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Fahr zur Hölle

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Wir wollten ja eigentlich mehr Kurven bauen“, erinnert sich Wolf Prix, „damit die Rampe in der Münchner BMW-Welt dynamischer wird. Aber die Manager hatten Angst.“

„Angst?“


„Vor Unfällen. Bei BMW dachte man, wenn die Kunden, die in München ihr Auto abholen, nach der ganzen Show drumherum endlich den Zündschlüssel in die Hand kriegen, dann sind die dermaßen aufgewühlt, dass sie nicht mehr geradeaus fahren können. Zu schweigen von Kurven.“




Das Auto könnte heute, der Erfolg der Hybrid-Modelle und der Elektromobilität bleibt ungewiss, an sein Ende gekommen sein.


Die Show also.

Prix lacht am Telefon. Er ist Chef des weltweit erfolgreichen Architekturbüros Coop Himmelb(l)au. Die Himmelblauen haben vor sieben Jahren die spektakuläre BMW-Welt erbaut. 70000 Quadratmeter voller Restaurants, Museum, Technologiepark – und Autoübergabestation samt Und-hier-nun-Ihr-Schlüssel-Show. Das Ensemble im Münchner Norden besteht aus Stahl, Glas und jenem veloziferischen Traum, der das 20. Jahrhundert illuminiert. Ein Leuchten ist das, als stamme es von gigantischen Xenonscheinwerfern.

Beziehungsweise: Ein Leuchten war es. Denn der Traum handelt vom Auto als Kulturträger und Objekt der Begierde. Das ist vorbei. Die BMW-Welt wollte ein, vielleicht sogar der letzte Tempel dieser Liebe zum Automobil sein. Er wurde allerdings erbaut, bevor die Liebe dann auch schon wieder am Erkalten war nach einem Jahrhundert der Raserei, der Sehnsucht nach dem Horizont, der Freude am großen Unterwegssein auf Straßen, die aus dem immobilisierten Gefangensein in Vorort-Doppelhaushälften ein aufregendes Roadmovie machen können. Theoretisch.

Es ist der alte, aber erst in der Moderne kraft ihrer individualisierten Mobilitätsversprechen greifbar gewordene Traum von Freiheit. Zugleich ist dies der Motor nicht nur einer ganzen Industrie, sondern insbesondere auch der von Deutschland. Doch dann brachen die Umsätze ein, europaweit. Im August vor einem Jahr ging die Zahl der Verkäufe auf den niedrigsten Stand seit Beginn der Statistik vor einem Vierteljahrhundert zurück.


Auch die Autohäuser in Deutschland, die sich bald mit der Online-Konkurrenz herumschlagen müssen, verdienen möglicherweise bald mehr Geld mit Reifenwechsel und Luftfilteraustausch als mit dem Verkauf der durch allerlei Rabattaktionen künstlich gepushten Neuwagen. Alte Autos dagegen, Old- wie Youngtimer, sind begehrte Sammlerstücke. Nostalgie allein kann nicht der Grund für diesen boomenden Markt sein. Alte Autos werden gesammelt und geliebt wie alte Kunst. Warum? Weil sie Kunst sind, die man lieben kann. Neue Autos dagegen . . . aber genau darum geht es ja.

Welche Bedeutung kann ein Auto haben, mit dem man unentwegt im Stau der kollabierenden Infrastruktur steht? Welches Image besitzt das Auto, dessen Fürsprecher beim ADAC zu Lügen und gefälschten Zahlen wie zu Viagra greifen müssen, um ihrer alten Liebe noch etwas erotisierende Attraktivität abzugewinnen? Was bedeutet es, wenn die Fahrschulen melden, dass sich immer weniger Menschen für den Erwerb des Führerscheins interessieren? Und wie könnte man junge Städter für ein Auto begeistern, das sie schon längst nicht mehr besitzen müssen in der Sharing-Ökonomie? Die neuen Darlings der urbanen Bohème: Smartphones, Tablets und Fahrräder. Die zunehmend elektro-kommunikative Aufrüstung im Cockpit ist ein Indiz der Verzweiflung. In manchen Kreisen gelten Autos bereits als spritfressende, dickleibige Dinosaurier einer untergehenden Ära. Sie sind einfach unsmart – auch dann, wenn es sich um einen Smart handelt. Der einen ja auch nur ansieht wie ein trauriger Kurzhaardackel.

