Efigenia Borges Hernandez muss nicht lange überlegen, was sie ihren Gästen kochen könnte. Sie serviert seit 60 Jahren das Gleiche. Immer nur ein einziges, ein vegetarisches Menü: Salat und Gemüse aus dem eigenen Garten, dazu Almogrote und Gofio, zwei Pasten, die eine aus scharf gewürztem Ziegenkäse, die andere aus gemahlenem Getreide. „Alles frisch, alles biologisch“, sagt die zierliche alte Dame mit zittriger Stimme. Die genauen Zutaten verrät sie nicht, genauso wenig wie ihr Alter.
Ihr Restaurant La Montaña im Dorf Las Hayas, versteckt gelegen in einem Palmenhain zwischen den Hügeln um den Nationalpark Garajonay, kennt sowieso fast jeder Gomera-Urlauber. Efigenia – nie mit Nachnamen, immer nur mit ehrfürchtigem „Doña“ geschrieben – steht in allen Reiseführern. Ihr erstes Interview fürs spanische Fernsehen gab sie Anfang der Achtzigerjahre. Es ist nur auf den ersten Blick erstaunlich, vielmehr jedoch typisch, dass so viel Bohei um die Küche einer betagten Dame gemacht wird, die doch einfach nur Tag für Tag zubereitet, was sie schon immer gekocht hat: anfangs, in den Fünfzigerjahren, weil es schlichtweg keine anderen Zutaten gab, und heute, weil gerade Einfachheit ein kostbares, nämlich ein authentisches Urlaubserlebnis verspricht.
Wegen solcher Erlebnisse kommen die Urlauber nach La Gomera, die nach El Hierro zweitkleinste und mit am schwersten erreichbare Kanaren-Insel. Einen internationalen Flughafen hat sie nicht, keine Bettenburgen, keinen massenhaften Badetourismus. Wanderer und Naturfreunde lieben La Gomera, Individualisten, die eine etwas umständliche Anreise mit der Fähre gerne auf sich nehmen, wenn sie dafür nur von den Auswüchsen der Ferienindustrie verschont bleiben. Diese lassen sich beispielsweise in der Hafenstadt Los Cristianos auf Teneriffa besichtigen, wo die Schiffe nach La Gomera ablegen. Am künstlich aufgeschütteten Sandstrand promenieren die Urlauber vor der Kulisse von Hotelkästen, Ramschläden und Restaurants, die Pizza und Bratwurst per Fotoaushang anpreisen. La Gomera ist in Sichtweite, die Überfahrt dauert nur 40 Minuten – und führt doch in eine andere Welt.
Auf ganz La Gomera leben in etwa so viele Menschen wie in Los Cristianos, etwa 20000. Die meisten Gomera-Besucher, 400000 laut offiziellen Zählungen, kommen nur auf Stippvisite für einen Tag aus Teneriffa herüber, länger über Nacht bleiben gerade einmal 150000 Gäste pro Jahr. Jeder von ihnen findet genug Platz und Ruhe, oder, wie es Fernando Méndez ausdrückt: „Wir sind noch nicht in die Katastrophen der anderen Inseln geschlittert.“
Méndez trägt Urlaubsbräune zum leuchtend lachsfarbenen Hemd, als er zum Interview im Parador-Hotel auf einem Felsen hoch über San Sebastián, dem Hauptort La Gomeras, empfängt. Und er trägt den Titel Tourismusminister, was einerseits sehr staatstragend klingt für den Beamten einer Inselverwaltung, andererseits das Selbstbewusstsein der Gomeros unterstreicht und ihre Distanz zur spanischen Zentralregierung. Méndez ist klar, in welcher politischen Richtung die Zukunft La Gomeras liegt: „Der einzige Weg der Entwicklung ist weg vom Massentourismus“, sagt er. Natur, Umweltfreundlichkeit, Nachhaltigkeit, das sind die Schlagworte, um die es auf La Gomera geht. Aber woanders geht es längst schon besser. So hat die Verwaltung von El Hierro im vergangenen Sommer ein Windkraftwerk in Betrieb genommen, das die gesamte Energie der Insel erzeugen soll. Autarkie im Atlantik – für La Gomera bleibt das vorerst eine Vision. Méndez verweist auf die größeren Ausmaße seiner Insel im Vergleich zur Konkurrenz im Südosten des Archipels. Derweil rußt das Dieselkraftwerk am Ortsausgang von San Sebastián, das den Energiebedarf von ganz La Gomera deckt, weiter in den blauen Himmel – und versorgt auch die Küche von Efigenia Borges mit Strom.
