Erinnert sich noch jemand an Barack Obama als globalen Volkstribun mit unfehlbarem Gespür für historische Metaphern, dem man in Berlin so leidenschaftlich zujubelte wie in Chicago? Am Montag hatte er ein kurzes Comeback, als er hemdsärmelig in einer Videobotschaft das Internet zur öffentlichen Grundversorgung erklärte und die Netzneutralität einforderte.
Netzneutralität ist so etwas wie das Gleichheitsprinzip für die digitale Welt (die Übertragungsgeschwindigkeit des Internets ist unantastbar!). Und weil das Internet nach wie vor eine amerikanische Einrichtung mit globaler Reichweite ist, kämpft Obama also nicht nur für Amerika, sondern für die ganze Welt.
Barack Obama
Er begann dann auch mit einem Wertekanon fürs Internet, und zwar in einem jener Dreisätze, wie sie sich schon seit der Französischen Revolution gut auf Staatswappen und Münzrändern machen: Offenheit, Fairness und Freiheit. Die entscheidende Stelle in Obamas Ansprache war aber: „ Auf der Datenautobahn gibt es keine Mautstrecken.“ Das erinnert hierzulande vielleicht an den „Freie Fahrt für freie Bürger“-Libertarismus des ADAC und an den Verkehrsminister Dobrindt. In den USA sind die historischen Bezüge etwas gewichtiger. Doch welche Freiheit meint er?
Den Begriff vom „Information Superhighway“ hatte ursprünglich Al Gore eingeführt, der damit den Clinton-Gore-Wahlkampf von 1992 führte. Unermüdlich stand der Vizepräsidentschaftskandidat vor dem Wahlvolk und predigte die digitale Zukunft. Und wenn er dann auf einer Landwirtschaftsmesse in Iowa vor lauter Farmern sprach, denen Subventionen für Mähdrescher und Maispreise eigentlich viel wichtiger waren, hatte das schon mal unfreiwillige Komik. Mitreisende Journalisten feixten damals, Al Gore habe das Internet erfunden, nur leider wolle es niemand kaufen.
Die Metapher, die Al Gore bemühte, war das große Versprechen des amerikanischen Wirtschaftswunders, das 1956 in Dwight Eisenhowers „Federal Aid Highway Act“ gipfelte. Die Highways waren damals buchstäblich die Schnellstraßen zur Demokratisierung des Wohlstandes für die Bürger in den Suburbias. Dort konnten sich die Großstadtbürger den Traum vom „Home on the Range“ leisten – das Eigenheim mit Landbesitz, das nun via Highway an die sozialen Gefüge und Arbeitsplätze der Metropole angebunden war. Für die Wirtschaft vereinte das größte Transportnetz der Welt den wilden Kontinent zum überschaubaren Marktplatz.
Der Information Superhighway war deswegen ein Versprechen mit doppeltem Boden. Denn das Bild von der Datenautobahn war auch ein Bruch mit den bis dahin gültigen Metaphern fürs Internet. Der Kulturkritiker Howard Rheingold hatte sich die Virtual Communities ausgedacht, die virtuellen und damit grenzenlosen Gemeinschaften. Das schloss an Marshall McLuhans Ideal vom Global Village an, dem Medium als globalen Dorf, das er schon 1962 prophezeit hatte. Und dann gab es natürlich den Cyberspace, jenes Bild vom kybernetischen Weltenraum, den der Schriftsteller William Gibson 1984 in seinem Roman „Neuromancer“ in den allgemeinen Sprachgebrauch einführte.
Der Abschied von diesen räumlichen Bildern, die das Ideal einer globalen Gemeinschaft beschworen, bedeutete aber auch die Zäsur im Umgang mit der digitalen Welt. Al Gores Datenautobahn manifestierte das Internet als Geflecht von Einzelsphären, die über das Netz zu einer globalen Wirtschaftszone verschmolzen. Es ging ihm um neue Märkte und technischen Fortschritt. Demokratischer Diskurs und Weltgeist waren begrüßenswerte Begleiterscheinungen, mehr nicht.
