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Das große Trommeln

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Sein Lebenswerk hört Jürgen Tautz meistens schon von weitem. Es brummt. Der Professor stemmt sich am Rande des Würzburger Campus gegen ein Gittertor, im Haus dahinter ist der Bienen-Live-Stream, der seine Forschung in die Welt verschickt. Tautz, Mitte 60, weißes Haar, ist wohl Deutschlands bekanntester Bienenforscher – und ein begnadeter Erklärer und Lehrer, einer, der will, dass wirklich jeder etwas über Bienen lernt. Er betreibt die Dauer-Schalte aus dem Bienenstock, er schreibt Kinderbücher und Beiträge für Schulen, in Gärten von Altenheimen stellt er Bienenstöcke auf, dreht Kurzfilme fürs Kino und pflegt eine Lernplattform zur Honigbiene. Jetzt im Winter, so erfährt man dort, halten sich die Bienen mit „Power-Kuscheln“ warm.

Und dann ist da natürlich die Fachwelt. Wer sich mit der „Apis mellifera“ beschäftigt, also der Honigbiene, der kommt an Jürgen Tautz kaum vorbei. Dass aber seine Ergebnisse nur für die Kollegen die Universität verlassen, für Tagungen oder für Fachjournale – das widerspräche dem, was ihm wichtig ist: die Kommunikation der Wissenschaft mit der Gesellschaft.





Dafür wurde Tautz schon geehrt, von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), der großen staatlichen Fördereinrichtung: mit dem „Communicator-Preis“. Jedes Jahr begibt sich die DFG, zusammen mit dem Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft, auf die Suche nach Forschern, die „in herausragender Weise“ ihre Ergebnisse in die breite Öffentlichkeit tragen. So soll „der immer wichtigere Dialog zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit gestärkt werden“, heißt es. Tautz führt diesen Dialog mit Leidenschaft. Und das wird eben immer wichtiger: Die Wissenschaft hat das Sprechen gelernt, Hochschulen kommunizieren professioneller, rüsten ihre Abteilungen dafür auf, pflegen ihre Marke fast wie Unternehmen – so stark aber, dass Beobachter die Gegenfrage stellen: Wird nicht schon zu viel kommuniziert?

„Erklären Sie noch oder werben Sie schon?“ So fragte kürzlich das Magazin Deutsche Universitätszeitung auf dem Titel frech seine Leser. Und berichtete dann über „Schönfärberei und Alarmismus“ in Pressemittelungen oder „Banalisierung“ von Forschung. Kommuniziert wird ja mit Verve und auf allen Kanälen: Zeitschriften von Universitäten waren einst oft Hefte in der Machart von Schülerzeitungen – heute sind es Hochglanzmagazine. Waren Professoren früher als Experten selten zeitnah zu erreichen („Schicken Sie ein Fax, er meldet sich in den nächsten Wochen“), werden Ansprechpartner nun strategisch vermittelt. Die Öffentlichkeitsarbeiter sind zunehmend ausgebildete Journalisten. Viele Unis haben Expertendatenbanken nach Stichworten von A wie Aids bis Z wie Zuwanderung, es laufen Nachrichtenticker, sogar Bundestagsprotokolle werden studiert – um relevante Themen herauszufiltern, um Forscher bereit zu halten oder aktiv Expertisen anzubieten. Selbstverständlich werden Twitter und Co. bedient.

Und da sind die vielen Veranstaltungen, ganz neue Formate – von „Kinder-Universitäten“, mit denen der Nachwuchs von überübermorgen Wissenschaft erlebt, bis zum Seniorentag, von üppig inszenierten nächtlichen Vortragsreihen („Night of the Profs“) bis zur rollenden Ausstellung auf Bahngleisen, von offenen Laboren bis zum „Science Slam“. Bei diesen Turnieren treten Forscher gegeneinander an, der Applaus des Publikums kürt den besten Erklärer. Bienenforscher Tautz schildert schon mal bei einem Automobilgipfel Managern, was sich deren Branche von der Funktionsweise des Bienenstocks abschauen kann.

Das alles kann famose Möglichkeiten zum Dialog schaffen, es kann Universitäten in die Mitte der Gesellschaft bringen und Wissenschaftlern die nötige Bodenhaftung verschaffen – Elfenbeinturm ade. Oder ist das alles zu dick aufgetragen?

„Image statt Inhalt?“ – unter dem Motto haben sich vor wenigen Monaten auf Einladung der Volkswagen-Stiftung Forscher, Uni-Verwalter, Politiker und Journalisten in Hannover an einer Bestandsaufnahme versucht. Tenor: Ja, raus aus dem Elfenbeinturm. Wie es Niedersachsens Wissenschaftsministerin Gabriele Heinen-Kljajić sagte: Forscher müssten „das Handwerk der Reduktion“ verstehen. Vor allem stach aber der Beitrag der Medienwissenschaftler Frank Marcinkowski (Uni Münster) und Matthias Kohring (Uni Mannheim) hervor. „Es gibt keinen Grund anzunehmen, dass der wissenschaftliche Erkenntnisprozess dadurch befördert würde, dass möglichst viele zugucken“, lautet ihre These.

