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Zu billig

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„Preissenkung auf Dauer“ – so wirbt die bundesweit tätige Discounter-Gruppe Netto auch in dieser Woche. Hundert Gramm Wurst aus Truthahnbrust („gepökelt, gegart und gebacken“) kosten nun nur noch 89 Cent, zehn Cent weniger als bisher. Die Konkurrenz zwischen den Discountern ist groß, so groß, dass die Lebensmittelpreise in Deutschland seit Jahren immer weiter nach unten gehen. Vier große Ketten teilen sich den Milliardenmarkt: Aldi, Lidl, Penny und Netto. Sie alle standen bereits in der öffentlichen Kritik. Denn so positiv die kleinen Preise für die Kunden sind, Leidtragende sind oft die Mitarbeiter, die mit harten Arbeitsbedingungen bei geringer Entlohnung leben.

Einige Discounter-Ketten haben bereits etwas geändert, am Image und an der Personalpolitik. „Nur Netto ist eine echt harte Nuss“, sagt Stefan Sell. Der Professor für Volkswirtschaft an der Hochschule Koblenz kennt die Strategie des Discounters, weil er sich seit Jahren damit beschäftigt. „Die sitzen das einfach aus.“ Die jüngsten Vorwürfe gegen den Lebensmitteldiscounter : Zu wenige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Filialen, Druck durch die Unternehmensspitze, unbezahlte Überstunden, Kündigung bei zu langer Krankheit. All das ist bekannt.



Zu wenige Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Filialen, Druck durch die Unternehmensspitze, unbezahlte Überstunden und Kündigung bei zu langer Krankheit sind unter anderem Vorwürfe gegen den Discounter-Riesen.


Und all das wird auch gedeckt von Edeka. Denn Netto gehört seit einigen Jahren zur Gruppe des größten deutschen Lebensmittelhändlers. Gerade Edeka, die Supermärkte mit dem Zahnweiß-Image, die mit funktionierenden Ausbildungsstrukturen, Familienfreundlichkeit und in der Branche übertariflicher Bezahlung werben. Erst im vergangenen Jahr sorgte Edeka mit einem Werbespot mit dem Berliner Friedrich Liechtenstein („supergeil“) im Internet für Aufsehen. So soll das etwas angestaubte Image von Edeka , besonders auch bei jungen Kunden, poliert werden.

Da kommen die Vorwürfe gegen die Discounter-Tochter Netto ungelegen. „Die Edeka-Gruppe fährt zweigleisig“, sagt Wissenschaftler Sell dazu. Aber die Verantwortung für die schlechten Arbeitsbedingungen bei Netto sieht er trotzdem klar beim Edeka-Konzern. Eine Dokumentation, die am Mittwoch im SWR ausgestrahlt wurde, beschäftigt sich mit den Arbeitsbedingungen bei Netto. Sell spricht da über „Hierarchie, Druck und ein negatives Organisationsgefälle“ im Unternehmen Netto.

In dem Film („Das System Netto“) wird berichtet, dass teilweise nur zwei Mitarbeiter gleichzeitig im Laden arbeiten. Das bestätigt auch das Unternehmen. Zu allem anderen gibt man keine Auskunft. Weitere Vorwürfe sind, dass Mitarbeiter gekündigt werden, wenn sie keine unbezahlten Überstunden leisten wollen. Aus einem Protokoll geht hervor, dass Festangestellte mindestens 33 Artikel pro Minute über den Scanner ziehen sollen. Wer diese Vorgaben nicht erreicht, wird nicht mehr in Kassenschichten eingesetzt.

Netto selbst gibt sich zugeknöpft. In einer Stellungnahme distanziert man „sich ausdrücklich von den Vorwürfen der Sendung“. Vor allem ist dem Unternehmen wichtig, dass Netto nicht die vom Jobcenter vermittelten Praktikanten ausnutzt und länger arbeiten lässt als zulässig. Genauso seien Führungskräfte stets angewiesen, Überstunden anzumelden, sie würden dafür auch entlohnt. „Netto Marken-Discount hat flächendeckende Betriebsratsstrukturen“, heißt es.

Die Arbeitsbedingungen sind wohl trotzdem nicht die besten. Aber die Mitarbeiter organisieren sich kaum bei der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. So könnten sie sich gegen ihre eigene Ausbeutung wehren. Sell erklärt das so: Die Angestellten seien meistens Frauen, die auf Teilzeitjobs und flexible Arbeitszeiten angewiesen seien. In vielen Regionen, etwa auf dem Land, seien Discounter fast die einzigen Arbeitgeber. Da bleibe nicht viel Raum für Gewerkschaftsarbeit. Doch durch die negativen Berichte ist nun das Image in Gefahr. Netto wurde in einer Zeit aufgebaut, als Discounter die klassischen Supermärkte überholten. Doch zuletzt sank der Marktanteil der Discounter um 0,7 Prozentpunkte. „Das ist fast so etwas wie ein Absturz“, diagnostiziert die Gesellschaft für Konsumforschung. Hinzu kommt, dass die Discounter verpflichtet sind, den Mindestlohn zu zahlen und die Arbeitsstunden zu dokumentieren. Neue Zeiten also.

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