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Döner für immer

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Es war ein mühsamer Prozess, der spät in Gang kam, doch nun tut sich etwas an den deutschen Bühnen: Junges, offensives Theater hat sich mit kritischen Interventionen in der Migrationsdebatte Gehör verschafft. 2014 etwa wurde Shermin Langhoffs neues Gorki in Berlin zum Theater des Jahres gewählt. Außerdem hat eine Blackfacing-Debatte den Rassismus stereotyper Darstellungsformen auf deutschen Bühnen entlarvt. Immer wieder wird zudem die Öffnung der etablierten Häuser für alle Bevölkerungsgruppen gefordert. Wege dorthin werden ausprobiert. Neue Stücke wie Christine Umpfenbachs „Urteile“ über den NSU-Prozess oder die Parallelgesellschafts-Komödie „Habe die Ehre“ von Ibrahim Amir rechnen auf unterschiedliche Weise mit Ausgrenzungsmechanismen, Vorurteilen und Parallelwelten ab.



Die Schauspieler Reinhard Mahlberg, Anke Schubert und Boris Koneczny während einer Probe für das Stück 'Das schwarze Wasser' im Nationaltheater in Mannheim.

Dass eine Sensibilisierung stattfindet, ist der Hartnäckigkeit weniger Akteure zu verdanken, nicht einer plötzlichen Erkenntnis der etablierten Kulturschaffenden. Dennoch gehört die kritische, kreative Reflexion darüber, wie gesellschaftlich relevantes Theater im Einwanderungsland Deutschland heute aussehen kann, inzwischen zum Standard. Auf dieser Welle surft das neueste Werk des derzeit auf Kuba lebenden Dramatikers Roland Schimmelpfennig.

Mit Stücken wie der preisgekrönten Globalisierungsparabel „Der goldene Drache“ ist er in den letzten Jahren zum poetisch-politischen Wald- und Wiesenkommentator deutscher Bühnen geworden. Doch sein Determinismus-Drama „Das schwarze Wasser“ greift enttäuschend kurz, und die Mannheimer Uraufführung in der Regie des Intendanten Burkhard C. Kosminski zeugt vor allem von Ratlosigkeit.

Das Stück setzt ein vor circa zwanzig Jahren mit einer sternenschimmernden Sommerutopie. Neun Jugendliche „überwinden für einen kurzen Moment alle gesellschaftlichen Gegensätze“, so heißt es in der Ankündigung. Zwei Gruppen treffen unverhofft aufeinander, die nachts heimlich in ein Freibad einsteigen – hier angedeutet durch flirrende Bögen von Wassertropfen, welche die sechs Darsteller schwungvoll aus triefend nassen Handtüchern über die Bühne spritzen.

Das verbindet, und so kommen sich die Sprösslinge etablierter Snobs und die türkischer Einwanderer am Pool näher. Nach dem Schwimmbad geht es noch in die Roxy-Bar, dann in den Dönerladen von Murats Vater –, der für die Jugendlichen mit Sesshaftigkeitshintergrund offenbar eine völlig fremde Welt darstellt,– und abschließend findet man sich zum kulturübergreifenden Knutschen im Park wieder.

Die Szenen jener „magischen“ Nacht verwebt Schimmelpfennig mit Momentaufnahmen aus der Gegenwart seiner Protagonisten zu einem narrativen Textfluss. Die Vermischung der Zeitebenen spiegelt auch Kosminskis Besetzung wieder, zwei junge, Katharina Hauter und David Müller, werden von vier Darstellern im mittleren Alter flankiert.

Der Text springt ohne dezidierte Rollen von einem zum nächsten, dennoch werden in der Uraufführung einzelne Figuren markiert. Murats Vater etwa ist an Schnurrbart, Akzent und Dönermesser zu erkennen. Klar, das ist natürlich selbstironisch gemeint, ein bewusstes Spiel mit Stereotypen. Leider wird es aber auch zum willkommenen Anlass für billige Lacher. Um das Klischee wieder zu brechen, ist das türkische Mädchen Leyla dafür blond und blauäugig besetzt. Auf die platte Ausländermaskerade völlig zu verzichten, wäre sicherlich die klarere Positionierung gewesen. Theater ist ja ohnehin immer auch eine Behauptung, Schnurrbart hin oder her.

Nach einem Zeitsprung von zwanzig Jahre lässt Schimmelpfennig dann einige der Jugendlichen von damals zufällig wieder aufeinander treffen. Alle sind genau zu dem geworden, was der Status ihrer Eltern erahnen und erwarten ließ: Frank ist Politiker, Freddi Anwalt, Murat verkauft Döner, Leyla sitzt an der Supermarktkasse – und das ist dann auch schon die ganze Pointe des Stückes.

„Das schwarze Wasser“ ist ein simpler, etwas altmodischer, melancholischer Abgesang auf eine Gesellschaft, die niemals vorhatte, Chancengleichheit herzustellen. Der männliche, weiße Denker verzweifelt ein wenig an der Welt, that’s it – keine Analyse, kein Aufbegehren. Vielleicht mussten Roland Schimmelpfennig und Burkhard Kosminski mit „Das schwarze Wasser“ ein Kapitel für sich abschließen, während sich die zwanzig Jahre jüngeren Kolleginnen längst an das nächste gewagt haben.


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