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Der Weltversüßer

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Im Italienischen unterscheidet nur eine feine Variation einen Vater von einem Chef, einen Padre von einem Padrone eben. Und in gewissen Fällen geht mit der Zeit auch diese Nuance verloren. Michele Ferrero war so ein Chef, ein väterlicher und auch ein paternalistischer, schlecht im Delegieren und misstrauisch mit den Managern. Bei unternehmerischen Persönlichkeiten wie ihm bemüht man dann gerne die abgedroschene Formel „Chef alter Schule“. Sie passt wunderbar, auch in der Folklore.



Der Erfinder des Überraschungseis aus dem Piemont, Michele Ferrero ist gestorben.

Seine Angestellten im heimischen Alba im norditalienischen Piemont verehrten ihn für seine menschliche Nähe, für seine Bodenständigkeit trotz des Erfolgs, für seine Treue zur Scholle, obschon das Unternehmen über die Jahrzehnte hinweg zum multinationalen Konzern angewachsen war – Produktionsstandorte in zwanzig Ländern, 30000 Mitarbeiter.

Und so werden dem öffentlichkeitsscheuen Weltversüßer, dem Erfinder von Nutella und Mon Chéri, von Kinderschokolade und Ferrero Rocher, Pocket Coffee und Tic Tac, nach seinem Tod mit 89 Jahren viele Hommagen zuteil, die über seine Leistung als Unternehmer hinausgehen. Es sind auch nostalgische Töne dabei. Die Firmengeschichte von Ferrero ist eines dieser klassischen Beispiele aus der Blüte des italienischen Familienkapitalismus, eine Geschichte des Aufstiegs aus der kleinen Provinz in die große Welt.

Es begann in den Vierzigern in einem Konditoreiladen an der Via Rattazzi in Alba, südlich von Turin. Micheles Vater Pietro und dessen Bruder Giovanni führten das Geschäft, man kannte es bald in der ganzen Gegend. Die Brüder hatten die Idee, statt auf reine Schokolade auf nussige Creme zu setzen. Nüsse gab es im Piemont immer in großer Menge. Michele Ferrero lernte Konditor, bildete sich kaufmännisch fort. Mit 32, nach dem Tod des Vaters und des Onkels, übernahm er das Geschäft, verfeinerte die „Hauscrème“ und brachte sie 1964 als Nutella auf den Markt. Der Name sollte italienisch klingen und doch international taugen. Das Rezept war ihm so heilig, dass er es auf Arabisch übersetzen ließ und in einem Büro für geistiges Eigentum in Kairo unterbrachte. Weit weg von möglichen Petzern. Nur so viel weiß man: In jedem 400-Gramm-Glas Nutella stecken 50 Nüsse. Und da Ferrero heute jedes Jahr 350 000 Tonnen des Brotaufstrichs produziert, beansprucht das Unternehmen mittlerweile ein Viertel der gesamten Weltproduktion an Nüssen.

Seine Pionierleistung aber, so jedenfalls sah das Michele Ferrero selbst, war „Mon Chéri“, eine Praline mit einverleibter Kirsche, die er bereits 1956 auf den Markt gebracht hatte – und zwar zunächst einmal in Deutschland.

Der Turiner Zeitung La Stampa erzählte er einmal, er habe die hübsch und einzeln verpackte Schokoladenkonfektion damals in ein versehrtes Land bringen wollen, dessen Menschen noch an den Folgen des Krieges litten: „Diese Praline kam wie ein kleines Geschenk daher, es funktionierte zwischen Verlobten, zwischen Ehefrau und Ehemann, und für das Schenken brauchte es kein Fest und kein Jubiläum.“ Ein Interview war das damals nicht, nur ein Hintergrundgespräch, das La Stampa nun posthum veröffentlicht. Michele Ferrero gab kein einziges Interview. Er äußerte sich auch nie über politische Belange. Es gab nur die Firma, die Familie.
Seine Durchschnittskundin nannte er „Veronica“. Alle Werbung, und er galt auch darin als innovativ, zielte auf die Hausfrau, die zum Einkaufen in den Supermarkt geht. „Veronica!“ Ihre Beschwörung wurde zum Mantra des Unternehmens. Sie war auch 1974 die erste Adressatin, als Ferrero die Ostereier zur Alltagsfreude erklärte – mit dem Überraschungsei für Kinder. Die Kleinstspielzeuge, die da in einer gelben Plastikkapsel im Innern einer Schokoladenhülle versteckt waren, wurden zum Kult. Damit die Mütter und Großmütter ihre Sprösslinge und Enkel auch ganz beruhigt beschenken konnten, bewarb Ferrero das Ei als Milchprodukt mit wenig Kakao.

So wuchs die Gruppe zum Weltkonzern mit einem Umsatz von 8,4 Milliarden Euro. Aus steuerlichen Gründen hat die Holding ihren Sitz mittlerweile in Luxemburg. Oft gab es Gerüchte, Ferrero könnte übernommen werden oder selber Firmen dazukaufen. Doch in Alba entwickelte man sich lieber aus eigener Kraft, auch ohne Geld von der Börse – bis heute ist Ferrero nicht an der Börse notiert. Reich wurde die Familie trotzdem, sehr reich sogar. Für das amerikanische Wirtschaftsmagazin Forbes war Michele Ferrero Italiens reichster Bürger. Er war immer ein Arbeiter und Tüftler geblieben, selbst dann noch, als er schon Milliarden verdiente. In Pension ging er nie.

Zu Sitzungen lud er seine Manager mit Vorliebe am Sonntag nach der Messe, der er als strenggläubiger Katholik nie fernblieb, weil die Werktage ja zum Werken und nicht fürs Sitzen gedacht waren. Für seinen Betrieb wählte er mit Vorzug Leute mit nur wenigen Studienjahren aus, weil, wie er zu sagen pflegte, Studieren dumm mache. Noch so ein Bonmot, wie man es von dieser Art Padrone gewohnt ist. Auf dem Land liebten sie ihn für das Fortleben des deftig Provinziellen, immer vorgetragen im piemontesischen Dialekt, das mit ihm auch die rasende Globalisierung überlebte. Prämien zahlte er gerne persönlich aus, mit einem Griff in die Tasche.

Man verzieh ihm sogar, dass er die letzten Jahre im steuerfreundlichen und mondänen Monaco verbrachte. Auch dort ließ er ein Labor einrichten, um sich nicht zu langweilen. Das operative Geschäft hatten unterdessen seine beiden Söhne übernommen. Einer von ihnen, Pietro, starb vor einigen Jahren an einem Herzinfarkt in Südafrika, auf dem Fahrrad. Der andere, der 51-jährige Giovanni Ferrero, leitet nun das Unternehmen. Wie ein Patron, aber ohne die väterliche Aura des Vaters.

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