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Helfer in Not

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Simona Sieglar weiß nicht, ob sie im Sommer noch einen Job haben wird. Die Stelle der Schulsozialarbeiterin im nordrhein-westfälischen Wermelskirchen wurde aus Mitteln des Bildungs- und Teilhabepakets (BuT) des Bundes finanziert, doch bald ist der letzte Rest des Geldes aufgebraucht. Hunderte derartige BuT-Jobs sind in anderen Ländern bereits ausgelaufen. Dabei hatte alles so gut angefangen: Etwa 3000 Stellen für Schulsozialarbeit sind nach Recherchen des Paritätischen Gesamtverbands bundesweit mit dem Programm geschaffen worden. Ursprünglich als Begleitung für das Paket, mit dem die damalige Bundessozialministerin Ursula von der Leyen (CDU) Zuschüsse zum Mittagessen, Kultur oder Nachhilfe für ärmere Kinder lancierte. Neue Kräfte sollten den Eltern durch den Dschungel der Formalia helfen – und auch klassische Sozialarbeiter-Aufgaben übernehmen.



Wenn Schüler Probleme haben, können sie an vielen Schulen mit einem Sozialarbeiter sprechen. Die Finanzierung dieses Angebots ist nun allerdings gefährdet.

Doch das Projekt war von Anfang an befristet, vielerorts stellt sich die Frage: Wer springt nun ein? Seit mehr als einem Jahr heißt es oft: zittern. Es gibt teils Übergangsgeld durch Kommunen, mancherorts öffneten Unternehmer ihr Portemonnaie, gar mit einer Tombola haben einige Kommunen die Jobs gerettet – oder zumindest die an Schulen in Problembezirken.

Nur Berlin, Hamburg, Bremen und Bayern hätten die Stellen einfach weiterfinanziert, sagt Thomas Pudelko vom Paritätischen Gesamtverband. Doch handele es sich um vergleichsweise niedrige Zahlen, Schwergewicht in diesem Zusammenhang sei Nordrhein-Westfalen. Fast 1500 Stellen habe allein NRW über das Paket geschaffen. Der Haken aber bei der Lösung, die im November nach langem Ringen gefunden wurde: Das Land zahlt zwar – vorerst bis 2017 – 48 Millionen Euro pro Jahr. Allerdings sollen Städte und Gemeinden sich beteiligen, mit 20 Millionen jährlich. Tun sie das wirklich? Im Rheinisch-Bergischen Kreis, wo Sozialarbeiterin Sieglar arbeitet, ist die Sache völlig offen. Sie ist für 13 Schulen und zudem 17 Kitas zuständig, betreut vor allem Kinder aus Familien mit geringem Einkommen. Die können mit dem Teilhabepaket an Ausflügen teilnehmen oder im Verein Sport machen.

Wie breit die Schulsozialarbeiter wirken, kann Petra Strübel-Yilmaz berichten, Geschäftsführerin des Sozialkritischen Arbeitskreises Darmstadt: Manchmal leide ein Kind so unter der Schule, dass es nicht mehr hingehe, andere hätten Stress mit den Eltern, Streit untereinander, fühlten sich von einem Lehrer gemobbt. Vieles, so Strübel-Yilmaz, „lässt sich durch Gespräche wieder in die richtigen Bahnen lenken“. Die Aufgaben variieren von Schule zu Schule, es geht um den Blick auf Kinder aus sozial schwachen Verhältnissen – aber oft um das ganze Schulleben: Streitschlichtung, Maßnahmen gegen Schwänzen, Elternarbeit wie durch Mütter-Cafés, Projekte mit Vereinen. Wenn man sich auf Einzelfälle konzentriere, sei meist schon etwas passiert, so Strübel-Yilmaz. In Darmstadt setzt man auf Prävention: Schon Schulanfänger werden betreut, „damit sie gut ankommen“; und so könne man die Ansprechpartner früh bekannt machen, denn für Jugendliche sei „die Hürde oft groß, in den Beratungsraum zu gehen“.

