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Mitmachen statt nur surfen

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In diesem Land gibt es mehr Handys als Einwohner: Im Schnitt nutzt jeder Deutsche, vom Säugling bis zum Greis, 1,4 Sim-Karten. Neue Kunden kann nur gewinnen, wer den Rivalen Kunden abluchst. Deshalb galt es als ausgemachte Sache, dass die Auktion von freiwerdenden und neu zu vergebenden Frequenzen im Frühjahr drei Manager unter sich ausmachen – nämlich die Chefs der drei etablierten Mobilfunkanbieter Deutsche Telekom, Vodafone und Telefónica Deutschland, bislang vor allem unter der Marke O2 bekannt, seit kurzem auch Eigner von E-Plus.



Eine Firma will den Mobilfunkmarkt mit Bürgerbeteiligung aufmischen - es gibt aber viele Bedenken.

Doch nun tritt ausgerechnet ein unbekanntes Unternehmen an, um in diesem schwierigen Geschäft mitzumischen: Liquid Broadband baut dabei auf den Idealismus einer Sharing Economy. Und darauf, dass es der Staat ernst meint mit seinem Bekenntnis zum Wettbewerb, der im Gesetz niedergeschrieben ist. An diesem Mittwoch endet die Frist, in der die Anbieter den ersten Entwurf der Bundesnetzagentur zur Versteigerung der Funkfrequenzen kommentieren dürfen. Danach wird sich zeigen, ob auch Liquid Broadband bei dieser Auktion eine Chance hat. Hinter der Frankfurter Firma stehen nach eigener Aussage einige in der Branche erfahrene deutsche Mittelständler.


Die Idee des neuen Anbieters: Jeder Bürger soll mitmachen und so ein offenes Netz bauen, in dem nicht die Großen vorgeben, auf welche Angebote der Kunde zugreifen kann – und auf welche nicht.


Die Technik, so Firmenchefin Beate Rickert, haben die an dem Unternehmen beteiligten Investoren selbst entwickelt. Sie steckt in Boxen, die etwa so groß wie ein herkömmlicher Router sind und zum Beispiel auf der Fensterbank aufgestellt werden können. Die Box soll in diesem Bürgernetz auch so etwas sein wie der Funkmast in den herkömmlichen Mobilfunknetzen. Die Sendeleistung reiche aus, um den Handyempfang im Umkreis von bis zu 500 Metern zu sichern. Das schaffe kleine Funkzellen, die schnellere Übertragungsraten ermöglichen als die weitaus größeren Funkzellen in herkömmlichen Netzen. Dort sind nämlich zu Spitzenzeiten so viele Menschen mit ihrem Smartphone unterwegs, dass die Übertragung stockt – und beispielsweise das Youtube-Video ruckelt.


„Wir etablieren ein eigenes vollwertiges Mobilfunknetz und greifen nicht auf vorhandene DSL-Anschlüsse anderer Anbieter zurück. Wir sind nämlich keine Schmarotzer“, betont Rickert. Neben den kleinen Boxen, die jeder Bürger installieren kann, will das Unternehmen auch selbst Funkstationen errichten – und dabei vor allem mit Kommunen im ländlichen Raum kooperieren. Das dortige Interesse, eine solche Box etwa auf dem Dach der Gemeindeverwaltung aufzustellen und so am Netz mitzubauen, sei groß. „Diese wollen nämlich möglichst zügig und kostengünstig Zugang zu schnellem Internet. Statt sich bei der Telekom in die Warteschlange zu stellen, bieten wir ihnen die Möglichkeit, sich an der Versorgung zu beteiligen.“


Ob die Sache aufgeht, ist zunächst davon abhängig, ob Liquid Broadband bei der Versteigerung der Frequenzen zum Zuge kommt. Das Mindestgebot für einen Block der wertvollen Frequenzen im Bereich von 700 Megahertz liegt bei 75 Millionen Euro. Es sieht derzeit nicht so aus, als ob sich Länder und Bund noch dazu durchringen, einen Teil des Funkspektrums für einen Neueinsteiger zu reservieren – so wie dies bei ähnlichen Auktionen etwa in den Niederlanden gemacht wurde. Schließlich ist die Versteigerung der Frequenzen auch eine gute Gelegenheit für den Staat, mal wieder ein bisschen Geld einzunehmen. Und in der Branche zweifeln viele, dass die Taschen von Liquid Broadband dafür tief genug sind. „Das Telekommunikationsgesetz schreibt bei einer Versteigerung ausdrücklich vor, die Interessen von kleinen und mittleren Unternehmen zu berücksichtigen“, betont Rickert. „Dies ist bislang leider unterblieben.“ Sollten alle Appelle verhallen, wolle man auch mit rechtlichen Mitteln gegen die Bedingungen der Auktion vorgehen.


Es gibt in der Mobilfunktechnik, so sagt Telekomexperte Roman Friedrich von der Beratungsgesellschaft Strategy &, so etwas wie die Gnade der späten Geburt. „Wer heute startet, der hat einen gewissen Innovationsvorsprung. Ein Netz zu bauen, das geht heute deutlich effizienter, als noch vor einigen Jahren. So kann ein Anbieter die Kosten senken – und zwar bei deutlich besserer Leistung.“ Skeptischer ist dagegen Torsten Gerpott, Professor für Telekommunikationswirtschaft der Universität Duisburg-Essen: „Ein solches Bürgernetz hat sich über eine so große Fläche und mit so vielen Kunden, wie sie in Deutschland zu bedienen wären, noch nicht bewährt“. In jedem Winkel der Republik guten Empfang zu haben, ist für viele Kunden enorm wichtig bei der Auswahl ihres Anbieters – selbst dann, wenn die Menschen gar nicht oft unterwegs sind.


Der Neuling wird auch noch andere Hürden überwinden müssen: Einen Kunden, der sich hierzulande daran gewöhnt hat, zum Mobilfunkvertrag ein schickes Smartphone spendiert zu bekommen, davon zu überzeugen, den Anbieter zu wechseln, ist äußerst aufwendig. Auch Sicherheitsbedenken könnten ihn zurückhalten.


Liquid Broadband will all jene, die mit einer eigenen Box beitragen, das Netz immer engmaschiger zu knüpfen, belohnen: Kunden sollen kostenlos oder zum symbolischen Preis von fünf Euro mobil surfen und telefonieren können – so der derzeitige Plan. Und Rickert zeigt sich überzeugt, dass die Deutschen nicht nur auf den Preis achten. „Für die Verbraucher sind die hohen Mauern, die die etablierten Anbieter um ihre Vorgärten gezogen haben, mittelfristig äußerst problematisch. Sie verhindern nämlich den Preis- und Innovationswettbewerb.“ Im Bürgernetz sollen deshalb, so betont sie, auch kleine Anbieter von Filmportalen, Telemedizin oder gänzlich neuen Diensten eine Plattform bekommen, die es nicht über die hohen Hürden der großen Mobilfunkanbieter schaffen.




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