Seit vielen Jahren lebt die Hamburgerin Sabrina Beul mit dem HI-Virus. Ein Gespräch darüber, wie sich ihr Leben durch Aids verändert hat
Sabrina Beul, 53, steckte sich schon 1989 mit dem HI-Virus an - in einer Zeit, in der es noch keine Medikamente, dafür aber starke Vorurteile gab. Heute arbeitet sie in Hamburg bei einem großen Beschäftigungsträger und betreut 45 langzeitarbeitslose Menschen mit all ihren Sorgen und Ängsten. Im Interview spricht sie darüber, wie sich der Umgang mit der Krankheit über die Jahre geändert hat und welche Tabus es immer noch gibt.
SZ: Frau Beul, Respekt, dass Sie öffentlich über Ihre Krankheit sprechen. Wie viel Mut gehört heute noch dazu?
Sabrina Beul: Nicht mehr so viel Mut wie früher. Es hat sich viel geändert seit der ersten Zeit, in der das Stigma noch extrem war. Ich bin seit 23 Jahren infiziert. Die ersten 15 Jahre habe ich mich versteckt und nicht drüber gesprochen. Mir sind da aber auch schlimme Sachen passiert. Eines morgens wollte ich meine Wohnung verlassen, und da hatte mir irgendjemand einen Totenkopf an die Tür gemalt. Da drunter stand 'raus'. Da bin ich dann weggezogen. Diese Zeiten sind zum Glück vorbei. Ich habe nur für mich irgendwann gemerkt, dass das Schweigen mich kaputtmacht. Das macht depressiv, wenn man nicht über sich sprechen kann, weil man Angst hat.
Hatten Sie denn schon mal ein schlechtes Erlebnis, zum Beispiel beim Arzt?
Vor zehn Jahren war ich bei einem neuen Zahnarzt und wurde extra abends um acht Uhr hinzitiert. Dann stand der Arzt und die Helferin in Atomanzügen vor mir. Ich hab' gedacht, bin ich hier bei "Raumschiff Enterprise"? Im Nachhinein weiß ich, dass die Ärzte einfach nicht über die Krankheit informiert waren. Dabei geht es doch eigentlich nur darum, dass die Instrumente hinterher sterilisiert werden müssen. Das gilt aber für noch infektiösere Krankheiten wie Hepatitis genauso.
Müssen Sie den Arzt informieren?
Das ist natürlich eine Frage des Betrachters. Ich schätze mal, dass Leute, die öfter mal schief angeguckt werden, das dann irgendwann mal nicht mehr sagen. Das ist natürlich nicht gut. Ich sage es immer, aber ich kann mich inzwischen auch ausdrücken und durchsetzen. Das ist nicht jedem gegeben, weil ja auch die Angst in einem drinsteckt, die Angst vor der Angst der anderen.
Wie haben Sie sich infiziert?
Das war Anfang der Neunzigerjahre. Ich hatte damals seit zehn Jahren einen Freund. Der ist offenbar fremdgegangen und hat sich irgendwo angesteckt. Wahrscheinlich wusste er das selber nicht. Irgendwann wurde er immer kränker und musste ins Krankenhaus. Dort haben die Ärzte rausgefunden, dass er Aids hatte und mir empfohlen, mich auch testen zu lassen. Und vierzehn traumatische Tage später kam das Ergebnis. 'Willkommen im Club', hat der Arzt gesagt. Drei Tage später ist mein Freund gestorben, und ich stand mit allem alleine da.
Und dann?
Ich konnte überhaupt nicht damit umgehen. Das war die Anfangszeit, wo man noch nicht viel über die Krankheit wusste, wo es auch die Medikamente noch nicht gab und sehr viele Menschen einfach gestorben sind.
Und wie haben Ihre Freunde und Bekannten reagiert?
Einige Freunde haben sich von mir getrennt, wahrscheinlich war das auch besser so, das waren dann wohl keine Freunde. Die anderen sind immer noch bei mir. Ich bin dann viel umgezogen, war auf der Flucht vor mir selbst. Ich habe zehn Jahre für eine Zeitung in Spanien als Übersetzerin gearbeitet. Ich habe in Holland gewohnt und zwei Jahre in Paris. Dadurch spreche ich mittlerweile sieben Sprachen. Und ich habe tolerante Menschen und andere Kulturen kennengelernt. Das hat mir geholfen.
