Traditionell werden neu ins Amt gekommene Regierungschefs oder Minister bei ihrem ersten Treffen im Kreise der Kollegen in Brüssel besonders willkommen geheißen. Ob sich der griechische Premier Alexis Tsipras auf dem informellen EU-Gipfel an diesem Donnerstag auf einen herzlichen Empfang freuen darf, darüber schwiegen sich am Mittwoch die verantwortlichen Organisatoren aber aus. Man werde „nicht darauf dringen, über Griechenland zu debattieren“, verlautete nüchtern aus dem Planungsstab von EU-Ratspräsident Donald Tusk.
Griechenlands Premier Alexis Tsipras trifft sich mit dem Generelsekretär der OECD, José Angel Gurria, um über das Reformprogramm zu sprechen.
Bei Finanzminister Yanis Varoufakis, der am Mittwochnachmittag zu einem speziell wegen der dramatischen griechischen Finanzlage anberaumten Sondertreffen des Euro-Spitzenpersonals nach Brüssel reiste, hielten sich die Ressortkollegen aus den 18 Euro-Ländern nicht lange mit Freundlichkeiten auf. Dass Varoufakis mit leeren Händen ankam, verschlug einigen zunächst schlicht die Sprache. Statt eines Planes, wie Athen sich den für alle Euro-Länder geltenden Regeln annähern könnte, trug der griechische Finanzminister erneut die Forderungen seiner Regierung vor. Danach, so verlautet aus dem Verhandlungssaal, sei der selbstbewusste Grieche in ein regelrechtes Feuer der Kollegen geraten. Forderungen hin oder her, Griechenland müsse spätestens am Montag die Verlängerung des bis Ende Februar laufenden Hilfsprogrammes beantragen – um so Zeit zu gewinnen, in Ruhe über die weitere Zukunft nachdenken zu können.
Nach drei Stunden schien es soweit: Varoufakis stimmte zu, an diesem Donnerstag „technische Gespräche“ zu beginnen, an die sich Verhandlungen über die Verlängerung des Kreditprogramms anschließen könnten. Gegen 21 Uhr am Mittwochabend ging ein Aufatmen durch den Saal. Eine Stunde später war die Stimmung wieder angespannt. Kurz vor Mitternacht brachte ein Bote die Kunde, dass der Deal an der Wortwahl der Abschlusserklärung zu scheitern drohe. Die einen bestünden auf dem Wort „Verlängerung“, die anderen auf „neuer Brückenfinanzierung“. Kurze Zeit später traf die nächste Nachricht ein: Am Donnerstagmorgen um 9 Uhr beginnen die Gespräche zwischen griechischen Unterhändlern und Euro-Institutionen. Zwanzig Minuten nach Mitternacht: Es gibt keine Gespräche. Neuer Versuch am Montag.
Bereits vor dem Finanzministertreffen hatten Diplomaten klar gemacht, dass Berlin und Paris kein separates Treffen mit Tsipras planten. Die Chefs seien nicht dazu da, Finanzpläne zu verhandeln. Es sei Aufgabe der Finanzminister der Euro-Länder, „einen strukturierten Arbeitsprozess, der den Regeln entspricht, in Gang zu setzen“, sagte ein Unterhändler der Euro-Länder.
Hinter dem kryptischen Satz verbirgt sich das eigentliche Problem. Bisher hatten sich Tsipras und die Euro-Partner in rhetorischen Angriffen und Maximalforderungen an die jeweilige andere Seite verfangen – und damit das Verhandlungsklima eingefroren. Und zwar so weit, dass sich EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, der von Amts wegen nicht für die griechischen Finanzen zuständig ist, gezwungen sah, vermittelnd einzugreifen. Juncker habe auf Bitten Tsipras’ „einige inhaltliche und diplomatische Unterstützung“ gegeben, hieß es in Athen.
Tsipras hatte in den vergangenen Tagen eine Trumpfkarte nach der anderen verloren, die er in den Verhandlungen ziehen wollte. Die Forderung nach einem Schuldenschnitt musste er zurückstellen – Tsipras hat erkannt, dass er für die nächsten sechs Monate Geld braucht, damit seine Regierung überleben kann. Die angestrebte Zusammenarbeit mit der OECD bei Reformen ist eine Sackgasse, weil die OECD keine Hilfskredite vergibt – und Tsipras’ kurzfristiges Geldproblem bestehen bleibt.
Die Drohung einiger Minister, eben anderswo Geld aufzutreiben, etwa in Russland und China, implodierte am Mittwoch praktisch von allein. Eine Sprecherin des chinesischen Außenministeriums sagte, in Peking sei nichts von einem entsprechenden Angebot bekannt. Die russische Regierung hatte im Jahr 2013 dem von der Pleite bedrohten Zypern Hilfskredite in Aussicht gestellt. Die Konditionen waren so hart, dass es bei einem Kredit blieb. Zyprischen Diplomaten zufolge hatte Moskau unter anderem den Austritt aus der Währungsunion gefordert. Der russische Außenminister Sergej Lawrow gab sich am Mittwoch in Moskau zurückhaltend. Sollte Athen um finanzielle Hilfe bitten, werde das geprüft.
Zum Dilemma von Tsipras gehört, dass der Ausweg, sich Geld am Finanzmarkt über kurzlaufende Staatsanleihen zu beschaffen, verschlossen zu sein scheint. Die Zinsaufschläge steigen seit Tagen an, sie pendeln für mittelfristige Papiere um zehn Prozent. Wenn Griechenland am 28. Februar aus dem laufenden Kreditprogramm aussteigt, werden sich die Konditionen weiter verschlechtern.
Varoufakis und Tsipras reisten unter den schlechtesten Voraussetzungen an, sagte ein Euro-Unterhändler: „Sie haben kein Geld und keine Zeit.“ Ihre potenziellen Geldgeber, also die Euro-Länder, die Europäische Zentralbank, der Euro-Rettungsfonds und der Internationale Währungsfonds, stünden ihnen mit einer klaren Linie gegenüber. Jedes Land der Währungsunion müsse sich an die Regeln halten. Auch die Bundesregierung dämpfte die Erwartungen an eine schnelle Einigung.
Allerdings: Auch auf Seiten der Euro-Partner gibt es Gründe, warum sie Athen entgegenkommen müssen. In der gegenwärtigen geopolitischen Lage kann es sich Europa nicht leisten, Griechenland als Partner zu verlieren. Zudem entstünde mit dem Austritt Athens aus dem Euro eine unkontrollierbare Situation an den Finanzmärkten – die verhindert werden soll.
Ein Diplomat zeichnete am Abend ein plastisches Bild der Lage. Als Tsipras kürzlich den italienischen Premier Matteo Renzi besucht habe, sei er von diesem mit einer Krawatte beschenkt worden – wohl ein Hinweis darauf, dass Tsipras sich vom Parteiführer zum Regierungschef wandeln müsse. „Und wenn Tsipras in Brüssel die Krawatte angezogen hat, ziehen die Partner den Knoten fest“, sagte der Diplomat.
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Neues Spiel
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