Im November färben sich die Fichten und Kiefern in der Sierra de Chincua schwarz-orange. Das liegt an den Millionen Monarchfaltern, die sich dann auf den Bäumen niederlassen. Sie migrieren von Kanada zur Paarung bis hierher in den zentralmexikanischen Bundesstaat Michoacán. Das Spektakel lockt Tausende Besucher in den Nationalpark Mariposa Monarca. Parkdirektorin Gloria Tavera freut das, allerdings sind die schwarz-orangenen Falter für sie eher Helfershelfer bei einer tiefer reichenden Mission: Wenn die zumeist mexikanischen Touristen durch die Bergwälder streifen, erfahren sie sozusagen im Vorbeigehen, was dort noch alles entsteht. Ihr Trinkwasser zum Beispiel. „Die Leute lernen hier, dass es wichtig ist, den Wald zu schützen“, sagt Gloria Tavera. Eine für Schwellenländer keineswegs selbstverständliche Einsicht, die jedoch immer überlebenswichtiger wird.
Smog über Mexiko-Stadt: Mexiko ist einer der größten Klimasünder weltweit.
Baumschutz und Schmetterlinge, mag sich da mancher fragen. Hat Mexiko nicht drängendere Probleme, den Drogenhandel mit seinen Zehntausenden Toten etwa? Überschattet der nicht alles? Zweifellos, gerade in Michoacán, das außer einem Naturparadies auch Frontstaat im Drogenkrieg ist. Doch befindet sich Mexiko in einem epischen und noch unentschiedenen Ringen: Das alte Mexiko der finsteren Clans, die weite Teile des Landes terrorisieren, gegen das neue Mexiko: gegen eine aufstrebende Mittelschicht, die neben Sicherheit auch bessere Lebensqualität und eine saubere Umwelt einfordert.
Seit der wirtschaftlichen Öffnung des lange abgeschotteten Landes in den 1990er-Jahren hat Mexiko sich zu einem Tigerstaat entwickelt, den manche schon als das China Lateinamerikas sehen. Das Wachstum ist stabil, die industrielle Entwicklung sprunghaft, kein Land hat mehr Freihandelsabkommen. Die Regierung des Präsidenten Enrique Peña Nieto umwirbt ausländische Konzerne, die dort für den US-Markt produzieren; gerade deutsche Autofirmen tun das eifrig. Kritiker sagen, Mexiko verkaufe sich als Billiglohnland.
Die rapide Entwicklung hat die Städte explosionsartig anschwellen lassen. Vor allem der Moloch Mexiko-Stadt wächst unaufhörlich, bei 20 Millionen Einwohnern hat man zu zählen aufgehört. Für die Umwelt ist das desaströs. Nur zwölf Prozent der Abwässer werden geklärt. In Mexiko-Stadt kann das Abwasser kaum abfließen, weil die auf einem Seegrund erbaute Millionenstadt Jahr für Jahr um Zentimeter absinkt. Enorme Pumpanlagen sind nötig, um den Dreck loszuwerden. Der meiste Müll der Hauptstadt muss nach Schließung der größten Deponie in den Nachbarstaat gekarrt werden. Der Rio Lerma, Mexikos zweitlängster Fluss, der zum Pazifik fließt, ist trotz vieler Bemühungen noch eine Kloake.
Doch zunehmend macht sich die Erkenntnis breit, dass man nicht so weitermachen kann. „Mexiko ist beim Klimaschutz extrem ambitioniert für ein Schwellenland“, sagt Corinna Küsel, Landesdirektorin der deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Es hat sich ehrgeizige Klimaziele gesetzt, will Treibhausgase verringern. Die Dringlichkeit liegt auf der Hand. Das Land gehört zu den anfälligsten für Hurrikane, die sich im Zuge des Klimawandels häufen. Mexiko hat da selbst genügend Anteil. Das Land ist der zwölftgrößte Klimasünder der Welt.
