Die Rote Flora in Hamburg, hier hat der Sender FSK seine Räume hat.
Es ist ein Abend im Alltag des Freien Sender Kombinats (FSK), des Radios der linken autonomen Szene rund um das Hamburger Subkultur- und Widerspruchszentrum Rote Flora. Die Redaktion ist in ihre Arbeit vertieft. Hinter Studiofenstern sitzen Leute mit Kopfhörern. Das Magazin „Musik aus China“ befindet sich gerade in der Aufnahme, und in einem der Büros setzen die Autoren die letzten Schnitte an einer Sendung der Reihe „Kaffeehausdilettant*n“ zum Thema Bewältigung der Nazi-Vergangenheit am Beispiel des Nachkriegsstreits zwischen dem Nazi-Propaganda-Regisseur Veit Harlan und dem Publizisten Erich Lüth. Alles ist wie immer. Und doch kann der Redakteur Pomrehn bestätigen, dass sich die Gedanken hier in diesen Tagen nicht nur ums Tagwerk drehen. Sondern auch um die verdeckte Ermittlerin P., welche die linke Szene nach langen Recherchen selbst enttarnt hat und die ein Politikum geworden ist.
Vergangene Woche antwortete der Hamburger Senat auf Kleine Anfragen der Bürgerschaftsfraktionen von Linken und Grünen zu dem Thema. Und zwar „viel zu ausweichend“, wie Antje Möller, die innenpolitische Sprecherin der Grünen, findet. Weitere Antworten stehen aus. Im Dezember befasst sich der Innenausschuss mit der Angelegenheit. Zu klären ist, ob der Staatsschutz mit seinen Ermittlungen gegen das durchaus militante Zentrum Rote Flora zu weit gegangen ist bei der Terrorismus-Vorsorge. Und das FSK spielt dabei eine besondere Rolle. Denn während ihres Einsatzes zwischen 2000 und 2006 schloss Iris P. nach Angaben der Flora-Aktivisten nicht nur Freundschaften, saß in Plenarsitzungen und hatte Liebesbeziehungen. Sie engagierte sich auch als Redaktionsmitglied des FSK-Programms „Nachmittagsmagazin für subversive Unternehmungen“.
Im Raum steht also nicht nur die Frage, ob es moralisch vertretbar war, dass Iris P. in ihrer Rolle Liebesbeziehungen hatte. Sondern auch, ob die Polizei gegen die Pressefreiheit verstoßen hat. Im FSK haben sie deshalb jetzt in zweierlei Hinsicht mit der Aufarbeitung zu tun: Die Betroffenen müssen damit klarkommen, dass sie eine falsche Frau in ihr Herz geschlossen haben. Und sie sondieren ihre Rechte. „Wir sind dabei, mit unseren AnwältInnen alle rechtlichen Wege zu prüfen“, sagt Pomrehn. Es ist fast so, als wäre Iris Schneider nach acht Jahren wieder da. „Seit drei Wochen führe ich am Tag zwei, drei Gespräche zu dem Thema“, sagt Pomrehn, „man wacht morgens damit auf und schläft abends damit ein, weil einem ganz viel durch den Kopf geht zum Thema Vertrauen.
Vertrauen in den Staat gibt es bei den linken Autonomen im Grunde ohnehin nicht. Pomrehn sagt, er sei schon als 15-jähriger Jugendzentrums-Aktivist vom Verfassungsschutz bespitzelt worden. Er berichtet von Observationen und Polizeigewalt gegen Außenreporter, weil die Beamten bei Demonstrationen keinen Unterschied machten zwischen Protestierenden und Berichterstattern. Aber durch einen Einsatz wie den von Iris P. wird die Stimmung nicht versöhnlicher. Pomrehn sieht ihn als Symptom eines Rechtsrucks in der Hamburger Regierungspolitik, den der Wahlerfolg des rechtskonservativen Parteigründers Ronald Schill 2001 nach sich zog.