Das ist auch der Unterton in Barack Obamas Kampf für die Netzneutralität. Er zieht ja keineswegs gegen die NSA zu Felde, auch nicht gegen die Giganten aus dem Silicon Valley oder wer derzeit eben sonst noch gerade Schindluder mit der Freiheit im Netz treibt. Er will einen Wirtschaftszweig schützen, der Amerika aus dem verrotteten Industriezeitalter und dem Elend der Service Economy holen soll.
Dabei bedient er sich dann auch gleich noch eines weiteren historischen Gestus. Obama spielt die Rolle des heldenhaften Kämpfers gegen die übermächtigen Monopole. Vorbild ist ihm dabei der einstige Senator und Finanzminister John Sherman, der im späten 19. Jahrhundert gegen die neuen Giganten der Industrialisierung antrat, gegen die Eisenbahn-, Stahl- und Ölkonzerne, die sich in einer rasenden Geschwindigkeit zu Machtblöcken entwickelt hatten, die Demokratie und Wirtschaft gefährdeten. 1890 begründete sein „Sherman Antitrust Act“ die gesetzliche Grundlage, auf welche der Staat in Amerika noch heute gegen die Bildung von Kartellen und Monopolen vorgehen kann.
Auch Obama will mit der Netzneutralität das Internet vor Giganten retten. Allerdings nicht vor den Giganten des 21. Jahrhunderts, vor Google, Amazon und Apple, die in den vergangenen Jahren ähnlich schnell von Garagenklitschen zu Weltkonzernen aufstiege wie einstmals Standard Oil und Carnegie Steel. Die unterstützen ihn sogar nach Kräften. Es geht um jene Konzerne, die ihre Macht im 20. Jahrhundert aufgebaut haben, um die Kabelbetreiber, die heute oft Teile von Telefongesellschaften und Medienhäusern in sich vereinen. Die kontrollieren die Schwachstellen des Internets – jene Auffahrtrampen auf den Information Superhighway, die all die Marktplätze mit den Konsumenten verbinden. Es soll keinen sweetheart deal mit Netflix geben, ist Obamas klassisches Beispiel. Der Filmanbieter, der in den USA schon rund ein Drittel des Datenverkehrs für sich beansprucht, soll sich nicht mit den Kabelbetreibern verbünden, um die Konkurrenz aus dem Netz zu treiben.
Was aber hat so ein Kartellkampf in den USA mit Europa, Deutschland, Bayern zu tun? Einiges. Wenn Barack Obama in seiner Videobotschaft die FCC, die Behörde für Telekommunikation, drängt, die Netzneutralität zu retten, kämpft er durchaus für die digitale Freiheit weltweit aller Nutzer. Doch diese Nutzer sind eben vor allem Konsumenten des Silicon Valley. Bremst beispielsweise der Filmanbieter Netflix die Video-Angebote von Google und Amazon aus, hat das weltweite Folgen. Vor allem für Google und Amazon. Doch das sind nur Kollateralschäden.
Europa, Bayern und Deutschland werden ihren Kampf um die Netzneutralität selbst ausfechten müssen. Die Hoffnung aber, dass das Internet zur Infrastruktur und damit zum öffentlichen Gut erklärt wird, ist reiner Idealismus. Autobahnen sind öffentlicher Raum. Aber das sind auch die Zubringer und Auffahrten. Das wären bei Al Gores Datenautobahn die Kabelnetze der lokalen Provider, die Anschlüsse und Router. Die muss man bezahlen.
Afrika ist Europa und Amerika da schon einen Schritt voraus. Weil der Kontinent den Entwicklungsschritt des Telefonzeitalters weitgehend ausgelassen hat, baut man dort gerade im ganzen Land Kabel-, Wlan und Handynetze auf. Und da gibt es Aktivisten wie den Südafrikaner Steve Songs, der seinen Kontinent frühzeitig aus den Netzwerken der europäischen und amerikanischen Anbieter und Webfirmen befreien will. Weil er weiß, dass die Monopole des 21. Jahrhunderts längst keinen Raum für Entwicklungen mehr lassen, die an der Börse keine Spuren hinterlassen. Das könnte jene Offenheit, Fairness und Freiheit garantieren, von der viele hoffen, dass Obama sie am Montag gemeint hätte.