Was hat Ihnen noch geholfen?
Der offensive Umgang mit dem Thema. Das war für mich eine Art Waffe. Sonst wäre ich wohl an der psychischen Sache, am Umfeld kaputtgegangen. Ich bin damit gut gefahren. Ich hab' mich da wirklich nackig gemacht und gesagt, jetzt könnt ihr alles von mir wissen. Ich hab' aber auch selbst Vorurteile abgebaut. Ich musste lernen, nicht nur zu warten, bis jemand klopft und sagt, ich ändere dein Leben.
Wie kommen Sie heute mit der Krankheit klar?
Die Therapien haben sich gebessert. Anfangs litt ich unter vielen Nebenwirkungen. Ich war nachts nass geschwitzt und hatte ganz dramatische, sehr reelle Albträume. Das kam alles durch ein Medikament, das ich dann abgesetzt habe. Jetzt nehme ich abends eine große blaue und eine große weiße Tablette. Die vertrage ich ganz gut. Aber trotzdem: Von der Wirkung sind die Medikamente so ähnlich wie eine tägliche Chemotherapie. Und die habe ich nun seit acht Jahren.
Was bedeutet HIV für Beziehungen?
Im Moment habe ich keine. Ich habe hier genug mit meiner Arbeit zu tun, die mir Spaß macht. Ich bin froh, wenn ich meine Ruhe habe. Aber das hat nicht unbedingt etwas mit HIV zu tun, vielleicht eher mit dem Alter. Aber natürlich macht HIV die Sache nicht leichter. Wie macht man es dem anderen klar, wenn man ihn gerade erst kennenlernt? Das ist schon eine Überwindung.
Wer weiß heute von Ihrer Krankheit, im Büro zum Beispiel?
Wer mich kennt, der weiß das auch. Ich engagiere mich ja auch bei der Aidshilfe und setze mich dafür ein, dass die Menschen besser informiert werden. Dem Arbeitgeber muss man es natürlich nicht sagen. Das geht keinen was an, und das ist auch rechtlich abgesichert. Ich habe es aber trotzdem schon im Bewerbungsgespräch gesagt, und es war überhaupt kein Problem. Das liegt aber an meinem Arbeitgeber. Der ist da sehr nach vorne schauend und auch informiert.
Schränkt die Krankheit Sie eigentlich ein? Sind Sie dadurch öfter krank?
Nein, ich habe komischerweise am wenigsten Fehltage von allen. Aber 70 Prozent aller HIV-Positiven sind in Arbeit. Ich habe natürlich mal einen Tag, wo ich keinen Bock hab', aber das geht doch anderen genauso.
Am 1. Dezember ist Welt-Aids-Tag. Was bedeutet der Tag für Sie?
Ich habe immer Welt-Aids-Tag. Es ist also einfach nur ein Tag, an dem sich ein paar mehr Menschen dafür interessieren, und den Rest des Jahres machen wir dann die Augen zu. Ich wünsche mir, dass die Menschen sich schützen - das ganze Jahr. Und dass man nicht diskriminiert wird, weil man die Krankheit hat.
Worin liegt denn eigentlich die Diskriminierung? Wird mit Aidskranken anders umgegangen als mit Krebspatienten?
Die Angst vor der Ansteckung spielt immer noch eine riesige Rolle. In den Neunzigerjahren war das natürlich noch schlimmer. Da konnte man von der Reaktion der Menschen her meinen, man kann sich schon am Telefon anstecken. Die Kirche und die Bild-Zeitung haben Ängste geschürt. Ich war dann ehrlich gesagt froh, als die erste HIV-infizierte Frau und das erste Kind bekannt wurden. Da war dann endlich klar, dass es jeden treffen kann.
Manche Kranke beschreiben auch, dass ihnen anders als etwa bei Krebs suggeriert wird, sie wären ja selbst schuld an ihrer Krankheit, weil sie sich nicht geschützt haben ...
Na ja, man hat Sex miteinander gehabt. Das ist ja schon mal was Schlimmes. Das macht man ja nur unter der Decke, und nur mit dem Ehepartner und am besten überhaupt nicht. Für mich ist es eine normale Krankheit wie jede andere. Ich würde mir wünschen, dass das auch mein Gegenüber so sieht.
