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Wilder Westen im Nahen Osten

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„American Sniper“, der neue Irak-Kriegsfilm von Clint Eastwood, hat in den USA heftige Debatten provoziert. Seine angebliche Ambivalenz gegenüber dem Krieg und der Gewalt führt dazu, dass Konservative wie Liberale versuchen, die Geschichte des Scharfschützen Chris Kyle, gespielt von Bradley Cooper, für ihre Sicht der Dinge in Anspruch zu nehmen: Die einen halten den Streifen für eine Ehrung der Tapferkeit amerikanischer Soldaten, andere sehen darin eine nihilistische Verherrlichung des Krieges, die Dritten meinen, in dem Werk den stärksten Anti-Kriegsfilm seit „Apocalypse now“ zu erkennen. Sehen wollen den für sechs Oscars nominierten Film in den USA jedenfalls viele – der kommerzielle Erfolg übertrifft alle Erwartungen.

Doch die andere Seite, die der Opfer, spart der Film fast völlig aus: „Iraker kommen darin eigentlich nicht vor“, sagt der franko-irakische Regisseur Abbas Fahdel, der selber mehrere Dokumentationen über den Krieg in seiner Heimat gedreht hat. „Sie tauchen nur als Silhouetten auf, und jeder, der stirbt, ist schuldig, auch Frauen und Kinder.“ Ähnlich sehen das die Menschen in Bagdad. „Er glorifiziert Amerikaner und macht aus Irakern nichts als Terroristen“, sagte der 27 Jahre alte Lehrer Ahmed Kamal in Bagdad der Washington Post. Er hatte sich den Film im Internet heruntergeladen. Das einzige Kino in Bagdad, das die Geschichte auf die Leinwand brachte, nahm ihn mit Bedauern wieder aus dem Programm, nachdem die Regierung Druck machte. Ein Beamter des Kulturministeriums habe ihm erklärt, der Film sei „eine Beleidigung der Iraker“, erzählt Fares Hilal, Besitzer des Kinos in der Mansour-Mall, einem der neuen und sehr amerikanischen Shopping-Paradise der Hauptstadt.



Bradley Cooper als Scharfschütze Chris Kyle - eine Szene des US-Films 'American Sniper'. In der arabischen Welt wird er wegen seiner simplizistischen Botschaft scharf kritisiert.


Chris Kyle, der aus seiner simplizistischen Weltsicht kein Geheimnis machte, bezeichnete die Iraker nur als „Wilde“: Für ihn gebe es Gut und Böse, schwarz und weiß, und wenige Schattierungen dazwischen, schrieb er in seiner Autobiografie, die als Vorlage für den Film diente. Die Araber, die im Fadenkreuz seines Zielfernrohres auftauchten, sind ohne Zweifel und fast immer der Kategorie Böse zuzuordnen. Bei seinen 160 bestätigten Tötungen habe er sich kein einziges Mal fragen müssen, ob er mit seiner Entscheidung richtig gelegen habe.

Abbas Fahdel hält „American Sniper“ deswegen sowohl filmisch als auch politisch für „sehr naiv“, empfindet ihn als „reaktionär“, weil er ohne zu hinterfragen sich die „Propaganda von George W. Bush zu eigen macht, die längst widerlegt ist“ – die erfundenen Kriegsgründe, die angebliche Al-Qaida-Connection in den Irak, der Zusammenhang mit den Anschlägen des 11. September 2001. Die verheerenden Folgen des Krieges für das irakische Volk dagegen interessieren Eastwood und seinen Drehbuchautor Jason Hall nicht, kritisiert der Filmemacher, der seit Langem in Paris lebt. „Der übergroße Teil der mehr als 100000 Opfer des Krieges waren aber unschuldige Zivilisten“, fügt er hinzu. Er fühlt sich an die rassistischen Stereotype in alten Western erinnert: Die edlen Amerikaner kämpfen gegen die wilden Rothäute. „Der Film lässt nicht einmal die Frage zu, ob die Irakern auch menschliche Wesen sind“, sagt er – und das in einem Land, das eine der ältesten Zivilisationen der Menschheit hervor gebracht hat.

Sein neuer, zweiteiliger Film „Homeland (Iraq year zero)“, der im Frühjahr auf einem Dokumentarfilm-Festival in Europa Premiere haben wird, dokumentiert unter anderem das Schicksal eines irakischen Studenten, der von einem amerikanischen Scharfschützen getötet wurde. Er hatte nach der US-Invasion in einem beliebten Café in Bagdad gesessen, der Aufstand in Falludscha war noch nicht losgebrochen. Als er mit einer Schachtel in der Hand das Lokal verließ, meinte der US-Soldat, in ihm eine Bedrohung zu erkennen – und schoss ihm in den Kopf. „Niemand wurde je dafür zur Rechenschaft gezogen, die Amerikaner haben nicht einmal die Leiche daraufhin untersucht, ob er wirklich eine Bedrohung darstellte. Sie hatten die absolute Macht, die ihnen auch absolute Straflosigkeit garantierte“, sagt Fahdel. Er lässt die Mutter des Opfers im zweiten Teil der Dokumentation zu Wort kommen, die das Leben normaler Iraker zeigt – einmal kurz vor der Invasion, als sich die Menschen auf den Krieg vorbereiteten, das andere Mal wenige Monate nach dem Fall von Bagdad.

Der irakisch-amerikanische Filmemacher Usama Alshaibi, der zurzeit in den USA lebt, war zunächst einmal überrascht davon, dass ein Film, der als Oscar-Favorit gilt, derart platt sein kann. „Wie eine wirklich schlechte Seifenoper“, war seine erste Reaktion. Ihm erschien der syrische Scharfschütze, Kyles Gegenspieler, als die interessantere Person – die aber wie so vieles in dem Film völlig unterbelichtet bleibt. Die Aufständischen würden ähnlich pauschal gezeichnet wie Nazi-Soldaten in frühen Filmen über den Zweiten Weltkrieg, schrieb der Economist. Das macht in Bagdad viele Menschen wütend. Sarmad Moazzem, der als Angestellter des Innenministeriums fünf Jahre lang eng mit den US-Soldaten gearbeitet hat, sagte der Washington Post: „Es gab Menschen, die die Amerikaner liebten und wollten, dass sie im Land bleiben und helfen es wieder aufzubauen.“

Auch Alshaibi spricht von einer „totalen Verteufelung der Iraker“. Als Kyles Platoon von einem Iraker zum Eid-Festessen eingeladen wird, nachdem sie sein Haus gestürmt haben, entpuppt sich der Gastgeber als hinterlistig und böse, hat er doch im Nebenzimmer ein Waffenlager unter einer Eisenplatte versteckt. „Selbst die großartige irakische und arabische Tradition der Gastfreundschaft wird herabgewürdigt“, sagt Alshaibi. Schlimmer noch findet er aber die Anfangsszene, als Kyle einen irakischen Jungen erschießt und Eastwood dann umschneidet auf eine Jagdszene in Amerika. Umgeben von ländlicher Idylle schießt der junge Kyle in Begleitung seines Vaters seinen ersten Hirsch. „Welche Botschaft sendet das?“ fragt Alshaibi. Ob beabsichtigt oder nicht: Dieser Subtext trifft in den USA auf ein empfängliches Publikum, das sich nach dem Film ermutigt sieht, rassistisch motiviertem Hass auf Araber in Tweets und anderen Äußerungen auf sozialen Medien freien Lauf zu lassen.

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