Netzneutralität ist so etwas wie das Gleichheitsprinzip für die digitale Welt (die Übertragungsgeschwindigkeit des Internets ist unantastbar!). Und weil das Internet nach wie vor eine amerikanische Einrichtung mit globaler Reichweite ist, kämpft Obama also nicht nur für Amerika, sondern für die ganze Welt.
Barack Obama
Er begann dann auch mit einem Wertekanon fürs Internet, und zwar in einem jener Dreisätze, wie sie sich schon seit der Französischen Revolution gut auf Staatswappen und Münzrändern machen: Offenheit, Fairness und Freiheit. Die entscheidende Stelle in Obamas Ansprache war aber: „ Auf der Datenautobahn gibt es keine Mautstrecken.“ Das erinnert hierzulande vielleicht an den „Freie Fahrt für freie Bürger“-Libertarismus des ADAC und an den Verkehrsminister Dobrindt. In den USA sind die historischen Bezüge etwas gewichtiger. Doch welche Freiheit meint er?
Den Begriff vom „Information Superhighway“ hatte ursprünglich Al Gore eingeführt, der damit den Clinton-Gore-Wahlkampf von 1992 führte. Unermüdlich stand der Vizepräsidentschaftskandidat vor dem Wahlvolk und predigte die digitale Zukunft. Und wenn er dann auf einer Landwirtschaftsmesse in Iowa vor lauter Farmern sprach, denen Subventionen für Mähdrescher und Maispreise eigentlich viel wichtiger waren, hatte das schon mal unfreiwillige Komik. Mitreisende Journalisten feixten damals, Al Gore habe das Internet erfunden, nur leider wolle es niemand kaufen.
Die Metapher, die Al Gore bemühte, war das große Versprechen des amerikanischen Wirtschaftswunders, das 1956 in Dwight Eisenhowers „Federal Aid Highway Act“ gipfelte. Die Highways waren damals buchstäblich die Schnellstraßen zur Demokratisierung des Wohlstandes für die Bürger in den Suburbias. Dort konnten sich die Großstadtbürger den Traum vom „Home on the Range“ leisten – das Eigenheim mit Landbesitz, das nun via Highway an die sozialen Gefüge und Arbeitsplätze der Metropole angebunden war. Für die Wirtschaft vereinte das größte Transportnetz der Welt den wilden Kontinent zum überschaubaren Marktplatz.
Der Information Superhighway war deswegen ein Versprechen mit doppeltem Boden. Denn das Bild von der Datenautobahn war auch ein Bruch mit den bis dahin gültigen Metaphern fürs Internet. Der Kulturkritiker Howard Rheingold hatte sich die Virtual Communities ausgedacht, die virtuellen und damit grenzenlosen Gemeinschaften. Das schloss an Marshall McLuhans Ideal vom Global Village an, dem Medium als globalen Dorf, das er schon 1962 prophezeit hatte. Und dann gab es natürlich den Cyberspace, jenes Bild vom kybernetischen Weltenraum, den der Schriftsteller William Gibson 1984 in seinem Roman „Neuromancer“ in den allgemeinen Sprachgebrauch einführte.
Der Abschied von diesen räumlichen Bildern, die das Ideal einer globalen Gemeinschaft beschworen, bedeutete aber auch die Zäsur im Umgang mit der digitalen Welt. Al Gores Datenautobahn manifestierte das Internet als Geflecht von Einzelsphären, die über das Netz zu einer globalen Wirtschaftszone verschmolzen. Es ging ihm um neue Märkte und technischen Fortschritt. Demokratischer Diskurs und Weltgeist waren begrüßenswerte Begleiterscheinungen, mehr nicht.