Schulsozialarbeit in Deutschland wird seit den Neunzigern ausgebaut, Pilotprojekte gab es schon früher. Wie viel Personal genau in dem Bereich arbeitet, kann nur geschätzt werden. Karsten Speck von der Universität Oldenburg sagt, dass es in den Ländern mindestens 5300 Sozialarbeiter gibt, wenn auch nicht alle in Vollzeit, meist sind sie bei freien Trägern angestellt. In der Zahl enthalten seien aber nicht diejenigen, die nur Kommunen finanzieren, da es darüber keine Statistik gibt. „Was man aber ohne Zweifel sagen kann: Der Trend geht zu Schulsozialarbeit.“

Problematisch werde es dann, wenn Schulsozialarbeit befristet aufgelegt werde, sagt Speck – wenn ein Programm auslaufe, breche die Sozialarbeit weg: „Für eine Beziehungsarbeit ist aber Kontinuität nötig.“ Weil Stellen immer wieder in Gefahr geraten und auch die einheitliche Linie fehlt, schlägt jetzt der Bundeselternrat Alarm und fordert ein zentrales Programm: „Jugendsozialarbeit an jeder Schule“. Hier sei „der Bund in der Verantwortung, denn Jugendsozialarbeit ist eine gesellschaftspolitische Aufgabe“, meint die freiwillige Arbeitsgemeinschaft der Landesvertretungen von Müttern und Vätern. Um die Qualität zu sichern, seien darüber hinaus bundesweite Standards für den Job unverzichtbar.

Den Bund in der „Pflicht“ sieht auch Nordrhein-Westfalens Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD). Schulsozialarbeit sei eine soziale Aufgabe und keine, die zunächst nur mit Bildung zu tun habe. Doch für eine Fortführung der BuT-Stellen habe sie sich in Berlin nicht durchsetzen können. Nachdem kürzlich das Grundgesetz geändert worden war und sich der Bund Einfluss bei den Hochschulen sicherte, forderten viele Politiker von SPD und Grüne eine solche Reform auch für Schulen – und nannten ausdrücklich die Sozialarbeit als Beispiel. Signale für einen Konsens gab in jüngster Zeit aber nicht.

Den Nutzen einer solchen Initiative würde wohl niemand bestreiten. Vielleicht ist es der gute Ruf ihrer Zunft, der Simona Sieglar aus Wermelskirchen hoffen lässt. Auch wenn der Kreistag abgelehnt habe, Geld des Landkreises in die Schulsozialarbeit zu stecken und damit die Landesmittel zu flankieren, ist sie optimistisch: „Ich glaube daran, dass die Stadt einspringt.“

Für Professor Speck, der sich seit Jahren mit den Wirkungen der Sozialarbeiter beschäftigt, ist die Sache klar: „Den empirischen Nachweis, dass Schulsozialarbeit etwas bringt, haben wir.“ Und sie spare sogar Geld. Wo es Stellen gebe, müsse für andere soziale Hilfen weniger ausgegeben werden. Zudem schaffen laut Speck an Schulen mit Sozialarbeit mehr Jugendliche einen Abschluss, Schüler sind seltener aggressiv, es wird weniger demoliert und geschwänzt. „Schulsozialarbeit ist kein Allheilmittel“, räumt Speck ein. Die Lehrer müssten schon mitziehen. Allerdings seien Pädagogen meist sehr glücklich, wenn sie durch die Kollegen entlastet werden.

Andere Studien, zum Beispiel eine Vor-Ort-Analyse der Universität Wuppertal, zeigen: Dort, wo Sozialarbeiter an Schulen etabliert sind, gelten sie als unkomplizierte Ansprechpartner, Schüler kontaktieren sie ohne Hemmung. So vertrauen sich dreimal so viele Schüler bei Ärger im Elternhaus eher dem Sozialarbeiter an als Lehrern. Eltern, die mit Sozialarbeitern zum Beispiel für Behördendinge zu tun hatten, wurden gefragt, ob sie sich gut unterstützt fühlten. Verneint wurde das in Wuppertal von gerade mal 2,8 Prozent.

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