Das Auto könnte heute, der Erfolg der Hybrid-Modelle und der Elektromobilität bleibt ungewiss, an sein Ende gekommen sein – 128 Jahre nachdem Carl Benz den Benz Patent-Motorwagen Nummer 1 wie eine Kutsche aussehen ließ. Zu Ende ist jedenfalls die Faszination. Die Magie. Der Sex. Neuauflagen von Bildbänden wie „Cars & Girls“, auf denen sich Mädchen in delirierender Absicht auf der Motorhaube eines 280 SL oder eines 911ers winden, bezeugen die Erosion eines Zeitalters.

Das ist ja der Wahnsinn: Der SL wie der Porsche, sie sind so schön und von solch fassungslos machender Ästhetik, dass man eigentlich keine weitere Skulptur auf der Motorhaube bräuchte, um sich in das Auto zu verlieben. Um es als Objekt der Begierde begreifen zu können. Womit wir wieder bei der BMW-Rampe in München sind. Und bei der irren Vermutung, der Käufer eines neuen 3ers könne vor lauter Glück kaum laufen, wenn man ihm die Schlüssel übergibt und ihn auf die Rampe schickt, von der aus eher der Stadtstau als der Stadtverkehr zu erreichen ist.

Tatsächlich hat man sich bei BMW viel Mühe gegeben, um den Kunden bei den Gefühlen zu packen. Das beginnt mit einer Treppe, auf der er seinem neuen Auto wie einer Braut zugeführt wird. Von dort aus sieht er, an einer markierten Stelle, sein Auto aus einem exakt berechneten, durch Umfragen und Tests bestätigten Blickwinkel („Vorderrad eingeschlagen“), der dafür sorgen soll, „dass das Auto so sexy wie möglich rüberkommt“. Das Licht wird entsprechend gedimmt. Von all diesen Dingen berichtet ein BMW-Mitarbeiter, der hier lieber ungenannt bleiben möchte, was man ganz gut verstehen kann.


Die Kundenbetreuer sind geschult darin, dem Abholer zu einem emotionalen Kick zu verhelfen. Warum? Weil die Autos von heute das auch dringend brauchen. Sie sind nicht ansehnlich genug, um aus eigener Kraft zu überzeugen. Die lachhaften Tricks der Autohäuser sind so tragisch wie der Sprühglanz auf Felgen und Rädern, der so schnell verblasst. Tatsächlich steckt das Car-Design in seiner bisher tiefsten Sinnkrise. Gerade auch in Deutschland.


Die Autos der Gegenwart sind – in der großen Mehrzahl – so unförmig, disproportional und von solch verblüffender Hässlichkeit, dass der Futurist Marinetti, der vor einem Jahrhundert noch behauptete, ein Rennwagen sei schöner als die antike Skulptur der Nike von Samothrake, das entsprechende Manifest schleunigst zurückziehen und nicht mehr fordern würde, aus Museen Parkhäuser zu machen. Auch Roland Barthes würde ein Auto der Gegenwart nicht mehr mit dem Genie einer gotischen Kathedrale vergleichen – so wie der französische Philosoph es mit dem Citroën DS 19, Baujahr 1955, einst getan hat.


Was läuft schief auf dem Terrain der Auto-Gestaltung? Warum muss James Bond, der große Autofreak, nach einigen peinlichen Auftritten mit neueren Autos im letzten Bond wieder seinen alten, wunderschönen Aston Martin DB5 aus der Garage holen, um die Bandscheiben von Mauf der Fahrt nach Skyfall einer harten Belastungsprobe auszusetzen?


