In der Oscar-Nacht feiert sich ja nicht das ganze Kino, sondern jener Teil, der am besten weiß, wie man Massen mobilisiert, die Vollprofis des Entertainment, die Könige der Kassen: Hier zeigt traditionsgemäß das sogenannte Hollywood der restlichen Filmwelt, wie Unterhaltung funktioniert. Letztes Jahr legte ein Selfie Twitter lahm und es sah so aus, als hätte Hollywood die mediale Welt noch voll im Griff. Die Show überdeckte dann auch ganz gut, wie wenig überraschend die Preisvergabe selbst geworden ist in den vergangenen Jahren. Die Spannung müssen schon die Gags auf der Bühne und die Musikeinlagen erzeugen. Das lief dieses Jahr dann eher nicht so gut. Unter anderem, weil der vorab viel gerühmte Moderator Neil Patrick Harris an der Oscar-Krankheit litt und sehr unentspannt wirkte.
Bester Film wurde "Birdman" von Alejandro Gonzalees Inarritu mit Michael keaton als ehemlaigem Superhelden, der den Schatten seiner größten Filmrolle nicht mehr loswird.
Und dann ist gleich alles lahm. Denn es gibt keine Außenseitersiege mehr, die Academy ist so gründlich durchanalysiert – und so berechenbar –, dass sich das Rennen nur noch zwischen maximal zwei Favoriten entscheidet. Es war lange vorher klar, dass entweder Richard Linklaters über zwölf Jahre gedrehte Geschichte einer Jugend, „Boyhood“, oder Alejandro Gonzáles Iñárritus Schauspieler-Introspektion „Birdman“ bester Film wird – und sicher nicht die ebenfalls nominierte Jazzgeschichte „Whiplash“ oder das Martin-Luther-King-Drama „Selma“.
Ebenso war klar, dass es Eddie Redmayne als Stephen Hawking sein würde, der für „The Theory of Everything“ bester Schauspieler wird, oder höchstens noch der „Birdman“ Michael Keaton; und dass ein Oscar für die zum fünften Mal nominierte Julianne Moore („Still Alice“) ausgemachte Sache war. Nicht einmal Hollywoods Solidarität mit dem Whistleblower Edward Snowden, die sich im Dokumentarfilm-Oscar für Laura Poitras’ „Citizenfour“ äußerte, war wirklich überraschend.
Das mit dem Überdecken hat also nicht so gut funktioniert. Schlimmer noch: Man hatte den Eindruck, Hollywood klammere sich an die eigene Vergangenheit, weil es den Glauben an die eigene Zukunft verloren hat. In der Eröffnungsnummer schon besangen Neil Patrick Harris und Anna Kendrick Hollywood in der Retrospektive, und dann brüllte plötzlich Jack Black aus dem Publikum dazwischen. Das war ganz lustig, weil das meiste davon stimmte: Hollywood, blökte Black, produziert nur noch Superhelden-Filme, rennt chinesischem Geld hinterher und den Vorgaben der Marketing-Abteilungen.
Aber es war ein bisschen so, als hätte die Academy mit diesem Auftritt ein Gespenst in den Saal gelassen, das dann nicht wieder herauszubekommen war: die Angst vor dem Untergang, davor, dass sich das alte Kino überlebt hat und nun Streamings und chinesische Blockbuster den Ton vorgeben. Das erklärte dann, dass den ganzen Abend über immer wieder das „Golden Age“ beschworen wurde, und die glamourösen Fünfziger und Sechziger, als dem Kino noch die Welt gehörte, am deutlichsten mit dem Auftritt von Lady Gaga, die ganz wunderschön ein Tribute-Medley zu „The Sound of Music“ vortrug und Julie Andrews damit die Tränen in die Augen trieb. Sehr hübsch.
