Wenn man sich die Menschheit als Astronauten im All vorstellt, dann ist die Atmosphäre der Erde der Raumanzug. Das Klimasystem sorgt für angenehme Temperaturen, die Ozonschicht stoppt als Sonnenschild wie ein Helmvisier schädliche Strahlung, die Biosphäre liefert permanent Sauerstoff, reinigt die Wasservorräte und füllt den Nährstoffspeicher. Kurz: Die Erde ist das Lebenserhaltungssystem der Menschheit. „Wir halten das für gegeben und messen ihm wenig Wert bei“, sagt Will Steffen von der australischen Nationaluniversität in Canberra. „Aber wir sind dabei, dieses lebenswichtige System zu destabilisieren.“
Das Satellitenfoto der NASA dokumentiert die Größe des Ozonlochs über der Arktis im Winter 1999/2000. Wissenschaftler haben neue Grenzwerte für die Stabilität unseres Klimasystems festgelegt. Die Ozonschicht ist ein Punkt davon.
Steffen bemüht sich mit etlichen anderen Wissenschaftlern seit Langem, die Bedingungen der Stabilität aufzuzeigen. Das Team hat Grenzwerte definiert, und mindestens vier davon habe die Menschheit bereits überschritten, zeigt eine Science-Studie des Australiers und seiner Kollegen (online). Sie stellen darin eine Art Ampel vor. Wenn sie Grün zeigt, wie beim globalen Wasserverbrauch, der Ozonschicht und knapp auch noch bei der Meeresversauerung, bewegt sich die Menschheit in einem sicheren Bereich. Das ist aber eben nur für drei der neun Aspekte gegeben. Bei Gelb beginnen die Zweifel: Die Stabilität endet dort, irgendwo hier sind große Veränderungen möglich, die sich noch nicht genau bestimmen lassen. Das ist beim Klimawandel der Fall und bei der Umwandlung von Wäldern zum Beispiel in Plantagen und Ackerland. Rot schließlich bedeutet, dass bereits großes Risiko besteht – das Artensterben und die Folgen der intensiven Stickstoff- und Phosphordüngung könnten drastische und unbeherrschbare Folgen haben. Für zwei weitere Aspekte fehlen noch die Daten, um eine sinnvolle globale Grenze festzulegen: Das gilt demnach sowohl für die Menge kleinster Partikel wie Ruß und Schwefeloxide in der Atmosphäre als auch für die Verbreitung von Plastik, Chemikalien und anderen künstlich erzeugten Stoffen in der Umwelt.
In einer weiteren Studie belegt Steffens Team, wie tief die Veränderungen auf dem Planeten bereits reichen. „Die ökonomische Aktivität der Menschheit prägt inzwischen direkt die Veränderungen im Erdsystem“, sagt Steffen. Seit etwa 1950 haben Stadtbevölkerung, Transportkilometer, Energie- und Wasserverbrauch stark zugenommen und parallel dazu die Schadstoffwerte in der Atmosphäre, die Versauerung des Meeres und der Verlust von intakten, artenreichen Landschaften. Betrachtet man den zeitlichen Verlauf, knicken viele dieser Kurven kurz nach dem Zweiten Weltkrieg nach oben ab und steigen plötzlich steiler an (Anthropocene Review, online).
„In nur zwei Generationen ist die Menschheit zu einer geologischen Macht geworden, die auf den ganzen Planeten wirkt“, sagt Steffen. Die Natur gerate allmählich in einen neuen, in der Menschheitsgeschichte unbekannten Zustand, der sich als Wechsel in ein neues Erdzeitalter bemerkbar machen werde. Das seit 11700 Jahren andauernde Holozän mache dem Anthropozän Platz.
Viele Wissenschaftler geben den Start des neuen Zeitalters sogar auf den Tag genau an: den 16. Juli 1945, den Tag der ersten Explosion einer Atombombe. Diesen Termin schlägt jetzt auch eine Arbeitsgruppe vor, die die Frage nach dem neuen Erdzeitalter geologisch untersucht (Quarternary International, online). Danach sei bis 1988 im Mittel alle zehn Tage eine weitere Bombe gezündet worden, schreibt das Team um Jan Zalasiewicz von der Universität Leicester. Jede Erdschicht, die danach entstehe, werde radioaktiven Fallout enthalten.
Die beiden Konzepte, das Anthropozän und die planetaren Grenzwerte, hängen eng zusammen. „Die Belege für die beschleunigten Veränderungen im Anthropozän sind sozusagen die Diagnose des grundsätzlichen Problems“, sagt Will Steffen, „und die planetaren Grenzwerte sind der Vorschlag einer Lösung.“ Allerdings ist den Forschern klar, dass es damit nicht getan ist. Wissenschaftler könnten der Menschheit nichts diktieren, sie müssen Regierungen und Konzernlenker überzeugen. Steffens Team will die Studien kommende Woche den Teilnehmern des Weltwirtschaftsforums in Davos vorstellen.
„Was für eine Gruppe von Intellektuellen akzeptable Grenzen sind, muss nicht auch für die Gesellschaft akzeptabel sein“, bestätigt Jochem Marotzke vom Max-Planck-Institut für Meteorologie in Hamburg. Eine Veränderung als „gefährlich“ anzusehen, sei ein Werturteil, keine wissenschaftliche Tatsache. Aber es sei auf jeden Fall sinnvoll, wenn Forscher die Menschheit – auch ungefragt – darüber informierten, wo Veränderungen zu erwarten sein.
Und gerade die Idee, dass die Menschheit die eigenen Lebensbedingungen destabilisieren könnte, motiviert etliche Politiker, sich dem entgegenzustellen. „Die Studie zeigt einmal mehr, welch dramatische Krise wir mit unserer Wirtschaftsweise auslösen“, sagt Annalena Baerbock aus der Grünen-Fraktion im Bundestag. Solche Erkenntnisse sind zumindest in Deutschland auch keine Frage der Parteizugehörigkeit. „Wir Menschen sind nicht eine unbedeutende Art von Lebewesen, wir überformen diesen Planeten“, sagt der CDU-Bundestagsabgeordnete Rüdiger Kruse, der die Idee vom Anthropozän politisch fördert. „Was wir tun, ist von existenzieller Bedeutung für den ganzen Planeten. Das heißt, wir müssen Fehler korrigieren oder am besten gleich vermeiden.“
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Am Limit
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