Hier kommt einiges zusammen. Zunächst: Am Können der Designer liegt es nicht. Jahr für Jahr kursieren unerhört inspirierte Entwürfe von Concept Cars. Die Skizzen und Modelle davon, die in den Designabteilungen zu besichtigen sind, demonstrieren, was für eine Ästhetik möglich wäre – hätten die Gestalter außer Gestaltungs- auch Wirkmacht in den von Bürokraten, Managern, Technikern und Marketing-Gläubigen besetzten Konzernen.


Als den Konzernen klar wurde, dass sich die technischen Standards der Autos weltweit immer mehr angleichen würden, beförderte man das Design, das im Wettbewerb der in einem ikonischen Zeitalter etablierten Aufmerksamkeitsökonomie allein von entscheidender, nämlich emotionalisierender Bedeutung ist, an die Spitze: angesiedelt knapp unterhalb vom Vorstand. Aber danach wurden die Gestalter unauffällig wieder entmachtet. Die Fragen, ob „so etwas“ (ein beliebiges ästhetisches Detail) auch in China oder in den USA verkäuflich sei, wurde zum Primat der Ästhetik. Auch so wurde in Deutschland das absolut zukunftstaugliche Erbe von Bauhaus und Ulmer Schule schnell verschleudert.                             

Dann kamen die Trendforscher ins Spiel. Vermeintlichen Trends lief man lieber hinterher – statt auf die Fähigkeit zu vertrauen, selbst welche zu setzen. Einen Trend markiert die Retrowelle. Wie bitte? BMW ist damit erfolgreich, aus dem Mini von damals ein Auto gemacht zu haben, das nun aussieht wie ein an Adipositas erkrankter Doppelwhopper? Das können wir auch: Nun sieht auch der Fiat Cinquecento, der als „Topolino“, als Mäuschen also, seine Karriere 1936 begann, der sich bis 1975 auf dem Höhepunkt seiner Ästhetik befand, aus wie ein Batzen Blechknetmasse. Geschuldet ist das nicht nur den Sicherheitsbestimmungen und elektronischen Helferleins, sondern auch dem Trend, sich nur scheinbar klein zu machen („urban“), um doch im Zweifel möglichst bequem und raumgreifend zu bleiben.


Der zweite große Trend hat den Panic-Room auf vier Rädern hervorgebracht. Im Gefolge der SUVs setzten sich Autos durch, deren Blechkleider wie Panzerungen hochgezogen wurden. Die Fenster mutierten zu Sehschlitzen und die Frontpartien wurden so gestaltet, dass damit im Weg herumstehende Passanten weggeschaufelt werden. Man ist oft verblüfft, wenn aus einem solchen Fahrzeug kein Soldat steigt, sondern eine SUV-Mom auf dem Weg zur Kita.

Das Ökozeitalter könnte für das Auto-Design nun das bedeuten, was einst die Erfindung der selbsttragenden Karosserie am Anfang des 20. Jahrhunderts möglich machte: gestalterische Freiheit. Doch wird die nicht genutzt. Die ersten Elektromobile, die wegen ihrer Beschleunigungsmöglichkeiten bei gleichzeitig gutem Klimagewissen (sofern der Strom dafür aus regenerativen Quellen, also schon mal nicht aus Bayern stammt) wieder richtig Spaß machen könnten, sehen leider dennoch aus wie Erdkröten.

Wenn ein Auto wie der VW Sharan als „bestes Auto der Welt“ gelten darf (2011), dann hat man aufgehört, über Ästhetik nachzudenken und sich mit gotischen Kathedralen und antiken Skulpturen messen zu wollen. Erdkröten, Whopper, das Credo der Ingenieure und asiatische Marktstrategien definieren den aktuellen Ehrgeiz der Autokonzerne. Nichts, was man lieben könnte. Dafür meistern wir die Rampe in der BMW-Welt nun unfallfrei. Bald aber wird es eine Resterampe sein.

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