Sollte dieser Ausschnitt aber eines Tages außerirdischen Historikern in die Hände fallen, die herausfinden wollen, ob diese Nummer nun in einer Oscar-Nacht Mitte des 20. Jahrhunderts vorkam oder doch deutlich später, wird es nur ein wichtiges Indiz für die Datierung geben: Tätowierte Arme zum Abendkleid. Das gehört zu den Neuerungen des 21. Jahrhunderts. So wenig Zukunft und so viel Angst, das ist wie im Siegerfilm, in dem Michael Keaton einen abgehalfterten Superstar spielt, dem die Vergangenheit in Form des Comic-Helden Birdman, den er einst gespielt hat, im Nacken sitzt. Wahrscheinlich hat der Film bei der Academy schon deswegen punkten können, weil dort inzwischen viele nachempfinden können, was einer durchmacht, der weiß, dass er sich neu erfinden muss, aber nicht, ob es funktioniert.
Schon die Filmauswahl an sich erzählt einiges über das Studiosystem und seine Nöte. „Birdman“ gegen „Boyhood“, und „Birdman“ gewinnt – das wäre auch genau die Zusammenfassung für die Veranstaltung, die am Abend vor den Oscars stattfindet: die Independent Spirit Awards. Die wurden in den Achtzigern für jene Filme erfunden, die ohne Studios entstanden und zu wenig Geld einspielten, um von Hollywood ernst genommen zu werden. Drei von den vier Schauspielerpreisen – der für Julianne Moore sowie für die Nebendarsteller Patricia Arquette („Boyhood“) und J.K. Simmons („Whiplash“) – waren in diesem Jahr bei beiden Veranstaltungen die gleichen. Unterschiede gab es nur, weil bei den Spirit Awards Michael Keaton gewann und Richard Linklater an Iñárritu vorbeizog. Ansonsten muss man festhalten: Alle Filme, die bei den Oscars wichtig waren, von „Birdman“ über „Boyhood“ bis zu „Still Alice“ und „Whiplash“, sind unabhängig produziert und also auch für die Spirit Awards qualifiziert. Das echte Hollywood, die industrielle Großmacht, hat sich sozusagen aus den Oscars, der eigenen Veranstaltung, verabschiedet.
Natürlich macht diese Unterhaltungsindustrie immer noch Geld, aber nicht mit „Boyhood“ oder „Birdman“. Wie Jack Black eingangs schon sang: Hollywood selbst erhält sich selbst mit Superheldenfilmen. Und es sollte dieser Industrie ruhig angst und bange werden – denn mit Produktionsplänen, die bis ins übernächste Jahrzehnt reichen, wie sie die Studios im vergangenen Jahr vorlegten, haben sie die Erneuerungskraft, die das Kino immer noch hat, auf lange Sicht ausgesperrt. Die Risiken gehen heute Leute wie Richard Linklater ein, wenn er aus eigener Kraft seine Geschichten erzählt, oder junge Firmen wie Netflix mit neuen Serien – die sind noch auf der Suche nach dem eigenen Profil. Die Studios aber sind gefangen im Korsett des planbaren Erfolgs und verzetteln sich mit Comicfilm-Sequels für ein Publikum, das noch gar nicht geboren ist.
Dazu passt dann auch gleich der Gag des Abends, der am übelsten missglückt ist. Da stand ein verschlossener Kasten auf der Bühne, den die Zuschauer im Auge behalten sollten, und am Ende öffnete ihn Neil Patrick Harris und zog eine lange gedruckte Liste heraus, von der er dann vorlas, was inzwischen tatsächlich passiert war – der polnische Regisseur Paweł Pawlikowski wird sich nach seinem Sieg mit „Ida“ nicht von der Bühne scheuchen lassen, und wenn Patricia Arquette gleiche Bezahlung für Frauen fordert, wird Meryl Streep sich schlagartig unterbezahlt fühlen.
Das war gleich aus drei Gründen ein Desaster – erstens, weil solche Zaubertricks in der Trickkiste Fernsehen immer billig wirken; zweitens, weil diese Liste mühelos in die Kiste gepackt hätte werden können, während das Publikum in kollektiven Tiefschlaf gefallen war; und drittens, weil der Gag sowieso verräterisch schlecht ist. Was will uns die Academy denn damit sagen – dass sie die Show von jeder Spontaneität befreit hat und hier wirklich alles durchgeplanter Fake ist?
