In alten Zeiten nannte man sie Vigilanten, später hießen sie Lockspitzel. Heute spricht man von V-Personen oder V-Leuten. „V-Personen und undercover agents sind“, so sagt der Frankfurter Strafrechtsprofessor Klaus Lüderssen, „weniger definiert durch das, was sie tun, als durch die Probleme, die sie aufwerfen“. Die zeigten sich zuletzt bei der Aufklärung der Verbrechen des rechtsextremen NSU. Es stellte sich heraus, dass der Verfassungsschutz Vertrauensleute im Umfeld des NSU eingesetzt und finanziert hatte.
Zu den berühmt-berüchtigten V-Leuten in der Geschichte der Bundesrepublik gehört Ulrich Schmücker, der infolge seiner Tätigkeit ermordet wurde; die Ermittlungen wegen des Mordes an diesem Terroristen und V-Mann sowie der nachfolgende Strafprozess gerieten zum Justizskandal. Die Richter in diesem Fall wussten sich nicht mehr anders zu helfen als das Verfahren einzustellen; das Einstellungsurteil formulierte eine Anklage gegen einen außer Rand und Band geratenen Geheimdienst.
Solche Entgleisungen sollen nun per Gesetz verhindert werden. Das Bundesinnenministerium hat den Bundesländern den „Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Zusammenarbeit im Bereich des Verfassungsschutzes“ vorgelegt. Zum ersten Mal in der bundesdeutschen Geschichte soll der Einsatz von Vertrauensleuten und verdeckten Ermittlern durch den Geheimdienst bundesgesetzlich geregelt werden. Ins Verfassungsschutzgesetz wird ein neuer Paragraf 9 aeingefügt, der mit einer Definition beginnt: Vertrauensleute sind danach „Privatpersonen, deren planmäßige, dauerhafte Zusammenarbeit“ mit dem Verfassungsschutz „Dritten nicht bekannt ist“; es handelt sich also um Informanten, die zwar zur kriminellen oder extremistischen Szene gehören, aber dem Staat für Geld Informationen liefern. Verdeckte Ermittler sind die eigenen Leute des Verfassungsschutzes, die „unter einer ihnen verliehenen und auf Dauer angelegten Legende“ arbeiten –und in die kriminelle oder extremistische Szene eingeschleust werden.
Das „V“ im Wort „V-Person“ steht eigentlich für „Vertrauensperson“. In der Vergangenheit waren Vertrauenspersonen aber sehr oft Leute, denen man gar nicht trauen konnte, auch Wichtigtuer, die für viel Geld nicht das lieferten, was man von ihnen erwartete. Deswegen sollen verurteilte Straftäter nicht als V-Leute eingesetzt werden dürfen: Wer wegen eines Verbrechens oder wegen eines Vergehens zu einer Haftstrafe ohne Bewährung verurteilt wurde, der darf als V-Person nicht angeworben oder eingesetzt werden. Allerdings steht im Gesetz eine Einschränkung: Nur „grundsätzlich“ soll das so sein; das heißt, es darf Ausnahmen geben. Wer über solche Ausnahmen entscheidet, steht nicht im Gesetz.
Sowohl die V-Leute als auch die verdeckten Ermittler sollen bestimmte Straftaten begehen dürfen – sie dürfen sich also einer strafbaren Vereinigung als Mitglieder oder Unterstützer anschließen, aber nicht „zur steuernden Einflussnahme“ auf diese Gruppen. Welche Straften die Spitzel ansonsten begehen dürfen, wird im Gesetz nicht aufgezählt, sondern nur allgemein umschrieben. Es soll sich um Straftaten handeln, deren Begehung „zur Gewinnung und Sicherung der Informationszugänge unumgänglich“ sind und die „nicht außer Verhältnis zur Bedeutung des aufzuklärenden Sachverhalts“ stehen. In der Gesetzesbegründung wird dann ausgeführt, was gemeint ist: Das Verwenden von Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen oder Verstöße gegen das Vermummungsverbot, alles, was zu „zugehörigkeitsstiftenden Verhaltensmustern“ zählt. Der Eingriff „in Individualrechte“ ist nicht erlaubt – Spitzel dürfen also keine Körperverletzungen begehen. Wenn sie aber doch „einen Straftatbestand von erheblicher Bedeutung verwirklicht haben, soll der Einsatz unverzüglich beendet werden“, heißt es im geplanten Gesetz. Soll – muss aber nicht. Auch wenn die Spitzel „aus dem Ruder laufen“, darf ihr Einsatz weiterlaufen, wenn das der Behördenleiter für richtig hält. Überhaupt: Die Staatsanwaltschaft soll Großzügigkeit walten lassen gegenüber V-Leuten und verdeckten Ermittlern, wenn die „im Einsatz“ Straftaten begehen: Wenn keine höhere Strafe als ein Jahr Haft mit Bewährung zu erwarten ist, „kann“ der Staatsanwalt von der Verfolgung absehen.
Im geltenden Verfassungsschutzgesetz sind die heimlichen Ermittlungsmethoden, die der Geheimdienst anwenden darf, nur beispielhaft aufgezählt. Daran soll sich nichts ändern. Es wird also etwa die langfristige Observation (wie lange darf sie dauern?) nicht ausdrücklich geregelt. Auch über die verdeckte Internetrecherche findet man im geplanten Gesetz nichts. Der niedersächsische Innenminister Boris Pistorius (SPD) klagt deshalb über „mangelnde Transparenz“. Ein Reformgesetz, so sagte er der SZ, „sieht anders aus“.
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Vom Schatten ins Licht
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