Sabrina Beul, 53, steckte sich schon 1989 mit dem HI-Virus an - in einer Zeit, in der es noch keine Medikamente, dafür aber starke Vorurteile gab. Heute arbeitet sie in Hamburg bei einem großen Beschäftigungsträger und betreut 45 langzeitarbeitslose Menschen mit all ihren Sorgen und Ängsten. Im Interview spricht sie darüber, wie sich der Umgang mit der Krankheit über die Jahre geändert hat und welche Tabus es immer noch gibt.
SZ: Frau Beul, Respekt, dass Sie öffentlich über Ihre Krankheit sprechen. Wie viel Mut gehört heute noch dazu?
Sabrina Beul: Nicht mehr so viel Mut wie früher. Es hat sich viel geändert seit der ersten Zeit, in der das Stigma noch extrem war. Ich bin seit 23 Jahren infiziert. Die ersten 15 Jahre habe ich mich versteckt und nicht drüber gesprochen. Mir sind da aber auch schlimme Sachen passiert. Eines morgens wollte ich meine Wohnung verlassen, und da hatte mir irgendjemand einen Totenkopf an die Tür gemalt. Da drunter stand 'raus'. Da bin ich dann weggezogen. Diese Zeiten sind zum Glück vorbei. Ich habe nur für mich irgendwann gemerkt, dass das Schweigen mich kaputtmacht. Das macht depressiv, wenn man nicht über sich sprechen kann, weil man Angst hat.
Hatten Sie denn schon mal ein schlechtes Erlebnis, zum Beispiel beim Arzt?
Vor zehn Jahren war ich bei einem neuen Zahnarzt und wurde extra abends um acht Uhr hinzitiert. Dann stand der Arzt und die Helferin in Atomanzügen vor mir. Ich hab' gedacht, bin ich hier bei "Raumschiff Enterprise"? Im Nachhinein weiß ich, dass die Ärzte einfach nicht über die Krankheit informiert waren. Dabei geht es doch eigentlich nur darum, dass die Instrumente hinterher sterilisiert werden müssen. Das gilt aber für noch infektiösere Krankheiten wie Hepatitis genauso.
Müssen Sie den Arzt informieren?
Das ist natürlich eine Frage des Betrachters. Ich schätze mal, dass Leute, die öfter mal schief angeguckt werden, das dann irgendwann mal nicht mehr sagen. Das ist natürlich nicht gut. Ich sage es immer, aber ich kann mich inzwischen auch ausdrücken und durchsetzen. Das ist nicht jedem gegeben, weil ja auch die Angst in einem drinsteckt, die Angst vor der Angst der anderen.
Wie haben Sie sich infiziert?
Das war Anfang der Neunzigerjahre. Ich hatte damals seit zehn Jahren einen Freund. Der ist offenbar fremdgegangen und hat sich irgendwo angesteckt. Wahrscheinlich wusste er das selber nicht. Irgendwann wurde er immer kränker und musste ins Krankenhaus. Dort haben die Ärzte rausgefunden, dass er Aids hatte und mir empfohlen, mich auch testen zu lassen. Und vierzehn traumatische Tage später kam das Ergebnis. 'Willkommen im Club', hat der Arzt gesagt. Drei Tage später ist mein Freund gestorben, und ich stand mit allem alleine da.
Und dann?
Ich konnte überhaupt nicht damit umgehen. Das war die Anfangszeit, wo man noch nicht viel über die Krankheit wusste, wo es auch die Medikamente noch nicht gab und sehr viele Menschen einfach gestorben sind.
Und wie haben Ihre Freunde und Bekannten reagiert?
Einige Freunde haben sich von mir getrennt, wahrscheinlich war das auch besser so, das waren dann wohl keine Freunde. Die anderen sind immer noch bei mir. Ich bin dann viel umgezogen, war auf der Flucht vor mir selbst. Ich habe zehn Jahre für eine Zeitung in Spanien als Übersetzerin gearbeitet. Ich habe in Holland gewohnt und zwei Jahre in Paris. Dadurch spreche ich mittlerweile sieben Sprachen. Und ich habe tolerante Menschen und andere Kulturen kennengelernt. Das hat mir geholfen.