In Systemen wie Universitäten, die nun mal finanziert werden müssen, fühlten sich Forscher jedoch zu diesem Dialog gezwungen: „In der Aufmerksamkeitsindustrie gilt es jetzt schon als Makel, nicht zu kommunizieren und Öffentlichkeit nicht für ein Allheilmittel zu halten. Wer gegen Öffentlichkeit ist, macht sich verdächtig und gilt als zurückgeblieben.“ Die Gefahr dabei, so die beiden Medienforscher: Öffentliche Aufmerksamkeit werde zur „Leitwährung der Wissenschaft“ – Themen könnten mit einer Schere im Kopf ausgewählt, Hypothesen umformuliert werden.

Die beiden haben auch ermittelt, dass zwei Drittel der Pressestellen in jüngster Vergangenheit aufgestockt wurden, beim Personal wie beim Budget. Knapp 2000 Befragte, die 265 Hochschulen repräsentieren, füllten Fragebögen aus. Wie viele Menschen aber bundesweit an der öffentlichen Vermittlung von Wissenschaft arbeiten, wie hoch die Etats aller Hochschulen und Institute sind – diese Zahlen gibt es nicht.

Julia Wandt hätte diese Daten gern. Sie leitet die Abteilung Kommunikation und Marketing an der Universität Konstanz, zudem ist sie Vorsitzende des Bundesverbands Hochschulkommunikation, in dem die Zunft organisiert ist. „Noch nie haben Hochschulen so breit und so professionell kommuniziert wie heute. Auch bei den beteiligten Personen und Budgets kann man von diesem Trend ausgehen“, sagt Wandt. Allerdings: Keine bundesweiten Daten.

Den Trend zum Wachstum sieht sie aber: „Hochschulen benötigen nicht mehr oder weniger Marketing als Unternehmen oder andere Einrichtungen.“ Wo Wettbewerb sei, gebe es auch Marketing – „und Wettbewerb findet eindeutig statt, um die besten Wissenschaftler, um Studenten, um Kooperationspartner. Gerade die von der Politik aufgelegten Förderprogramme, vor allem die Exzellenzinitiative, sind nach dem Wettbewerbsprinzip ausgelegt.“ Hier spielten, so Wandt, nicht nur Kreativität und Relevanz von Forschungsleistungen eine Rolle, sondern eben auch die öffentliche Wahrnehmung der Leistungen. „Wenn man erfolgreich ist, als ganze Einrichtung oder in einem Bereich, muss und kann man das nutzen.“ Andererseits verpflichte das umso stärker, professionell zu kommunizieren: „Erfüllt man die Punkte, die versprochen wurden, wie setzt man die Gelder der öffentlichen Förderung genau ein?“

Die Umstände scheinen tatsächlich das Sprechen der Wissenschaftler zu fördern. Trotz der vielen Defizite im System, zum Beispiel bei den prekären Verträgen junger Forscher: Hochschulen und Forschung erhalten so viel Geld wie nie. Bund und Länder haben laut Statistischem Bundesamt zuletzt fast 80 Milliarden Euro im Jahr ausgegeben. Hinzu kommt, dass an manchen Hochschulen schon die Hälfte des Etats nicht mehr aus der regulären Finanzierung stammt – sondern aus „Drittmitteln“ vom Staat und aus der Wirtschaft, über Anträge für Projekte, über Wettbewerbe.

Dadurch entsteht ebenfalls der Zwang, möglichst attraktiv zu wirken. In Anträgen müssen Wissenschaftler meist schildern, wie sie denn Ergebnisse ihres Projekts öffentlich darzustellen gedenken. Wandt sagt: „Die große Mehrheit versteht, dass sie erklären müssen – und tun es auch gerne.“ Ihre Kollegen und sie unterstützten dabei: So wisse nicht jeder Professor, dass Journalisten nicht Monate wie bei einem wissenschaftlichen Text, sondern oft nur Stunden Zeit für eine Recherche hätten.

