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Bayreuth muss geschmackloser werden

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Es ist es zum werbewirksamen Ritual geworden: Die Bayreuther Richard-Wagner-Festspiele engagieren für eine Neuproduktion einen hochkarätigen zeitkritischen Künstler, um ihn später ebenso öffentlichkeitswirksam loszuwerden. Mal kündigt der Künstler, weil er sich, wie Lars von Trier, dem Anspruch des Wagnerschen Werkes doch nicht gewachsen sieht, mal trennt man sich in gegenseitigem Dissenz, wie beim geplatzten Jubiläums-„Ring“ mit Wim Wenders. Meist aber entscheidet die Führung in Bayreuth ex cathedra.




Enfant terrible der Kunst: Jonathan Meese.

2003 zog man Martin Kušej von „Parsifal“ ab, jetzt setzte man Jonathan Meese vor die Tür, der für 2016 einen neuen „Parsifal“ inszenieren sollte. Begründung: eine „erhebliche Überschreitung des zur Verfügung stehenden Budgets“. Das klingt sehr routiniert bürokratisch und ist gängige, juristisch stabile Begründung für solcherlei Kündigungen. Meese wehrt sich vehement. Der „Rausschmiss vom Festspielhügel“ sei „ausschließlich politisch-ideologischer Natur“. Es habe keine sachlichen Gründe gegeben. Meese verweist auf die berühmten Kollegen, denen die Regie ebenfalls entzogen wurde: „Am Ende hieß es immer, die Künstler seien überfordert gewesen. Das stimmt nicht, Bayreuth ist heute von der Kunst überfordert.“


Christoph Schlingensief hat einmal in einem ZDF-Interview mit einem staunend stummen Gregor Gysi den Prozess einer Regie-Geburt in Bayreuth anhand seines „Parsifal“ zum Brüllen tragikomisch geschildert. Meese fehlt da der Humor, er kritisiert, dass Wagner in Bayreuth weichgespült werde. Nicht er sei an Wagner gescheitert, sondern Bayreuth an ihm.


Möglicherweise ist die Sache auch banaler. Vielleicht will man in Bayreuth einen zweiten Nazi-Aufreger vermeiden. Vor zwei Jahren entließ man den russischen Bass-Bariton Evgeny Nikitin wegen einer Hakenkreuztätowierung. Und Meese war wegen seiner Performances mit Hitlergruß angeklagt. Allerdings wurde er freigesprochen, weil das Gericht den Kunstzusammenhang anerkannte. Meese sagte damals, er sei „geschmacklos“ und habe das Recht dazu.


Auch dies könnte ein Grund sein. Denn bei aller routinemäßigen Aufregung um avantgardistisch angehauchte Neuinszenierungen in Bayreuth: Es sind doch nur Skandale des routinierten Geschmacks. Die Skandale des Denkens beginnen aber erst jenseits des Schmeckens, eigentlich erst jenseits des Schreckens, des Vorstellbaren. Sie sind aber bitter nötig für die Psychohygiene einer kulturellen Gemeinschaft und können nur von tatsächlichen Außenseitern inszeniert werden, kaum von Salon-Revolutionären, wie man sie in Bayreuth gerne ausstellt als Zeichen des geistesgeschichtlichen Adabeis. Daran hat sich seit Wolfgang Wagner wenig, zu wenig verändert.

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