Jener Teil des Kinos, der vereinfachend Hollywood genannt wird, ist vielleicht tatsächlich im Begriff zu vergessen, wie viel Kreativität noch immer mit Spieltrieb und Risikobereitschaft zu tun hat. Andererseits saß die Zukunft mit im Saal: Solange es außerhalb des Studiosystems noch Leute gibt, die sich mit so viel Vision ins Zeug legen wie Linklater und Iñárritu, ist das Kino noch zu retten. Zur Not eben ohne Hollywood.
Bester Film wurde "Birdman" von Alejandro Gonzalees Inarritu mit Michael keaton als ehemlaigem Superhelden, der den Schatten seiner größten Filmrolle nicht mehr loswird.
Und dann ist gleich alles lahm. Denn es gibt keine Außenseitersiege mehr, die Academy ist so gründlich durchanalysiert – und so berechenbar –, dass sich das Rennen nur noch zwischen maximal zwei Favoriten entscheidet. Es war lange vorher klar, dass entweder Richard Linklaters über zwölf Jahre gedrehte Geschichte einer Jugend, „Boyhood“, oder Alejandro Gonzáles Iñárritus Schauspieler-Introspektion „Birdman“ bester Film wird – und sicher nicht die ebenfalls nominierte Jazzgeschichte „Whiplash“ oder das Martin-Luther-King-Drama „Selma“.
Ebenso war klar, dass es Eddie Redmayne als Stephen Hawking sein würde, der für „The Theory of Everything“ bester Schauspieler wird, oder höchstens noch der „Birdman“ Michael Keaton; und dass ein Oscar für die zum fünften Mal nominierte Julianne Moore („Still Alice“) ausgemachte Sache war. Nicht einmal Hollywoods Solidarität mit dem Whistleblower Edward Snowden, die sich im Dokumentarfilm-Oscar für Laura Poitras’ „Citizenfour“ äußerte, war wirklich überraschend.
Das mit dem Überdecken hat also nicht so gut funktioniert. Schlimmer noch: Man hatte den Eindruck, Hollywood klammere sich an die eigene Vergangenheit, weil es den Glauben an die eigene Zukunft verloren hat. In der Eröffnungsnummer schon besangen Neil Patrick Harris und Anna Kendrick Hollywood in der Retrospektive, und dann brüllte plötzlich Jack Black aus dem Publikum dazwischen. Das war ganz lustig, weil das meiste davon stimmte: Hollywood, blökte Black, produziert nur noch Superhelden-Filme, rennt chinesischem Geld hinterher und den Vorgaben der Marketing-Abteilungen.
Aber es war ein bisschen so, als hätte die Academy mit diesem Auftritt ein Gespenst in den Saal gelassen, das dann nicht wieder herauszubekommen war: die Angst vor dem Untergang, davor, dass sich das alte Kino überlebt hat und nun Streamings und chinesische Blockbuster den Ton vorgeben. Das erklärte dann, dass den ganzen Abend über immer wieder das „Golden Age“ beschworen wurde, und die glamourösen Fünfziger und Sechziger, als dem Kino noch die Welt gehörte, am deutlichsten mit dem Auftritt von Lady Gaga, die ganz wunderschön ein Tribute-Medley zu „The Sound of Music“ vortrug und Julie Andrews damit die Tränen in die Augen trieb. Sehr hübsch.
Sollte dieser Ausschnitt aber eines Tages außerirdischen Historikern in die Hände fallen, die herausfinden wollen, ob diese Nummer nun in einer Oscar-Nacht Mitte des 20. Jahrhunderts vorkam oder doch deutlich später, wird es nur ein wichtiges Indiz für die Datierung geben: Tätowierte Arme zum Abendkleid. Das gehört zu den Neuerungen des 21. Jahrhunderts. So wenig Zukunft und so viel Angst, das ist wie im Siegerfilm, in dem Michael Keaton einen abgehalfterten Superstar spielt, dem die Vergangenheit in Form des Comic-Helden Birdman, den er einst gespielt hat, im Nacken sitzt. Wahrscheinlich hat der Film bei der Academy schon deswegen punkten können, weil dort inzwischen viele nachempfinden können, was einer durchmacht, der weiß, dass er sich neu erfinden muss, aber nicht, ob es funktioniert.
