmemacher und Journalist Amer Matar. In Rakka, der Stadt, die der IS zur Hauptstadt des Kalifats erklärte, wurde er Zeuge von Grausamkeiten, deren Opfer von ihren Angehörigen nur noch als versprengte Körperteile eingesammelt werden können: Seitdem „wir jeden Tag sterben, während die Welt zuschaut“, sei Schreiben zur „Wiederholung des Sterbens“ geworden. Der Aktivist eines Straßenmedienprojekts zeichnete den alltäglichen Schrecken mit der Handykamera auf, um die Dokumente auf einem Wanderfestival durch Regionen außerhalb der Regierungskontrolle zu präsentieren.

Rosa Yassin Hassan, eine der bekanntesten Autorinnen Syriens, versteht sich als Botschafterin ihres Landes im Exil, als Chronistin der „inneren Geschichte“ der Menschen. Ihr jüngster Roman ist gerade auf Arabisch erschienen: Sein Titel lautet auf Deutsch „Die vom Zauber Berührten“. Gemeint ist die Suche nach einer anderen, neuen Erfahrungen adäquaten Sprache, die – wie sie sagt – das „Auf-dem-Kopf-Stehen“ der gewohnten Dinge aufnimmt. Bleibt die kaum fassbare Gewalt, die alles und alle vergiftet, oder wie es in der Übersetzung Larissa Benders heißt: „Einige Tage später nahm unser Leben wieder seinen gewohnten Gang.

Der Tod wurde unser tägliches Brot, wir gewöhnten uns an ihn und kosteten ihn zur Neige. Wie Verliebte, wie Gottlose berauschten wir uns an ihm; der Gestank stieß uns nicht mehr ab. Nur diese unsichtbaren Narben blieben in der Seele zurück, Narben, die eines Tages etwas hervorbringen würden, was ich nicht kenne und wovor ich mich fürchte.“
 

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