Regen prasselt auf das olivgrüne Zelt, der Boden ringsum, eigentlich ein Parkplatz im Zentrum von Dnipropetrowsk, hat sich in eine schlammige Brühe verwandelt. Im Zeltinneren qualmen zwei Feldöfen. Daneben sitzen Menschen dicht gedrängt auf Holzbänken, tragen sich in Listen ein oder warten. Es sind Kriegsflüchtlinge aus dem Donbass, die es in die Auffangstelle einer örtlichen Hilfsorganisation geschafft haben. Die meisten von ihnen sind Frauen.
Menschen aus dem Kriegsgebiet Donbass suchen in der Auffangsstelle der Stadt Dnipropetrowsk Hilfe. Wegen des Krieges in der Ostukraine sind hunderttausende Menschen auf der Flucht.
Das Zelt steht hinter einem heruntergekommenen Betonbau am Karl-Marx-Prospekt, der Hauptverkehrsstraße von Dnipropetrowsk. Es ist der Empfangsraum der Erstversorgungsstelle. Flüchtlinge können in dem fünfstöckigen Gebäude ein paar Tage unterkommen, bevor sie sich eine eigene Unterkunft suchen müssen. In kargen, notdürftig hergerichteten Räumen werden sie registriert, medizinisch versorgt und mit dem Nötigsten ausgestattet. Helfer verteilen gespendete Kleider, auch psychologische Betreuung wird angeboten.
Dnipropetrowsk ist die drittgrößte Stadt der Ukraine, sie liegt nur 200 Kilometer entfernt von der Region um Donezk, wo trotz des Minsker Abkommens geschossen wird. Auch anderswo geht das Töten weiter: Am Wochenende starben bei einem Raketenangriff auf die Hafenstadt Mariupol mehr als 30 Menschen. An den folgenden Tagen wurde an mehreren Orten gekämpft, mit Toten auf beiden Seiten. Die Regierung in Kiew hat für ihre Soldaten „Abschussprämien“ eingeführt: Für ein vernichtetes Fahrzeug der Aufständischen bezahlt der Staat umgerechnet 600 Euro, für einen zerstörten Panzer 2400 Euro.
Nach UN-Angaben sind mehr als 900000 Menschen aus den umkämpften Gebieten in andere Landesteile und weitere 600000 nach Weißrussland oder Russland geflohen. Auch Viktoria Vdovichenko hat die ständige Todesangst und die Entbehrungen nicht mehr ausgehalten. Die 38-Jährige, kräftige Statur, rote Wollmütze, ist im Juli aus Donezk nach Dnipropetrowsk geflüchtet. Ihre beiden Kinder, zwölf und drei Jahre, und ihren Vater hat sie mitgenommen. Ihr Mann ist zurückgeblieben, um seinen todkranken Vater zu pflegen.
Seit Monaten leben sie und ihre Kinder von dem Hilfsgeld, das ihr Vater bekommt. Der 72-Jährige hat einen Behindertenausweis, ihm stehen monatlich 2500 Griwna zu, etwa 140 Euro. Hinzu kommt das Wenige, das Vdovichenko als Aushilfe in einer Fabrik verdient. „Aber es fehlt an allem“, sagt sie, „an Lebensmitteln, aber auch an praktischen Dingen wie einer Waschmaschine.“ Sie schimpft auf das undurchsichtige Listen-System, nach dem Hilfsgüter und Geld verteilt werden. Da gebe es das Rote Kreuz, die Heilsarmee, die ukrainischen Behörden und diese Auffangstelle, die vom UN-Flüchtlingshilfswerk und anderen Hilfsorganisationen unterstützt wird. Stehe man bei den einen auf einer Liste, werde man von einer anderen gestrichen. „Im Grunde muss ich mich zwischen Mikrowelle und Essen entscheiden.“
Dann eilt Vdovichenko weiter. Sie will den EU-Flüchtlingskommissar Christos Stylianides sehen, der gerade eingetroffen ist. Mit einer EU-Delegation und Vertretern des UNHCR taucht der Zyprer in dem engen Zelt auf. Er will sich ein Bild von der Situation machen und überbringt Botschaften, die Mut machen sollen: „Ich bin hier, um die Solidarität der Europäischen Union für die Ukrainer zu zeigen.“ Das ist der Satz, den er in den zwei Tagen seines Ukraine-Besuchs ständig wiederholt, das ist die Mission seiner Reise, und tatsächlich ist Stylianides nicht mit leeren Händen gekommen.