Die deutsche Entwicklungshilfe will diese Ambition anschieben: durch Beratung bei der Verbreitung von Sonnenkollektoren und klimafreundlichen Kühlschränken oder Monitoring von Schutzgebieten – auch wenn Mexiko lange kein Entwicklungsland mehr ist. Aber Klimaschutz ist ja schließlich ein globales Unterfangen, bei dem den Schwellenländern eine Schlüsselrolle zuwächst.Das Waldschutzprojekt in der Sierra Chincua kann stellvertretend stehen für die wachsende Rolle des Naturschutzes. Die Bergwälder versorgen vier Millionen Menschen mit Wasser. Sie bieten aber gleichzeitig den umliegenden Dörfern Lebensunterhalt. Wie den Menschen ermöglichen, vom Wald zu leben, ohne ihn abzuholzen?
Dazu soll ein Projekt beitragen, dass von der GIZ im Auftrag des Bundesumweltministeriums unterstützt wird. Deutsche Experten helfen der Parkverwaltung beim Management des Schutzgebietes. Gemeinden, Unternehmer und Bauern sollen von der Wichtigkeit des Waldschutzes überzeugt werden. Dies ist umso dringlicher, als Mexiko eines der Länder mit der höchsten Abholzungs-Quote der Welt ist. Dem gebietet man besten Einhalt, indem man alternative Verdientquellen aufzeigt, etwa über Tourismus oder eine Wasserabgabe.
Die Schulungen scheinen gefruchtet zu haben. Bauer Diego González und seine Kollegen betonen bei der sauerstoffarmen Wanderung auf 3500 Metern Höhe, wie stolz sie auf ihre Rolle als Klimaschützer sind. „Es ist wichtig, den Wald zu schützen“, sagt González. Wie im Schwarzwald in Deutschland sieht es hier oben aus, obwohl man sich in den Tropen befindet. Der Nebel wabert, und gibt nur hin und wieder den Blick auf die sattgrünen Vulkanberge ringsum frei. Dabei gilt es, gegensätzliche Interessen unter einen Hut zu bekommen. Seit revolutionären Zeiten wird der Grund in Mexiko in Ejidos bewirtschaftet, er ist sozusagen Gemeinbesitz, Einnahmen werden zu gleichen Teilen aufgeteilt, alle reden bei allem mit. Ein Argument, dass bei der Verteidigung der schwindenden Naturreserven zunehmend eine Rolle spielt, ist, ihren wirtschaftlichen Nutzen herauszuarbeiten.
Der Natur wird ein materieller Wert zugerechnet, „Ökosystemleistungen“ heißt das in der Fachsprache, wie Andreas Gettkant, GIZ-Programmleiter in Mexiko, sagt. Kritiker sagen: so werde die Natur auch noch kapitalisiert. Aber was anders tun in einem Land, in dem Millionen jeden Peso dreimal umdrehen müssen, ob Waldbauern, Taxifahrer, Kleinhändler oder Fabrikarbeiter? Über den Geldbeutel sind die Menschen zu erreichen.
Da die deutsche Wirtschaft im Umweltbereich einiges anzubieten hat, kann die GIZ hier gleichzeitig Türöffner spielen, tut das auch, jedoch bei weitem nicht in dem Maße, wie es sich der frühere Minister Dirk Niebel (FDP) gewünscht hatte. Niebel ist nun weg, und auf eine wirtschaftspolitische Wirkungsmessung wird bewusst verzichtet, wie GIZ-Vorstandssprecherin Tanja Gönner sagt. Die deutsche Wirtschaft hat die Chancen, die in dem Nachholbedarf an Infrastruktur in Mexiko liegen, aber auch so erkannt. Sie ist präsent wie in kaum einem Schwellenland. 1400 Unternehmen mit deutscher Kapitalbeteiligung gibt es in Mexiko.
