Jahr 1972 gründete eine Handvoll junger britischer Philosophen das Magazin Radical Philosophy, das der sozialistisch inspirierten Jugend des Landes ein Vokabular für ihre politischen Aufstände zur Seite stellen sollte. „Die zeitgenössische britische Philosophie ist in eine Sackgasse geraten“, hieß es in der ersten Ausgabe, „Ihre Vertreter haben den Versuch aufgegeben, die Welt zu verstehen, geschweige denn, sie zu verändern. Sie haben Philosophie in ein enges, spezialisiertes Fach verwandelt, für das sich außerhalb der akademischen Kreise kaum jemand interessiert.“
43 Jahre später sind diese Mängel zumindest teilweise behoben. Heute gibt es kaum noch jemanden, der von sich behaupten würde, sich nicht für Philosophie zu interessieren. Philosophische Sachbücher verkaufen sich weltweit millionenfach. In den Verlagsprogrammen wimmelt es vor Internet-, Finanz- und Gesundheitsphilosophen, und auf der Konferenz, die das Radical Philosophy-Kollektiv nun im Berliner Haus der Kulturen der Welt ausgerichtet hat, drängten sich Hunderte. Philosophie ist heute populär wie nie, und zwar im doppelten Sinne.
Bliebe noch die Sackgasse: Einerseits ist es den Achtundsechzigern in Europa tatsächlich gelungen, soziale und politische Theorie auf die Küchentische der Studenten-WGs zu spülen, wo sie dann zu Parteiprogrammen und Lebensentwürfen verdichtet wurde. Andererseits hat die neoliberale Verwertungslogik, die man eigentlich aufbrechen wollte, seitdem auch den transformativen Zauber sozialer Bewegungen zum Anlageobjekt umfunktioniert. Jüngstes Beispiel: Geschäftsleute haben versucht, sich den Slogan „Je suis Charlie“ als Markenzeichen schützen zu lassen.
Da die Universitäten zunehmend auf private Gelder angewiesen sind, werden sie jetzt von den Geistern heimgesucht, die sie selbst gerufen haben: Investoren geben ihr Geld am liebsten für glanzvolle, epochale Umstürze aus, weshalb es nun alle paar Jahre eine philosophische Wende zu vermelden gibt. Die Sackgasse hat damit ihre Gestalt verändert: Sie ist jetzt keine Mauer mehr, sondern tritt als Zwangsjacke unendlicher Möglichkeiten auf. Die zeitgenössischen Philosophen wissen das. Nur hilft ihnen dieses Bewusstsein nicht weiter. Die meisten Vorträge bei der Berliner Konferenz endeten resignativ.
Das konnten auch die Programmplaner nicht verhindern. Sie setzten den Akzelerationismus gleich an den Anfang der Konferenz, jene optimistischste antikapitalistische Denkschule der Gegenwart. Der Akzelerationismus versucht, den Neoliberalismus nicht durch Verweigerung, sondern durch Speed und Überlastung zu bekämpfen. Allein Deutschlands bekanntester Akzelerationist Armen Avanessian hat 2014 zehn Bücher und zahllose Aufsätze veröffentlicht. Weil das niemand alles ernsthaft lesen kann, ist diese Offensive in erster Linie eine ironische Performance.
Das Hauptproblem der radikalen Philosophie besteht vielleicht darin, dass sie auf der Suche nach Haltungen, die nicht unmittelbar vom Neoliberalismus inkorporiert werden können, ungebetene Konkurrenz bekommen hat, die nicht mehr radikal denkt, sondern radikal nicht denkt: IS, Boko Haram, Pegida. Der Neoliberalismus brauche immer eine gewisse Übereinkunft mit seinen Gegnern, um abweichende Positionen zu vereinnahmen, sagte die österreichische Autorin Nora Sternfeld in Berlin.
Und dieser common ground zwischen dem Neoliberalismus und jenen Philosophen, die die Welt mit akademischer Exzellenz, analytischer Kompetenz und argumentativer Überzeugungsarbeit verbessern wollen, ist letztlich ziemlich groß. Das wollen Goldman Sachs und McKinsey schließlich auch. In einer Gegenwart, in der Fundamentalisten Zeitungsredakteure erschießen, finden sich Denker, die sich gerade noch als radikale Oppositionelle verstanden haben, deshalb plötzlich Schulter an Schulter mit ihren Gegnern wieder.
Wobei auch die Option der Totalverweigerung in Berlin diskutiert wurde. Aus den Siebzigerjahren sind zwei Aufrufe zum Künstlerstreik überliefert: Die Künstler Gustav Metzger und Goran Djordjevic hatten unabhängig voneinander ihre Kollegen aufgefordert, die Arbeit niederzulegen, um so den kapitalistischen Kunstbetrieb zum Erliegen zu bringen. Am Ende waren sie zwar jeweils die Einzigen, die ihrem Aufruf folgten. Trotzdem reimt sich hier die Geschichte: Auch die Fundamentalopposition der damaligen Linken hat Einzelne in den Terrorismus getrieben. Weshalb die Integrationskraft der Verwertungsgesellschaft in diesen Tagen so gut dasteht wie lange nicht.