Tags zuvor hat er in Kiew dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko zusätzliche 15 Millionen Euro an humanitärer Hilfe zugesichert. An diesem Nachmittag wird Stylianides am Flughafen von Dnipropetrowsk Hilfsgüter in Empfang nehmen: Schlafsäcke, Zelte, Kleidung, Heizgeräte, eingeflogen mit drei Transportflugzeugen. In einer Presseerklärung ist von Operation „EU Airlift“ die Rede. Weitere humanitäre Güter sind per Lastwagen in den Osten der Ukraine unterwegs, insgesamt sind es 85 Tonnen, bereitgestellt von Deutschland, Frankreich und einigen ost- und nordeuropäischen EU-Ländern.
Der Kommissar auf dem Rollfeld, die vielen Kameras, die den Abtransport der ersten Palette aufzeichnen – die Ankunft der Maschinen ist auch ein Spektakel für die Presse, das symbolträchtige Bilder liefern soll. Stylianides verkündet: „Wir alle sind heute Ukrainer“, und es wirkt, als sei auch das Teil seiner Mission: die EU als tatkräftigen Helfer für die notleidenden Menschen zu präsentieren. Seit August hat Russland etwa ein Dutzend Konvois mit je Hunderten Lastwagen in die Regionen Luhansk und Donezk geschickt. Die Regierung in Kiew und die EU werfen Moskau vor, auf diese Weise die Separatisten mit Waffen zu versorgen; doch es befanden sich eben auch humanitäre Güter in den Lastwagen. Die Operation „EU Airlift“ kann man durchaus als Antwort der Europäer auf diese Konvois verstehen.
Die Güter, die an diesem Tag eingetroffen sind, sollen nun verteilt werden: an örtliche Anlaufstellen, aber auch an die Bevölkerung in Mariupol und – mithilfe von örtlichen Partnern – den umkämpften Gebieten. In Dnipropetrowsk werden sie sehnsüchtig erwartet. Der Leiter der Erstversorgungsstelle am Karl-Marx-Prospekt, Wladislaw Makarow, erzählt, dass die oberen beiden Stockwerke ausgebaut werden. „Bisher können hier bis zu 100 Menschen unterkommen, bald werden es 300 sein.“ Der Winter, die Wirtschaftsblockade der Kiewer Regierung für Donezk und Luhansk, die den Druck auf die Rebellen erhöhen soll, die neuen Gefechte: An diesem Tag findet sich hier niemand, der glaubt, dass ein Ende der Krise in Sicht ist.
Menschen aus dem Kriegsgebiet Donbass suchen in der Auffangsstelle der Stadt Dnipropetrowsk Hilfe. Wegen des Krieges in der Ostukraine sind hunderttausende Menschen auf der Flucht.
Das Zelt steht hinter einem heruntergekommenen Betonbau am Karl-Marx-Prospekt, der Hauptverkehrsstraße von Dnipropetrowsk. Es ist der Empfangsraum der Erstversorgungsstelle. Flüchtlinge können in dem fünfstöckigen Gebäude ein paar Tage unterkommen, bevor sie sich eine eigene Unterkunft suchen müssen. In kargen, notdürftig hergerichteten Räumen werden sie registriert, medizinisch versorgt und mit dem Nötigsten ausgestattet. Helfer verteilen gespendete Kleider, auch psychologische Betreuung wird angeboten.
Dnipropetrowsk ist die drittgrößte Stadt der Ukraine, sie liegt nur 200 Kilometer entfernt von der Region um Donezk, wo trotz des Minsker Abkommens geschossen wird. Auch anderswo geht das Töten weiter: Am Wochenende starben bei einem Raketenangriff auf die Hafenstadt Mariupol mehr als 30 Menschen. An den folgenden Tagen wurde an mehreren Orten gekämpft, mit Toten auf beiden Seiten. Die Regierung in Kiew hat für ihre Soldaten „Abschussprämien“ eingeführt: Für ein vernichtetes Fahrzeug der Aufständischen bezahlt der Staat umgerechnet 600 Euro, für einen zerstörten Panzer 2400 Euro.
Nach UN-Angaben sind mehr als 900000 Menschen aus den umkämpften Gebieten in andere Landesteile und weitere 600000 nach Weißrussland oder Russland geflohen. Auch Viktoria Vdovichenko hat die ständige Todesangst und die Entbehrungen nicht mehr ausgehalten. Die 38-Jährige, kräftige Statur, rote Wollmütze, ist im Juli aus Donezk nach Dnipropetrowsk geflüchtet. Ihre beiden Kinder, zwölf und drei Jahre, und ihren Vater hat sie mitgenommen. Ihr Mann ist zurückgeblieben, um seinen todkranken Vater zu pflegen.