Wenn man ihr weißes Haus hinter Eukalyptusbäumen an der einzigen Durchgangsstraße von Las Hayas betritt, steht man schon mitten in dem langen, schmalen Speiseraum. Die Gäste sitzen zusammen an zwei Tafeln mit Plastiktischdecken. In Vasen sind blaue Knoblauch-Blüten drapiert, an den Wänden hängen Zeitungsausschnitte aus aller Welt mit Geschichten über die Hausherrin.
Doña Efigenia wurde im Nachbardorf von Las Hayas geboren, wuchs dort auf und blieb. Mit ihrem Mann betrieb sie einen kleinen Laden und kochte für die Waldarbeiter, die Brenn- und Baumaterial für Häuser und Fischfabriken schlugen. In den Sechzigerjahren kamen die ersten Hippies bei Efigenia unter. Doch der Wohlstand ließ auf sich warten. Efigenias Menü war nicht etwa vegetarisch, weil sie die heutigen Ernährungsgewohnheiten geschäftstüchtig vorhergesehen hätte. Vielmehr waren ihre einzigen Tiere, die Ziegen, als Milchlieferanten zu wertvoll zum Schlachten. Es war die Zeit, als die Überfahrt zur Nachbarinsel Teneriffa noch 16 Stunden dauerte. Es gab nur das Frachtschiff, das Tomaten und Bananen von den Bauern Gomeras auf einer umständlichen Route einsammelte und abtransportierte. Erst die Siebzigerjahre brachten den wirtschaftlichen Aufschwung, den Massentourismus auf die Kanaren. Viele Exilanten, die vor der Armut nach Südamerika geflohen waren, kehrten zurück auf ihre Inseln. Der Tourismus verhieß ein leichteres Einkommen als die Landwirtschaft. Auch auf La Gomera lagen nun plötzlich Felder brach, die jahrhundertelang mühsam bewirtschaftet worden waren. Immer noch überziehen die Trockenmauern der früheren Terrassen-Pflanzungen Hänge und Schluchten bis in gefährlich hoch gelegene Winkel mit geometrischen Mustern.
Diese Kulturzeugnisse wieder vermehrt zu nutzen und sie dadurch zu erhalten, ist ein Ziel der Inselverwaltung. Sie bietet Kurse in Ackerbau und Viehzucht an und verpachtet Land. Aber das ist auch eine Maßnahme gegen die hohe Arbeitslosigkeit. Ein kleines Feld zur Selbstversorgung – das sehen immer mehr Gomeros als Option. Auch Umweltschutzverbände befürworten die Landwirtschaft: Kultivierte Flächen bremsen die Ausbreitung von Bränden. Das zeigte sich auch bei der jüngsten Feuersbrunst im Sommer 2012. Tourismusminister Méndez gibt sich jedoch nur verhalten optimistisch: „Wir können den Leuten ja nicht vorschreiben, dass sie leben sollen wie ihre Großeltern“, sagt er.