Kein Wunder, denn die Zahl der Konsumenten wächst stetig. Auch die ärmeren Schichten kurbeln den Wirtschaftskreislauf inzwischen kräftig an. Sie erleben Kapitalzuwachs durch das Geld, das ausgewanderte Familienmitglieder aus den USA heimschicken. Die Supermarktkette Elektra des Salinas-Konzerns, eine Art mexikanischer Media-Markt, eröffnet eine Filiale nach den anderen. In Massen tragen dort Menschen Flachbildschirme, Computer, Handys und Herde nach Hause. Die GIZ ist auch hier dabei, hilft dem Salinas-Konzern, Energieberatung für Kunden durchzuführen. Doch wäre die größte Einsparung nicht, gar keine Unterhaltungselektronik zu kaufen? Aber wer kann den Menschen in Schwellenländern schon verbieten, das zu wollen, was wir längst haben?
Smog über Mexiko-Stadt: Mexiko ist einer der größten Klimasünder weltweit.
Baumschutz und Schmetterlinge, mag sich da mancher fragen. Hat Mexiko nicht drängendere Probleme, den Drogenhandel mit seinen Zehntausenden Toten etwa? Überschattet der nicht alles? Zweifellos, gerade in Michoacán, das außer einem Naturparadies auch Frontstaat im Drogenkrieg ist. Doch befindet sich Mexiko in einem epischen und noch unentschiedenen Ringen: Das alte Mexiko der finsteren Clans, die weite Teile des Landes terrorisieren, gegen das neue Mexiko: gegen eine aufstrebende Mittelschicht, die neben Sicherheit auch bessere Lebensqualität und eine saubere Umwelt einfordert.
Seit der wirtschaftlichen Öffnung des lange abgeschotteten Landes in den 1990er-Jahren hat Mexiko sich zu einem Tigerstaat entwickelt, den manche schon als das China Lateinamerikas sehen. Das Wachstum ist stabil, die industrielle Entwicklung sprunghaft, kein Land hat mehr Freihandelsabkommen. Die Regierung des Präsidenten Enrique Peña Nieto umwirbt ausländische Konzerne, die dort für den US-Markt produzieren; gerade deutsche Autofirmen tun das eifrig. Kritiker sagen, Mexiko verkaufe sich als Billiglohnland.
Die rapide Entwicklung hat die Städte explosionsartig anschwellen lassen. Vor allem der Moloch Mexiko-Stadt wächst unaufhörlich, bei 20 Millionen Einwohnern hat man zu zählen aufgehört. Für die Umwelt ist das desaströs. Nur zwölf Prozent der Abwässer werden geklärt. In Mexiko-Stadt kann das Abwasser kaum abfließen, weil die auf einem Seegrund erbaute Millionenstadt Jahr für Jahr um Zentimeter absinkt. Enorme Pumpanlagen sind nötig, um den Dreck loszuwerden. Der meiste Müll der Hauptstadt muss nach Schließung der größten Deponie in den Nachbarstaat gekarrt werden. Der Rio Lerma, Mexikos zweitlängster Fluss, der zum Pazifik fließt, ist trotz vieler Bemühungen noch eine Kloake.
Doch zunehmend macht sich die Erkenntnis breit, dass man nicht so weitermachen kann. „Mexiko ist beim Klimaschutz extrem ambitioniert für ein Schwellenland“, sagt Corinna Küsel, Landesdirektorin der deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ). Es hat sich ehrgeizige Klimaziele gesetzt, will Treibhausgase verringern. Die Dringlichkeit liegt auf der Hand. Das Land gehört zu den anfälligsten für Hurrikane, die sich im Zuge des Klimawandels häufen. Mexiko hat da selbst genügend Anteil. Das Land ist der zwölftgrößte Klimasünder der Welt.
Die deutsche Entwicklungshilfe will diese Ambition anschieben: durch Beratung bei der Verbreitung von Sonnenkollektoren und klimafreundlichen Kühlschränken oder Monitoring von Schutzgebieten – auch wenn Mexiko lange kein Entwicklungsland mehr ist. Aber Klimaschutz ist ja schließlich ein globales Unterfangen, bei dem den Schwellenländern eine Schlüsselrolle zuwächst.Das Waldschutzprojekt in der Sierra Chincua kann stellvertretend stehen für die wachsende Rolle des Naturschutzes. Die Bergwälder versorgen vier Millionen Menschen mit Wasser. Sie bieten aber gleichzeitig den umliegenden Dörfern Lebensunterhalt. Wie den Menschen ermöglichen, vom Wald zu leben, ohne ihn abzuholzen?
