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Ein DJ mischt auf

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Wenn es Nacht wird in Tel Aviv, dann lauscht er den Stimmen. Die Stimmen sagen Sätze von größter Wucht, manchmal geht es um Krieg und Frieden, immer um die ganz wichtigen Dinge. Noy Alooshe hört aufmerksam zu, Wort für Wort, Silbe für Silbe, dann handelt er: „Ich mische ein paar Dance Beats drunter“, sagt er, „und alles ist cool.“



Sampelt für die Generation Youtube: Noy Alooshe in seiner Wohnung in Tel Aviv

Die meisten Nächte verbringt Noy Alooshe allein vor dem Computer in seinem Ein-Zimmer-Apartment im trendigen Tel Aviver Viertel Florentin. Zwei Bildschirme hat er vor sich, Boxen stehen daneben, ein Keyboard. In Endlosschleife schaut er sich Politiker-Reden an, Parteiversammlungen und sonstige Auftritte. Und mit all dem, was er dann zusammenmischt, mischt er in diesen Tagen kräftig die israelische Politik auf. Denn seine satirischen Videoclips über Premierminister Benjamin Netanjahu und all die anderen Größen im Jerusalemer Machtzirkus sind der Hit im Wahlkampf zur Parlamentswahl am 17. März.

Alooshe verbreitet seine Remix-Werke über Facebook und diverse Online-Kanäle, die Fernsehsender steigen ein – und plötzlich kann sich der Musiker und DJ vor Angeboten kaum noch retten. Ein wenig überwältigt ist er davon schon, aber nicht überrascht. Schließlich leben wir im Jahr 2015 – „das ist die Macht des Internets“, erklärt er. Andere mögen noch Plakate kleben oder endlose Fernsehdebatten veranstalten – er präsentiert Politik für die Generation Youtube, und die erreicht man am besten mit der Mischung aus Reden und Rhythmen. „Den harten Politik-Stoff kann ich nicht den ganzen Tag hören“, sagt er. Deshalb nimmt er die Politiker mit ihren Phrasen aufs Korn – und das lieben nicht nur die Zuschauer. Auch die, die er aufs Korn nimmt, wissen es mittlerweile zu schätzen.

„Früher war ich immer nur der lustige Musiker, aber das ist jetzt mein Eintrittsticket in die Erwachsenenwelt“, sagt der 35-Jährige. Angefangen hat er damit schon 2009, sechs Jahre ist das her und drei Wahlkämpfe. Um die Kandidatin Tzipi Livni zu unterstützen, hat er damals einen Clip veröffentlicht namens „Livni Boy“, angelehnt an „Obama Girl“, das kurz zuvor im US-Präsidentschaftswahlkampf für Aufsehen gesorgt hatte. Damals hat Livni die Wahl verloren, und auch das Video ging eher unter. Doch Noy Alooshe hatte eine neue Richtung gefunden: „Ich kombiniere einfach die beiden Sachen, die mich interessieren: Musik und Politik.“

Den ersten großen Treffer landete er 2011, und zwar nicht in Israel, sondern ausgerechnet in der arabischen Welt. „Zenga, Zenga“ heißt sein Clip, mit dem er zum Ergötzen aller arabischen Frühlingsfreunde den libyschen Diktator Muammar Gaddafi zur Witzfigur machte. Der Wüterich aus dem Wüstenreich hatte seinen Feinden gedroht, dass er sie jagen würde von „Gasse zu Gasse“ – „Zenga, Zenga“ im libyschen Arabisch. „Für mich klang das wie „Waka Waka“ von Shakira oder „Baby, Baby“ von Justin Bieber“, sagt Alooshe.