Wie es aussehen kann, wenn die Felder wieder aufblühen, zeigt das Beispiel des Weinguts Montoro bei Hermigua. Um dorthin zu gelangen, kurvt man mit dem Auto erst die Küste entlang, dann immer höher hinauf in die Berge. Aus Asphalt wird Schotter, aus Schotter staubige Erde voller Schlaglöcher, und wenn man vollends das Vertrauen ins Navigationsgerät verloren hat, taucht plötzlich eine Art Garten Eden auf: Terrassen voller Weinreben inmitten wüstenartigen Gerölls.
Armenia Mendoza empfängt ihre Gäste auf einer Terrasse in einer nach allen Seiten offenen Küche. Eine lange Tafel ist von einem Dach aus Weinranken geschützt, der Blick reicht weit hinab zum Atlantik. Seit 70 Jahren ist dieser idyllische Flecken in Familienbesitz. Einen Hektar davon kultivieren die Mendozas – als Hobby, seit Armenia Mendozas Mann, ein Banker, in Rente gegangen ist. Wanderer sind bei ihnen nach Voranmeldung zur Weinprobe willkommen. Ansonsten kann man ihren fruchtigen Forastera nur in ein paar Bars der umliegenden Dörfer kaufen. Das könnte sich bald ändern. Der Sohn der Mendozas studiert Önologie und hat neue Ideen. „Viele junge Leute interessieren sich wegen der Wirtschaftskrise wieder für die Landwirtschaft“, sagt Armenia Mendoza, die die Interessen der Weinbauern auch als Chefin der zuständigen Abteilung der Inselverwaltung vertritt, „wir wollen sie davon überzeugen, dass es viel schöner ist, auf den Feldern zu arbeiten als im Büro.“
Steigt man die Terrassen von Montoro weiter empor, gelangt man in den Nationalpark Garajonay. Auf rund 800 seiner 4000 Hektar großen Fläche wütete vor drei Jahren das Feuer. Brandstifter hatten es gelegt, wahrscheinlich in der Hoffnung auf Subventionen und Jobs bei Aufräumarbeiten. Die Spuren der Katastrophe sind weitgehend verschwunden. Vor allem im Norden des Nationalparks, über dem die feuchten Passatwolken hängen, hat sich die Natur gut erholt. Ángel Fernández López, der Direktor des Nationalparks, gibt sich dennoch ernst, wenn er Besucher durch den Wald führt: „Das Feuer hat gezeigt, dass hier alles mit allem zusammenhängt.“ Kultiviertes Land, Natur, die sich im geschützten Rahmen selbst überlassen ist, Touristen, die kommen, um diese Natur zu bewundern – „es kommt darauf an, die Balance zu halten.“ Schon jetzt gebe es halb so viele Hotelbetten wie Einheimische auf La Gomera, und die EU fördere die Stilllegung von Flächen – am Ende könnte La Gomera doch aus dem Gleichgewicht geraten, fürchtet Ángel Fernández.
Der Schutz des Lorbeerwaldes ist sein besonderes Anliegen. Ein solches Dickicht aus knorrigen, ineinander verschlungenen, mit Moos bewachsenen, immergrünen Laubbäumen hat vor 20 Millionen Jahren ganz Europa bedeckt und existiert so heute nur noch auf La Gomera. Durch diesen Wald zu gehen, ist ein archaisches Erlebnis. Wenn man beispielsweise zwischen Igualero und Vallehermoso unterwegs ist, bietet sich ein Abstecher bei Efigenia an.
Auch ihr Geschäft übernimmt bald der Sohn, Sergio, der in England Betriebswirtschaft studiert hat und nach dem Tod seines Vaters nach La Gomera zurückkehrte, um seine Mutter zu unterstützen. Wenn der 37-Jährige mit perfektem Oxford-Akzent von seiner Mutter spricht, nennt er sie respektvoll „The Lady“. „Sie hat das Konzept des Öko-Tourismus erkannt, ohne zu wissen, dass es ein Konzept ist“, sagt er. Den Gästen erklärt er genauestens, wie sie das berühmte Menü essen sollen: Getreidebrei, Gemüsesuppe und etwas vom süßen Salat mit Banane und Melone – alles zusammen in den Mund.