43 Jahre später sind diese Mängel zumindest teilweise behoben. Heute gibt es kaum noch jemanden, der von sich behaupten würde, sich nicht für Philosophie zu interessieren. Philosophische Sachbücher verkaufen sich weltweit millionenfach. In den Verlagsprogrammen wimmelt es vor Internet-, Finanz- und Gesundheitsphilosophen, und auf der Konferenz, die das Radical Philosophy-Kollektiv nun im Berliner Haus der Kulturen der Welt ausgerichtet hat, drängten sich Hunderte. Philosophie ist heute populär wie nie, und zwar im doppelten Sinne.
Bliebe noch die Sackgasse: Einerseits ist es den Achtundsechzigern in Europa tatsächlich gelungen, soziale und politische Theorie auf die Küchentische der Studenten-WGs zu spülen, wo sie dann zu Parteiprogrammen und Lebensentwürfen verdichtet wurde. Andererseits hat die neoliberale Verwertungslogik, die man eigentlich aufbrechen wollte, seitdem auch den transformativen Zauber sozialer Bewegungen zum Anlageobjekt umfunktioniert. Jüngstes Beispiel: Geschäftsleute haben versucht, sich den Slogan „Je suis Charlie“ als Markenzeichen schützen zu lassen.
Da die Universitäten zunehmend auf private Gelder angewiesen sind, werden sie jetzt von den Geistern heimgesucht, die sie selbst gerufen haben: Investoren geben ihr Geld am liebsten für glanzvolle, epochale Umstürze aus, weshalb es nun alle paar Jahre eine philosophische Wende zu vermelden gibt. Die Sackgasse hat damit ihre Gestalt verändert: Sie ist jetzt keine Mauer mehr, sondern tritt als Zwangsjacke unendlicher Möglichkeiten auf. Die zeitgenössischen Philosophen wissen das. Nur hilft ihnen dieses Bewusstsein nicht weiter. Die meisten Vorträge bei der Berliner Konferenz endeten resignativ.
Das konnten auch die Programmplaner nicht verhindern. Sie setzten den Akzelerationismus gleich an den Anfang der Konferenz, jene optimistischste antikapitalistische Denkschule der Gegenwart. Der Akzelerationismus versucht, den Neoliberalismus nicht durch Verweigerung, sondern durch Speed und Überlastung zu bekämpfen. Allein Deutschlands bekanntester Akzelerationist Armen Avanessian hat 2014 zehn Bücher und zahllose Aufsätze veröffentlicht. Weil das niemand alles ernsthaft lesen kann, ist diese Offensive in erster Linie eine ironische Performance.
Das Hauptproblem der radikalen Philosophie besteht vielleicht darin, dass sie auf der Suche nach Haltungen, die nicht unmittelbar vom Neoliberalismus inkorporiert werden können, ungebetene Konkurrenz bekommen hat, die nicht mehr radikal denkt, sondern radikal nicht denkt: IS, Boko Haram, Pegida. Der Neoliberalismus brauche immer eine gewisse Übereinkunft mit seinen Gegnern, um abweichende Positionen zu vereinnahmen, sagte die österreichische Autorin Nora Sternfeld in Berlin.
Und dieser common ground zwischen dem Neoliberalismus und jenen Philosophen, die die Welt mit akademischer Exzellenz, analytischer Kompetenz und argumentativer Überzeugungsarbeit verbessern wollen, ist letztlich ziemlich groß. Das wollen Goldman Sachs und McKinsey schließlich auch. In einer Gegenwart, in der Fundamentalisten Zeitungsredakteure erschießen, finden sich Denker, die sich gerade noch als radikale Oppositionelle verstanden haben, deshalb plötzlich Schulter an Schulter mit ihren Gegnern wieder.
Wobei auch die Option der Totalverweigerung in Berlin diskutiert wurde. Aus den Siebzigerjahren sind zwei Aufrufe zum Künstlerstreik überliefert: Die Künstler Gustav Metzger und Goran Djordjevic hatten unabhängig voneinander ihre Kollegen aufgefordert, die Arbeit niederzulegen, um so den kapitalistischen Kunstbetrieb zum Erliegen zu bringen. Am Ende waren sie zwar jeweils die Einzigen, die ihrem Aufruf folgten. Trotzdem reimt sich hier die Geschichte: Auch die Fundamentalopposition der damaligen Linken hat Einzelne in den Terrorismus getrieben. Weshalb die Integrationskraft der Verwertungsgesellschaft in diesen Tagen so gut dasteht wie lange nicht.