Seit Monaten leben sie und ihre Kinder von dem Hilfsgeld, das ihr Vater bekommt. Der 72-Jährige hat einen Behindertenausweis, ihm stehen monatlich 2500 Griwna zu, etwa 140 Euro. Hinzu kommt das Wenige, das Vdovichenko als Aushilfe in einer Fabrik verdient. „Aber es fehlt an allem“, sagt sie, „an Lebensmitteln, aber auch an praktischen Dingen wie einer Waschmaschine.“ Sie schimpft auf das undurchsichtige Listen-System, nach dem Hilfsgüter und Geld verteilt werden. Da gebe es das Rote Kreuz, die Heilsarmee, die ukrainischen Behörden und diese Auffangstelle, die vom UN-Flüchtlingshilfswerk und anderen Hilfsorganisationen unterstützt wird. Stehe man bei den einen auf einer Liste, werde man von einer anderen gestrichen. „Im Grunde muss ich mich zwischen Mikrowelle und Essen entscheiden.“
Dann eilt Vdovichenko weiter. Sie will den EU-Flüchtlingskommissar Christos Stylianides sehen, der gerade eingetroffen ist. Mit einer EU-Delegation und Vertretern des UNHCR taucht der Zyprer in dem engen Zelt auf. Er will sich ein Bild von der Situation machen und überbringt Botschaften, die Mut machen sollen: „Ich bin hier, um die Solidarität der Europäischen Union für die Ukrainer zu zeigen.“ Das ist der Satz, den er in den zwei Tagen seines Ukraine-Besuchs ständig wiederholt, das ist die Mission seiner Reise, und tatsächlich ist Stylianides nicht mit leeren Händen gekommen.
Tags zuvor hat er in Kiew dem ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko zusätzliche 15 Millionen Euro an humanitärer Hilfe zugesichert. An diesem Nachmittag wird Stylianides am Flughafen von Dnipropetrowsk Hilfsgüter in Empfang nehmen: Schlafsäcke, Zelte, Kleidung, Heizgeräte, eingeflogen mit drei Transportflugzeugen. In einer Presseerklärung ist von Operation „EU Airlift“ die Rede. Weitere humanitäre Güter sind per Lastwagen in den Osten der Ukraine unterwegs, insgesamt sind es 85 Tonnen, bereitgestellt von Deutschland, Frankreich und einigen ost- und nordeuropäischen EU-Ländern.
Der Kommissar auf dem Rollfeld, die vielen Kameras, die den Abtransport der ersten Palette aufzeichnen – die Ankunft der Maschinen ist auch ein Spektakel für die Presse, das symbolträchtige Bilder liefern soll. Stylianides verkündet: „Wir alle sind heute Ukrainer“, und es wirkt, als sei auch das Teil seiner Mission: die EU als tatkräftigen Helfer für die notleidenden Menschen zu präsentieren. Seit August hat Russland etwa ein Dutzend Konvois mit je Hunderten Lastwagen in die Regionen Luhansk und Donezk geschickt. Die Regierung in Kiew und die EU werfen Moskau vor, auf diese Weise die Separatisten mit Waffen zu versorgen; doch es befanden sich eben auch humanitäre Güter in den Lastwagen. Die Operation „EU Airlift“ kann man durchaus als Antwort der Europäer auf diese Konvois verstehen.
Die Güter, die an diesem Tag eingetroffen sind, sollen nun verteilt werden: an örtliche Anlaufstellen, aber auch an die Bevölkerung in Mariupol und – mithilfe von örtlichen Partnern – den umkämpften Gebieten. In Dnipropetrowsk werden sie sehnsüchtig erwartet. Der Leiter der Erstversorgungsstelle am Karl-Marx-Prospekt, Wladislaw Makarow, erzählt, dass die oberen beiden Stockwerke ausgebaut werden. „Bisher können hier bis zu 100 Menschen unterkommen, bald werden es 300 sein.“ Der Winter, die Wirtschaftsblockade der Kiewer Regierung für Donezk und Luhansk, die den Druck auf die Rebellen erhöhen soll, die neuen Gefechte: An diesem Tag findet sich hier niemand, der glaubt, dass ein Ende der Krise in Sicht ist.