Das ist auch der Unterton in Barack Obamas Kampf für die Netzneutralität. Er zieht ja keineswegs gegen die NSA zu Felde, auch nicht gegen die Giganten aus dem Silicon Valley oder wer derzeit eben sonst noch gerade Schindluder mit der Freiheit im Netz treibt. Er will einen Wirtschaftszweig schützen, der Amerika aus dem verrotteten Industriezeitalter und dem Elend der Service Economy holen soll.
Dabei bedient er sich dann auch gleich noch eines weiteren historischen Gestus. Obama spielt die Rolle des heldenhaften Kämpfers gegen die übermächtigen Monopole. Vorbild ist ihm dabei der einstige Senator und Finanzminister John Sherman, der im späten 19. Jahrhundert gegen die neuen Giganten der Industrialisierung antrat, gegen die Eisenbahn-, Stahl- und Ölkonzerne, die sich in einer rasenden Geschwindigkeit zu Machtblöcken entwickelt hatten, die Demokratie und Wirtschaft gefährdeten. 1890 begründete sein „Sherman Antitrust Act“ die gesetzliche Grundlage, auf welche der Staat in Amerika noch heute gegen die Bildung von Kartellen und Monopolen vorgehen kann.
Auch Obama will mit der Netzneutralität das Internet vor Giganten retten. Allerdings nicht vor den Giganten des 21. Jahrhunderts, vor Google, Amazon und Apple, die in den vergangenen Jahren ähnlich schnell von Garagenklitschen zu Weltkonzernen aufstiege wie einstmals Standard Oil und Carnegie Steel. Die unterstützen ihn sogar nach Kräften. Es geht um jene Konzerne, die ihre Macht im 20. Jahrhundert aufgebaut haben, um die Kabelbetreiber, die heute oft Teile von Telefongesellschaften und Medienhäusern in sich vereinen. Die kontrollieren die Schwachstellen des Internets – jene Auffahrtrampen auf den Information Superhighway, die all die Marktplätze mit den Konsumenten verbinden. Es soll keinen sweetheart deal mit Netflix geben, ist Obamas klassisches Beispiel. Der Filmanbieter, der in den USA schon rund ein Drittel des Datenverkehrs für sich beansprucht, soll sich nicht mit den Kabelbetreibern verbünden, um die Konkurrenz aus dem Netz zu treiben.
Was aber hat so ein Kartellkampf in den USA mit Europa, Deutschland, Bayern zu tun? Einiges. Wenn Barack Obama in seiner Videobotschaft die FCC, die Behörde für Telekommunikation, drängt, die Netzneutralität zu retten, kämpft er durchaus für die digitale Freiheit weltweit aller Nutzer. Doch diese Nutzer sind eben vor allem Konsumenten des Silicon Valley. Bremst beispielsweise der Filmanbieter Netflix die Video-Angebote von Google und Amazon aus, hat das weltweite Folgen. Vor allem für Google und Amazon. Doch das sind nur Kollateralschäden.
Europa, Bayern und Deutschland werden ihren Kampf um die Netzneutralität selbst ausfechten müssen. Die Hoffnung aber, dass das Internet zur Infrastruktur und damit zum öffentlichen Gut erklärt wird, ist reiner Idealismus. Autobahnen sind öffentlicher Raum. Aber das sind auch die Zubringer und Auffahrten. Das wären bei Al Gores Datenautobahn die Kabelnetze der lokalen Provider, die Anschlüsse und Router. Die muss man bezahlen.
Afrika ist Europa und Amerika da schon einen Schritt voraus. Weil der Kontinent den Entwicklungsschritt des Telefonzeitalters weitgehend ausgelassen hat, baut man dort gerade im ganzen Land Kabel-, Wlan und Handynetze auf. Und da gibt es Aktivisten wie den Südafrikaner Steve Songs, der seinen Kontinent frühzeitig aus den Netzwerken der europäischen und amerikanischen Anbieter und Webfirmen befreien will. Weil er weiß, dass die Monopole des 21. Jahrhunderts längst keinen Raum für Entwicklungen mehr lassen, die an der Börse keine Spuren hinterlassen. Das könnte jene Offenheit, Fairness und Freiheit garantieren, von der viele hoffen, dass Obama sie am Montag gemeint hätte.