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Nikolaus macht die Grenzen dicht

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Die Parteien schränken das Grundrecht auf Asyl immer weiter ein und betiteln ihre Entscheidung mit 'Nikolauskompromiss'. Besonders wohltätig ist dieser nicht.

München - In München demonstrierte die Lichterkette gegen den Ausländerhass. Gleichzeitig demonstrierten in Bonn CDU/CSU, SPD und FDP ihren Willen, 'das Asylproblem' zu lösen. Ergebnis war der 'Nikolauskompromiss'. Das klingt nach guten Gaben, Punsch und Besinnlichkeit. Doch der Kompromiss, den die Fraktionsvorsitzenden am Nikolaustag vor 20 Jahren formulierten, war weder gut noch besinnlich: Er postulierte das Ende des alten Asylgrundrechts, er strich den Artikel 16 Abs. 2 aus dem Grundgesetz, der das Asylrecht uneingeschränkt garantiert hatte und ersetzte ihn durch einen sehr langen, verquollenen Artikel 16 a, der aus dem Asylrecht ein Asylrechtlein machte.



Warten auf die Abschiebung: Flüchtlingen wird die Einreise jetzt noch weiter erschwert

Der Asylkompromiss sah Folgendes vor: Zwar soll es das Asylrecht weiterhin geben, nicht aber Flüchtlinge, die es in Anspruch nehmen dürfen. Nur noch ein kleiner Kreis von Flüchtlingen soll die Chance erhalten, überhaupt in ein deutsches Prüfungsverfahren zu gelangen. Wer auf dem Landweg in die Bundesrepublik einreist, der gilt nicht mehr als politisch Verfolgter im Sinne des Grundgesetzes. Er wird ohne weitere Prüfung an der Grenze abgewiesen. Eine lange Liste von Ländern wird als sicher definiert. Flüchtlinge, die von dort einreisen, erhalten kein Asyl.

Von den Maßgaben, die ein SPD-Sonderparteitag kurz zuvor aufgestellt hatte, war dieser Kompromiss Lichtjahre entfernt. Trotzdem stimmte auch ein bislang hartnäckiger Gegner, Niedersachsens Ministerpräsident Gerhard Schröder, dem Kompromiss zu. Der damalige CSU-Vize Edmund Stoiber sagte, was die Verhandlungsführer von SPD (Hans-Ulrich Klose) und FDP (Hermann Otto Solms) nicht gestehen wollten: Das individuelle Grundrecht auf Asyl und die Rechtswegegarantie blieben nur für den 'oberflächlichen Leser' erhalten. Ein halbes Jahr später, am 26. Mai 1993, wurde der Asylkompromiss im Bundestag beschlossen, er trat am 1. Juli 1993 in Kraft.

Die Änderungen wurden sozusagen im Schein der brennenden Häuser von Mölln und Rostock geschrieben: Die Parteien hatten sich des Terrors gegen Ausländer und Flüchtlinge nicht mehr anders zu erwehren gewusst als mit der Änderung des verketzerten Grundrechts. Die SPD wurde vom Streit um das Asylrecht schier zerrissen, ähnlich wie später beim Streit um die Agenda 2010. Viele SPD-Mitglieder verließen die Partei, unter ihnen Günter Grass.

Die Phalanx der Verteidiger des Asylgrundrechts war bereits im Herbst des Jahres der deutschen Einheit gebrochen, im Bundestagswahlkampf 1990. SPD-Kanzlerkandidat Oskar Lafontaine bezeichnete eine Änderung unter Beifall der CSU als 'notwendig'. In den folgenden zwei Jahren wurde die Debatte über 'Asylschwindel' immer schärfer geführt, ausländerfeindliche Angriffe häuften sich - an einem einzigen Tag kam es zu 78 Übergriffen auf Ausländer. Nach den Ausschreitungen von Rostock und dem Brandanschlag von Mölln wechselte die SPD ihren Kurs. Parteichef Björn Engholm verkündete nach einer Klausursitzung die Bereitschaft zur Grundgesetzänderung. Ein Sonderparteitag im November akzeptierte die Änderung des Asylrechts unter vielen Bedingungen. Davon konnte die SPD praktisch nichts durchsetzen. Ein Einwanderungsgesetz wurde im Asylkompromiss nur unverbindlich erwähnt.

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