Tatsächlich ist der umstrittene Schill einer von fünf Innensenatoren gewesen, die während des sechsjährigen Einsatzes der verdeckten Ermittlerin P. im Amt waren. Gerade zu Zeiten, als Schills Partei Rechtsstaatlicher Offensive mit CDU und FDP die Senatskoalition bildete, gab es viele linke Proteste, über welche das FSK berichtete. Da ergibt es Sinn, dass Iris P. sich als Flora-Aktivistin nicht nur in der queer-feministischen Szene engagierte, sondern auch in dem journalistischen Projekt FSK. Sie nahm an Konferenzen teil. Sie war eingebunden in die Berichterstattung, etwa über die Räumung des Wagenplatzes Wendebecken durch die Polizei. Und sie gehörte auch zum Redaktionsteam, als der nicht angezeigte Mitschnitt eines Interviews mit der Polizeipressestelle die Polizei 2003 zu einer Razzia beim FSK veranlasste; das Bundesverfassungsgericht wertete die Durchsuchung Jahre später als Verstoß gegen die Rundfunkfreiheit.
Wenn Werner Pomrehn von Iris P. erzählt und von dem Staat, der hinter ihr steht, klingt er nicht sehr zornig. In seine bedächtigen Reden verirrt sich manchmal ein spöttischer Unterton, aber im Grunde strahlt er die Aura eines gelassenen Zweiflers aus, der sich mit der Wirtschaftsgesellschaft nicht mehr anfreunden kann. Früher hat er sich seine ehrenamtliche Redakteursstelle im FSK durch einen Halbtagsjob finanziert. Heute ist er Rentner und betrachtet die Dinge durch die Brille seiner Erfahrung. Iris P. sieht er im Rückblick als eine Agentin, die ihre Rolle im FSK eher mäßig spielte. „Ich habe keine Erinnerung daran, dass sie eigene Themen hatte“, sagt er. „Es war immer das Gefühl da, es geht mehr um den Anschluss an die Gruppen.“
Wenn es stimmt, was die linke Szene sagt, gehörte es zum Prinzip der Ermittlerin P., sich Freunde zu machen und sich dann von diesen Freunden in andere Kreise einführen zu lassen. So kam sie auch ins FSK. Eines Tages wurde sie vorgestellt, und weil das FSK sich als Bürgerradio versteht, in dem im Grunde jeder mitmachen kann, hinterfragte sie zunächst niemand. Sie konnte widerstandslos eintauchen ins FSK-System der Meinungen und Themenerkundungen – was die Frage aufwirft, ob diese Offenheit sich nicht ändern muss nach der Erfahrung mit der falschen Iris. Werner Pomrehn findet: nein. „Damit würde ein Spitzelsystem ja eines seiner Ziele erreichen“, sagt er. „Zu den Zielen gehört, die Betroffenen dazu zu bringen, verschlossen zu werden, die Lebensfreude zu verlieren und nicht mehr mit Neugier auf andere Menschen zuzugehen.“ Die FSK-Leute brauchen ihre Offenheit, sonst können sie nicht mehr Journalisten sein.
Drüben zum Beispiel, in den anderen Räumen der Redaktion. Da arbeitet gerade eine Kollegin, die betroffen ist von der Entdeckung, dass die liebe linke Mitstreiterin Iris Schneider gar nicht die liebe linke Mitstreiterin Iris Schneider war, sondern die verdeckte Ermittlerin Iris P. von der Hamburger Polizei. Werner Pomrehn war kurz drüben, da hat er sie gefragt, ob sie dazukommen wolle zum Interview, um zu erzählen davon, wie sich das anfühlt, wenn man sich klarmachen muss, dass eine Person des Vertrauens in Wirklichkeit ein Spitzel war. Aber die Kollegin wollte nicht. „Das kam zu plötzlich.“ Pomrehn lächelt verständnisvoll.