Was hat Ihnen noch geholfen?
Der offensive Umgang mit dem Thema. Das war für mich eine Art Waffe. Sonst wäre ich wohl an der psychischen Sache, am Umfeld kaputtgegangen. Ich bin damit gut gefahren. Ich hab' mich da wirklich nackig gemacht und gesagt, jetzt könnt ihr alles von mir wissen. Ich hab' aber auch selbst Vorurteile abgebaut. Ich musste lernen, nicht nur zu warten, bis jemand klopft und sagt, ich ändere dein Leben.
Wie kommen Sie heute mit der Krankheit klar?
Die Therapien haben sich gebessert. Anfangs litt ich unter vielen Nebenwirkungen. Ich war nachts nass geschwitzt und hatte ganz dramatische, sehr reelle Albträume. Das kam alles durch ein Medikament, das ich dann abgesetzt habe. Jetzt nehme ich abends eine große blaue und eine große weiße Tablette. Die vertrage ich ganz gut. Aber trotzdem: Von der Wirkung sind die Medikamente so ähnlich wie eine tägliche Chemotherapie. Und die habe ich nun seit acht Jahren.
Was bedeutet HIV für Beziehungen?
Im Moment habe ich keine. Ich habe hier genug mit meiner Arbeit zu tun, die mir Spaß macht. Ich bin froh, wenn ich meine Ruhe habe. Aber das hat nicht unbedingt etwas mit HIV zu tun, vielleicht eher mit dem Alter. Aber natürlich macht HIV die Sache nicht leichter. Wie macht man es dem anderen klar, wenn man ihn gerade erst kennenlernt? Das ist schon eine Überwindung.
Wer weiß heute von Ihrer Krankheit, im Büro zum Beispiel?
Wer mich kennt, der weiß das auch. Ich engagiere mich ja auch bei der Aidshilfe und setze mich dafür ein, dass die Menschen besser informiert werden. Dem Arbeitgeber muss man es natürlich nicht sagen. Das geht keinen was an, und das ist auch rechtlich abgesichert. Ich habe es aber trotzdem schon im Bewerbungsgespräch gesagt, und es war überhaupt kein Problem. Das liegt aber an meinem Arbeitgeber. Der ist da sehr nach vorne schauend und auch informiert.
Schränkt die Krankheit Sie eigentlich ein? Sind Sie dadurch öfter krank?
Nein, ich habe komischerweise am wenigsten Fehltage von allen. Aber 70 Prozent aller HIV-Positiven sind in Arbeit. Ich habe natürlich mal einen Tag, wo ich keinen Bock hab', aber das geht doch anderen genauso.
Am 1. Dezember ist Welt-Aids-Tag. Was bedeutet der Tag für Sie?
Ich habe immer Welt-Aids-Tag. Es ist also einfach nur ein Tag, an dem sich ein paar mehr Menschen dafür interessieren, und den Rest des Jahres machen wir dann die Augen zu. Ich wünsche mir, dass die Menschen sich schützen - das ganze Jahr. Und dass man nicht diskriminiert wird, weil man die Krankheit hat.
Worin liegt denn eigentlich die Diskriminierung? Wird mit Aidskranken anders umgegangen als mit Krebspatienten?
Die Angst vor der Ansteckung spielt immer noch eine riesige Rolle. In den Neunzigerjahren war das natürlich noch schlimmer. Da konnte man von der Reaktion der Menschen her meinen, man kann sich schon am Telefon anstecken. Die Kirche und die Bild-Zeitung haben Ängste geschürt. Ich war dann ehrlich gesagt froh, als die erste HIV-infizierte Frau und das erste Kind bekannt wurden. Da war dann endlich klar, dass es jeden treffen kann.
Manche Kranke beschreiben auch, dass ihnen anders als etwa bei Krebs suggeriert wird, sie wären ja selbst schuld an ihrer Krankheit, weil sie sich nicht geschützt haben ...
Na ja, man hat Sex miteinander gehabt. Das ist ja schon mal was Schlimmes. Das macht man ja nur unter der Decke, und nur mit dem Ehepartner und am besten überhaupt nicht. Für mich ist es eine normale Krankheit wie jede andere. Ich würde mir wünschen, dass das auch mein Gegenüber so sieht.