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Erfolgreich abgeschreckt

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Eine Geste hat gereicht, und plötzlich ist ein Sturm da, in dem man besser den Kopf einzieht. In der Einkaufspassage des Hauptbahnhofs von Hannover haben ein Rastamann mit Anti-Nazi-Fahne und sein Freund die Wut der Rechtsradikalen auf der anderen Seite der Absperrung auf sich gezogen. Wie eine wilde Meute springen die Gewaltbereiten auf den Stahlzaun, der die Passage in zwei Korridore teilt, sie brüllen, sie drohen. „Deutschland-Hooligans!“, „Deutschland-Hooligans!“, tönt es dumpf durch die Halle, ein Wurfgeschoss knallt gegen eine Wand.

Schon eilen die Polizisten in ihren schwarzen Rüstungen herbei und greifen sich mit stiller Kraft die aggressiven Männer. In den Blicken der normalen Bahnhofspassanten liegt eine Mischung aus Schauder und Schaulust. Der Tumult dauert nur ein paar Minuten, aber er zeigt schon, wie explosiv die Stimmung ist an diesem Samstag in Hannover, den die Organisation Hooligans gegen Salafisten (HoGeSa) zu ihrem Tag machen wollte.




Vergangenen Sonntag in Hannover: 3000 Holligans stehen 5000 Polizisten gegenüber. 


Nachmittags geben Hannovers Polizeipräsident Volker Kluwe und Einsatzleiter Thomas Rochell eine Pressekonferenz zu den Vorkommnissen rund um die Kundgebung der HoGeSa mit Rechtsextremen aus dem ganzen Land. Sie sind zufrieden. Es hat noch ein paar weitere Scharmützel gegeben am Samstagnachmittag außer dem in der Einkaufspassage im Bahnhof, nachdem die HoGeSa-Demonstration und die sechs genehmigten Gegen-Demonstrationen gegen drei Uhr zu Ende waren. Sonst ist nicht viel passiert. Nach den Erfahrungen in Köln vor drei Wochen, als eine HoGeSa-Demonstration mit 4800 zum Teil gewaltbereiten Teilnehmern Ausgangspunkt für Krawalle mit Verletzten war, muss sich die Polizei diesmal nicht vorwerfen lassen, sie habe die Situation nicht im Griff gehabt. Mit 5000 Beamten aus dem ganzen Bundesgebiet kontrollierte sie die Szene, nachdem das Verwaltungsgericht Hannover ein Verbot der HoGeSa-Demonstration am Donnerstag kassiert hatte. Es gab strenge Auflagen. Der Zentrale Omnibus-Bahnhof (ZOB) hinter dem Bahnhof, vor dem die HoGeSa ihre Kundgebung veranstalten durften, war weiträumig abgeriegelt. Ein Polizeisprecher nannte die Aktion „den größten Polizeieinsatz, den Hannover je gesehen hat“.


Die Strategie der Polizei ist aufgegangen. Etwa 3000 HoGeSa-Sympathisanten kamen nach Hannover, 2000 weniger als befürchtet. Es heißt, viele Hooligans hätten sich gelangweilt auf dem abgesperrten Versammlungsplatz. Sie konnten nicht als Menschenmasse in der Innenstadt auftreten und für Unruhe sorgen wie noch in Köln. Wer sich am Samstag als Normalbürger in Hannovers City aufhielt, bekam von den Parolen der Rechtsextremen nichts mit. Und die Stadt Hannover setzte ein Zeichen gegen rechts mit einer eigenen Kundgebung und eigens angefertigten Fahnen.


Unterschätzen sollte man die Veranstaltung und ihre Wirkung trotzdem nicht. Schon deshalb nicht, weil sie das Leben der Stadt nachhaltig störte: Die Geschäfte, Kinos und Hotels rund um den ZOB waren während der Kundgebung geschlossen. Die Innenstadt war leerer als sonst. Die Atmosphäre am Hauptbahnhof war angespannt. Vor allem aber zeigte der Tag, wie kompliziert es ist, eine Minderheit aufzuhalten, die sich vorgenommen hat, ihre kranken Phantasien als Massenbewegung zu inszenieren. Unter gewissen Gesichtspunkten haben die HoGeSa nämlich doch auch ein bisschen etwas erreicht.


Szene-Kenner beunruhigt die Organisation, weil sie verschiedene rechtsextreme Gruppierungen unter einem Motto zusammenzieht und ihrem Auftreten eine Art bürgerlichen Anstrich verleiht. Beides haben die HoGeSa in Hannover wieder getan bei ihrer Demonstration, bei der sie rechtsextreme Einstellungen mit dem scheinbar harmlosen Titel „Europa gegen den Terror des Islamismus“ tarnten. Und die 16 polizeilichen Beschränkungen, die auch den Eilanträgen der HoGeSa vor dem Oberverwaltungsgericht in Lüneburg standhielten, nutzte die Organisation zur Stimmungsmache für ihre Klientel. „Willkommen in der neuen BRD-Diktatur“, kommentierten die HoGeSa am Donnerstag auf ihrer Homepage Auflagen wie Alkoholverbot oder Verbote fremdenfeindlicher Sprechchöre und deuteten sie als „deutliches Signal an die wehrhafte Demokratie und aufrechte Bürger: Wehret den Anfängen“.


Am Samstag konnten die HoGeSa vor laufenden Kameras den Anschein erwecken, es gehe ihren Anhängern nur darum, friedlich einer Meinung Ausdruck zu verleihen. Ein smarter Sprecher mit hochgeschobener Sonnenbrille lehnte im grauen Licht dieses Wolkentages lässig neben der kleinen Bühne auf dem ZOB am Absperrgitter und bediente die Reporter mit glatten Sätzen. „Wir sehen HoGeSa eher als Dachverband“, sagte der Mann, spielte die Vorkommnisse in Köln herunter („Da war gar nichts“) und gab sich demonstrativ harmlos: „Wenn wir eine Veranstaltung machen, dann stehen wir da als deutsche Bürger aus der Mitte der Gesellschaft und tun unsere Meinung kund.“ Unter den strengen Blicken der Polizei blieben die Hooligans tatsächlich halbwegs ruhig. Die Reden auf der Bühne allerdings waren wieder dazu geeignet, die Menschenfeindlichkeit verirrter Menschen ins Recht zu setzen. „Ihr, die ihr hier seid, seid mutige Verteidiger unseres Vaterlandes“, krakeelte etwa Michael Stürzenberger, Vorsitzender der rechtspopulistischen Partei „Die Freiheit“, und streute Hetz-Klischees von Wirtschaftsflüchtlingen und einem bösen Islam.



Die HoGeSa bekamen eine Bühne in der Polizei-Wagenburg und konnten sich unter ihresgleichen als Märtyrer aufspielen. „Für die ist das die Erfüllung eines Traumes“, sagt der Extremismus-Experte Sascha Thon, „es wird gezeigt, dass sie einer Übermacht gegenüber stehen.“ Selbst aus der Ruhe, welche die Polizei herstellte, konnten die Rechtspopulisten eine Art PR-Erfolg ziehen. Es blieb ein beklemmendes Gefühl zurück nach diesem trüben Samstag in Hannover.

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