Einblicke hat sich Dieter Willbold verschafft, Physikalischer Biologie an der Uni Düsseldorf und am Forschungszentrum Jülich. Sein aktuelles Gebiet ist die Alzheimertherapie, Willbold ist durchaus ein gefragter Mann. Es geht weniger um Details der „mobilen Aggregate von Proteinen“ – sondern um das, was etwa bei Mäuseversuchen beobachtet wird. „Ich bin mit meinen bisherigen Auftritten und Interviews nicht total unzufrieden gewesen, habe aber gemerkt: Es gibt ein Handwerkszeug, das man lernen und trainieren kann“, sagt Willbold. Nämlich: „Verständlich erklären, an Fragen anknüpfen, sich kurz halten, nicht alles in die erste Antwort packen.“ Trainiert hat er das bei einem Kurs, gebucht über den Professorenverband. Mit Feedback des Kursleiters, einem Journalisten, und der anderen Teilnehmer. Ehrliches Feedback, wohlgemerkt. „Sonst wird man immer ja eher nur gelobt als Wissenschaftler“, sagt Willbold und lacht. Sonst spricht er angenehm sachlich, man hört ihm sehr gerne zu. Vielleicht schon ein Lerneffekt.

Und wie sieht er die Debatte über eine zu intensive Medienarbeit? Willbold argumentiert damit, dass die öffentliche Hand viel Geld für Wissenschaft ausgebe; und dass gewisse Dinge zwingend publik werden müssten. „Erklären und werben schließen sich dabei nicht aus“, sagt er. Als Wissenschaftler wolle man „immer alles so exakt formulieren, dass es eben exakt richtig ist. In der Öffentlichkeitsarbeit braucht es da auch mal Kompromisse. Wichtig ist mir aber: nichts aufbauschen.“ Das sei in seinem Metier „eine Gratwanderung, man könnte hier zum Beispiel bei Patienten schnell falsche Hoffnungen wecken“.

„Ich muss nie überlegen, was ich gleich im Radio erkläre“, erzählt Bienenforscher Tautz, er läuft vorbei an einem Kino-Plakat: „Bee Movie – Das Honigkomplott“, ein US-Animationsfilm, Hauptrolle Barry B. Benson als männliche Arbeitsbiene. „Fachlich ist das natürlich falsch“, sagt Tautz, „Arbeitsbienen sind weiblich.“ Also drehte Tautz 2008 seinen eigenen Film: drei Minuten, in denen ein paar Dinge richtiggestellt wurden. Als „Bee Movie“ 2008 in die Kinos kam, flimmerte in Tausenden Kinos zuerst der Lehrfilm über die Leinwand. Wenn es um seine Bienen geht, ist Tautz überall. Sogar zwischen Popcorn und Kinosesseln.

Das Erklären, das Rechtfertigen, es hat ihm niemand vorgeschrieben, es ist in seinem Fall weniger ein Produkt universitärer Zwänge – es ist mit seiner Biografie zu erklären. Tautz machte einst als Erster in seiner Familie Abitur. Als er sein Studium begann, Biologie in Darmstadt, begannen die Fragen daheim. „Auf keinen Fall“, erzählt Tautz, „durfte ich Fachchinesisch reden.“ Damit hätte er es getötet, das Interesse der Familie. Also begann der junge Mann mit dem Erklären: Wie machen Leuchtkäfer Licht ohne Strom? Wieso fallen Fliegen nicht von der Decke? Montag bis Samstag forschte er im Labor. Am Sonntag „übersetzte“ er das. Vier Jahrzehnte später forscht er noch immer. Und erklärt.

Natürlich könnte man sagen: Tautz hat es leicht, die Menschen mögen Bienen. Bei Nacktmullen wäre das schwieriger. Aber auch die Honigbiene ist kompliziert, Zuhörer schalten bekanntlich schnell ab. Wer will wissen, dass Bienen zweidimensionale, codierte Schwingmuster erzeugen, die sie mit einer Frequenz von 300 Hertz auf die Wabenwände übertragen? Tautz ist es einfach wichtig, dass alle ihn verstehen: Der Greis, das Kind, der Student und die Hausfrau, wie es früher seine Mutter war.

Es obliegt wohl am Ende der Wissenschaft selbst, ihren Umgang mit der Öffentlichkeit zu definieren. Zwei Initiativen haben das jüngst getan: Unter Federführung der Leopoldina, der Nationalen Akademie der Wissenschaften, gab es „Empfehlungen vor dem Hintergrund aktueller Entwicklungen“ (siehe Kasten). Und der „Siggener Kreis“, in dem unter anderem die Hochschulrektorenkonferenz mitwirkt, hat Leitlinien für gute Kommunikation erarbeitet.

In dem Kreis engagiert sich der Verband von Julia Wandt. „Natürlich arbeiten Hochschulsprecher für ihre Einrichtung, natürlich wollen sie die Erfolge bestmöglich dargestellt wissen; aber es muss wahrhaftig und glaubwürdig sein“, sagt sie. Übertourte Medienarbeit würden schon die Wissenschaftler auf gar keinen Fall mit sich machen lassen –„sie sind die Hauptakteure und haben das Heft in der Hand.“

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