Nach zwei Stunden war der Remix der Rede fertig. Mehr als zehn Millionen Mal ist das Werk in verschiedenen Versionen bis heute im Internet angeklickt worden. Der Clip wurde zur Hymne der libyschen Opposition. „Wenn Gaddafi gestürzt ist, tanzen wir dazu auf der Straße“, schrieb ihm einer. Ein anderer ließ ihn via Facebook wissen: „Du bist ein Israeli und ich hasse dich, aber deinen Remix finde ich toll.“ Sogar aus Iran kam eine Anfrage, ob er etwas Ähnliches nicht auch einmal über die Ayatollahs machen könnte. Doch letztlich gibt es auch in der Heimat genug zu tun. Als Schimon Peres noch Präsident war, beauftragte er Alooshe mit einem Video zum offiziellen Start seiner Facebook-Seite: „Be my friend in peace“ heißt das Stück. Ein Foto, auf dem er mit dem altersweisen Präsidenten auf dem Sofa sitzt, schmückt seither Alooshes Apartment.

2012 heuerte ihn Tzipi Livni dann ganz offiziell für einen Wahlkampf-Spot an. Sie verlor erneut und wollte zunächst nicht zahlen. „Ich musste ganz schön Krach im Internet schlagen“, sagt Alooshe. Irgendwann kam dann der Scheck, doch er hat daraus gelernt, dass den Politikern tatsächlich nicht zu trauen ist. „Ich mag sie nicht und ich glaube keinem von ihnen mehr“, sagt er. Zum Glück sind durch den Gaddafi-Hit auch Firmen wie McDonalds und Coca Cola auf ihn aufmerksam geworden und zahlen anständig für seine Werbe-Videos.

Zur Wahl 2015 aber ist Noy Alooshe doch noch einmal ganz groß eingestiegen – auf eigene Rechnung, bis auf Weiteres. Ungefähr 20 Clips hat er schon ins Netz gestellt. „Nicht alle sind wirklich gut“, sagt er selbstkritisch. Doch viele haben schon Wirbel gemacht, etwa jenes Video, auf dem er Netanjahu zu Latin-Rhythmen gegen seinen Kontrahenten Isaac Herzog von der Arbeitspartei antreten lässt. „Lo pinita, Mamasita“ heißt das Stück, es geht um Siedlungsbau.

Auf welcher Seite er im Wahlkampf steht, das lässt Alooshe sich nicht entlocken – und vermutlich hat das auch damit zu tun, dass er es selber noch nicht weiß. „Ich sehe mich irgendwo in der Mitte“, sagt er. Besonders gern nimmt er allerdings die Schreihälse und Scharfmacher vom rechten Rand ins Visier, zum Beispiel eine Likud-Hinterbänklerin namens Miri Regev. „So, wie sie redet, ist das gut für Hip-Hop-Beats“, erklärt er und zeigt ein Video, auf dem die dralle Dame vor der Knesset rappt. Sein Ziel: Er wollte sie bloßstellen. Das Ergebnis: Er hat sie nur noch populärer gemacht. Regev kandiert jetzt bei der Wahl auf Platz vier der Likud-Liste.

„Manchmal ist es wirklich hart“, sagt er, „aber sie hat es verstanden – wenn sie nicht mitlacht, dann lacht jeder über sie.“ Es hat dann auch nicht lange gedauert, bis Regev einen Emissär zu ihm schickte, um vorzufühlen, ob er nicht für sie arbeiten wolle. Das hat er abgelehnt. Doch er will nicht ausschließen, dass er sich noch in diesem Wahlkampf anheuern lässt. Die Frage ist nur: Von wem und für wie viel? „Wenn einer anruft und viel Geld bietet, dann denke ich darüber nach“, sagt er. Manche hoffen wohl trotzdem, dass es auch billiger geht – und werfen ihm ganz gezielt einen Köder hin, so wie der frühere Finanzminister Yair Lapid. In einer seiner Reden wiederholte er ziemlich penetrant ständig das hebräische Wort „menutak“, um klarzumachen, dass der Premier sich „losgelöst“ habe von der Realität. Am nächsten Morgen meldet sich einer von Lapids Leuten bei Alooshe um zu fragen, ob das nicht ein schönes Motto für einen Clip abgäbe. „Warte einen Moment“, hat er ihm geantwortet, denn tatsächlich war das Werk schon fast fertig. „Ich habe das Wort gehört, menutak, und für mich ist das ein Salsa-Vibe“, sagt Alooshe: „Menutak, tak, tak, tak ...“


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