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Karneval in ernster Lage

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Rainer Heinemann dachte an nichts Schlechtes am Sonntagmorgen. Er startete mit der festen Ansicht in den Tag, dass der Braunschweiger Karnevalsumzug Schoduvel wieder ein lustiges Ereignis werden würde mit Musik, Farben, Menschen. Heinemann gehört zum Organisationskomitee des Braunschweiger Karnevals, er ist Zugführer und zuständig für die Verkaufsstände, er war ziemlich beschäftigt mit den letzten Vorbereitungen auf den Umzug, der um zwanzig nach zwölf starten sollte. Doch dann kam die Absage. Mannschaftswagen der Polizei fuhren vor, Heinemann sah, wie bewaffnete Beamte kugelsichere Westen anlegten, und er selbst bekam plötzlich eine ganz neue Aufgabe. „Ich habe den Auftrag, dass ich alle nach Hause schicken soll.“ Rainer Heinemann steht im vollen Ornat seiner Karnevals-Leidenschaft vor der VW-Halle in Braunschweig und versucht, der ankommenden Party-Gemeinde zu erklären, was er selbst nicht verstehen kann. Der Karneval fällt aus wegen einer Terrorwarnung. „Mir fehlen die Worte“, sagt Rainer Heinemann, „traurig, traurig.“



Die Feierstimmung ist verflogen. Statt Festwagen, Konfetti und verkleideter Menschen prägte die Polizei mit massiver Präsenz das Stadtbild.

Selbst größte Faschingsmuffel hat die Nachricht von dieser Absage nicht kaltlassen können, schon gar nicht mit Blick auf die jüngsten Terrorakte in Paris und Kopenhagen. In Braunschweig selbst herrschte eine gespenstische Atmosphäre. Die Altstadt war menschenleer, verlassene Absperrgitter säumten die Straßen, über die eigentlich die bunten Wagen hätten rollen sollen. Eindringliche Durchsagen hallten über den Altstadtmarkt: „Dies ist kein Scherz. Bitte begeben Sie sich umgehend nach Hause.“ Es gab keinen Zweifel, dass die Lage ernst war. Der Braunschweiger Karneval ist der größte Umzug seiner Art in Norddeutschland. Bis zu 250 000 Besucher waren zu erwarten gewesen, 4500 Teilnehmer, mehr als 100 Motivwagen – es ist keine Bagatelle, ein solches Ereignis kurzfristig nicht stattfinden zu lassen.

Die erste Meldung der Polizei am Sonntag um kurz vor elf Uhr war noch dünn. „Aus zuverlässigen Staatsschutzquellen“ sei bekannt geworden, „dass eine konkrete Gefährdung durch einen Anschlag mit islamistischem Hintergrund vorliege“. Niedersachsens Innenminister Boris Pistorius (SPD) sagte: „Nach allen mir vorliegenden Informationen war diese Entscheidung der Verantwortlichen vor Ort, in Anbetracht der Gefährdungslage, aber leider absolut notwendig.“ Regierungssprecherin Anke Pörksen fügte hinzu: „Die zuständigen Stellen machen es sich nicht leicht, so eine Veranstaltung abzusagen.“

Nach SZ-Informationen erfolgte die Absage infolge eines Hinweises vom Samstag, den die zuständigen Stellen über Nacht bewerteten und abklärten. Die Faktenlage muss dabei ziemlich eindeutig gewesen sein, es gab keine zwei Meinungen, anders als kürzlich in Dresden, als die dortigen Behörden eine Demonstration der islamfeindlichen Bewegung Pegida absagten. Gleichzeitig war die Bedrohung so konkret, dass die Behörden nicht gleich das gesamte närrische Treiben im Land stilllegen mussten. Alle anderen Karnevalsveranstaltungen bundesweit sollten stattfinden.

Am Sonntagnachmittag gab die Braunschweiger Polizei eine Pressekonferenz. Polizeipräsident Michael Pientka sagte dabei, dass der Hinweis auf einen geplanten Anschlag von „einem Zeugen aus der islamistischen Szene“ gekommen sei. Der Zeuge muss ein bewährter Informant gewesen sein, Pientka sagte, es handele sich dabei um „eine Person, die wir kennen und die wir auch einschätzen können“. Der Anschlag, von dem diese Person sprach, war offensichtlich auf größtmögliche Wirkung angelegt. Michael Pientka sagte: „Nach den uns vorliegenden Informationen verdichteten sich die Hinweise darauf, dass insbesondere der Bereich des Altstadtmarktes eine besondere Bedeutung hat, weil dort die Medien seit Jahren eine Übertragung machen.“

Der Rest des Tages verlief ruhig in Braunschweig. Pientka dementierte Gerüchte, wonach es Bombenfunde und Schüsse gegeben habe. Er sagte auch, dass die Polizei weder Festnahmen noch Hausdurchsuchungen vorgenommen habe. Aber die Ermittlungen gehen weiter nach den Hinweisen aus dem islamistischen Milieu, die Rainer Heinemann und den anderen Karnevalisten den Festsonntag verdorben haben. Die nach Stand der Dinge aber auch eine Katastrophe verhindert haben könnten.

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