Dazu soll ein Projekt beitragen, dass von der GIZ im Auftrag des Bundesumweltministeriums unterstützt wird. Deutsche Experten helfen der Parkverwaltung beim Management des Schutzgebietes. Gemeinden, Unternehmer und Bauern sollen von der Wichtigkeit des Waldschutzes überzeugt werden. Dies ist umso dringlicher, als Mexiko eines der Länder mit der höchsten Abholzungs-Quote der Welt ist. Dem gebietet man besten Einhalt, indem man alternative Verdientquellen aufzeigt, etwa über Tourismus oder eine Wasserabgabe.
Die Schulungen scheinen gefruchtet zu haben. Bauer Diego González und seine Kollegen betonen bei der sauerstoffarmen Wanderung auf 3500 Metern Höhe, wie stolz sie auf ihre Rolle als Klimaschützer sind. „Es ist wichtig, den Wald zu schützen“, sagt González. Wie im Schwarzwald in Deutschland sieht es hier oben aus, obwohl man sich in den Tropen befindet. Der Nebel wabert, und gibt nur hin und wieder den Blick auf die sattgrünen Vulkanberge ringsum frei. Dabei gilt es, gegensätzliche Interessen unter einen Hut zu bekommen. Seit revolutionären Zeiten wird der Grund in Mexiko in Ejidos bewirtschaftet, er ist sozusagen Gemeinbesitz, Einnahmen werden zu gleichen Teilen aufgeteilt, alle reden bei allem mit. Ein Argument, dass bei der Verteidigung der schwindenden Naturreserven zunehmend eine Rolle spielt, ist, ihren wirtschaftlichen Nutzen herauszuarbeiten.
Der Natur wird ein materieller Wert zugerechnet, „Ökosystemleistungen“ heißt das in der Fachsprache, wie Andreas Gettkant, GIZ-Programmleiter in Mexiko, sagt. Kritiker sagen: so werde die Natur auch noch kapitalisiert. Aber was anders tun in einem Land, in dem Millionen jeden Peso dreimal umdrehen müssen, ob Waldbauern, Taxifahrer, Kleinhändler oder Fabrikarbeiter? Über den Geldbeutel sind die Menschen zu erreichen.
Da die deutsche Wirtschaft im Umweltbereich einiges anzubieten hat, kann die GIZ hier gleichzeitig Türöffner spielen, tut das auch, jedoch bei weitem nicht in dem Maße, wie es sich der frühere Minister Dirk Niebel (FDP) gewünscht hatte. Niebel ist nun weg, und auf eine wirtschaftspolitische Wirkungsmessung wird bewusst verzichtet, wie GIZ-Vorstandssprecherin Tanja Gönner sagt. Die deutsche Wirtschaft hat die Chancen, die in dem Nachholbedarf an Infrastruktur in Mexiko liegen, aber auch so erkannt. Sie ist präsent wie in kaum einem Schwellenland. 1400 Unternehmen mit deutscher Kapitalbeteiligung gibt es in Mexiko.
Kein Wunder, denn die Zahl der Konsumenten wächst stetig. Auch die ärmeren Schichten kurbeln den Wirtschaftskreislauf inzwischen kräftig an. Sie erleben Kapitalzuwachs durch das Geld, das ausgewanderte Familienmitglieder aus den USA heimschicken. Die Supermarktkette Elektra des Salinas-Konzerns, eine Art mexikanischer Media-Markt, eröffnet eine Filiale nach den anderen. In Massen tragen dort Menschen Flachbildschirme, Computer, Handys und Herde nach Hause. Die GIZ ist auch hier dabei, hilft dem Salinas-Konzern, Energieberatung für Kunden durchzuführen. Doch wäre die größte Einsparung nicht, gar keine Unterhaltungselektronik zu kaufen? Aber wer kann den Menschen in Schwellenländern schon verbieten, das zu wollen, was wir längst haben?