So viel von der Welt hat Sergio gesehen, so jung und gebildet ist er, und trotzdem ist ihm die Tradition so wichtig? „Na ja, was heißt Tradition“, sagt der Junior-Chef, „ich kenne es halt nicht anders.“
Ihr Restaurant La Montaña im Dorf Las Hayas, versteckt gelegen in einem Palmenhain zwischen den Hügeln um den Nationalpark Garajonay, kennt sowieso fast jeder Gomera-Urlauber. Efigenia – nie mit Nachnamen, immer nur mit ehrfürchtigem „Doña“ geschrieben – steht in allen Reiseführern. Ihr erstes Interview fürs spanische Fernsehen gab sie Anfang der Achtzigerjahre. Es ist nur auf den ersten Blick erstaunlich, vielmehr jedoch typisch, dass so viel Bohei um die Küche einer betagten Dame gemacht wird, die doch einfach nur Tag für Tag zubereitet, was sie schon immer gekocht hat: anfangs, in den Fünfzigerjahren, weil es schlichtweg keine anderen Zutaten gab, und heute, weil gerade Einfachheit ein kostbares, nämlich ein authentisches Urlaubserlebnis verspricht.
Wegen solcher Erlebnisse kommen die Urlauber nach La Gomera, die nach El Hierro zweitkleinste und mit am schwersten erreichbare Kanaren-Insel. Einen internationalen Flughafen hat sie nicht, keine Bettenburgen, keinen massenhaften Badetourismus. Wanderer und Naturfreunde lieben La Gomera, Individualisten, die eine etwas umständliche Anreise mit der Fähre gerne auf sich nehmen, wenn sie dafür nur von den Auswüchsen der Ferienindustrie verschont bleiben. Diese lassen sich beispielsweise in der Hafenstadt Los Cristianos auf Teneriffa besichtigen, wo die Schiffe nach La Gomera ablegen. Am künstlich aufgeschütteten Sandstrand promenieren die Urlauber vor der Kulisse von Hotelkästen, Ramschläden und Restaurants, die Pizza und Bratwurst per Fotoaushang anpreisen. La Gomera ist in Sichtweite, die Überfahrt dauert nur 40 Minuten – und führt doch in eine andere Welt.
Auf ganz La Gomera leben in etwa so viele Menschen wie in Los Cristianos, etwa 20000. Die meisten Gomera-Besucher, 400000 laut offiziellen Zählungen, kommen nur auf Stippvisite für einen Tag aus Teneriffa herüber, länger über Nacht bleiben gerade einmal 150000 Gäste pro Jahr. Jeder von ihnen findet genug Platz und Ruhe, oder, wie es Fernando Méndez ausdrückt: „Wir sind noch nicht in die Katastrophen der anderen Inseln geschlittert.“
Méndez trägt Urlaubsbräune zum leuchtend lachsfarbenen Hemd, als er zum Interview im Parador-Hotel auf einem Felsen hoch über San Sebastián, dem Hauptort La Gomeras, empfängt. Und er trägt den Titel Tourismusminister, was einerseits sehr staatstragend klingt für den Beamten einer Inselverwaltung, andererseits das Selbstbewusstsein der Gomeros unterstreicht und ihre Distanz zur spanischen Zentralregierung. Méndez ist klar, in welcher politischen Richtung die Zukunft La Gomeras liegt: „Der einzige Weg der Entwicklung ist weg vom Massentourismus“, sagt er. Natur, Umweltfreundlichkeit, Nachhaltigkeit, das sind die Schlagworte, um die es auf La Gomera geht. Aber woanders geht es längst schon besser. So hat die Verwaltung von El Hierro im vergangenen Sommer ein Windkraftwerk in Betrieb genommen, das die gesamte Energie der Insel erzeugen soll. Autarkie im Atlantik – für La Gomera bleibt das vorerst eine Vision. Méndez verweist auf die größeren Ausmaße seiner Insel im Vergleich zur Konkurrenz im Südosten des Archipels. Derweil rußt das Dieselkraftwerk am Ortsausgang von San Sebastián, das den Energiebedarf von ganz La Gomera deckt, weiter in den blauen Himmel – und versorgt auch die Küche von Efigenia Borges mit Strom.
