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Werte-TÜV für Europa

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Die Europäische Union sieht sich gerne als einzigartige Wertegemeinschaft, die Demokratie, Menschenrechte und Rechtsstaatlichkeit vorlebt. Die EU-Staats- und Regierungschefs, allen voran Angela Merkel, preisen die Union deshalb oft als große Ausnahme auf der Welt, die es selbstbewusst zu verteidigen gelte. Aus diesem Grund werden beitrittswillige Länder strengen Kriterien unterworfen. Und die Türkei rückt einer Mitgliedschaft auch deshalb kaum näher, weil bis heute massive Zweifel bestehen, ob das Land diese Kriterien erfüllen würde. In Artikel zwei des EU-Vertrages heißt es: „Die Werte, auf die sich die Union gründet, sind die Achtung der Menschenwürde, Freiheit, Demokratie, Gleichheit, Rechtsstaatlichkeit und die Wahrung der Menschenrechte.“



Die Europäische Union steht für gemeinsame Werte. Die Grünen fordern, dass die Einhaltung dieser Werte kontrolliert werden sollte.

Doch so klar das klingt, so unklar ist bis heute, was passieren soll, wenn ein EU-Mitglied diese Prinzipien national einschränkt. Den Verdacht gab es bereits, als die österreichische Volkspartei ÖVP im Jahr 2000 eine Koalition mit der rechtspopulistischen FPÖ Jörg Haiders einging. Gravierender wurde es, als der frühere italienische Ministerpräsident Silvio Berlusconi Mediengesetze und Kartellbestimmungen in seinem Land so änderte, dass seine eigenen Medien eine dominante Stellung erreichten. Und in Ungarn gibt es seit Jahren die Klage, dass die Regierung die Freiheit der Medien und der Gerichte zu ihren Gunsten beschneidet. Was also tun, sollte ein Land gegen EU-eigene Werte verstoßen?

Bislang gibt es nur eine sehr harte Strafe – oder gar keine. Wenn ein EU-Mitglied gegen die Werte der Staatengemeinschaft verstößt, könnte die EU-Kommission ihm seine Stimmen im Rat und damit seine Mitsprache entziehen. So sagt es Artikel sieben des EU-Vertrages. Weil diese Sanktion aber hart ist, wurde sie noch nie eingesetzt. Andere Strafen jedoch gibt es nicht, und einen wirklich transparenten Überprüfungsprozess gibt es auch nicht. Deshalb wollen die Grünen nun etwas ändern. Sie wollen eine feste und regelmäßige Überprüfung der Rechtsstaats- und Grundrechtsprinzipien für alle EU-Staaten einführen. Diese soll freiwillig sein und doch einen Fingerzeig geben, welcher Mitgliedsstaat bereit ist, sich überprüfen zu lassen.

Außerdem fordern die Grünen in einem Papier, das der SZ vorliegt, eine Art „Rat der Weisen“. Er soll nicht ad hoc agieren, sondern dauerhaft eingesetzt werden, um gegenüber politischen Einflussversuchen unabhängig zu bleiben. Jedes nationale Parlament soll einen Vertreter entsenden, das EU-Parlament soll zusätzlich zehn besondere Persönlichkeiten ernennen. Das Gremium soll die Kriterien präzisieren, die Grünen wollen auch Pressefreiheit und Medienvielfalt garantieren. Zudem sollen die Länderprüfungen in einem jährlichen „Weißbuch zur Lage der Grundwerte und der Rechtsstaatlichkeit in der EU“ veröffentlicht werden.

Sollte ein Land tatsächlich gegen EU-Werte verstoßen, dann plädieren die Grünen auch für weitere Sanktionen, so für das Einfrieren von Mitteln aus dem Strukturfonds. Man solle finanzielle Sanktionen freilich „dort einsetzen, wo sie den größten Effekt auf die jeweilige Regierung und den geringsten auf die Bevölkerung haben“, schreiben die Autoren, darunter die frühere EU-Abgeordnete Franziska Brantner. Sollte in Frankreich der rechtsextreme Front National die nächste Wahl gewinnen, könnte diese Debatte noch aktueller und konkreter werden.

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