Schon die Filmauswahl an sich erzählt einiges über das Studiosystem und seine Nöte. „Birdman“ gegen „Boyhood“, und „Birdman“ gewinnt – das wäre auch genau die Zusammenfassung für die Veranstaltung, die am Abend vor den Oscars stattfindet: die Independent Spirit Awards. Die wurden in den Achtzigern für jene Filme erfunden, die ohne Studios entstanden und zu wenig Geld einspielten, um von Hollywood ernst genommen zu werden. Drei von den vier Schauspielerpreisen – der für Julianne Moore sowie für die Nebendarsteller Patricia Arquette („Boyhood“) und J.K. Simmons („Whiplash“) – waren in diesem Jahr bei beiden Veranstaltungen die gleichen. Unterschiede gab es nur, weil bei den Spirit Awards Michael Keaton gewann und Richard Linklater an Iñárritu vorbeizog. Ansonsten muss man festhalten: Alle Filme, die bei den Oscars wichtig waren, von „Birdman“ über „Boyhood“ bis zu „Still Alice“ und „Whiplash“, sind unabhängig produziert und also auch für die Spirit Awards qualifiziert. Das echte Hollywood, die industrielle Großmacht, hat sich sozusagen aus den Oscars, der eigenen Veranstaltung, verabschiedet.
Natürlich macht diese Unterhaltungsindustrie immer noch Geld, aber nicht mit „Boyhood“ oder „Birdman“. Wie Jack Black eingangs schon sang: Hollywood selbst erhält sich selbst mit Superheldenfilmen. Und es sollte dieser Industrie ruhig angst und bange werden – denn mit Produktionsplänen, die bis ins übernächste Jahrzehnt reichen, wie sie die Studios im vergangenen Jahr vorlegten, haben sie die Erneuerungskraft, die das Kino immer noch hat, auf lange Sicht ausgesperrt. Die Risiken gehen heute Leute wie Richard Linklater ein, wenn er aus eigener Kraft seine Geschichten erzählt, oder junge Firmen wie Netflix mit neuen Serien – die sind noch auf der Suche nach dem eigenen Profil. Die Studios aber sind gefangen im Korsett des planbaren Erfolgs und verzetteln sich mit Comicfilm-Sequels für ein Publikum, das noch gar nicht geboren ist.
Dazu passt dann auch gleich der Gag des Abends, der am übelsten missglückt ist. Da stand ein verschlossener Kasten auf der Bühne, den die Zuschauer im Auge behalten sollten, und am Ende öffnete ihn Neil Patrick Harris und zog eine lange gedruckte Liste heraus, von der er dann vorlas, was inzwischen tatsächlich passiert war – der polnische Regisseur Paweł Pawlikowski wird sich nach seinem Sieg mit „Ida“ nicht von der Bühne scheuchen lassen, und wenn Patricia Arquette gleiche Bezahlung für Frauen fordert, wird Meryl Streep sich schlagartig unterbezahlt fühlen.
Das war gleich aus drei Gründen ein Desaster – erstens, weil solche Zaubertricks in der Trickkiste Fernsehen immer billig wirken; zweitens, weil diese Liste mühelos in die Kiste gepackt hätte werden können, während das Publikum in kollektiven Tiefschlaf gefallen war; und drittens, weil der Gag sowieso verräterisch schlecht ist. Was will uns die Academy denn damit sagen – dass sie die Show von jeder Spontaneität befreit hat und hier wirklich alles durchgeplanter Fake ist?
Jener Teil des Kinos, der vereinfachend Hollywood genannt wird, ist vielleicht tatsächlich im Begriff zu vergessen, wie viel Kreativität noch immer mit Spieltrieb und Risikobereitschaft zu tun hat. Andererseits saß die Zukunft mit im Saal: Solange es außerhalb des Studiosystems noch Leute gibt, die sich mit so viel Vision ins Zeug legen wie Linklater und Iñárritu, ist das Kino noch zu retten. Zur Not eben ohne Hollywood.