Wenn man ihr weißes Haus hinter Eukalyptusbäumen an der einzigen Durchgangsstraße von Las Hayas betritt, steht man schon mitten in dem langen, schmalen Speiseraum. Die Gäste sitzen zusammen an zwei Tafeln mit Plastiktischdecken. In Vasen sind blaue Knoblauch-Blüten drapiert, an den Wänden hängen Zeitungsausschnitte aus aller Welt mit Geschichten über die Hausherrin.
Doña Efigenia wurde im Nachbardorf von Las Hayas geboren, wuchs dort auf und blieb. Mit ihrem Mann betrieb sie einen kleinen Laden und kochte für die Waldarbeiter, die Brenn- und Baumaterial für Häuser und Fischfabriken schlugen. In den Sechzigerjahren kamen die ersten Hippies bei Efigenia unter. Doch der Wohlstand ließ auf sich warten. Efigenias Menü war nicht etwa vegetarisch, weil sie die heutigen Ernährungsgewohnheiten geschäftstüchtig vorhergesehen hätte. Vielmehr waren ihre einzigen Tiere, die Ziegen, als Milchlieferanten zu wertvoll zum Schlachten. Es war die Zeit, als die Überfahrt zur Nachbarinsel Teneriffa noch 16 Stunden dauerte. Es gab nur das Frachtschiff, das Tomaten und Bananen von den Bauern Gomeras auf einer umständlichen Route einsammelte und abtransportierte. Erst die Siebzigerjahre brachten den wirtschaftlichen Aufschwung, den Massentourismus auf die Kanaren. Viele Exilanten, die vor der Armut nach Südamerika geflohen waren, kehrten zurück auf ihre Inseln. Der Tourismus verhieß ein leichteres Einkommen als die Landwirtschaft. Auch auf La Gomera lagen nun plötzlich Felder brach, die jahrhundertelang mühsam bewirtschaftet worden waren. Immer noch überziehen die Trockenmauern der früheren Terrassen-Pflanzungen Hänge und Schluchten bis in gefährlich hoch gelegene Winkel mit geometrischen Mustern.
Diese Kulturzeugnisse wieder vermehrt zu nutzen und sie dadurch zu erhalten, ist ein Ziel der Inselverwaltung. Sie bietet Kurse in Ackerbau und Viehzucht an und verpachtet Land. Aber das ist auch eine Maßnahme gegen die hohe Arbeitslosigkeit. Ein kleines Feld zur Selbstversorgung – das sehen immer mehr Gomeros als Option. Auch Umweltschutzverbände befürworten die Landwirtschaft: Kultivierte Flächen bremsen die Ausbreitung von Bränden. Das zeigte sich auch bei der jüngsten Feuersbrunst im Sommer 2012. Tourismusminister Méndez gibt sich jedoch nur verhalten optimistisch: „Wir können den Leuten ja nicht vorschreiben, dass sie leben sollen wie ihre Großeltern“, sagt er.
Wie es aussehen kann, wenn die Felder wieder aufblühen, zeigt das Beispiel des Weinguts Montoro bei Hermigua. Um dorthin zu gelangen, kurvt man mit dem Auto erst die Küste entlang, dann immer höher hinauf in die Berge. Aus Asphalt wird Schotter, aus Schotter staubige Erde voller Schlaglöcher, und wenn man vollends das Vertrauen ins Navigationsgerät verloren hat, taucht plötzlich eine Art Garten Eden auf: Terrassen voller Weinreben inmitten wüstenartigen Gerölls.
Armenia Mendoza empfängt ihre Gäste auf einer Terrasse in einer nach allen Seiten offenen Küche. Eine lange Tafel ist von einem Dach aus Weinranken geschützt, der Blick reicht weit hinab zum Atlantik. Seit 70 Jahren ist dieser idyllische Flecken in Familienbesitz. Einen Hektar davon kultivieren die Mendozas – als Hobby, seit Armenia Mendozas Mann, ein Banker, in Rente gegangen ist. Wanderer sind bei ihnen nach Voranmeldung zur Weinprobe willkommen. Ansonsten kann man ihren fruchtigen Forastera nur in ein paar Bars der umliegenden Dörfer kaufen. Das könnte sich bald ändern. Der Sohn der Mendozas studiert Önologie und hat neue Ideen. „Viele junge Leute interessieren sich wegen der Wirtschaftskrise wieder für die Landwirtschaft“, sagt Armenia Mendoza, die die Interessen der Weinbauern auch als Chefin der zuständigen Abteilung der Inselverwaltung vertritt, „wir wollen sie davon überzeugen, dass es viel schöner ist, auf den Feldern zu arbeiten als im Büro.“
Steigt man die Terrassen von Montoro weiter empor, gelangt man in den Nationalpark Garajonay. Auf rund 800 seiner 4000 Hektar großen Fläche wütete vor drei Jahren das Feuer. Brandstifter hatten es gelegt, wahrscheinlich in der Hoffnung auf Subventionen und Jobs bei Aufräumarbeiten. Die Spuren der Katastrophe sind weitgehend verschwunden. Vor allem im Norden des Nationalparks, über dem die feuchten Passatwolken hängen, hat sich die Natur gut erholt. Ángel Fernández López, der Direktor des Nationalparks, gibt sich dennoch ernst, wenn er Besucher durch den Wald führt: „Das Feuer hat gezeigt, dass hier alles mit allem zusammenhängt.“ Kultiviertes Land, Natur, die sich im geschützten Rahmen selbst überlassen ist, Touristen, die kommen, um diese Natur zu bewundern – „es kommt darauf an, die Balance zu halten.“ Schon jetzt gebe es halb so viele Hotelbetten wie Einheimische auf La Gomera, und die EU fördere die Stilllegung von Flächen – am Ende könnte La Gomera doch aus dem Gleichgewicht geraten, fürchtet Ángel Fernández.
Der Schutz des Lorbeerwaldes ist sein besonderes Anliegen. Ein solches Dickicht aus knorrigen, ineinander verschlungenen, mit Moos bewachsenen, immergrünen Laubbäumen hat vor 20 Millionen Jahren ganz Europa bedeckt und existiert so heute nur noch auf La Gomera. Durch diesen Wald zu gehen, ist ein archaisches Erlebnis. Wenn man beispielsweise zwischen Igualero und Vallehermoso unterwegs ist, bietet sich ein Abstecher bei Efigenia an.
Auch ihr Geschäft übernimmt bald der Sohn, Sergio, der in England Betriebswirtschaft studiert hat und nach dem Tod seines Vaters nach La Gomera zurückkehrte, um seine Mutter zu unterstützen. Wenn der 37-Jährige mit perfektem Oxford-Akzent von seiner Mutter spricht, nennt er sie respektvoll „The Lady“. „Sie hat das Konzept des Öko-Tourismus erkannt, ohne zu wissen, dass es ein Konzept ist“, sagt er. Den Gästen erklärt er genauestens, wie sie das berühmte Menü essen sollen: Getreidebrei, Gemüsesuppe und etwas vom süßen Salat mit Banane und Melone – alles zusammen in den Mund.
So viel von der Welt hat Sergio gesehen, so jung und gebildet ist er, und trotzdem ist ihm die Tradition so wichtig? „Na ja, was heißt Tradition“, sagt der Junior-Chef, „ich kenne es halt nicht anders.“